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Kommunen
Sara Hakemi untersucht die Flugblätter der
Kommune I
im Kontext der Skandalavantgarden.
Das Konzept der Kommune I sei
auf die Skandalisierung der Wahrnehmung und auf die Irritierung der
öffentlichen Meinung aus gewesen. Die Medien seien als
Multiplikatoren genutzt worden. Gerade aus diesem Grund habe die
Kommune I die in politischen Flugblättern gewohnte
argumentative und sich positionierende Schreibweise fallen gelassen.
Diese Praxis lasse sich im Übrigen bei den Schriften der
Umherschweifenden Haschrebellen und anderer späterer
Sponti-Gruppen wiederfinden. Ensslin und Baader
hätten zudem das spontaneistische Konzept der Kommune I, das diese
bei ihren Happenings wie im Flugblattprozess praktiziert haben, im
Frankfurter Prozess gegen die Kaufhausbrandstifter imitiert. Die
Schriften der RAF in den frühen 1970er-Jahren
ließen aber ein völlig anderes Konzept erkennen, da sich die
RAF in ihren Schriften einem konventionellen politisierten
Flugblattkonzept genähert hätten.
Sara Hakemi: Anschlag und
Spektakel. Flugblätter der Kommune I, Erklärungen von Ensslin/Baader
und der frühen RAF.
Posth Verlag, Bochum 2008. 207 Seiten, 29,90 EUR. ISBN-13:
9783981081435
Günter Langer:
Der Berliner »Blues«
Tupamaros und umherschweifende
Haschrebellen zwischen Wahnsinn und Verstand
Aribert Reimann: "Dieter Kunzelmann", Vandenhoeck & Ruprecht,
Göttingen 2009, 392 Seiten.
Anhand des Lebens des 68er-Rebellen Dieter
Kunzelmann beschreibt Aribert Reimann die Geschichte der
Avantgardebewegungen in der Bundesrepublik. Reimann geht vor wie ein
guter Kriminalist: Er ermittelt in alle Richtungen, penibel,
leidenschaftlich, aber nie distanzlos.
Kunzelmann, geboren 1939 als
Sohn katholisch-liberaler, eben nicht nazibelasteter Eltern in
Bamberg, ist sicher die schillerndste Figur der 68er-Generation.
Polit-Clown für die einen, antisemitischer Terrorist für die
anderen. Hyperaktiv, mediengeil und mediennotorisch dank der
"Kommune 1" und deren "sex and drugs and subversion". Ein
Gaudi-Anarcho, der erst Pudding zu Sprengstoff umwidmet, dann
bierernst ein palästinensisches Terrortraining absolviert,
Spaßguerillero, Kader-Kommunist, Grünen-Abgeordneter in Berlin wird,
zwischen Knast und Untergrund oszilliert und 1998 seinen eigenen Tod
inseriert, um ein Jahr später wieder aufzukreuzen.
Paris ist seine zweite
Sozialisation, die ästhetisch-politische durch die Situationisten,
eine quasi-stalinistisch geführte Anti-Bohème-Bohème. Der gilt schon
Kunstmachen als reaktionär - revolutionär dagegen sind "dérive"
(Umherschweifen) und "détournement" (Zweckentfremdung/Umwidmung).
Voilà - zwei Leitmotive für Kunzelmanns Aktionismus, von den
Schwabinger Krawallen und der Künstlergruppe "Spur" über die
"Umherschweifenden Haschrebellen" bis zur bewaffneten subversiven
Gewalt der "Tupamaros Westberlin".
(Pieke Biermann in DR, 28.1.10).
-
Rainer Langhans:
Heiligabend in der K1 (et 2008).
Weihnachten, dass war etwas für Spießer. Wir hielten das ganze
religiöse Zeug für Schwachsinn. Und das Fest, wie es in Deutschland
begangen wurde, war für uns nur eine einzige Konsumorgie.
Künstliche, vollkommen falsche Bedürfnisse waren das in unseren
Augen, darauf wollten wir die Leute aufmerksam machen. Außerdem gab
es ja noch den Krieg in Vietnam, der ja auch in unserem Namen
geführt wurde, an den aber an Weihnachten niemand denken wollte -
stattdessen wurde auf Friede, Freude, Eierkuchen gemacht. Deswegen
war Weihnachten für uns eine hochgradig verlogene Sache, wir sahen
darin vor allem eine Gelegenheit, unsere Mitmenschen darauf
aufmerksam zu machen, dass sie ein falsches Leben führen.
Wir haben uns in den
Weihnachtsrummel gestürzt und uns unter die Kauflustigen gemischt.
