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“Kommando Peter Urbach” – ein Nachruf auf S-Bahn-Peter


Vorbemerkung: Ich, Günter Langer, als „Freund“:

Ich kannte Peter Urbach und glaubte an seine wie auch immer geartete Freundschaft. Ich traf ihn zum ersten Mal bei einem Besuch in der Kommune 1 in der Moabiter Stephanstraße, wo er sich beim Herrichten einer Fabriketage für die Wohnzwecke der K1 nützlich machte. Bei einer Begegnung im Treppenhaus des SDS-„Zentrums“, das sich in der 2. Weltkriegsruine am Ku-Damm 140 befand, also dort, wo der SDS sein zentrales Büro und seine Versammlungsräume unterhielt, zeigte er mir eine Pistole und wollte wissen, ob ich eine haben wolle. Ich war ziemlich irritiert und habe dankend abgelehnt. In der FU traf ich ihn während der Besetzung des Germanischen Seminars, das in Rosa-Luxemburg-Institut umbenannt wurde, auf dem Balkon des Gebäudes, wo Fritz Teufel als DJ die Besetzer mit Musik unterhielt. Wir saßen nebeneinander und schauten uns das Treiben an. Plötzlich sagte Peter, er könnte in die Schaltzentrale gehen und den Stromverteiler lahm legen. Weshalb er das tun sollte, konnte er mir jedoch nicht beantworten und unterließ diesen, wie ich ihm klar machte, „konterrevolutionären Akt“.

Er lud mich zu sich nach Hause ein, wo ich auch auf seine Frau und seine Kinder traf. So gewann er mein Vertrauen. Ich fand deshalb auch nichts dabei, dass er in der Wieland-Kommune, in die ich Anfang 1969 einzog, hin und wieder zu sehen war. In den 8 1/2 Zimmern wohnten 10 SDSler inklusive Kindern, so zB bis zur Jahreswende 68/69 Udo Knapp, der als letzter SDS-Bundesvorsitzender ein paar Monate später die Bundesorganisation formell auflöste. Die Wieland-Kommune mutierte für eine kurze Zeit zu einer Art Ersatz-„Zentrum“, wo führende GenossInnen ein und ausgingen und u.a. eine große Party organisierten. Der Berliner SDS befand sich nach der Kontroverse um die Bedeutung der sog. „Schlacht am Tegeler Weg“ und der Gründung von sog. Ad-hoc-Gruppen an den Unis, die sich dann bald in „Rote Zellen“ umbenannten, zwar bereits kurz vor seiner Auflösung, aber für den Verfassungsschutz war diese Kommune trotzdem noch von besonderem Interesse. Kein Wunder also, dass das Amt Urbach ermutigte, dort zu schnüffeln und schließlich seine Bomben dort einzuschmuggeln, um das ganze Projekt ausheben zu können. Ihm gelang das bekanntlich in der Kommune 1, nicht aber in der Wieland-Straße. Bei der Razzia wurde nichts gefunden, weil die bei der „Anlieferung“ anwesenden GenossInnen Lunte rochen und das Zeug vorher entsorgten. Wir waren zwar stutzig über diese Koinzidenz, aber nicht stutzig genug, um ihn von uns gänzlich fern zu halten. Irgend jemand muss ihm von der von führenden SDSlern (Horlemann, Semler u.a.) und uns geplanten Reise nach Italien erzählt haben. Prompt bot er seine Dienste an. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen. Nur konnte ich später in dem ominösen „Baader-Meinhof-Report“ meinen Namen wieder finden. Die anonymen Verfasser dieses Machwerks hatten angeblich Zugang zu Urbachs Verfassungsschutzberichten und bedienten sich daraus, sich dabei nicht vor Fälschungen scheuend, wie Horst Herold, der Chef des Bundesamtes dieser Behörde richtig feststellte.

Als ich vor einigen Tagen per Facebook von Peters Ableben erfuhr, war ich trotz seiner Verrätereien nicht erleichtert, dass der Schurke endlich tot ist. Im Gegenteil, ich hatte immer gehofft, ihn eines Tages zur Rede stellen zu können. Sein Ausspruch gegenüber Rainer Langhans, „Rainer, wenn Du wüsstest…“, schien zu verlockend für zukünftige Aufklärung zu sein, als ihm den Tod zu wünschen. Außerdem sind ja nun bereits mehr als 40 Jahre vergangen und selbst all die RAFler, die selbst Tote auf dem Gewissen haben, sind inzwischen wieder in Freiheit. Leider können wir nicht mehr auf seine Aussagen warten, die Aufklärung seines Wirkens müssen wir nun anders angehen. Für mich war die Geschichte nie ganz ausgestanden. Die Todesmeldung gab mir deshalb den Anstoß, mein und unser Wissen über ihn erst einmal zusammen zu fassen. Ich hoffe, Journalisten und Historiker nehmen einen neuen Anlauf, mehr Licht in dieses düstere Kapitel unserer Vergangenheit zu bringen.

Hier ist das Ergebnis:

 

Der Adrenalin-Junkie

 

Mit dem Gruß „Kommando Peter Urbach“ unterschreibt im Jahre 2010 ein angeblich 68er einen belanglosen Blog-Beitrag. Offenbar vermutet diese Person, dass dieser von ihm gewählte Name, Peter Urbach, eine besondere Reaktion bei seinem Adressaten auslöst und der Namensträger nicht mehr unter den Lebenden weilt. Beide Annahmen erwiesen sich als falsch.

Als Kommandos haben sich in den Endsechzigern und Siebzigern des letzten Jahrhunderts Untergrundgruppen verstanden, die eine illegale Tat, einen Anschlag, eine Befreiungs-, oder eine Geldbeschaffungsaktion durchführten. Häufig gaben sie sich Namen von bekannten Befreiungskämpfern der Dritten Welt oder von zu Tode gekommenen ehemaligen MitkämpferInnen. Peter Urbach war weder das eine noch das andere. Er war ein Rohrleger, aber einer, der Adrenalin süchtig war. Nur, dass er keine schnellen Autos oder Motorräder fuhr oder Free Climbing betrieb, sondern er sah sich als antikommunistischer Kämpfer, einer, der sich in die Höhle des Löwen begab. Der Löwe, also zunächst die Reichsbahn, und dann diese oder jene Kommune, nahm ihn tatsächlich zunächst freundlich auf, musste aber irgendwann erkennen, dass ihm die Freundlichkeit nicht gedankt wurde.

 

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Peter Urbach (im Vordergrund mit Hütchen)

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Peter Urbach, 28 Jahre alt

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Urbach im Gericht mit Fritz Teufel und Anwalt Otto Schily.

Den Kommunarden Teufel und Urbach (rechtes Bild) wird Beleidigung des Gerichts und Abbrennen von Feuerwerkskörpern ohne polizeiliche Erlaubnis in einem von Menschen besuchten Ort vorgeworfen.

Das jämmerliche Ende

Weshalb er sich diese Materie aussuchte, kann er uns leider nicht mehr erklären. Am 3. Mai 2011 ist er nach langer Krankheit (Nierenversagen) in Santa Maria, Kalifornien, verstorben. Seine dort hinterbliebene dritte Ehefrau erzählte der Santa Maria Times, Urbach sei am 2. Mai 1941 in Posen geboren worden, hätte in den letzten Kriegstagen dort aber seine Eltern verloren und hätte sich mit seinem (älteren?) Bruder nach Berlin durchschlagen müssen, wo er dann in einem Kriegswaisenheim aufgewachsen sei. Neben seiner Ausbildung als Rohrleger hätte er an einer Polizeiakademie ebenfalls einen Abschluss gemacht. Seine sportlichen Aktivitäten wären so gut gewesen, dass er sogar in das deutsche olympische Team aufgenommen worden sei. Beruflich hätte er als einfacher Polizist begonnen, aber schließlich in die Festnahme der Führer des Baaders-Meinhof-Komplexes verwickelt worden.

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Peter Urbach auf der Flucht

Seine Witwe berichtet, sie wisse nichts über seine Berliner Zeit. Er habe ihr erklärt, er dürfe darüber nicht reden. Er hätte zwar vorgehabt, seine Erlebnisse jener Zeit aufzuschreiben, dazu sei es aber nicht mehr gekommen. Atmen einige Berliner Ex-Chargen, falls sie noch am Leben sind, jetzt auf? Der Hauptverantwortliche für Urbachs Missetaten, Ex-Innensenator Kurt („Kutte“) Neubauer, ist inzwischen 90 Jahre alt und dement, sein damaliger Verfassungsschutzchef, Eberhard Zachmann. (1966 - 74 ) inzwischen 99 Jahre alt oder verstorben und dessen Abteilungsleiter IV (und späterer Chef des LfV, von 1975 - 1986), Franz Natusch, starb Anfang 2012.

 

Urbach wird S-Bahn-Peter

Was liegt nun eigentlich gegen unseren Adrenalin-Junkie konkret vor, was waren seine Missetaten, dass er unerkannt in die USA flüchten musste? Reinhard Mohr vom Spiegel fasste es mal kurz zusammen: Peter Urbach (im Szenejargon "S-Bahn-Peter") arbeitete praktisch für alle Seiten: Für den westdeutschen Verfassungsschutz, für die Stasi und für die Kommune 1.“


9. August 1967: Peter Urbach trägt den Sarg, den er für eine Kommune 1 Aktion geliefert hat.
Es handelte sich um ein Happening aus Anlass der Trauerfeier für Paul Löbe.

 

Davon stimmt nur der letzte Teil. Tatsächlich half er den Kommunarden der K1 bei der Herrichtung einer Fabriketage für Wohnzwecke. Vorher war er bei der Berliner S-Bahn als Handwerker beschäftigt, die Teil der unter DDR-Kontrolle stehenden Deutschen Reichsbahn war und auch die Westberliner Strecken fuhr,. Stefan Aust zufolge sei in dieser Zeit Mitglied der SEW geworden und hätte auch die Zeitung der SEW, „Die Wahrheit“, bezogen, und er hätte in dieser Zeit bereits für den Westberliner Verfassungsschutz gespitzelt. Den Kommunarden erzählte er, die Kommunisten hätten ihn schlecht behandelt und rausgeschmissen. Das schien denen einleuchtend und sie schlugen Warnungen der Reichsbahner, er hätte wegen Klauereien entlassen werden müssen, in den Wind. Von Stund an hatte er seinen Spitznamen weg: „S-Bahn-Peter“. Die Reichsbahner vermuteten frühzeitig eine Geheimdienstverbindung. Den Haschrebellen, wie Ralf Reinders bestätigt, war das bekannt, aber das wurde von anderen antiautoritären Linken als Kalte-Kriegs-Paranoia abgetan. Als S-Bahn-Peter fand der Agent dann tatsächlich Zugang in viele Kommunen, in den SDS und in den linken Republikanischen Club (RC), der damaligen Zentrale der Außerparlamentarischen Opposition (APO).

 

Der Agent
des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV)

Innensenator „Kutte“ Neubauer gab im Juni 1971 in einem Spiegel-Interview zu, dass Urbach Mitarbeiter des Westberliner Verfassungsschutzes sei (nicht des Westdeutschen, wie Spiegel-Autor Reinhard Mohr später behauptete). Der Spiegel wusste bereits im Mai 1971, dass „der Rohrleger Peter Urbach … ein Agent provocateur klassischer Prägung“ war und wiederholte diese Beurteilung 1980 mit der Bemerkung, Agents provocateurs vom Schlage Peter Urbach brachten den Verfassungsschutz mehr ins Zwielicht als zum Erfolg.“

Letzterer Artikel veranlasste dann den ehemaligen Vorsitzenden des Berliner SDS, Tilman Fichter, zu einem Leserbrief, in dem er die Beurteilung für „den Beamten des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz Peter Urbach zu Recht als Agent provocateur“ bestätigte und bemängelte, dass der für die „nachrichtendienstliche Arbeit dieses „Agent provocateurs klassischer Prägung“ der Ex-Innensenator Kurt Neubauer nie zur Verantwortung gezogen wurde. Des weiteren beschrieb Fichter einige Missetaten Urbachs.

 

Datei:Bundesarchiv B 145 Bild-F050815-0028, Berlin, Tagung SPD-Vorstand, Wehner, Neubauer.jpg

Neubauer mit Drink
Neubauer mit Herbert Wehner 1977 Kurt ("Kutte") Neubauer 1971 Neubauer im Amt

 

Dieser Brief hatte Folgen. Das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Dr. Andreas Gerl befragte den neuen Innensenator, Peter Ulrich, was an den Beschuldigungen Fichters dran sei. Ulrich antwortete mit Bezugnahme auf Fichters Brief detailliert, wich aber in entscheidenden Fragen aus bzw. bestritt Fichters Darstellung. „Auf verschiedenen Ebenen“ sei „die Tätigkeit des Herrn Urbach sehr intensiv erörtert bzw. überprüft worden“. Dabei berief er sich auf die 7. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses am 27.5.1971, in der der Fall Urbach behandelt worden war. Des weiteren habe „der damalige Innensenator, Herr Neubauer, in einer vertraulichen Sitzung des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin am 14.6.1971 eingehend und im Detail über die Tätigkeit des Herrn Urbach für das LfV Berlin berichtet.“ „Die gegen Herrn Urbach erhobenen Vorwürfe wurden hierbei zurückgewiesen bzw. der Sachverhalt entsprechend richtiggestellt.“ Ein „Agent provocateur“ sei er nicht gewesen und das LfV hätte die damalige APO nicht „kriminalisieren“ wollen. Zum Status Urbachs führte Ulrich er nichts aus, sondern schrieb nur von dessen „Tätigkeiten“. Weitere Einzelheiten weiter unten.

Innensenator Kurt Neubauer legt sich in einem Spiegelinterview vom 7.6.1971 nicht genau fest, in welchem rechtlichen Verhältnis Urbach zum Amt stand, verbeamteter Mitarbeiter oder schlicht V-Mann. Er spricht dort nur ganz allgemein von V-Männern, die er persönlich zumeist nicht kenne. Urbachs Führungsmann, Michael Grünhagen, zog in einem Gespräch mit dem später ermordeten Ulrich Schmücker einen Vergleich zwischen Schmückers gewünschter Rolle als Spitzel und Urbach: „Sie sind ja die ganze Zeit mit Linken zusammen, dabei kommt es leicht zu emotionalen Bindungen. In dieser Beziehung haben wir schon Schwierigkeiten mit Peter Urbach gehabt. Der war einige Male so weit, dass er alles hinschmeißen wollte. Erst mit viel Mühe und in stundenlangen Gesprächen haben wir ihn dazu bringen können weiterzumachen.“ (zitiert in: Stefan Aust, Der Lockvogel, S. 91). Den Namen brauche er, Schmücker; nicht ändern. Urbach würde auch unter seinem richtigen Namen leben. (aaO, S.93). Diese beiden Aussagen lassen vermuten, Urbach wäre nur ein nichtbeamteter Spitzel bzw. Agent gewesen. Sie stehen im eklatanten Widerspruch zu dem, was die Familie der Santa Maria Times erzählt hat, wonach Urbach Beamter gewesen sein müsste.

