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Kommune I –
Philologie
(erster
Versuch)
Sara Hakemi untersucht die Flugblätter der
Kommune I
im Kontext der Skandalavantgarden
Flugblätter waren in der Frühphase
der Kommune I
wohl das wichtigste Kommunikationsmedium, mit dem sich die Politclowns
der APO in der Szene und im Medienbetrieb der Republik Gehör zu
verschaffen wussten. Vor allem die Flugblätter 6-9, in denen die KI
vorgeblich zur Warenhausbrandstiftung aufgerufen hatte, geben bis heute
zur wohlfeilen Empörung Anlass. Nicht zuletzt deshalb, weil im Jahr
darauf das Bonny & Clyde-Pärchen der linke Szene,
Gudrun Ensslin und Andreas Bader,
unter Mithilfe von Thorwald Proll Brandsätze in zwei
Frankfurter Kaufhäusern legte. Von hier aus die Linie weiter bis zur
1970 mit der Befreiung Ensslins und Baaders gegründeten Roten Armee
Fraktion zu ziehen, liegt nahe, zumal die Kontakte zwischen Ensslin,
Baader und der KI bekannt genug sind. Die Chronologie spricht dafür: KI,
Frankfurt, RAF.
Allerdings ist die Ableitung
methodisch, politisch und strukturell problematisch, da zwischen dem
Politikverständnis der frühen
Kommune I von 1967 und dem der RAF von
1970 drei lange Jahre liegen, eine Zeitspanne, die für die Entwicklung
der Außerparlamentarischen Opposition bis hin zur undogmatischen Linken
entscheidend sind.
Umso verbissener verlaufen die
Kämpfe um die Interpretationshoheit dieser Jahre und insbesondere um die
Ableitungen des RAF-Terrors aus der politisierten Studentenbewegung der
späten 1960er-Jahre. Dass es dabei eben auch um Verantwortung, ja um
Schuld geht, ist dabei unbenommen. Aber auch wenn der RAF-Terror
zahlenmäßig vergleichsweise wenige Opfer gefordert hat, hat die RAF doch
die innenpolitische Diskussion und das gesellschaftliche Klima bis in
die achtziger Jahre hinein mitbestimmt. Freilich weniger durch ihre
eigenen Aktionen als durch die Reaktion der staatlichen Institutionen
und Medien auf die nur wenige dutzend Mitglieder umfassende RAF. Dass
die Bestimmung des gesellschaftlichen Binnenklimas die Strategie der RAF
wie von terroristischen Gruppen generell ist, hat Andreas Elter in
seiner 2008 publizierten Studie deutlich herausgestellt (siehe
literaturkritik.de 10/2008).
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt
Sara Hakemi, allerdings ist die Basis, auf der sie dieses Ergebnis
erzielt, kaum hinreichend. Mehr noch, aus dem Material, das sie einer
näheren Untersuchung unterzieht, ist dieses Ergebnis nicht ableitbar.
Grundsätzlich lässt sich ihre Arbeit
in zwei Bereiche trennen. Erstens in einen Untersuchungs- und
Analysebereich, in dem sie insbesondere die Flugblätter der
Kommune I, die
Prozessunterlagen zum Kaufhausbrandtstifterprozess gegen Ensslin und
Baader, die Flugblätter der Umherschweifenden Haschrebellen
und die Programmschriften der frühen RAF untersucht.
Ein angeblicher Exkurs zum
politischen Konzept der
Kommune I und deren Ableitung aus den historischen
Avantgarden liefert lediglich eine knappe Skizze der
Situationistischen Internationale, zur Rezeption der
Avantgarden nach 1945 und zum Avantgardebegriff der Wissenschaften. Die
notwendige Ableitung der
Kommune I-Konzepte aus den avantgardistischen Traditionen
entfällt allerdings.
Im zweiten Themenbereich, den Hakemi
an den Schluss der Studie gestellt hat, diskutiert sie die Aktivitäten
von Kommune I
bis RAF unter macht- und medienpolitischen Aspekten, ohne diese aber
kontextuell einzubinden. Die Arbeit ist, kurz gesagt, hier teils
kurzschlüssig, teils abwegig.
Die hier zu findende lapidare
Abweisung der Argumentation, wie sie Heinrich Böll in
seiner 1972 im „Spiegel“ veröffentlichen Anti-BILD-Polemik „Will Ulrike
Meinhof Gnade oder freies Geleit?“ vorgebracht hat, ist mit den
medienpolitischen Strategien und Wirkungen der RAF nicht begründbar.
Auch die These, dass es eben auf die Mobilisierung des neutralen
Massenpublikums ankomme, wie dies Hakemi anschneidet, greift nicht.