Dann verteilten wir Flugblätter gegen den Vietnamkrieg und fingen
Diskussionen mit den Leuten an. So kam es immer wieder dazu, dass
vor den Kaufhäusern kleine Grüppchen von Leuten standen und
diskutierten. Sie standen vor dem KaDeWe, auf dem Ku'damm - und das
war verboten. Die Polizei, die damals noch keine Erfahrung mit so
was hatte, kam dann mit kleinen Eingreiftrupps angerückt und trieb
die Leute auseinander - oder zog sie in ihre Einsatzfahrzeuge und
nahm sie vorläufig fest. Der Witz war: Wir hatten da schon
immer lange das Weite gesucht. Wir zettelten lediglich die
Diskussion an und zogen dann weiter. Die Polizei setzte also immer
Unschuldige fest, ganz normale Weihnachtsbummler. So schufen wir ein
Bewusstsein bei ganz normalen Leuten für Probleme, mit denen wir als
Linke und Kommunarden ständig zu kämpfen hatten: Zum ersten Mal
erfuhren ganz normale Leute die Repressalien durch den Staat und die
Polizei am eigenen Leib - etwas, dass bislang nur uns widerfahren
war und dass sie höchstens aus der Zeitung kannten.
Rudi
war ein toller
Rapper unserer Gefühle (Studies in Freiburg).
-
High sein, frei sein, da wollen alle dabei sein:
Georg Meier,
1947 geboren,
schreibt einen großen
Erinnerungsroman über die Zeit der deutschen Freaks und der
Beatniks. VON
DETLEF KUHLBRODT (taz, 6.12.08).
Georg Meiers
Debütroman "Alle waren in Woodstock, außer mir und den
Beatles" ist ein
verspäteter 68er-Roman für die Enkel. Im Hintergrund gibt es den
Vietnamkrieg, Demos, politische Auseinandersetzungen. Mit einem
Seesack trampt er durch die Gegend und trifft allerlei Leute in
Frankreich. Italien. Türkei, Indien. Ab und an werden Leute
abgezogen. Auf Haschwiesen, die es damals in jeder mittleren Stadt
gab, trifft sich die herumschweifende Szene. LSD und Opiate gibt es
auch. Auf der Suche nach Sex spricht man in verrauchten Kneipen
zitatweise über den Streit zwischen Camus und Sartre, Vietnam, Rudi
Dutschke, die Bild-Zeitung,
die Anfänge der RAF usw. Am Rande werden durchgeknallte Kleingruppen
wie die Revolutionäre Fixer Kommune erwähnt; die wechselnden
Bewohner versiffter Kommunen folgen antiökonomischen
Freak-Brothers-Weisheiten wie der, dass einem Dope besser durch
Zeiten ohne Geld als Geld durch Zeiten ohne Dope hilft. Während die
Zeit der politischen und studentischen 68er Anfang der 70er schon zu
Ende gewesen war, hielten sich die Reste der lebensweltlich
orientierten, nicht studentischen, teils alternativ, teils
kleinkriminell orientierten Freaks noch ziemlich lange und
repräsentierten in Landkommunen die Reste des Anderen. "Hast
du genug erlebt, um einen Film daraus machen zu können?"
(Jim Morrison)
Michael Geißler:
"Acid, Mao und I Ging. -
Erinnerungen eines Berliner Hasch-Rebellen"
(Neuerscheinung 2008)
Kommune 1, Rainer Langhans und der Harem
in den Medien, sowie neue Bücher von Rainer Langhans,
Christa Ritter,
den Zwillingen Jutta Winkelmann
und Gisela Getty,
Severin Winzenburg. Neues von und über
Uschi Obermaier.
Rainer Langhans:
Höschen-Träume in der Haftanstalt (et).
Eight Miles High - Das wilde Leben der
Uschi Obermaier.
Olaf Krämer
im Interview
mit Günter Langer: "Die
Morgendämmerung eines neuen Frauentyps"

USCHI IN THE U.S.A. Am 12.7.08 Kinopremiere in New York: “The
American audience is going to fall in love with this film and with
Natalia Avelon in the role of Uschi.
This an incredibly sexy, smart picture with amazing direction, stunning
performances and a great soundtrack with songs from bands like MC5
and the Stooges”. 8 Miles High
(Das Wilde Leben) is slated for release in 2008.
Roger Ebert:
Eurotrash.
Unbekannter Rezensent: Nachdem dieser Film von
der Kritik vielfach gescholten wurde, halte ich eine Ehrenrettung
für angebracht. Die Parolen von Kunzelmann und das Gelaber von
Langhans werfen eine ganze Reihe brisanter Fragen auf: Wie können
wir die Gesellschaft verändern? Wie können wir hoffen die
Gesellschaft zu verändern, wenn wir uns nicht zuerst selber ändern?