Neubauers oberster Verfassungsschützer war Eberhard Zachmann. Zachmann war zunächst Sicherheitsbeauftragter bei Heinrich Albertz, als dieser noch Innensenator war, bevor er Regierender Bürgermeister wurde und die Ermordung von Benno Ohnesorg durch den Polizeibeamten und Stasi-Spitzel Karl-Heinz Kurras am 2. Juni 1967 zu bewältigen hatte. Er bekleidete dieses Amt von 1966 bis 1974.

Zachmann war Vorsitzender des Arbeitskreises „Sicherheit“ beim Parteivorstand der SPD. Dieser Arbeitskreis bestand aus Parteivorstands- und Präsidiumsmitgliedern, sowie SPD-Obmännern aus den Landesämtern für Verfassungsschutz, die ihre ermittelten Informationen zur Verfügung stellten Zachmann erarbeitete insbesondere Dossiers über Infiltrationsversuche von Kommunisten in sozialdemokratischen Organisationen (SHB und Jusos), sowie im VDS (Verband Deutscher Studentenschaften). Ihm ging es um klare Abgrenzung zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie und gegen jede Zusammenarbeit. Der Doktorand Jens Schultz bemängelt in seiner Dissertationsschrift ("Sozialdemokratie und Kommunismus") zurecht, dass die Vermengung von Geheimdienstaktivitäten und Parteipolitik den rechtlichen und demokratischen Rahmen sprengte. Der SPD-Senator für Bundesangelegenheiten Dietrich Spangenberg soll Zachmann für ein „vollkommen verlottertes Individuum“ gehalten haben (Soukup, S. 267).

Der ganze Berliner Verfassungsschutz wurde vor einigen Jahren rundum erneuert. Die Akten, die über den „Löwen“, die Kommunarden, geführt wurden, vermutlich alle entsorgt. Damit auch die Spuren, die in die politisch-höhere Sphäre des Senats führen würden.

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Doppelagent?

Die Gauck-Behörde hat bislang keine Stasi-Tätigkeit Urbachs ausfindig machen können, falls sie überhaupt, anders als im Fall des Benno Ohnesorg Mörders Kurras, danach gesucht haben sollte. Wie ist aber Urbachs eigene Einlassung gegenüber Rainer Langhans Anfang der Neunziger Jahre zu verstehen, als er sich in einem Telefongespräch, das der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Günther Nollau,  für ein von Christa Ritter geplantes Filmprojekt arrangiert hatte, mit den Worten „Rainer, wenn Du wüsstest....“ verabschiedete. Autor Gerd Koenen kommentiert diesen Satz: „Ja, wenn man endlich wüsste! Oder muss man davon ausgehen, dass dem Ex-Agenten Urbach über Jahre eine Art Schweigegeld aus öffentlichen Mitteln gezahlt worden ist - und vielleicht bis heute gezahlt wird -, damit er die eigentlich Verantwortlichen nicht nennt?“

Der Lyriker FC Delius hat in seinem verdienstvollen Tatsachen-Roman „Mein Jahr als Mörder“ über den antifaschistischen Arzt Georg Groscurth, der 1944 von den Nazis hingerichtet wurde, und seiner Witwe Anneliese Groscurth, der später in Westberlin die Hinterbliebenenrente aberkannt wurde, einen weiteren Spieler hinter den Kulissen ausmachen können: Den CIC, eine geheime US-Behörde, die aktiv gegen Kommunisten in Ost und West agierte (S. 241). Der Westberliner Verfassungsschutz war per Besatzungsstatut verpflichtet, mit den alliierten Behörden zusammen zu arbeiten. Meinte Urbach diese Fährte? Das wäre nicht unbedingt von der Hand zu weisen, immerhin haben die Amis Urbach Exil gewährt. Aus Dankbarkeit für die Unterstützung in einer Politik der Nadelstiche gegen die bösen Kommunisten?

Wolfgang Kraushaar weist in seinem Bombenbuch sogar explizit auf diese Möglichkeit hin, wenn er darauf aufmerksam macht, dass Berlin zu der Zeit noch dem Viermächtestatus unterlag und „Verbindungsoffiziere der drei Westalliierten im Senat gesessen und zumindest die Praxis von Undercover-Leuten kontrolliert hätten“ (Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005, S. 178).

Im vierten und letzten Prozess zum Mord an Ulrich Schmücker begründet Richterin Dr. Ingeborg Tepperwien die Einstellung des Verfahrens unter anderem mit der Observation und Bespitzelung der Verteidigung (durch den V-Mann Christian Hein, aka Flach) und „dass die Ausspähung der Angeklagten und ihrer Verteidiger ergänzt wurde durch eine auf Initiative des LfV durch die Alliierten vorgenommene Telefon- und Postkontrolle“. (zitiert in: Stefan Aust, Der Lockvogel – Die tödliche Geschichte eines V-Mannes zwischen Verfassungsschutz und Terrorismus, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992, S.483).

Dieter Kunzelmann beschreibt in seiner Autobiografie „Leisten Sie keinen Widerstand“ (Transit-Verlag 1998) einen weiteren Vorgang, der die Alliierten betrifft: „Das Atelier von Uwe Johnson in der Friedenauer Niedstraße, wo wir damals wohnten, wurde von einem US-Geheimdienst abgehört, und dieser gab sein Wissen schriftlich an den Leiter der Berliner Staatsschutzabteilung weiter.“ (S. 99). Diese Mitteilung habe dann zur Festnahme der Kommune 1 Mitglieder wegen einer Vorbereitung eines Bombenattentats gegen den US-Vize Hubert Humphrey geführt. Die US-Lauscher konnten Pudding nicht von Sprengstoff unterscheiden.

Ulrich Enzensberger gibt in seinen Erinnerungen ebenfalls zu bedenken: „Daß Urbach dabei ohne Wissen der alliierten Kommandantur und des US-Stadtkommandanten hätte handeln können, ist völlig ausgeschlossen. Schon die normale, alltägliche Polizeiarbeit wurde aufs strengste kontrolliert." (Ulrich Enzensberger, Die Jahre der Kommune 1, Berlin 1967-69, Köln 2004, S. 317)

Welche Verdienste Urbachs haben nun Westberliner Senat und US-Behörden mit so viel Geld und Enthusiasmus so lange gewürdigt? Zunächst sicherlich seine Sabotageaktionen bei der S-Bahn bzw. der Reichsbahn. Dann die Ausschnüffelung der Kommunarden- und APO-Szene, sowie des SDS. Schließlich die Festnahme des RAF-Mitbegründers Andreas Baader. Normale Kalte-Kriegs-Aktionen also. Wäre es dabei geblieben, würde sicherlich kein Hahn mehr nach ihm krähen. Andere Spitzel sind längst der Vergessenheit anheim gefallen, wie der unglückliche Ulrich Schmücker, wie der Zuhälter von der Potse Volker von Weingraber (aka Karl Heinz Goldmann, aka Edler von Grodek, aka Wien), Ingeborg Barz (?) und andere. Sowohl Wolfgang Kraushaar als auch der umstrittene Autor Gerhard Wisnewski, (in „Verschlußsache Terror“, S. 157, S.158) berichten, Urbach wurde von dem Verfassungsschutzbeamten Michael Grünhagen aus der Britzer Dörchleuchtingstraße 48 (aka Peter Rühl, aka Michael Wegner; Abteilung IV, Verfassungschutz ( VS), Bereich Ursachenforschung Terrorismus, Elternsprecher an der progressiven Fritz-Karsen-Schule für die Klasse 3.1 von 1978 bis 1979) geführt, der in den Mord an dem Berliner V- Mann Ulrich Schmücker, unter seinem Vorgesetzten, dem Referatsleiter Willi Rumprecht verstrickt war. Ob das stimmt, wäre noch zu überprüfen. Chef des LfV war Eberhard Zachmann (SPD), der das Amt von 1966 bis 1974 führte. Weingraber und Grünhagen spielten die Hauptrollen beim Mord an Schmücker, Weingraber sozusagen als Urbach-Nachfolger und Grünhagen als Aufsichtsperson. Beide wurden vom LfV fürstlich mit vielen hundert tausend DM entlohnt. Die Rede ist von jeweils ca. 1 Million.

 

Der Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus

Einige Journalisten und Forscher werden nicht müde, sich mit Urbach zu beschäftigen. Dieses Verdienst hat er vor allem dem Ex-Kommunarden Dieter Kunzelmann zu verdanken, der die von Urbach selbst gebastelten Brandsätze von der Sorte Unkraut-EX-mit Zucker dazu nutzen wollte, eine antizionistisch/antisemitische Kampagne in Deutschland zu entfachen, indem er Abi Fichter dazu überreden konnte, eine von dem Verfassungsschutzagenten Peter Urbach zur Verfügung gestellte „Bombe“ ins Jüdische Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße zu deponieren. Ob die „Bombe“ tatsächlich aus Unkraut-Ex und Zucker bestand, ist nicht endgültig geklärt.

Datei:Jüdisches Gemeindehaus Fasanenstr. Berlin.JPG

Jüdisches Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße

Kunzelmann scheint die Aktion inzwischen peinlich zu sein. In seiner Autobiografie streitet er die Urheberschaft rundweg ab mit dem Hinweis, dass „jedem Linken eigentlich hätte klar sein müssen, dass eine derartige Aktion keinerlei Sympathien für die legitimen Anliegen der Palästinenser zu wecken vermochte; ganz zu schweigen davon, daß sie sich angesichts der deutschen Vergangenheit von selbst verbietet.“ Und er frage sich, „ob die Aktion eine Inszenierung von Geheimdiensten war oder ob der Brandsatz von ausgeflippten Sympathisanten der ‚Tupamaros Westberlin‘ gelegt worden sein kann? Merkwürdig bleibt, wie wenig die Ermittlungsbehörden unternahmen, um die für Aktion Verantwortlichen aufzuspüren.“ Mit dieser Interpretation schließt er sich quasi den von ihm seinerzeit beschimpften „Politmasken“ der „Palästina-Komitees“ an, die diesen Anschlag als schädlich für die Bekämpfung des Staates Israels hielten. Von der Aktionsform distanzierte er sich, nicht jedoch von der reaktionären Zielsetzung der Zerstörung Israels, der er offenbar weiterhin anhängt, die sich in den 60ern und 70ern einer sozialistischen Phraseologie bediente und ihren dschihadistischen Kern dem säkularen Publikum geschickt verbarg und sich heute in der völligen Aufgabe jeglicher sozialistischer Rhetorik zeigt. Es fiel damals niemandem in der linken Szene auf, dass Arafat sich auf seinen Onkel, den Hitler-Freund und SS-Kollaborateur, den Großmufti von Jerusalem berief.

Im Jahre 2006, also kurz nach Veröffentlichung des Kraushaar-Buches zur „Bombe im Jüdischen-Gemeindehaus“ und der darin enthaltenen Enthüllung über die Tätergruppe, kam es anlässlich des 40jährigen Jubiläums der Gründung der Kommune 1 zu einem Treff der Kommune-Gründer in Berlin. Rainer Langhans ließ es sich bei dieser Gelegenheit nicht nehmen, Kunzelmann zu fragen, ob er wirklich im November 1969 eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße hat legen lassen. Kunzelmann habe erwidert, „keine Aufregung, ihm sei immer klar gewesen, dass die Bombe nicht zünden würde.“ Damit gab er erstmalig zu, daran beteiligt gewesen zu sein. Ob er wirklich den Terminus „Bombe“ nutzte, ist nicht sicher. In seiner Autobiografie war die „Bombe“ korrekterweise noch ein „Brandsatz“. Der eigentliche „Bombenleger“ Abi Fichter, Innensenator Neubauer und der gesamte Berliner Senat beharren ja weiterhin darauf, dass es sich lediglich um einen Brandsatz bzw. um einen „bombenähnlichen Körper“ gehandelt habe. Doch dazu weiter unten mehr.

Diese Aktion gilt seitdem als Beweis für einen Antisemitismus, der der radikalen deutschen Linken immanent gewesen sei und nach wie vor ist. Dieser Vorwurf ist nicht ganz unberechtigt, denn andere Vorfälle dieser Art folgten: Ulrike Meinhofs Jubel über das Attentat von München, also der Ermordung friedlicher Sportler, der Selektionspraxis des Wilfried Böse von den Revolutionären Zellen (RZ) bei der Entführung einer Lufthansa-Maschine zwecks Erpressung der Freilassung gefangener Stadtguerilleros in Deutschland und Israel, der einseitigen Unterstützung radikaler Palästinenserorganisationen, die allesamt Israel auslöschen wollen, bis hin zu Christian Ströbeles berühmt-berüchtigte Bemerkung in Israel zur Zeit des ersten Golfkrieges, die Raketen, die Saddam Hussein auf Israel abfeuerte, hätten sinngemäß die Israelis ihrer eigenen Politik zu verdanken. Neuerdings wurde diese Strömung mit der Unterstützung der sog. Gaza-Flottille durch Politiker der Partei der Linken wieder deutlich. Die Partei selbst vermochte es nur sehr vage sich von den rechtsradikalen türkischen Urhebern dieser Aktion und deren Ziele zu distanzieren.

LfV und „Schwarze Ratten“ Hand in Hand

Eine entscheidende  Frage hat der damals viel gelesene Autor Sebastian Haffner aufgeworfen: »Wenn es sich als wahr herausstellen sollte, daß (der Innensenator) durch einen seiner Agenten die Bombe im jüdischen Gemeindehaus hätte legen lassen (....), dann hätte er selbst eine schwere Straftat begangen – und zwar eine Tat, die dem Ansehen Berlins mehr Schaden zugefügt hat, als irgendein wirklicher oder angeblicher Apo-Exzeß.« Haffner hat frühzeitig den Finger auf die offene Wunde gelegt. Heute lässt sich das besser einschätzen: Neubauers Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat die Tat mit Sicherheit nicht direkt angeordnet, Urbach hätte einen solchen Auftrag auch gar nicht erfüllen können. Für die jetzt bekannten Täter, die sich damals selbst als „Schwarze Ratten (TW)“ bezeichneten und damit das Label Tupamaros in Verruf brachten, war er längst als Agent bekannt. Sie konnten aber auf die Bomben, die ursprünglich vom LfV-Agenten Urbach in die linke Subkultur-Szene gestreut wurden, aus ihren Verstecken zugreifen.