Ganz im Gegenteil, Böll
visierte ja gerade im Spiegel-Essay wie in seinen damaligen Romanen und
Erzählungen die Veränderungen von Gesellschaft durch die Überreaktionen
der staatlichen Institutionen an, reflektiert also das Beziehungsgefüge
im gesellschaftlichen Kontext der Zeit. Dass Hakemi diese medialen und
institutionellen Reaktionen zudem in Nebenbemerkungen als adäquat
legitimiert, ist bestenfalls als nachlässig anzusehen, liegt
möglicherweise aber auch darin begründet, dass sie die
gesellschaftlichen Kontexte ihrer untersuchten Schriften nicht genügend
berücksichtigt hat. Dies ist im Übrigen neuerdings auf der website
http://www.medienarchiv1968.de/ möglich, auf der der Springer-Verlag
seine Berichterstattung zwischen 1966 und 1968 dokumentiert.
Problematisch ist auch die Auswahl
ihrer Materialien. Im Zentrum ihres Interesses steht die Rezeption des
Skandalisierungsprofils der historischen Avantgarden durch die Kommune I
und ihre Nachfolger. Sie will dabei die Frage beantworten, inwieweit die
Kaufhausbrandstifterflugblätter der Kommune I tatsächlich appellativen
Charakter haben oder inwiefern sie als satirische
Skandalisierungsprojekte anzusehen sind.
Hakemis textnahe Lektüre führt dabei
zu einem offenen Ergebnis. Die Texte seien ebenso im Sinne der später im
Flugblattprozess vorgebrachten surrealistischen Tradition wie im Sinne
der Anklagebehörden lesbar. Das Konzept der Kommune I sei auf die
Skandalisierung der Wahrnehmung und auf die Irritierung der öffentlichen
Meinung aus gewesen. Die Medien seien als Multiplikatoren genutzt
worden.
Gerade aus diesem Grund habe die
Kommune I die in politischen Flugblättern gewohnte argumentative und
sich positionierende Schreibweise fallen gelassen. Diese Praxis lasse
sich im Übrigen bei den Schriften der Umherschweifenden
Haschrebellen und anderer späterer Sponti-Gruppen wiederfinden.
Ensslin und Baader hätten zudem das spontaneistische Konzept der Kommune
I, das diese bei ihren Happenings wie im Flugblattprozess praktiziert
haben, im Frankfurter Prozess gegen die Kaufhausbrandstifter imitiert.
Die Schriften der RAF in den frühen
1970er-Jahren ließen aber ein völlig anderes Konzept erkennen, da sich
die RAF in ihren Schriften einem konventionellen politisierten
Flugblattkonzept genähert hätten.
Nun ist die Chronologie dieser Texte
vielleicht einigermaßen plausibel. Im Konzert der gesellschaftlichen
Diskurse und Aktivitäten, aber selbst fokussiert auf die undogmatische,
linksradikale Szene der Jahre 1967 bis 1972 ist die Linie, die Hakemi
durch ihr Material zieht, nicht schlüssig.
Dass Baader und Ensslin
die Kommune I kannten, ist hinreichend bekannt – was aber ist daraus für
die Radikalisierung der RAF-Begründer zu folgern, wenn die gesamte
Entwicklung der APO und der gesellschaftlichen Diskussionen, Aktionen
und Reaktionen, mithin der gesamte sonstige gesellschaftliche Kontext
beinahe völlig ausgeblendet bleibt? Auch die sonstigen personellen
Linien, die Hakemi andeutet, insbesondere durch Kunzelmann,
Teufel und Ulrich Enzensberger, sind ohne weiteres kein Beleg
für die – abkürzend gesagt – Ableitung der RAF-Militarisierung aus den
Aktionen und Flugblättern der Kommune I.
Hinzu kommt, dass Hakemi sich
merkwürdiger Weise lediglich auf vier von 26 nachweisbaren Kommune
I-Flugblättern konzentriert, die Auswahl aber nur damit begründet, dass
diese Flugblätter angeblich den „Höhepunkt der literarischen Produktion“
der KI darstellen (worin diese bestehen soll, lässt sich freilich nicht
überprüfen). Auch wird weder das Medium Flugblatt einer genauen,
historisch angemessenen Analyse unterzogen, noch werden die Differenzen
zu anderen Publikationsformen, Genres und Medien berücksichtigt, etwa
zwischen den Kommune I-Flugblättern 1967 und der in der Zeitschrift 883
im Jahre 1970 veröffentlichten Gründungserklärung der RAF. Die Differenz
zwischen den Kommune I-Aktionen und ihren Flugblättern, auch die interne
Entwicklung der Kommune I bleiben unberücksichtigt, ebenso wenig wird
reflektiert, dass die Kommune I lediglich im ersten Jahr ihrer Existenz
das Flugblatt als Medium gepflegt hat (siehe
literaturkritik.de 1/2008). Selbst die gestalterischen Elemente der
Kommune I-Flugblätter, etwa ihre Zählung oder die einfache typografische
Gestaltung sind ihr keine eingehende Untersuchung wert. Solch
irritierende Lücken, diese methodischen Schwächen und die
offensichtliche Fragmentarität der Studie Hakemis sind es denn auch, die
ihre Nützlichkeit und Belastbarkeit deutlich einschränken.
Literaturkritik
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Sara Hakemi: Anschlag und
Spektakel. Flugblätter der Kommune I, Erklärungen von
Ensslin/Baader und der frühen RAF.
Posth Verlag, Bochum 2008.
207 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783981081435
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