Warum wollen einige von uns eine Familie und andere wollen genau das
vermeiden? Wie können wir hoffen, die Gesellschaft zu verändern,
wenn wir nicht öffentlich wirken und uns stattdessen immer wieder
hinter unsere vier Wände zurückziehen? Wie können wir die Medien für
unsere gesellschaftspolitischen Ziele nutzen und wie weit dürfen wir
dabei gehen? Vor allem aber: Wollen wir diese Gesellschaft überhaupt
verändern? Die Obermaier hat für sich das Freiheits- und Lustprinzip
in höchstem Grade realisiert und maximiert. Ihr Verhalten ist dabei
überaus modern: Sie beutet ihren wohlgeformten Körper aus, um ihren
Bekanntheitsgrad zu erhöhen, und setzt diese beiden Ressourcen dann
ungeniert ein, um die eigenen hedonistischen Ziele zu finanzieren.
Völlig normal, oder? Millionen von Jugendlichen träumen oder tun
heute nichts anderes, wenn sie ihre schönretuschierten Fotos bei
Facebook einstellen und auf nichts anderes aus sind, als kurzfristig
durch irgendeinen dummen Fernsehtalk berühmt zu werden, um
anschließend den vergänglichen Ruhm durch drittklassige
Werbeverträge zu vermarkten.
Die
eigentliche Überraschung im Film ist daher
die Entdeckung, dass ein derart konformistisches und in höchstem
Grade unfreies Verhalten vor nur wenigen Jahrzehnten einmal als
antikonformistisch, befreiend und sogar revolutionär betrachtet
werden konnte.... Die letzte offene Frage des Films: Führt die
maximale Freiheit des Individuums nur in die persönliche
Vereinsamung oder vielleicht doch zwangsläufig in die maximale
Unfreiheit für alle?
Eight
Miles High
- Verfilmung der vielseitigen Lebensgeschichte Uschi Obermaiers
während der 60er und 70er Jahre: erstes deutsches
"Supermodel", Kommune, Studentenrevolution,
Rolling Stones, Hamburger Kiez
Sex
mit dem Leben - Der Uschi-Film ist fertig gedreht (Spiegel-online,
4.5.06)
Schirmherr
Rainer Langhans verleiht History-Award 2008 an Schüler aus Münster.
Langhans: „Internet ist die gelebte Kommune von heute“
München, 25. Juni 2008
- Der
„History-Award 2008“ wurde gestern von
Schirmherr Rainer Langhans an Schüler des Pascal-Gymnasiums Münster
in deren Heimatstadt überreicht. Ihr Projekt
„Münster – eine
Provinzhauptstadt in den 68ern“ zum
Wettbewerbsthema „1968-2008 - Jugend zwischen Politik und
Lebensgefühl“ fand die größte Zustimmung der siebenköpfigen Jury.
Anhand eines Films vergleichen die Schüler die Demonstrationen
Jugendlicher gegen Rechtsradikalismus aus den Jahren 1969 und 2006
und erörtern deren jeweilige Motivation und die Folgen. „Den
Schülern ist es gelungen, am Beispiel zweier
Anti-Nazi-Demonstrationen in Münster, die eine 1969, unmittelbar in
der bewegten Zeit nach „’68“, die andere im Jahre 2006, das
aufzuzeigen, was vier Jahrzehnte nach Benno Ohnesorg und den
Ausschreitungen in Berlin von den Zielen, den Idealen und den
Errungenschaften der Jugend von damals noch Bestand hat.“, so Juror
Helmut Markwort (FOCUS) zum Beitrag aus Münster. Jurykollege Prof.
Guido Knopp (ZDF) lobte den Beitrag aus Münster als „hervorragende
historisch-politische Fallstudie“, während Prof. Johannes Moser von
der Ludwig-Maximilians Universität München „die guten Recherchen,
die Verbindung von lokalen Ereignissen und überregionalen
Zusammenhängen sowie die interessanten Interviews mit Zeitzeugen“
überzeugten. Ähnlich positiv äußerten sich die weiteren
Jurymitglieder Dr. Christian Hartmann (Institut für Zeitgeschichte),
Prof. Nada Boskovska (Universität Zürich) und Dr. Peter Lautzas
(Deutscher Geschichtslehrerverband).
Rainer Langhans lobte in seiner Rede als Schirmherr
den Beitrag aus Münster als didaktisch wertvolle Dokumentation.
Gleichzeitig wünschte er sich eine noch stärkere gedankliche
Auseinandersetzung der Schüler mit ihrer eigenen Rolle als
„Hauptprofiteure der Kulturrevolution“ und regte an, sich diese noch
mehr zunutze zu machen. Dies sei vor allem im Internet möglich -
laut Langhans die gelebte Kommune von heute. (vgl
Focus, 25.6.08).
Kommune
1 - heute: Big Brother?
Christa Ritter und Rainer Langhans
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