Indem das LfV wissentlich, es hatte ja bereits Razzien durch die Polizei durchführen lassen, wenn auch nur mit Teilerfolgen, "Bomben" zur Verfügung stellte, ist es als Mittäter für das Attentat verantwortlich. Die verschiedenen Tupamarosgruppen lösten sich wegen ihrer Ablehnung dieser Aktion still und heimlich auf. Einzig die „Schwarzen Ratten“ machten weiter und versuchten ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Dieter Kunzelmann publizierte zu diesem Zweck Briefe in dem linken Wochenblatt „883“, angeblich aus Amman "zugeschickt".

Die Spur und die Täter waren bekannt

Jura-Professor Uwe Wesel urteilt über diesen Vorfall: „Über Urbach kannte die Polizei die Täter. Aber die Staatsanwaltschaft erhob keine Anklage, wohl weil Urbachs Rolle und die der Behörden sonst bekannt geworden wäre. Den V-Mann selbst schaffte man mit einer neuen Identität ins Ausland – einer der größten Skandale dieser Art in der Geschichte der Bundesrepublik.Uwe Wesel irrt hier. Urbach konnte nicht wissen, wer die aktuellen Täter waren. Er hatte ja bereits den Kontakt zu ihnen verloren. Das Amt wusste aber dennoch, wer die Täter waren. Als der Haschrebell Bodo Saggel verdächtigt wurde, bei einem Richter, der den Kommunarden Karl Pawla zu 10 Monaten Haft wegen seines Shit-Ins im Moabiter Gericht verurteilt hatte, einen Brandanschlag verübt zu haben und deswegen vernommen wurde, hat er den entscheidenden Tip bezüglich des Jüdischen Gemeindehauses gegeben. Er war angewidert von dem eklatanten Antisemitismus dieser Aktion und gab am 5. Dezember 1969, also nur wenige Tage nach der Tat zu Protokoll, er hätte die Namen Albert Fichter, Georg von Rauch und Dieter Kunzelmann als an der Aktion Beteiligte gehört. Anwesend waren Amtsgerichtsrat Lehmann, Staatsanwalt Tscheppan und der Justizangestellte Leonhardt. In einem „Sachstandsbericht des Ermittlungsverfahrens ‚gegen Unbekannt‘“ vom 17.4.1970, S. 3, wird auf Saggels Vernehmung Bezug genommen, der auf Pläne Tilman Fichters verwiesen hatte, die drei Verdächtigten mit 1600 DM zu versorgen, um sie außer Landes, in Richtung Jugoslawien zu bringen. (zitiert von Aribert Reimann, Dieter Kunzelmann..., S. 247). Tilman Fichter betont jedoch, damals nicht gewusst zu haben, dass sein Bruder den Brandsatz gelegt hatte.

Drei andere, den Haschrebellen verbundene Linke (Willi Farkasowsky, Helmuth Caspari und Heinrich Jansen) wurden verhaftet und beschuldigt, sich an dem Anschlag beteiligt zu haben. Alle drei bestritten das vehement. Willi Farkasowsky ging sogar noch einen Schritt weiter und bot den Behörden an, bei der Suche nach den wahren Tätern behilflich zu sein. (Sein Brief wurde in 883 Nr.50 abgedruckt). Weder wurde dieses Angebot angenommen, noch führte Saggels Aussage zu irgendwelchen Konsequenzen.

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Bodo Saggel moderiert das Haschrebellen-Teach-In in der TU Berlin am 29.11.1969

Warum sind diese Herren nicht aktiv geworden? Wurde KOK Wolfgang Kotsch, Leiter der Staatsschutzabteilung, wurde Klaus Hübner, der seit Januar 1969 neu amtierende Polizeipräsident, informiert? Weshalb wurde diese Spur nie verfolgt, obwohl die Behörden wissen konnten, dass Saggel tief in der Szene verankert war und seine Informationen vermutlich Hand und Fuß haben mussten? Immerhin hatte Saggel nur ein paar Tage vorher, am 29.11.1969, das Haschrebellen Teach-In in der Technischen Universität moderiert.

Weshalb wurde alles vertuscht?

 

Historiker Gerd Koenen: „Was im Dunkeln liegt und umso mehr verstört, ist die andere Seite des Schweigens, das diesen vielleicht größten Skandal seiner Art in der Geschichte der alten Bundesrepublik umgibt.Koenen meint genau das Schweigen über die Erkenntnisse, die tatsächlich vorlagen und das Schweigen der heutigen Behörden über ihre alten Verfehlungen. Dürfen oder wollen sie nicht? Ist doch etwa der CIC involviert gewesen und deshalb darf darüber nichts an die Öffentlichkeit, um „die Freunde“ zu schützen?

Spiegel-Autor Michael Sontheimer bezeichnet diesen ganzen Komplex als „skandalös“ und schlussfolgert: Es ist ein unglaublicher Skandal, dass ein Verfassungsschutzmann solche terroristischen Aktivitäten nicht verhinderte, sondern förderte und ganz praktisch unterstützte. Aber Urbach ist verschwunden, lebt wohl in den USA, und von staatlicher Seite gibt es kein Interesse seine Machenschaften aufzuklären.“ Besser und knapper kann man’s kaum sagen.

Historiker Wolfgang Kraushaar beklagt: Das beste Beispiel für den geheimdienstlichen Einfluss auf die linksradikale Szene ist immer noch die nur zum Teil geklärte Rolle des V-Mannes Peter Urbach, der ja im Übergang von der Studentenbewegung zu den ersten Berliner Untergrundgruppierungen als eine Art agent provocateur aufgetreten ist. Diese Rolle ist spätestens seit 1971 bekannt und inzwischen aufgrund einer Vielzahl von unabhängig voneinander zustande gekommener Zeugenaussagen nicht mehr bestreitbar. Dennoch gibt es dazu immer noch keine Stellungnahme der für ihn zuständigen Behörde, des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, und der politisch Verantwortlichen beim Berliner Senat. Die Öffentlichkeit wird in dieser Angelegenheit wie in einer Reihe vergleichbarer anderer einfach hängen gelassen.“ Das hat sich leider bisher nicht geändert.

Und der SZ-Journalist Willi Winkler will sich nicht festlegen: Polizeitaktisch, das muss man sagen, war der Herr Urbach sehr erfolgreich. Allerdings wurde die Szene (Winkler meint hier dann die RAF und die Bewegung 2. Juni), die nach diesem meisterhaften Plan kriminalisiert werden sollte, am Ende doch zu groß. Ich vermute, dass sich der Innensenator nachher sagte: ‚Ich hab’s ja bloß gut gemeint.’“ Von viel „Erfolg“ kann eigentlich nicht die Rede sein. Die unberechtigten Verhaftungen von Langhans und Kunzelmann nachdem Urbach seine Bomben im Klo, das sich außerhalb der Kommune 1 befand, verstaut hatte, mögen im Sinne Neubauers zur Erhöhung der Spannung beigetragen haben, aber die Polizei war hier nur Teil der Provokation des LfV. Ähnliches kann für die Verhaftung Baaders geltend gemacht werden, obgleich der nun tatsächlich illegal die Waffen des Agenten auf einem Friedhof in Buckow abholen wollte.

Für Springer-Autor Sven Felix Kellerhoff ist selbst 2008 noch alles unklar: Die Rolle von Peter Urbach wird nie ganz geklärt. Während er bei den radikalen Studenten ein- und ausgeht, versorgt er zeitgleich den West-Berliner Verfassungsschutz mit Informationen. Ob er nur ein Spitzel ist oder sogar ein Agent Provocateur, der linksradikale Kreise militarisieren soll, bleibt umstritten.“ Na ja, immerhin hält er es für möglich.

Tatsächlich leitete die Staatsanwaltschaft laut Justizpressestelle am 21.06.1971 beim Landgericht Berlin gegen Neubauers V-Mann Peter Urbach ein Ermittlungsverfahren ein. Aufgrund von drei Anzeigen will die Staatsanwaltschaft zunächst prüfen, welche Aktionen Urbachs als "Straftaten in Frage kommen, welche verjährt sind und welche unter die Amnestie für Demonstrationsstraftaten fallen". Ein Ergebnis ist nicht bekannt geworden. Vermutlich wurde es eingestellt, nachdem Urbach ins Ausland gebracht wurde.

 

Die früheren Verbrechen

Was lag also noch gegen den „Agent provocateur“ (so von SZ, Spiegel, Stern, Kraushaar und vielen anderen bezeichnet) vor, was sind seine minderen Verbrechen?

Auf Demos animierte Urbach Demonstrierende zum Steine werfen. Selbst junge Frauen versuchte er auf diese Weise zu inkrimieren mit den Worten: „Traust du dich nicht?“ Immerhin wurde eine solche Tat auch damals schon mit „schwerem Landfriedensbruch“ geahndet, also in der Regel mit einer Gefängnisstrafe. Ein VS-Mann nahm also in Kauf, dass seine „Kollegen“ von der Polizei durch die von ihm animierten Steinwürfe schwer verletzt werden konnten, wenn nicht gar getötet, wie das bei den Osterunruhen in München in zwei Fällen passiert ist.

Der Stern beschrieb ähnliche Situationen in seinem großen Bericht zum Mahler-Prozess, sich auf den Sekretär des Republikanischen Clubs, Michael Böhme, berufend: „Und wenn die Genossen Müdigkeit zeigten, möbelte er sie mit markigen Parolen auf: ‘Es muß was passieren! Wir wollen nicht quatschen! Alles muß brennen!‘“

Kurz nachdem das gerade gegründete „Sozialistische Anwaltskollektiv“ von Horst Mahler, Klaus Eschen und Christian Ströbele aus Mahlers altem Büro in der Konstanzer Straße umgezogen war in die Meierotto Str. 1, tauchte der damalige Mandant dieses Büros, Peter Urbach, dort auf und machte den Anwälten das Angebot, aus den Baustellen in der Gropiusstadt, einer in Berlin-Britz im Bau befindlichen Großsiedlung, einen Heißwasserbereiter zu stehlen und im Bad der Kanzlei einzubauen. Die Anwälte lehnten das Angebot selbstverständlich ab, nicht nur, weil es völlig unredlich gewesen wäre, sondern vermutlich auch, weil von den Italienfahrern des SDS im Büro des Kollektivs in Anwesenheit der Anwälte und anderer SDS-Genossen bereits vor dem Spitzel gewarnt worden war. Klaus Eschen stellt diese Episode in einen größeren politischen Zusammenhang: „Sein Auftrag, die Anwälte auf diese Weise zu Fall zu bringen, zeigt die geradezu rührend naive Realitätsferne seiner Auftraggeber, die aber offenbar weitverbreiteten Klischeevorstellungen entsprach."

Im Juli 1969, anlässlich einer Demonstration für Deserteure der Bundeswehr, fuhr er mit einem LKW, voll geladen mit Holzbohlen, vor ein Polizeirevier nahe der Kommune 1 in Moabit und forderte vergeblich die Demonstrierenden auf, diese als Rammböcke zur Stürmung des Reviers zu nutzen.

Ostern 68, nach dem Attentat des Josef Bachmann auf Rudi Dutschke, verteilte Urbach Molotov-Cocktails vor dem Springer-Hochhaus in Berlin Kreuzberg an gegen die Hetze dieses Konzerns Demonstrierende. Die Mollies wurden gerne entgegen genommen und viele Springerauslieferungsfahrzeuge auf dem gegenüberliegenden Parkplatz gingen in Flammen auf. Innensenator Neubauer soll auf dem Dach des Springer-Hochhauses gestanden und den Aufruhr aus nächster Nähe beobachtet haben. Ob Urbach tatsächlich die Mollies brachte, ist nicht 100% geklärt. Bislang beziehen sich alle Autoren auf eine einzige Quelle: Bommi Baumann. Dieter Kunzelmann ist sich da mit dem LfV einig. Beide bestreiten das. Dazu später mehr.

SpringerAutos68
Springers Auslieferungsautos unbenutzbar gemacht

 

Der Sekretär des Republikanischen Clubs, Michael Böhme, wurde bald danach Zeuge mehrerer Vorgänge: ,,In mehr als einem Fall hat Urbach Bomben an Genossen ausgehändigt und den Tip gleich mitgeliefert, wo sie am wirkungsvollsten zu zünden seien." Böhme zeigte sich hellsehend; er verbürgte sich dafür, daß eine Reihe von Sprengstoffanschlägen bei bevorstehenden Prozessen noch eine sensationelle und politisch makabre Aufklärung finden würden. Er glaubte bereits zu wissen, dass auch „der spektakuläre Blindgänger“ (Stern), der im November 1969 im Cola-Automaten des Jüdischen Gemeindehauses in Westberlin entdeckt wurde, dem Arsenal des Verfassungsschutz-Agenten entstammte.

Der ehemalige Berliner SDS-Vorsitzende Tilman Fichter schrieb in seinem Leserbrief an den Spiegel vom 27. Oktober 1980 von einem gleichen Vorgang mit Urbach in den Räumen des INFI. Am 26. Februar 1969, einen Tag vor dem Berlin-Besuch des damaligen US-Präsidenten Nixon habe Urbach einen Koffer mit 12 bis 13 Brandsätzen ins INFI gebracht und angefangen diese an zufällig Anwesende zu verteilen, was ihm in wenigen Fällen auch gelungen sei. Fichter habe ihn dann aber gezwungen, dieses Zeug in sein Auto einzuschließen, das vor dem Hause geparkt war, und die Schlüssel auszuhändigen, um zu gewährleisten, dass es am nächsten Tage vernichtet werden könnte. Am nächsten Tage sei das Auto aber verschwunden gewesen, vermutlich mit einem Zweitschlüssel von Urbach wegbewegt.

Urbach behauptete danach, er habe die Brandsätze im Landwehrkanal entsorgt. Das war eine dreiste Lüge. Er deponierte sie schlicht in nahe gelegenen Kommunen. Innensenator Peter Ulrich bestätigt indirekt diesen Vorgang in seinem Brief an Dr. Andreas Gerl. Urbach habe „zwar bombenähnliche Körper mit zum sog. INFI gebracht, diese dort aber nicht verteilt.“ Angeblich hätte er sie „am gleichen Tage von einem anderen Angehörigen der damaligen APO mit der Auflage erhalten, sie zu dieser Besprechung im INFI mitzubringen.“ Mit anderen Worten, falls Urbach die Brandsätze tatsächlich nicht selber hergestellt hat, hätte das Amt in diesem Fall die „wahre Quelle“ dieser Brandsätze gekannt und eine Meldung an die Strafbehörden unterlassen, was eine sträfliche Unterlassungssünde gewesen wäre. Wir dürfen also weiterhin davon ausgehen, dass er sie selber und mit Wissen seiner LfV-Führer, Jachmann und Michael Grünhagen, fabriziert hat, wenn nicht gar mit diesem zusammen.

Eckhard Siepmann beschrieb diesen Bombenverteilungsvorgang recht plastisch. Heftiges Klopfen weckte Siepmann eines Nachts. Als er öffnete, stand er »einem halben Dutzend Beamter mit Maschinenpistolen gegenüber: Hausdurchsuchung! Die ganze Wohnung wurde auf den Kopf gestellt, der Keller und das Auto durchsucht. Dann zog die Camarilla erfolglos ab. Ein paar Tage vorher hatte Peter Urbach angerufen. Ob wir etwas für ihn aufbewahren würden? (...) Als er mit einem grau-braunen Paket ankam, fragte ich: `Sag mal Peter, wie kommt es eigentlich, dass von allen Berliner Arbeitern du der einzige bist, der zu uns hält?´ – `Tja, Ecki, die einen verstehen es und die anderen nicht´, war die vage Antwort des Agenten des Berliner Verfassungsschutzes. Das Paket stand gut verschnürt da herum, so sprachlos, so unaufdringlich – einer Eingebung folgend schaffte ich es aus dem Haus, ohne Peter zu verständigen – anders als die Molotow-Cocktails, die der Berliner Senat über Urbach zum Abfackeln der Springer-Autos nach dem Attentat auf Dutschke zur Verfügung gestellt hatte«.

Am 6. März 1969 fand die Polizei dann bei einer Razzia ein von Urbach geliefertes Bombenpaket in der Kommune 1, in der Moabiter Stephanstr. 60. Dieter Kunzelmann und Rainer Langhans wurden dafür verhaftet. Später wurden deswegen auch Haftbefehle gegen Ralf Reinders und Bernard Braun ausgestellt.

Bommi Baumann berichtet, eine dieser Produkte sei am 26.02.1969 auf der Berliner Besuchsstrecke des US-Präsidenten Nixon, an einem Gerüst des Kreuzberger Patentamtes, plaziert worden, habe sich aber nicht entzündet. Diese Aktion wurde von Baumann und in seinem Gefolge von Kraushaar und anderen als "Nixon-Attentat" bezeichnet. Das stellt eine bewusste Übertreibung dar. Wie kann ein Brandsatz, der auf einem Baugerüst sich entzünden sollte, eine Wagenkolonne mit dem US-Präsidenten, die fast 50 bis 100 Meter weit weg zu einem nicht genau vorhersehbaren Zeitpunkt vorbeifährt, gefährden? Überdies führte die Route letztlich über Blücher- und Urbanstraße und damit parallel zur Gitschiner Straße, wo das Patentamt lag.

Als Attentat wird gemeinhin „eine Gewalttat“ bezeichnet, „die auf die Schädigung oder Tötung eines zumindest im Interessenkreis des Attentäters stehenden Entscheidungsträgers abzielt und ideologisch (religiös, politisch, sittlich) motiviert ist.“ Wollte Baumann den zurecht als Kriegsverbrecher angesehenen Nixon tatsächlich auf diese Weise umbringen? Selbst, wenn er es gewollt hätte, er muss gewusst haben, dass er das auf diese Art nicht hätte leisten können. Das Gerede vom „Attentat“ stellt sich so als Bluff heraus, dem aus anderen Gründen einige Autoren leider folgen. Baumann selbst relativiert seine Aussage und stellte ursprünglich in seinem Buch "Wie alles anfing" (S. 52) klar, die Aktion sollte dazu dienen, Nixon einen „Schrecken einzujagen“.

Neuerdings betont Baumann jedoch wieder den „Bluff“. In einem Interview mit Jürgen Elsässer bringt er alles durcheinander: Ohne Urbach ist eine Bewaffnung der demonstrierenden Studenten nicht vorstellbar. Am Kudamm hat er immer wieder aus seinem Auto heraus Bomben verteilt – vor dem Büro der INFI, der Internationalen Infoinitiative, einem Ableger des SDS. Mit einer dieser Bomben wollten wir – ich war damals im Zentralrat der Umherschweifenden Haschrebellen – den US-Präsidenten Richard Nixon bei seinem Berlin-Besuch Ende Februar 1969 in Kreuzberg in die Luft jagen. Der Sprengkörper ging aber wegen Kabelbrand nicht hoch und die Aktion wurde deswegen auch nicht entdeckt. Trotzdem hat der damalige Polizeipräsident Klaus Hübner kurz darauf den versuchten Anschlag öffentlich gemacht. Das hat er eigentlich nur von Urbach wissen können, dem Bombenlieferanten – sonst wussten das nämlich nur noch zwei andere, einer davon war ich. Die Nixon-Bombe wurde von uns übrigens restauriert und kam dann am 9. November 1969 gegen die Jüdische Gemeinde zum Einsatz.“ In: Elsässers Blog, 5.7.2011. Das Kürzel INFI stand nicht für „Infoinitiative“, sondern für „Internationales Nachrichten- und Forschungsinstitut“, der Nixon-Besuch in Berlin fand Ende Februar statt, der Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen, in dem er zu der Zeit Mitglied gewesen sein will, erblickte erst im Sommer des Jahres das Licht der Welt. Ob derselbe Brandsatz dann den Weg ins Jüdische Gemeindehaus gefunden hat, ist mehr als fraglich. Woher will er das wissen, wo er doch mit dieser Aktion nichts zu tun hatte?

Die Staatsanwaltschaft hat 1971 die gegen Urbach erhobenen Beschuldigungen geprüft und hat alle eingeleiteten Ermittlungsverfahren eingestellt, mit einer Ausnahme. Urbach hatte ein Jagdgewehr ohne Wissen des LfV an eine unautorisierte Person weiter gegeben, wofür er sich eine Geldstrafe einfing. (Schreiben des Innensenators Peter Ulrich an Dr. Andreas Gerl, Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, vom 16. Januar 1981, zitiert in Kraushaar, S. 180). Innensenator Neubauer hat sich also sogar gegenüber der Staatsanwaltschaft durchsetzen können.

Die Pistolennummer

S-Bahn-Peter bot bereits im Herbst 1968 einzelnen GenossInnen Pistolen an, so auch dem Autor dieser Zeilen. Er begründete das mit der Situation der sog. Frankfurter Kaufhausbrandstifter (Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll, Horst Söhnlein), die im Gefängnis saßen. Was die Pistolen gegen diesen Umstand ausrichten könnten, ließ er offen. Ich lehnte das Angebot ohne weitere Diskussion ab, redete aber mit niemandem darüber. Warum er ausgerechnet mir dieses Angebot machte, obwohl ich die Kaufhausbrandstiftung in keiner Weise für berechtigt gehalten hatte, bleibt sein Geheimnis. Bommi Baumann hat in seiner Erzählung (Wie alles anfing, Trikont-Verlag München 1975, 1. Auflage, S. 110) berechtigterweise auf den Umstand hingewiesen, dass der Verfassungsschutz über Urbach die Waffen geliefert hat, mit denen dann auf Polizisten geschossen wurde. Er folgert daraus, als Marionetten fremder Interessen missbraucht worden zu sein und fährt fort: „Wenn sie uns selber die Waffen in die Hand drücken, dann haben sie ein großes Interesse daran, dass sie auch benutzt werden…. Sie drücken uns die Waffen in die Hand, damit wir ihre eigenen Leute abballern können.“ Auf die Frage, wessen Interessen mit diesem Verfahren zum Durchbruch verholfen werden sollten, hat er keine Antwort. Baumanns Intimfeind Dieter Kunzelmann glaubt, es handele sich um den „ständigen Nachweis“ der Existenzberechtigung der „Dunkelbehörden“: „Primär geht es … um die Erweiterung der Macht dieser Dienste, die jeglicher Kontrolle entzogen ist." (Dieter Kunzelmann, Der Zorn über das Elend der Zeitgeschichte, taz, 12.3.1986, S. 9).

Im Februar 1969, bot er Herrmann von Rohde, einem Mitbegründer der neu entstandenen Redaktion der Rote Presse Korrespondenz (RPK), die angeblich gestohlenen Beretta-Pistolen der Polizei gleich en gros an: „Ich habe eine Kiste mit 50 Pistolen. Wenn mal der Aufstand losbricht, müssen wir doch bewaffnet sein.“ (Jürgen Serke, Michael Seufert, Walter Unger: Der Spitzel des Senators. In: Stern Nr. 23, 1971, S. 36.).

Gerd Koenen will auch wissen, "wie er den Machern des INFI, des designierten 'Che-Guevara-Instituts', fünfzig Pistolen aus angeblich abgezweigten Polizeibeständen anbietet, da die Revolution doch bewaffnet sein müsse." Für diese Behauptung fehlt jedoch jeglicher Beleg. Möglicherweise hat Koenen diese Geschichte mit der von de RPK verwechselt. Das INFI war ein sich als antiimperialistisch verstehendes, wissenschaftlich arbeitendes Institut, das zur Unterstützung der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, in der Folge des Internationalen Vietnamkongresses, gegründet worden war. Es war kein Zentrum zur Durchführung oder Planung praktischer Aktionen. Von daher gehen Spekulationen über die Urheberschaft des INFI am von Bommi Baumann geschilderten, wenn auch gescheiterten "Anschlags" auf US-Präsident Nixon, völlig fehl.

Anfang 1969, im Februar/März, bekam Urbach Wind von einer von SDSlern geplanten Reise nach Italien, die dazu dienen sollte, für griechische GenossInnen Kontakte zu knüpfen, die für Guerilla-Foci in dem seit April 1967 von einer faschistischen Junta beherrschten Heimat materielle Unterstützung suchten. Im SDS wurde befürchtet, der Faschismus könnte sich in Europa erneut ausbreiten. Rudi Dutschke formulierte diese Perspektive noch kurz vor dem Attentat, das er nur schwer verletzt überlebte: „Durch Griechenland ist Vietnam auch nach Europa gekommen. Das ist einfach keine Drohung, sondern eine zweifelhafte Perspektive, die sich auch für die Bundesrepublik ergibt.“  (Diskussion in der Evangelischen Akademie Bad Boll am 6.2.1968) Sofort bot Urbach seine „Hilfe“ an. Sein Onkel, ein LKW-Fahrer, sei häufig in Italien, kenne sich da gut aus, könne gutes Material besorgen und es zur Verfügung stellen. In Italien trafen die SDSler dann nicht auf Urbach oder gar dessen Onkel, sondern auf eine Horde italienischer Verfassungsschützer. Das hinderte Urbach aber nicht, einen Bericht an seine Behörde zu schicken, er sei dort gewesen und hätte die SDSler an der (nicht-existenten) „deutsch-italienischen Grenze“ getroffen. Dieser Bericht fand 1972 Eingang in das von Verfassungsschutzpräsident Horst Herold so bezeichnete „miese Machwerk“ „Baader-Meinhof-Report“ (Ohne Verfasserangabe, „Aus den Akten des Bundeskriminalamtes, der "Sonderkommission, Bonn" und dem Bundesamt für Verfassungsschutz“).

Von dieser Quelle nährt sich die von einigen Forschern und Autoren behauptete These, diese Reise sei allein von den Kommunarden aus der Wielandkommune durchgeführt worden und sei die erste Waffenbeschaffungstour der RAF gewesen. Die RAF gründete sich Ende des Jahres 1969, bzw. Anfang 1970. Um die Lücke zwischen der Italienreise und der RAF-Gründung zu überbrücken, verlegen diese Schreiber (wie Kunzelmann-Biograf Aribert Reimann) deshalb die Reise um Monate in die zweite Hälfte des Jahres. Keiner der beteiligten SDSler war an der RAF-Gründung beteiligt oder wurde jemals später Mitglied dieser Organisation. Bommi Baumann zieht in seinen vagen Erzählungen zwar eine Linie von der Wielandkommune zu seinen eigenen Guerilla-Aktivitäten, aber nicht zur RAF. Dieter Kunzelmann wurde zeitweilig ebenfalls nachgesagt, er wäre mit in Italien gewesen. Er konnte, als er schon AL-Abgeordneter im Berliner Parlament war, das Gegenteil gerichtlich nachweisen und Kapital (3,000 DM) aus dieser Falschbehauptung eines Journalisten schlagen.

 

Die Ächtung

Nach dieser Erfahrung mit den italienischen Beamten, die in Vicenza auf die Berliner SDSler schon gewartet hatten, und es klar war, dass nur Urbach die Quelle für diese Maßnahme gewesen sein kann, dazu die Koinzidenz mit den Razzien nach seiner Bombendeponierung in verschiedenen Kommunen, organisierten die Italienfahrer eine Info-Veranstaltung im Büro des Sozialistischen Anwaltskollektivs von Horst Mahler, Christian Ströbele und Klaus Eschen, um alle interessierten GenossInnen aufzuklären und sie nachdrücklich vor einer weiteren Zusammenarbeit mit Urbach zu warnen. Etwa 20 bis 30 SDS-GenossInnen nahmen an dieser Veranstaltung teil. Horst Mahler, der ebenfalls dabei war, erklärte viele Jahre später (1998), er hätte sich danach mit Urbach getroffen und dessen (abweichende) Version der Ereignisse für möglich gehalten und ihm erneut vertraut.

 

Urbachs größter „Erfolg“

Urbachs Pistolennummer brachte ihm letztlich den größten Erfolg. Horst Mahler, Andreas Baader und Gudrun Ensslin waren so wild auf Bewaffnung, dass sie alle Warnungen gegen Urbach in den Wind schlugen und 1970 dann in seine Falle tappten. Baader, der seine Rest-Gefängnisstrafe aus dem Kaufhausbrandstifterurteil (drei Monate bis zur „Halbzeit“, bei der zumeist entlassen wurde) nicht antreten wollte, lebte bereits im Untergrund. Auf der Fahrt zum angeblichen Waffendepot wurde er dann gefasst. Anstatt ein paar Monate auf seine Freilassung zu warten, plante die angehende RAF seine bewaffnete Befreiung. Damit nahm das Unheil seinen wirklichen Anfang. Gudrun Ensslin übergab einem 883-Redakteur ein Foto des „Verräters“ Urbach und erweckte bei ihm den Eindruck, dass die Gruppe ihn erschießen wolle. Die Redaktion beschloss, das Foto nicht zu veröffentlichen. Sie wollte nicht für einen eventuellen Mord mit verantwortlich sein.

 

Schwarzer Pakistani –starker Shit vom LfV

Nachdem Urbach eigentlich als Agent längst verbrannt war, versuchte er dennoch Kontakt zu halten. Er informierte den zum Haschrebellen mutierten Bommi Baumann über seine Möglichkeiten Haschisch zu besorgen. Als die üblichen Quellen in einem Sommertag im Szenetreff „Zodiak“ (Foyer des Theaters am Halleschen Ufer) ausblieben, erbot sich Bommi, nach Wilmersdorf zu fahren und vom „Verfassungsschutz Haschisch abzuholen“, wie er sich unmissverständlich ausdrückte. Tatsächlich fuhr er in die Wilhelmsaue und kam zurück mit einem halben Pfund reinsten schwarzen Pakistani, das er dann an seine Freunde verteilte.

 

Kalte Füße

Diese Episode zeigt eine Eigentümlichkeit dieses Agenten. Er scheute sich nicht, seine Familie, Frau und zwei Kinder, mit in seine Machenschaften zu ziehen. Vorher schon, als er noch nicht geächtet war, lud er hin und wieder die von ihm Bespitzelten in seine Wohnung und zeigte ihnen Waffenkataloge und diskutierte mit ihnen. Erst nachdem er Baader hat auffliegen lassen, bekam er kalte Füße und verlangte von seinem Amt, ihn zu schützen. Was das Amt und dessen Boss, Innensenator Neubauer, auch taten. Er wurde verdonnert, im Prozess gegen die RAF-Leute und auch später nichts auszusagen und im Gegenzug versprachen sie ihm, eine Exilexistenz zu ermöglichen. Er verschwand auf Nimmerwiedersehen. Seine Frau und Kinder gingen mit ihm unerkannt nach Kalifornien. Seine Frau jedoch hielt es nicht lange aus in der fremdsprachigen Ferne und ging ohne Kinder zurück nach Deutschland. Er selbst etablierte sich als respektierter Rohrleger, trat in die Gewerkschaft ein und heiratete noch zweimal. Mit seiner dritten Frau zeugte er sogar noch mal ein Kind. Vor zehn Jahren allerdings versagten seine Nieren und er musste an die Dialyse. Kein angenehmes Ende.

 

Die Akten?

Was sonst? Es können nicht alle Missetaten oder Verdienste des Klempners Peter Urbach, alias S-Bahn-Peter, aka Uwe Mallmann (Achtung Forscher: nur in Haschrebellenkreisen genutzt) aufgeführt werden. Eine Quelle besagt, der Verfassungsschutzspitzel hätte den Vorschlag, die Freiheitsglocke zu sprengen, unterbreitet. Eine Ex-Kommunardin der Wieland-Kommune ist überzeugt davon, dass er Teile ihres teuren Schmucks gestohlen habe. Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle seine Aktionen bekannt wurden, bzw. Eingang in Verfassungsschutzakten fanden. Vermutlich hat er nicht alles gemeldet, weil es ihn selbst inkriminiert haben könnte, noch ist davon auszugehen, dass die Akten noch vorhanden sind. Vor jetzt schon mehr als 12 Jahren schrieb das Amt Personen aus dem Umfeld der Haschrebellen an, ob sie damit einverstanden wären, dass die Akten über sie vernichtet werden könnten. Einige der Angeschriebenen, wie etwa Dieter Kunzelmann, verweigerten die Zusage und verlangten die Überführung der Akten in ein Forschungsprojekt. Eine Reaktion des Amts auf diese Initiative von Betroffenen ist nicht bekannt.

 Urbach als Romanfigur

Was bleibt? Die Literatur: 1981 spielte die Figur Peter Urbach, neben Dutschke, Meinhof u.a. eine Rolle in dem Schauspiel “How It All Began”, adaptiert und von dem später sehr erfolgreichen Broadway-Regisseur Desmond McAnuff anlässlich des New York Shakespeare Festivals, auf eine New Yorker Bühne gebracht, dem Joseph Papp Public Theater. Dargestellt wurde er von Gregory Mortenson, jetzt Regisseur in Los Angeles. Bommi Baumann wurde von dem Ko-Autor des Stückes und späteren Filmstar Val Kilmer gespielt. Kilmer war Student der New Yorker Juillard School und Mitglied einer Gruppe von Studenten, die unter dem Namen „Group X“ das Stück ursprünglich nach Vorlage des Bommi-Buches und vielen Zeitungsmeldungen schrieb. Das Stück kam bei der Kritik allerdings nicht gut an. Frank Rich von der New York Times meinte, es sei von zu vielen Fakten überladen, anstatt mehr Leben zu zeigen.

Nach Urbachs Tod erhob ihn der britische Autor und Musiker („Strangeways“) Ada (Adrian) Wilson zum Erzähler der Geschichte des Fleetwood Mac Guitaristen Peter Green in Red Army Faction Blues (Route Publishing, £8.99). Wilson zeigt in seinem im Februar 2012 erschienenen Buch das verworrene Innere des Geheimagenten Peter Urbach, als auch dasjenige des Fleetwood Mac Gründers Peter Green. Wilson lässt Urbach nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 aus dem Exil auftauchen, um das Leben Peter Greens zu erforschen. Urbach ist in Wilsons Geschichte Green 20 Jahre vorher auf einer Kommune-Party begegnet. Der geniale Green hatte sich nach dem Besuch in der Münchener HighFish-Kommune völlig aus dem öffentlichen Leben zurück gezogen und seine Musikkarriere nicht weiter verfolgt. Der fiktionale Urbach will herausfinden, was damals in Green vorging, weshalb er sich so veränderte.

 

Das historische Urteil

 

Der Spiegel fasste im Sommer 1970 die Lage des Bewusstseins der Berliner Linken, der „ungezählten anarcho-kommunistischen Zirkel“ nicht ganz falsch so zusammen: „Sie bestreiten die Legitimität des einst unumstrittenen staatlichen Gewalt-Monopols und halten nahezu jede staatliche Gewaltanwendung für illegitim. Für sich selbst jedoch beanspruchen sie das von Herbert Marcuse für "unterdrückte und überwältigte Minderheiten" proklamierte "Naturrecht" auf Widerstand" und rufen zu "Kommando-Aktionen" nach dem Vorbild der El-Fatah auf oder zum "Volkskrieg" maoistischer Prägung.“

 

Wie lässt sich in einer solchen Lage, trotz der Wissenslücken bezüglich seiner Taten, Urbachs Wirken historisch einordnen? War er vergleichbar in seiner Rolle mit dem berühmten russischen Doppelagenten Jewno Fischelewitsch Asew, der als Chef der Terrorabteilung der Sozialrevolutionären Partei fungierte? Oder spielte er eher eine Rolle wie Joseph ConradsGeheimagent“, der seinen debilen Ziehsohn mit einer Bombe zu einem Attentat anstiftete? Bei allem Talent, das Urbach an den Tag legte, verfehlte er deren Qualität. Asew bzw. Conrads „Secret Agent“ Adolf Verloc hatten beide eine eigene Agenda und spielten auf beiden Klavieren, sie waren überzeugte Terroristen (Asew) bzw. Anarchisten (Verloc) und doch arbeiteten sie mit den Behörden zusammen. Urbach schleuste zumeist ungefragt Molotov-Cocktails, Waffen und Pattex/Tesakrepp-umwickelte Brandbomben in die linke Szene. Einzig Mahler und Baader verlangten dies von ihm. Selbst für die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus bestand vermutlich kein Auftrag. So gesehen, geht der Vorwurf an die Adresse des Senats (Neubauer) fehl, dieser hätte direkt etwas mit diesem Attentat zu tun. Verantwortlich waren die Behörden allerdings für die ursprüngliche Verteilung. Sie wussten davon, bzw. hatten eventuell sogar den Auftrag dafür erteilt, denn anschließend führten sie Razzien in verschiedenen Kommunen durch und wurden zB in der Kommune 1 sogar fündig.

Der Marx-Biograf Richard Friedenthal schreibt ein ganzes Kapitel zu dem Spitzel Wilhelm Stieber, der die Bewegung der Kommunisten ausspionierte, das Friedenthal so begründet: »Revolution und Kriminalpolizei hängen nun einmal sehr eng zusammen. Die Polizeizustände, meist nur mit Hohn oder Erbitterung von den Historikern revolutionärer Bewegungen zur Kenntnis genommen, sind ein sehr wesentliches Element der staatlichen Organisation.“ Spitzelbuchautor Markus Mohr zitiert in der Zeitung „junge Welt“ den Kriminologen Fritz Sack, der in Urbach „ein Instrument der sozialen Kontrolle von Seiten der staatlichen Behörden“ sieht, „das einige der späteren terroristischen Handlungen ermöglichen und vorbereiten half.“ Ein „Instrument der sozialen Kontrolle“, etwa so wie der New York Times Kolumnist Frank Rich den Irak-Krieg als Mittel zum Zweck durch den Bush-Wahlkampf-Strategen Karl Rove sieht (Frank Rich, The Greatest Story Ever Sold, NY 2006, S. 217).

Die SDS-Chronisten Tilmann Fichter und Siegward Lönnendonker machen auf einen anderen Aspekt aufmerksam. inwieweit „ein agent provocateur in bestimmten historischen Situationen eine objektiv revolutionäre Funktion erfüllen kann“. Markus Mohr verweist auf die Aussage des Ex-SDSlers Klaus Hartung, der dieses Kriterium für die „Schlacht am Tegeler Weg“ im November 1968 geltend macht. Das Resultat dieser Demo waren 130 verletzte Beamte -- sechsmal mehr als bei den Angreifern. S-Bahn-Peter steht im Verdacht, einen LKW mit Steinen längs der Demoroute geparkt zu haben, aus dem sich die Demonstrierenden bedient hätten, um der Polizei im Straßenkampf eine Niederlage zu bereiten. Dies wäre tatsächlich etwas, das mit „Asewsche Qualität“ bezeichnet werden könnte, geht hier aber fehl, weil dieser Verdacht bislang nicht belegt wurde. Bleibt ihm nur sein positives Handwerkertum und die Mollies am Sturm auf das Springer-Haus, die revolutionär interpretiert werden könnten. Nicht besonders viel also.

Selbst die Lieferung der Mollies wird ihm von Dieter Kunzelmann streitig gemacht. Diese Behauptung sei einzig und allein von Bommi Baumann, dessen Namen er geflissentlich auslässt, in Umlauf gebracht worden und sei völlig falsch. Er schreibt in seiner Autobiografie „Leisten Sie keinen Widerstand“ (Transit-Verlag 1998), sein Mitkommunarde Rainer Langhans hätte sein technisches Wissen den anwesenden Demonstrierenden mitgeteilt, wie diese Fahrzeuge per Anzünden außer Gefecht gesetzt werden könnten: „Uns versorgte mit Ratschlägen ein Experte: niemand kannte sich mit Automotoren, Benzintanks und Ölleitungen besser aus als Rainer Langhans. Schließlich war sein Vater Gebrauchtwagenhändler“. (S. 98). 1986 sah Kunzelmann das noch etwas differenzierter: „Selbst wenn die eine oder andere Brandflasche von Urbach kam, es gab am Abend des 11. April 68 unter den 10.000 vor dem Springer-Hochhaus sicher wenige, die das Anstecken der Auslieferungslaster missbilligt hätten. (taz 12.3.1986, S. 9). Ansonsten unterstellt Kunzelmann dem Urbach „die Freude am Doppelspiel“ und vergleicht Urbach mit dem Ochrana-Spitzel Malinowski.

Im übrigen glauben beide, Langhans und Kunzelmann, nicht an die gezielte Infiltration der Kommune durch Urbach, sondern meinen, „S-Bahn-Peter“ hätte eine Art Rückversicherung durch die Behörden gesucht, nachdem er an mehreren Aktionen beteiligt gewesen war und sogar eine geringfügige Verurteilung in Kauf genommen hatte. Schließlich war er ja Familienvater und für Frau und Kinder verantwortlich gewesen. Da habe er eben kalte Füße bekommen. (Kunzelmann, S. 99; Langhans, Tagesspiegelinterview vom 23.3.2012).

 

Die Urbach-Bombe revisited

Als nach dem Attentat auf das Jüdische Gemeindehaus, laut Kunzelmanns Autobiografie angeblich eine „Inszenierung von Geheimdiensten“, in einer Versuchsanordnung die Bombe zur „Explosion“ gebracht wurde, waren Krokodilstränen Krokodilstränen vom Lieferanten der Bombe, Innensenator Kurt Neubauer und seinem Leiter der Kriminaltechnischen Untersuchungsanstalt, Herrn Dr. Helmut Gansau, zu hören, die Bombe hätte hätte unter den 250 Besuchern der Veranstaltung viele Menschenleben kosten können. Urbach hatte den Rezipienten erzählt, seine Bomben seien aus Unkraut EX und Zucker gemischte Brandbomben, umwickelt mit Pattex-getränktem Tesakrepp. Davon ging z.B. Abi Fichter aus, der schließlich eines dieser Brandsätze in das Jüdische Gemeindehaus brachte. Dieser Behauptung wurde von Seiten der Behörden nicht widersprochen, obwohl in dem späteren Polizei-Bericht nicht mehr von Zucker die Rede ist. Wenn dies aber wahr ist, können die Bomben keine „Explosiv“kraft entwickelt haben, sondern waren qualitativ mit Molotov-Cocktails vergleichbar, sie waren Brandsätze und keine Sprengbomben, wie zB Wolfgang Kraushaar und andere irrtümlich annehmen. Aber selbst wenn es nur ein Brandsatz war, hätte ein Feuer eventuell auch schweren Schaden anrichten und ggf. sogar Menschenleben kosten können. So gesehen, wird die Aktion zurecht als terroristisches Attentat bezeichnet.

Der Spiegel berichtete, dass am 28. November vor der Wohnungstür des Landgerichtsdirektors Dr Hans Heinsen eine gleichartige Bombe „verpuffte“. Der Unterschied war allerdings die Gasrohrummantelung. Die darin enthaltenen „1850 Gramm-Sprengstoff“ hätten einen „heißen Strahl von 2000 Grad Celsius“ erzeugt. 24 Stunden später wurde die dritte Bombe gefunden, diesmal in einem Blecheimer versteckt, unter dem Veranda-Fenster der Villa des Oberstaatsanwalts und Anklägers in zahlreichen Studentenprozessen, Horst Severin. Und der Spiegel weiter: „Keine der Bomben explodierte, und unklar blieb, ob ihre Bauweise eine Explosion überhaupt bewirken konnte. Denn die Zündmechanismen -- Weckuhr, Batterie und Glühdraht -- waren offensichtlich ungeeignet, den Sprengstoff -- regelmäßig eine rund zwei Kilo schwere Pattex-Kaliumchlorat-Masse -- in die Luft zu jagen. Als sicher hingegen erscheint der Berliner Polizei, daß alle drei Sprengkörper aus derselben Bastlerwerkstatt stammen und nach denselben Rezepten gefertigt wurden -- wie das explosive Paket, das Polizisten bei einer Hausdurchsuchung in der Berliner Ur-"Kommune I" Anfang März gefunden hatten. Die Polizei vermutete „die Pattex-Spezialisten in einer "äußerst kleinen Gruppe", denn aus jedem anderen Zirkel, glaubt Polizei-Chef Klaus Hübner, hätten "die Leute, die uns darüber auf dem laufenden halten, was die einzelnen Gruppen tun und planen, längst berichtet.“ Meinte Hübner damit Urbach? Der war zwar beim SDS und der Wieland-Kommune inzwischen als Spitzel erkannt, aber offiziell war er noch nicht enttarnt und hielt weiterhin Kontakt zu Horst Mahler, dem künftigen Gründer der RAF.

Nach Aussagen des reuigen Täters Albert (Abi) Fichter, der in Wolfgang Kraushaars Bomben-Buch ausführlich zu Wort kommt, war der Brandsatz nicht geeignet, eine Explosion auszulösen. Er bestätigt dort die Herkunft der Brandsatzes aus Urbachs (VS) Beständen. Es habe sich um ein unverdämmtes Kaliumchlorat-Zucker-Gemisch gehandelt, das zwar brennen, aber nicht explodieren könne. Er ist sich sicher, dass das von der Polizei detonierte Duplikat anders zusammen gesetzt gewesen sein muss als das Original. Er meint, er hätte die Bombe, umwickelt mit Tommy Weisbeckers Mantel, in der Garderobe hinter dem Getränkeautomaten abgelegt. Zudem sei der Wecker auf genau die Zeit eingestellt gewesen, zu der alle Gäste zur Kranzniederlegung sich auf dem Hof hätten versammeln sollen. Obwohl er, nach seiner jetzigen Einlassung, hoffte, dass der Zündmechanismus nicht funktioniere, wäre es anderenfalls nur zu einer Stichflamme gekommen, aber niemals zu einer Explosion. (Kraushaar, S. 351).

Abi Fichters Aussagen sind nicht immer ganz konsistent und in einigen, eher unbedeutenden  Details falsch, aber der Kern seiner Darstellung korrespondiert in weiten Teilen mit dem amtlichen Befund, zumindest insoweit er von Kraushaar korrekt wieder gegeben ist. Demnach hat die Garderobenfrau am nächsten Tage den Mantel mit der "Bombe" in der Garderobe „im ersten Stock des Gebäudes … in der Bodenöffnung eines Getränkeautomaten, der sich hinter der Theke befindet“ gefunden. Die Sonderkommission der Politischen Polizei unter KOK Wolfgang Kotsch hat den Fund vor Ort untersucht und in einem Bericht festgehalten, was es war: Ein Wecker, Batterie-Elemente und ein in rotes Ölpapier eingewickeltes Paket. Alle drei Teile waren mit Draht verbunden, der angelötet gewesen sei. Das Paket selbst habe etwa 1000 Gramm gewogen. Beim Betasten des Paketes sei festgestellt worden, dass es sich „um eine knetbare Masse gehandelt habe“, die demnach nicht verdämmt gewesen war. Der „Leiter der Abteilung für kriminaltechnische Untersuchungen“, Dr. Gunther Paulig, lässt den Fund zum Sprengplatz im Grunewald bringen, unterlässt allerdings die sofortige Sprengung und ordnet eine „Entlaborierung“ an. (S. 30).

Huebner2

Wecker
Am 8.12.1969 vom SWR als
Corpus delicti im Fernsehen gezeigt.
Der dilletantisch anmutende Zündapparat

Am Folgetag wird das Ergebnis dieser labortechnischen Untersuchung bekannt gegeben: Das Paket bestand demnach aus einem „Gemisch aus Kaliumchlorat und Pattex“. „Experten der Kriminalpolizei“ stellen fest, diese Konstruktion ähnele derjenigen des am 5. März 1969 bei einer Hausdurchsuchung in der Kommune 1 beschlagnahmten Gegenstandes. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten bei Herrn Kotsch alle Alarmglocken läuten müssen. Er muss gewusst haben, wer ihm den Tipp zur damaligen Razzia gegeben hatte. Das war ja niemand anderes als sein Kollege vom LfV.

Im Bewusstsein, dass das LfV hier verstrickt war, wird nun nicht etwa zurück gesteckt, nein, im Gegenteil, jetzt setzt die Polizei noch einen drauf. Zunächst wird das Fundstück fachmännisch entschärft und dann genauer untersucht. In der Verpackung fand man eine Glühpille, die in einem 4 cm langen Röhrchen aus Silberpapier steckte, in dem ein Pulver vorhanden war. Darunter wurde eine Plastikflasche entdeckt, 8 cm lang und 2,5 cm im Durchmesser mit Schraubverschluss. Die Plastikflasche, die eine bläuliche Flüssigkeit enthielt, von der kein Analysebefund vorliegt, war „in eine knetbare, höchstwahrscheinlich aus Pattex und Kaliumchlorat bestehenden Masse eingebettet gewesen.“ Das Ganze habe „ca. 1500 bis 2000 Gramm“ gewogen, in einen „weißen Plastikbeutel gefüllt, mit Silberpapier flaschenförmig fest verpackt und von außen mit rotem Papier und rotem Isolierband fest umklebt.“ In einem weiteren Bericht vom 8. Januar 1970 wird bekannt  gegeben, dass das in dem Silberröhrchen gefundene Pulver aus 90% Unkraut-Ex und 10% Schwefel bestand. (S. 36).

Noch im November, also nur ein paar Tage nach dem Fund und noch vor der endgültigen Analyse vom Januar 1970 wird ein „Duplikat der Bombe zur Sprengung gebracht.“ Wie man ein Duplikat herstellen kann, ohne genau zu wissen, woraus das Original bestand, dürfte ein schwieriger Prozess gewesen sein. Polizeifeuerwerker Walter Braun steckt die rund zwei Kilogramm wiegende Sprengladung in eine dickwandige Holzkiste, dämmt sie mit Sand ein und bringt sie anschließend zur Explosion. Wie Messungen ergeben, werden die zersplitterten Einzelteile mit einer Detonationsgeschwindigkeit von 3,5 km/sec etwa 50 Meter weit über das Gelände katapultiert.“

Mit anderen Worten, die Sprengung, die vom Fernsehen gefilmt und in der Berliner Abendschau dem schaudernden Publikum präsentiert wurde, war keineswegs ein „Duplikat“ des gefundenen Objekts. Nicht nur war bis dahin nicht bekannt, welche Art von Pulver sich in dem Röhrchen aus Silberpapier befand, bzw. welche „bläuliche Flüssigkeit“ in der Flasche war, sondern zusätzlich verdämmte man die ganze Anordnung. Die „dickwandige Holzkiste“ und die Umhüllung durch festen „Sand“ sind klassische Methoden der Verdämmung, die aus Brennmaterial einen gefährlichen Explosionsstoff machen können. Kraushaar zitiert einen weiteren „Leiter der kriminaltechnischen Untersuchungsanstalt“, einen Herrn Dr. Helmut Gansau, der „später feststellt“, die Bombe hätte das Haus „zerfetzen“ und eine „Vielzahl von Opfern unter den Teilnehmern verursachen“ können. (S. 38f.). Wer oder was hat Polizeifeuerwerker Walter Braun veranlasst, die Versuchsanordnung so zu manipulieren, also zu fälschen?

Kripo
Die „Bombenexperten“ Dr. Gunther Paulig (8. von links) und Dr. Helmut Gansau (4. von links) beim Ruhestandsabschied für Dr. Gunther Paulig am 29.01.1982 im Gästehaus der Polizei.
v.l.n.r.:Dittmann, ?, Boettcher, Dr.Helmut Gansau, Oehmke, Schmidt, Döpke,
Dr. Gunther Paulig, Schultz-Salkau, Liedtke, Wirth, Scharf, Kaleth, Eitner.

Beide sind inzwischen
verschieden.

Welchem Zweck diese Demonstration dienen sollte, lässt sich nur vermuten. Es gab möglicherweise vier Adressaten: 1. die Bürger, 2. die Kollegen vom LfV, 3. die Täter und 4. die Opfer. Den Bürgern wird vermittelt, die linken Extremisten sind äußerst gefährliche Verbrecher, die vor Mord nicht zurück schrecken. Dem LfV wird gezeigt, was eine Harke ist, ungeachtet dessen, ob KOK Kotsch, der Leiter der Staatsschutzabteilung der Kripo, oder Polizeipräsident Klaus Hübner (1969-1987), direkte Kenntnis hatten, wer vom LfV die Bomben in die Szene getragen hatte, ob das Michael Grünhagen, Peter Urbach oder sonst wer war. Den Tätern wird bedeutet, welche hohen Strafen sie zu erwarten haben. Ungewollt, aber im Ergebnis eindeutig, wird den Opfern, also den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, der Terror verstärkt, den die Täter von sich aus bezweckt hatten.

PolPräsHuebner
Seit Januar 1969 war Klaus Hübner Polizeipräsident (bis 1987) und damit verantwortlich für die Manipulationen seiner „Bombenfraktion“

Der dermaßen durch die Polizei verstärkte Terror hatte tatsächlich eine nachhaltige Wirkung. Er wirkt bis heute fort. Im Jahre 2005 befragte ein Team von Kontraste (rbb) Ruth Galinski, die Witwe des damaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Heinz Galinski, was sie über den Anschlag denke. Sie sagte: ,,Ich weiß nicht, was in den Köpfen dieser Menschen vorgeht, das ist reiner Mord, an und für sich. Es ist Mord und da wollten sie ein Symbol setzen, an diesem Tag sind sie die Helden, die die Juden wieder umgebracht haben, so stell ich es mir vor." … ,,Das war Entsetzen und Wut und Traurigkeit dabei auch." KONTRASTE: Worüber?" Ruth Galinski: ,,Wut, dass es das an dem Tag und auch heute noch gibt." (Beitrag vom 10.11.2005).

Das Berliner Abgeordnetenhaus befasste sich mit dem Fall in seiner 7. Sitzung am 27. Mai 1971. Erst im Januar 1981 wird bekannt, dass Innensenator Neubauer am 14. Juni 1971 in vertraulicher Sitzung dem Ausschuss für öffentliche Sicherheit des Abgeordnetenhauses über die Ergebnisse der Untersuchungen zum Fall Urbach im allgemeinen und zum Fall Jüdisches Gemeindehaus im besonderen berichtete. Er revidierte dort die früheren polizeilichen Behauptungen über die angebliche Sprengkraft der Bomben. Er muss dort offenbar den Terminus „bombenähnliche Körper“ benutzt haben. Das schlussfolgert jedenfalls Gerd Koenen. Leider ist Koenen nicht besonders genau. Sein viel zitierter Artikel ist eine Rezension des Buches von Wolfgang Kraushaar (Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005) und bringt einiges durcheinander. Ein direktes Zitat von Neubauer ist dort explizit nicht enthalten. Kraushaar erwähnt auf S. 180 nur Neubauers Stellungnahme zum Fall Urbach vor einer „vertraulichen Sitzung des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung“, die am 27.5.1971 stattgefunden hatte und nicht, wie Koenen wähnt, im Jahre 1980.

Aber nicht nur Neubauer bestreitet im Nachhinein die Sprengqualität der "Bomben". Auch seine Nachfolger im Amt beharren darauf. In einer Antwort auf die parlamentarische Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Andreas Gerl bestätigte der Senator für Inneres (Peter Ulrich) am 16. Januar 1981, in Antwort auf einen im Spiegel veröffentlichten Leserbrief von Tilman Fichter, explizit die Aussage Neubauers von 1971: „Herr URBACH hat am 26.2.1969 zwar bombenähnliche Körper mit zum sog. INFI gebracht, diese aber dort nicht verteilt…“ Und: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der am 9.11.1969 im Jüdischen Gemeindehaus gefundene bombenähnliche Körper sich am 26.2.1969 vorübergehend im Besitz von Herrn URBACH befunden hat.“ (zitiert auch in Kraushaar, Die Bombe im..., S. 270f.). Das INFI, das Internationale Nachrichten- und Forschungsinstitut, war das Dritte Welt Institut, das der internationalistische Flügel des SDS nach dem Vietnamkongress gegründet hatte.

Die angebliche Sprengkraft dieser „Körper“ wird also in Abrede gestellt, die von der Polizei durchgeführte Sprengung eines „Duplikats“ damit als Fälschung entlarvt. Die Formulierung jedoch, dass die "Bombe" sich "vorübergehend im Besitz von Herrn Urbach befunden" hätte, ihm jedoch von "anderen Angehörigen der damaligen APO" zur Verwahrung gegeben worden seien, ist angesichts der Vielzahl von gegenteiligen Aussagen von Zeugen, als dreiste Lüge abzutun. Selbst im Jahre 1981 will sich der Senat aus der Verantwortung stehlen und sich selbst von jeder Verantwortung reinwaschen. Aber der Begriff „bombenähnliche Körper“ trifft dennoch den wahren Sachverhalt recht gut.

Historiker Kraushaar äußert sich nicht im Detail zu den einzelnen Angaben des Senats, aber sie erwecken in ihm den Eindruck einer „systematischen Verharmlosung“. Der Begriff der „bombenähnlichen Körper“ assoziiert er mit dem Terminus „Attrappen“. Eine Attrappe war der Gegenstand, den Abi Fichter hinter den Cola-Automaten des Jüdischen Gemeindehauses legte, sicher nicht. Immerhin hätte er brennen können. Laut Online-Lexikon Wikipedia ist eine Bombe „ein Behälter, der mit explosivem Material gefüllt ist, das durch einen Zünder, einen Sensor oder eine Fernbedienung zur Explosion gebracht werden kann, um Zerstörung anzurichten bzw. Menschen zu töten.“ Der „bombenähnliche Körper“ hatte keinen „Behälter“, war eben nicht verdämmt. Gemäß Wikipedia wäre das Objekt eher als „Brandsatz“ zu bezeichnen, qualitativ einem Molotov-Cocktail vergleichbar. In einem geschlossenen Raum ist das gefährlich genug. Gerd Koenen zeigt sich total unkritisch. Er scheint dem behaupteten Ergebnis einer manipulierten polizeilichen „Sprengung“ eines angeblichen Duplikats völlig zu vertrauen.

Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Polizei, Presse und einige Autoren sich in einem Punkt mit den „Schwarzen Ratten“ und deren Sympathisanten völlig einig sind. Beide Seiten spielen die Angelegenheit hoch zu einem „Bombenattentat“. Die Legung eines Brandsatzes ist ihnen nicht genug für ihre jeweiligen Zwecke. Die Tätergruppe der „Schwarzen Ratten“ schreiben in ihrem Bekennerflugblatt „Schalom + Napalm“, sie hätte eine „Brandbombe“ im Jüdischen Gemeindehaus „deponiert“. Der von Abi Fichter als Inspirator der Aktion bezeichnete Dieter Kunzelmann bezieht sich in seinem „Brief aus Amman“ auf die „Bombenchance“, die die „Politmasken vom Palästinakomitee“ angeblich nicht genutzt hätten und meint damit den Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus.Der ursprüngliche Polizeibericht bezeichnet den Fund als „Bombe“ und die gesamte Presse greift den Begriff kritiklos auf. Wolfgang Kraushaar betitelt sein Buch ebenfalls mit diesem Begriff.

Zu fragen wäre, welche Interessen werden hier jeweils vertreten, und welchen Stellenwert hatte der ursprüngliche Polizeibericht. War er nur ein Ergebnis des Rivalitätskampfes zwischen Polizei und VS, oder war er einfach vorschnell veröffentlicht worden, weil Neubauer seine Polizei nicht rechtzeitig instruiert hatte?

Bezüglich dieses ganzen Komplexes lohnt es sich, auf eine ähnliche Situation zwei Jahre zuvor hinzuweisen, die Uwe Soukup beschreibt, sich auf die Äußerungen des Chefs der Senatskanzlei, Horst Grabert, stützend. Nachdem am Abend des 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg ermordet wurde, berichtete am nächsten Vormittag Polizeipräsident Erich Duensing dem Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz, seine Behörde hätte ein Sprengstoffattentat auf den Flugplatz Tempelhof, von wo aus der Schah von Persien, gegen den sich die Proteste am Vortage richteten, wieder wegflog, vereitelt. „Die Polizei habe einen mit Sprengstoff gefüllten PKW am Platz der Luftbrücke gestellt und den Fahrer, einen Studenten, verhaftet,“ Assoziationen zu den Protesten am Vortage erweckend. Grabert schlug vor, sofort dorthin zu fahren. Duensing protestierte und „verbat sich Zweifel an seinem Bericht.“ Albertz befahl trotzdem sofort den „Tatort“ in Augenschein zu nehmen. Dort angekommen wurde Grabert von dem begleitenden Polizeioffizier gewarnt, nicht näher an das Auto heranzutreten, da es sich um „Sprengstoff handele, der jederzeit explodieren könne.“ Grabert ließ sich davon nicht beeindrucken. Er fand lediglich eine Kiste mit gewöhnlichen Feuerwerkskörpern auf dem Rücksitz des Wagens. (Uwe Soukup, Wie starb Benno Ohnesorg, Berlin 2007, S. 158).

Die Parallele zu den Übertreibungen der Polizei zwei Jahre später ist augenfällig. Im ersten Fall wurden Feuerwerkskörper noch zufällig gefunden, im zweiten Fall wurden sie indirekt vom Finder selbst platziert. Aber nicht nur das. Auch die technischen Details, soweit sie bekannt sind, müssten rote Lampen aufleuchten lassen.

Fassen wir zusammen:

1. Für alle Brandsätze wurde dieselbe Quelle festgestellt: das LfV, vertreten durch Peter Urbach.

2. Kein einziger „explodierte“, einzig ein in einem Rohr steckender zündete, explodierte aber nicht, sondern „verpuffte“.

3. Die Polizeiberichte zum Fund im Jüdischen Gemeindehaus sind nicht konsistent. Aus der 1 kg Bombe wird eine 2 kg Bombe. Das Material der bläulichen Flüssigkeit, das bei der zweiten Sicht gefunden wird, findet im Endbericht keine Erwähnung mehr. Das Mischungsverhältnis von Pattex und Kaliumchlorat wird uns ebenfalls nicht mitgeteilt, ist aber von großer Bedeutung. . Zucker als Bestandteil der Mischung wird nicht erwähnt, obwohl es normalerweise als Oxidationsbeschleuniger benutzt wird.

4. Kaliumchlorat wird im Labor zur Sauerstoffgewinnung eingesetzt. Man verwendet es zur Herstellung von Streichhölzern, Leuchtmunition sowie Feuerwerkskörpern. Kaliumchlorat ist kein Explosivstoff, kann aber zur Herstellung derartiger Stoffe verwendet werden, wenn man es mit anderen Stoffen mischt.

5. Attentäter Abi Fichter ging von einem Unkraut-Ex/Zucker Gemisch aus. Im Verhältnis von 1:1 hätte das ebenfalls einen starken  Brandsatz ergeben.

6. Bleibt die Möglichkeit der Dämmung. Wenn schnellentzündlicher Stoff in hartem Material (Tesakrepp reicht nicht) eingeschlossen, dann zur Zündung gebracht wird, findet tatsächlich eine Sprengung statt. Kalium- und Natriumchlorate wurden in dem Herbizid Unkraut-Ex verwendet. Da Unkraut-Ex als natriumchlorathaltiges Präparat ein starkes Oxidationsmittel war, wurde es, insbesondere in Form eines Gemisches mit Zucker, zum Bau von Sprengkörpern missbraucht. Wikipedia definiert: „Ein Sprengkörper ist eine mobile verdämmte Ladung, d.h. ein Behältnis, das einen Sprengstoff, der dort zu einer Explosion bestimmt ist, enthält“. Keine einzige Urbach-"bombe" ist je gedämmt gefunden worden. Von daher ist auch die Versuchsanordnung der nachträglich erfolgten „Sprengung“ eines „Duplikats“ durch die Polizei mit größter Skepsis zu begegnen. Es ist vielmehr als Fälschung ansehen. Das Ergebnis dieser Polizeiaktion fand auch niemals Eingang in ein Gerichtsverfahren. Vermutlich aus guten Gründen. Polizeifeuerwerker Walter Braun hätte dann erklären müssen, weshalb er so verfahren ist, bzw. wer ihm den Befehl dafür gegeben hatte. . Seine Chefs, Dr. Gunther Paulig und Dr. Helmut Gansau, können nicht mehr befragt werden. Sie sind inzwischen verschieden.

7. Das UnkrautEx-Zucker-Gemisch scheint selbst unter Schülern für Experimente beliebt zu sein. Hier ein Beispiel aus einem Forum, in dem sich „Andromeda“ so auslässt: „Mit Unkrautex macht man keinen Zucker sondern man mischt Unkrautex mit Zucker. Dann hält man ein Streichholz dran und sucht schnell das Weite. Mit Unkrautex und Zucker haben wir als Kinder immer Raketenautos gebaut. Das ging soweit, dass man uns in der Drogerie kein Unkrautex mehr verkaufte.“ Aus dieser Erzählung lässt sich erkennen, das gemischte Zeug mag gefährlich sein, aber es ist offenbar mit TNT oder anderen klassischen Explosivstoffen keineswegs vergleichbar.

8. Die Zündung: Für das „Versagen“ der Bomben wird zumeist der nichtfunktionierende Urbachsche Zündmechanismus verantwortlich gemacht, so auch vom Attentäter des Jüdischen Gemeindehauses, Abi Fichter, der die Nichtfunktionstüchtigkeit vor seiner Tat gewusst und sogar eingeplant haben will, so jedenfalls in seiner Aussage gegenüber Wolfgang Kraushaar in dessen Buch zur "Bombe". Das mag so gewesen sein, dem ist allerdings entgegen zu halten, dass es zumindest einmal, bei dem Landgerichtsdirektor doch gefunkt hat, und zwar mit dem Ergebnis des „Verpuffens“, also der Nichtexplosion. (Kraushaar, Die Bombe im …, S. 249).

9. Der zur Tatzeit verantwortliche Innensenator, Neubauer, gibt 1971 in einem Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses zu Protokoll, es habe sich nur um einen „bombenähnlichen Körper“ gehandelt.

10. Der Berliner Senat bestätigt im Januar 1981 Neubauers Darstellung von 1971 und übernimmt dessen Charakterisierung des im Jüdischen Gemeindehauses gefundenen corpus delicti als „bombenähnlicher Körper“, allerdings ohne auf den ursprünglichen Polizeibefund einzugehen. Regierender Bürgermeister war zu jener Zeit Dietrich Stobbe (SPD), Innensenator war Peter Ulrich (SPD), Bürgermeister Wolfgang Lüder (FDP), Justizsenator Gerhard Meyer (FDP).

Wikipedia zitiert kritiklos und ohne gültige Quellenangabe den Polizeibericht: „Die nicht explodierte, von Urbach stammende Bombe hätte nach Polizeiangaben das Gebäude komplett zerstört, in dem sich zum geplanten Explosionszeitpunkt rund 250 Menschen aufhielten.“ Etwas mehr Distanz zu amtlichen Behauptungen würde den Wikipedisten gut anstehen, insbesondere wenn es um die damalige Polizei geht, die eindeutig Partei gegen die Linke war und vermutlich eigene Motive hatte, die besondere Gefährlichkeit des Fundes zu betonen.

 

Exkurs: Zum Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei

 

Wie wir heute wissen stammte der Brandsatz aus der Werkstatt des Agenten Peter Urbach, also vom Berliner Landesamt für Verfassungsschutz. Sollen wir wirklich glauben, dass der für das LfV und die Polizei verantwortliche Innen-Senator Neubauer seinem Polizeichef die Quelle der "Bomben" verschwieg? Ist dafür der Konkurrenzkampf zwischen diesen beiden Behörden verantwortlich, der laut Kunzelmann „bis in die achtziger Jahre hinein mit harten Bandagen geführt wurde“? (Kunzelmann, S. 99).

Über die konkreten „harten Bandagen“ mehr zu erfahren, brächte vielleicht auch mehr Licht in das Wirken von Peter Urbach, der zwischen LfV und der Staatsschutzabteilung der Polizei operierte. Beide Institutionen sollen unabhängig voneinander handeln. Ihre Zielsetzungen sind grundverschieden. Der Spiegel (42/1980) fasste es einmal bezüglich der Bundesinstitutionen so zusammen: „Verfassungsschutz- und Polizeibehörden prallen wegen ihrer gegensätzlichen Zielsetzung -- Penetrieren, Observieren einerseits, Täterfangen andererseits - aufeinander; zum anderen hat die Polizei Techniken und Praktiken entwickelt, die teilweise Verfassungsschutzmethoden gleichkommen; letztlich wird der ganze Komplex überlagert von einer Art Erfolgseifersucht beider Institutionen, die sich zuspitzt in persönlicher Rivalität bis hin zur Animosität zwischen“ den Chefs beider Institutionen.

Gemäß gesetzlicher Vorgabe darf nach den bedrückenden Erfahrungen in national-sozialistischer Zeit nie wieder eine Verquickung zwischen Geheimdienst und Polizei und damit eine allmächtige Gestapo in deutschen Landen geben. Nach dem "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" ist dem Bundesamt und den Landesbehörden "die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen" über alle die freiheitlich demokratische Grundordnung gefährdenden Bestrebungen und Tätigkeiten aufgegeben. Daneben haben sie zu prüfen, wie weit auf Geheimnisträger und "technische Sicherheitsmaßnahmen" Verlass ist. Den Polizeibehörden obliegt die „Bekämpfung des Straftäters“. Die Funktionsfähigkeit der Demokratie hat mithin der Verfassungsschutz zu gewährleisten, die Polizei hingegen das ungefährliche Leben in diesem Rahmen. Im "Vorfeld" des Verbrechens agieren die Verfassungsschützer, Polizisten verrichten die Feldarbeit. Und niemals, nach der Rechtslehre, heiligt der Zweck des einen Dienstes die Mittel des anderen.

Und der Spiegel führt weiter aus: Der Verfassungsschutz darf ‚nachrichtendienstlich‘, verdeckt, mit geheimen V-Leuten tätig sein, hat aber keine Polizeigewalt, darf weder festnehmen noch schießen; die Polizei andererseits darf und muß meistens auch zugreifen (Strafverfolgung), darf und muß manchmal auch zuschlagen (Gefahrenabwehr), hat jedoch keine nachrichtendienstliche, keine Geheimdienstbefugnis.

Der Kompetenz-Konflikt im Staatsschutzbereich Terrorismus scheint dennoch unvermeidbar. Während Verfassungsschützer darauf aus sind, möglichst viel über Organisation, Logistik oder gar Tatpläne terroristischer Gewalttäter beispielsweise zu erfahren, zielen Polizisten eben primär darauf ab, die Täter dingfest zu machen und vor den Richter zu bringen. Und wie Verfassungsschützer verpflichtet sind, die Szene im Untergrund umfassend auszuloten, so sind Polizisten gehalten, Gefahren frühzeitig abzuwehren und Verfolgte zu ergreifen. Juristisch gesprochen, der Verfassungsschutz unterliegt dem Opportunitätsprinzip, die Polizei dem Legalitätsprinzip. Aber: Beide Grundsätze können allzu leicht strapaziert und dadurch wechselseitig lahmgeritten werden.“

"Die politische Verantwortung jedoch für die polizeiliche und die nachrichtendienstliche Arbeit läuft in der Person des jeweiligen Innenministers oder Innensenators zusammen." In dieser Person bestehe mithin, so der Hamburger Innensenator Staak, "die theoretische Chance, daß die vom Gesetzgeber gewollte Trennung aufgehoben wird, daß unkontrolliert nachrichtendienstliches Wissen in polizeiliche Arbeit einfließt und umgekehrt‘. Das wäre dann, im Bilde geblieben, die personifizierte Gestapo."

Die „personifizierte Gestapo“ war im Fall Urbach Innensenator Kurt Neubauer. Aber fragwürdig ist bereits die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Verfassungsschutzes überhaupt, so dass zwangsläufig jeder Innenressort-Chef in Gefahr gerät, von vornherein zweifelhaftes Verfassungsschutzinteresse gegen die Pflicht der Polizei zur Täterverfolgung abzuwägen. Der Mainzer Rechtsprofessor Hans Heinrich Rupp weist darauf hin, dass die Verfassungsschutz-Gesetze des Bundes und der Länder "nur bedingt" gebotenen "rechtsstaatlichen Anforderungen" entsprechen.

Der Spiegel schlussfolgert: „Wenn nicht einmal gesetzlich eindeutig festgeschrieben ist, an welcher juristischen Grenze alle noch so opportunen Aktivitäten des Verfassungsschutzes enden müssen, dürfte deutliche Markierung auch im und für den Kopf eines Innenministers in dessen "doppelter Verantwortung" schwer auszumachen sein. Berufs- wie Selbstverständnis und Überzeugungskraft des jeweiligen Verfassungsschutz-Chefs vielmehr wohl geben den Ausschlag dafür, wann sich der Verfassungsschutz-Minister zum Polizei-Minister wandelt, wann aus seiner Sicht der Zugriff auf die Täter wichtiger wird als der Schutz der Verfassung.“ Es stelle sich die schwierige Frage, wann der Verfassungsschutz nicht mehr im Vorfeld ackere und mithin Raum geben müsse für Strafverfolgung und polizeiliche Festnahme.

Inwieweit beide Behörden zur gegenseitigen Information verpflichtet sind, ist nicht absolut geklärt. Es gelte in solchen Fällen der alte Geheimdienst-Grundsatz: "Need to know" -- jeder sei über das zu unterrichten, was er für seine spezielle Arbeit unbedingt wissen müsse. Im Fall Urbach scheint es einen Austausch gegeben zu haben. Anders sind die polizeilichen Razzien nicht zu erklären, die stattfanden, nachdem er seine Brandsätze ungefragt verteilt hatte. Andererseits hat es in bezug auf den Fund im Jüdischen Gemeindehaus Differenzen gegeben, die Neubauer im nachhinein vor dem Berliner Abgeordnetenhaus versucht hat auszubügeln.

Neubauer bewegte sich also in einer rechtlichen Grauzone und das nutzte er für seine politischen Zwecke weidlich aus, gedeckt von seiner Fraktion in der SPD. Ob sich seither an dieser Grauzone etwas geändert hat, darf im Hinblick auf den neuerlichen Skandal mit dem Nazi-Untergrund NSU bezweifelt werden.

Der Verantwortliche: Kurt Neubauer

Woher kam der Berliner Mini-Machiavelli her, was wollte er, wo wollte er hin?

Geboren am 30. September 1922 in Berlin-Lichtenberg, absolvierte er nach Erlangung der Mittleren Reife von 1935 bis 1941 eine Feinmechanikerlehre. (6 Jahre lang?) In seiner Schulzeit trat er der sozialdemokratischen Jugendorganisation „Falken“ bei. Danach Arbeits- und Kriegsdienst bis 1943. Beim Afrika-Korps brachte er es bis zum Obergefreiten, geriet dann aber in amerikanische Gefangenschaft. 1946 Rückkehr nach Berlin und Eintritt in die SPD. Bis zum Mauerbau lebte er in Friedrichshain, also im Ostteil der Stadt und betrieb dort auch das örtliche SPD-Büro. Seine Gartenlaube hatte er jedoch im Westen, in Heiligensee. Von 1952 bis 1963 war er Berliner Abgeordneter im (West-)Deutschen Bundestag, dann Senator für Jugend und Sport im (West)-Berliner Senat. Von Oktober 1967 bis April 1977 Innensenator. 2001 trat er aus der SPD aus, weil diese Partei eine Koalition mit der PDS eingegangen war.

1957/58 half er den Umbruch von Franz Neumann zu Willi Brandt zu organisieren. Dabei erwarb er sich den Ruf des „Rechten“ innerhalb der SPD. Er verstand sich als Weggefährte des Regierenden Bürgermeisters Klaus Schütz, der allerdings auf eine trotzkistische Vergangenheit zurück blicken konnte. Als Schütz Regierender wurde, kühlte sich das Verhältnis zwischen den beiden jedoch merklich ab. Ohne die Grabenkämpfe in dieser Partei ist die Radikalisierung der Studentenbewegung 1967/ 68 nicht zu verstehen. Schon zu Ernst Reuters Zeiten waren die innerparteilichen Verhältnisse schwierig. Auch Willy Brandt hatte große Mühen, sich durchzusetzen. Nach seinem Weggang aber entbrannte ein hemmungsloser Machtkampf um den Posten des Regierenden Bürgermeisters.

Laut Uwe Soukoup stand im Zentrum ein Ränkeschmied, der in den 60er und frühen 70er Jahren in der SPD die Fäden zog: Kurt Neubauer. Er versuchte, Brandts Nachfolger Heinrich Albertz innerparteilich das Wasser abzugraben - letztlich um selber Regierender Bürgermeister zu werden. Sein engster Verbündeter in der Polizeiführung war der Senatsrat und spätere Polizei-Vizepräsident Hans-Joachim Prill. Auch er strebte ungestüm an eine Spitzenposition: Prill wollte Polizeipräsident werden. Diese beiden Männer verstanden es, die Eskalation der Gewalt und die Radikalisierung der Studentenbewegung 1967/ 68 für sich zu nutzen. In der Folge der Unruhen um den von dem Polizisten (und Stasi-Spitzel) Karl-Heinz Kurras ermordeten Benno Ohnesorg erreichte er, dass die eher dem mittleren Flügel angehörenden „SPD-Genossen“ Heinrich Albertz (Regierender Bürgermeister), Wolfgang Büsch (Innensenator) und Erich Duensing (Polizeipräsident) von ihren Ämtern zurück treten mussten.

Im Januar 1967, nachdem Demonstrierende das Amerika-Haus erstmalig mit Eierwürfen bedacht hatten, soll Neubauer im Senat gefordert haben, dass es am besten sei, den Studenten “eins auf die Fresse“ zu hauen. Den neuen Polizeipräsidenten Georg Moch (CDU) versprach er Unterstützung, vorausgesetzt, er ginge „gegen Störer der Demokratie klar, entschieden und hart“ vor. Im Februar 1968, verbot er den ‚Internationalen Vietnam-Kongress mitsamt der anschließend vorgesehenen Demonstration und soll dabei geäußert haben, auf „ein paar Tote mehr oder weniger“ käme es ihm nicht an, falls die Studenten dennoch tagen und demonstrieren würden. Das Verwaltungsgericht hob das Verbot dann auf, nachdem sich der evangelische Bischof Kurt Scharf, Heinrich Albertz und Günter Grass vermittelnd eingesetzt hatten.

Für den SDS verhandelte u.a. Bernd Rabehl, der die Vermutung äußerte, die Herrschenden warteten nur auf die Gelegenheit zuzuschlagen. Heinrich Albertz, inzwischen von allen Posten enthoben, äußerte sich zustimmend, man müsse sich darüber im klaren sein, dass Neubauer nur auf eine Möglichkeit warte, Gewalt anzuwenden. Tote nähme er in Kauf: „Neubauer ist ein Verbrecher, dem ist alles zuzutrauen. Das sind Leute, die haben kein Gewissen, die schießen. Wenn ich an Neubauer denke, das ist ein brutaler Mensch.“ Uwe Soukup fügt dieser Darstellung die Meldungen des Berliner-Extra-Dienstes an, die Polizei habe eine Liste mit den „Rädelsführern“ der „Abteilung Notstandsplanung“ beim Senator für Inneres übergeben. Der Stern wusste dann 1971 zu berichten, dass Neubauer bereits im Februar 1968, also zur Zeit des Vietnamkongresses, die Spandauer Polizeischule zu einem Vorbeuge-Lager hat umbauen lassen. „Allgemein bekannte potentielle Störer (Kommune-Mitglieder, pp)“ sollten dort vorsorglich interniert werden. Horst Mahler spuckte ihm jedoch in die Suppe und ging vor Gericht und ließ sich dort bescheinigen, dass die Neubauer-Pläne ein Verstoß gegen Recht und Gesetz waren. (Mahler und Neubauer waren schon länger „Intimfeinde“: 1960 prügelte Neubauer auf Mahler ein, weil dieser Flugblätter gegen den Rechtskurs in der SPD vor Neubauers Büro verteilt hatte. Ein Jahr später sorgte Neubauer für den Ausschluss Mahlers aus der SPD wegen dessen Mitgliedschaft im SDS.)

In der Nachfolge zum Vietnam-Kongress betrieb er den Ausschluss von Harry Ristock und dem Kreuzberger Stadtrat Erwin Beck aus der SPD, weil diese sich an der Vietnam-Demo beteiligt hatten. Nicht vergessen werden sollte auch, dass Neubauer und sein Verfassungsschutz den Mord an Ulrich Schmücker wissentlich geschehen ließen. Selbst der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz, dessen Posten Neubauer so sehnsüchtig anstrebte, charakterisierte Jahre später Neubauer als „Scharfmacher“, der sich „hochgepusht“ hätte. (nach Uwe Soukup).

„Strategie der Spannung“

Die Vertuschungsverschwörung um den Mord von Kurras an Benno Ohnesorg, die vom Gericht und jetzt vom Spiegel aufgedeckt wurde, war den Zeitzeugen damals durchaus bewusst und die Linke fühlte sich zu Recht bedroht. In einer solchen Situation Waffen und anderes Gerät in die Szene einzuschleusen, muss als besonders infam angesehen werden und ist in der Tat nur mit einer „Strategie der Spannung“ von Seiten der Verantwortlichen, hier als des damaligen Innensenators Neubauer, zu beschreiben. Das hat sicher nichts mit Gladio zu tun, wie es einige Blogger und Autoren wie Regine Igel darstellen wollen, aber es kann als eigenständige Politik des damaligen rechten SPD-Flügels angesehen werden. Es galt ja, den eher gemäßigten Flügel um Heinrich Albertz und Klaus Büsch, dem Vorgänger Neubauers, ins Abseits zu manövrieren. Das ist Neubauer und Klaus Schütz, dem Nachfolger des regierenden Bürgermeisters Albertz, auch gut gelungen.

http://www.tagesspiegel.de/images/k2/4224946/3.jpg?format=format10

Regierender Bürgermeister Klaus Schütz
mit Kriegsverbrecher Richard M Nixon 1969 in Berlin

„Kutte“ Dezember 1969

 

Instrumentell hat das LfV diese Strategie der Spannung auf Provinzniveau umgesetzt. Die Befehlskette Eberhard Zachmann, Willi Rumprecht, Michael Grünhagen, hat dafür seine Rolle gut erfüllt. Peter Urbach war das letzte Glied in dieser Kette. Die Polizei unter dem reformorientierten Klaus Hübner hat fleißig mitgespielt und die Leute im vermeintlichen Untergrund haben sich, im Glauben revolutionär zu handeln, freiwillig zu Gehilfen machen lassen. Dass diese Strategie gleichzeitig durch den Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus einen virulenten Antisemitismus in Teilen der Linken bloßgelegt hat, ist nur ein Nebenprodukt einer ansonsten machiavellistisch anmutenden Politik.

Stefan Aust hat in seinem Buch „Der Lockvogel" die Geschichte des Mordes an Uli Schmücker beschrieben. Eine zentrale Rolle spielten dabei zwei Herren: Volker Weingraber und Michael Grünhagen. Weingraber spielte den Revolutionär, so ähnlich wie Urbach, und war beim Mord direkt dabei, möglicherweise sogar als Mörder. Wenige Minuten nach vollbrachter Tat übergab er die Mordwaffe jedenfalls an seinen „Agentenführer“ Grünhagen, der sie ins LfV schaffte. Dort wurde die Pistole in einem Tresor versteckt und nur durch Zufall wurde ihr Vorhandensein Jahre später vom Verteidigungsteam der Angeklagten Gruppe bekannt.

Aus den Aufzeichnungen des ermordeten Schmücker wissen wir, dass Grünhagen zumindest teilweise bereits Peter Urbach „geführt“ hatte. Darin zeigt sich eine Kontinuität des verbrecherischen Verhaltens eines Amtes, das eigentlich Gesetz, Ordnung und Demokratie schützen sollte. Grünhagen lässt Urbach Brandsätze und Schusswaffen in einer Szene verteilen, die unberechenbar war und in der Zerstörung und Tote durch die Anwendung dieser Mittel nicht ausgeschlossen werden konnten. Grünhagen wusste von dem Mordkomplott gegen Schmücker und unternimmt nichts, um seinen Schützling vor einem wirklichen Attentat zu bewahren. Im Gegenteil, er trifft sich stattdessen mit dem Mörder bzw. Mittäter und lässt sich die Mordwaffe aushändigen.

Mit anderen Worten, das Amt heizt die Atmosphäre an, anstatt zur Beruhigung beizutragen. Das ist völlig konträr zu seinem gesetzlichen Auftrag und kann nur erklärt werden mit einer außeramtlichen politischen Zielsetzung. Neubauer hat sich auf Dauer durchgesetzt. Anderthalb Jahre nach dem Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus berichtet er erstmalig dem Sicherheitsausschuss des Abgeordnetenhauses von Urbachs Rolle und klärt auf, dass dessen „Bomben“ gar keine waren. Erst 10 Jahre später wird die Öffentlichkeit darüber informiert. Dafür ist nicht nur der Innensenator verantwortlich, sondern der gesamte Senat, bzw. die Parteien, die ihn gestellt haben. Nach nun mehr als 40 Jahren sollten wenigstens alle Akten, soweit es sie noch gibt, endlich geöffnet werden. Das ist der Senat nicht nur den Opfern schuldig, sondern der gesamten Öffentlichkeit. Nicht mitgeteilt wurde bis heute, wie z.B. Urbach abgefunden wurde. Hat er, wie wenig später Weingraber und Grünhagen, ebenfalls eine Million bekommen?

 

Das letzte Urteil

Der eingangs erwähnte (unbekannte) Blogger, der das„Kommando Peter Urbach“ erfand, war sich wohl nicht bewusst, welche historische Realität am besten damit beschrieben werden könnte. Der antisemitisch-terroristische Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus ist so eng mit dem Namen Peter Urbach verbunden, dass der Begriff hier zu Ehren kommen sollte. Alle zusammen, die „Schwarzen Ratten“, das Landsamt für Verfassungsschutz und der Innensenator Kurt Neubauer hätten keine bessere Bezeichnung für diese finstre Aktion finden können als eben „Kommando Peter Urbach (LfV-TW)“. Dieser Fall wird mit Urbachs Namen für immer verbunden bleiben. Ob dieser gescheiterte Anschlag ein „Konstituens“ für eine deutsche urbane, antisemitisch orientierte Guerilla war, „das sich als kontinuitätsstiftend erwiesen" habe (Kraushaar), ist eine Frage, die noch zu diskutieren ist.

Durch sein individuelles Verhalten und seine Lieferungen hat Urbach nicht nur zu einer Kriminalisierung von Teilen der Linken, inklusive viele Jahre Knast für einige vom ihm agitierte Personen beigetragen, sondern auch zu einer Radikalisierung des politischen Denkens einiger angehender Stadtguerilleros. Letztere können sich natürlich nicht damit herausreden, sie seien nur verführt worden, aber Urbachs Wirken war zumindest ein Faktor, der eine Rolle in deren Hinwendung zum politischen Irrsinn gespielt hat. S-Bahn-Peter hat schwere Schuld auf sich geladen. Leider war er damit nicht der Einzige und vielleicht auch nicht der Letzte. Die Kontroverse um die RAFlerin Verena Becker (aka Sola) ist ja noch nicht beendet. Wolfgang Kraushaar hat bereits ein erstes Buch, "Verena Becker und der Verfassungsschutz", zu diesem Thema vorgelegt. Auf weitere Enthüllungen dürfen wir gespannt sein.

Günter Langer, 21. März 2012.

Last Update: 20. Mai 2012