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“Kommando Peter Urbach” – ein Nachruf auf S-Bahn-Peter
Ich kannte Peter Urbach und glaubte an seine wie auch immer geartete Freundschaft. Ich traf ihn zum ersten Mal bei einem Besuch in der Kommune 1 in der Moabiter Stephanstraße, wo er sich beim Herrichten einer Fabriketage für die Wohnzwecke der K1 nützlich machte. Bei einer Begegnung im Treppenhaus des SDS-„Zentrums“, das sich in der 2. Weltkriegsruine am Ku-Damm 140 befand, also dort, wo der SDS sein zentrales Büro und seine Versammlungsräume unterhielt, zeigte er mir eine Pistole und wollte wissen, ob ich eine haben wolle. Ich war ziemlich irritiert und habe dankend abgelehnt. In der FU traf ich ihn während der Besetzung des Germanischen Seminars, das in Rosa-Luxemburg-Institut umbenannt wurde, auf dem Balkon des Gebäudes, wo Fritz Teufel als DJ die Besetzer mit Musik unterhielt. Wir saßen nebeneinander und schauten uns das Treiben an. Plötzlich sagte Peter, er könnte in die Schaltzentrale gehen und den Stromverteiler lahm legen. Weshalb er das tun sollte, konnte er mir jedoch nicht beantworten und unterließ diesen, wie ich ihm klar machte, „konterrevolutionären Akt“. Er lud mich zu sich nach Hause ein, wo ich auch auf seine Frau und seine Kinder traf. So gewann er mein Vertrauen. Ich fand deshalb auch nichts dabei, dass er in der Wieland-Kommune, in die ich Anfang 1969 einzog, hin und wieder zu sehen war. In den 8 1/2 Zimmern wohnten 10 SDSler inklusive Kindern, so zB bis zur Jahreswende 68/69 Udo Knapp, der als letzter SDS-Bundesvorsitzender ein paar Monate später die Bundesorganisation formell auflöste. Die Wieland-Kommune mutierte für eine kurze Zeit zu einer Art Ersatz-„Zentrum“, wo führende GenossInnen ein und ausgingen und u.a. eine große Party organisierten. Der Berliner SDS befand sich nach der Kontroverse um die Bedeutung der sog. „Schlacht am Tegeler Weg“ und der Gründung von sog. Ad-hoc-Gruppen an den Unis, die sich dann bald in „Rote Zellen“ umbenannten, zwar bereits kurz vor seiner Auflösung, aber für den Verfassungsschutz war diese Kommune trotzdem noch von besonderem Interesse. Kein Wunder also, dass das Amt Urbach ermutigte, dort zu schnüffeln und schließlich seine Bomben dort einzuschmuggeln, um das ganze Projekt ausheben zu können. Ihm gelang das bekanntlich in der Kommune 1, nicht aber in der Wieland-Straße. Bei der Razzia wurde nichts gefunden, weil die bei der „Anlieferung“ anwesenden GenossInnen Lunte rochen und das Zeug vorher entsorgten. Wir waren zwar stutzig über diese Koinzidenz, aber nicht stutzig genug, um ihn von uns gänzlich fern zu halten. Irgend jemand muss ihm von der von führenden SDSlern (Horlemann, Semler u.a.) und uns geplanten Reise nach Italien erzählt haben. Prompt bot er seine Dienste an. Seitdem habe ich ihn nie wieder gesehen. Nur konnte ich später in dem ominösen „Baader-Meinhof-Report“ meinen Namen wieder finden. Die anonymen Verfasser dieses Machwerks hatten angeblich Zugang zu Urbachs Verfassungsschutzberichten und bedienten sich daraus, sich dabei nicht vor Fälschungen scheuend, wie Horst Herold, der Chef des Bundesamtes dieser Behörde richtig feststellte.
Als ich vor einigen Tagen per
Facebook von Peters Ableben
erfuhr, war ich trotz seiner Verrätereien nicht erleichtert, dass der
Schurke endlich tot ist. Im Gegenteil, ich hatte immer gehofft, ihn
eines Tages zur Rede stellen zu können. Sein Ausspruch gegenüber
Rainer Langhans, „Rainer,
wenn Du wüsstest…“, schien zu verlockend für zukünftige Aufklärung zu
sein, als ihm den Tod zu wünschen. Außerdem sind ja nun bereits mehr als
40 Jahre vergangen und selbst all die
RAFler, die selbst Tote auf
dem Gewissen haben, sind inzwischen wieder in Freiheit. Leider können
wir nicht mehr auf seine Aussagen warten, die Aufklärung seines Wirkens
müssen wir nun anders angehen. Für mich war die Geschichte nie ganz
ausgestanden. Die Todesmeldung gab mir deshalb den Anstoß, mein und
unser Wissen über ihn erst einmal zusammen zu fassen. Ich hoffe,
Journalisten und Historiker nehmen einen neuen Anlauf, mehr Licht in
dieses düstere Kapitel unserer Vergangenheit zu bringen.
Hier ist das Ergebnis:
Der Adrenalin-Junkie
Mit dem Gruß „Kommando Peter Urbach“ unterschreibt im Jahre 2010 ein angeblich 68er einen belanglosen Blog-Beitrag. Offenbar vermutet diese Person, dass dieser von ihm gewählte Name, Peter Urbach, eine besondere Reaktion bei seinem Adressaten auslöst und der Namensträger nicht mehr unter den Lebenden weilt. Beide Annahmen erwiesen sich als falsch. Als Kommandos haben sich in den Endsechzigern und Siebzigern des letzten Jahrhunderts Untergrundgruppen verstanden, die eine illegale Tat, einen Anschlag, eine Befreiungs-, oder eine Geldbeschaffungsaktion durchführten. Häufig gaben sie sich Namen von bekannten Befreiungskämpfern der Dritten Welt oder von zu Tode gekommenen ehemaligen MitkämpferInnen. Peter Urbach war weder das eine noch das andere. Er war ein Rohrleger, aber einer, der Adrenalin süchtig war. Nur, dass er keine schnellen Autos oder Motorräder fuhr oder Free Climbing betrieb, sondern er sah sich als antikommunistischer Kämpfer, einer, der sich in die Höhle des Löwen begab. Der Löwe, also zunächst die Reichsbahn, und dann diese oder jene Kommune, nahm ihn tatsächlich zunächst freundlich auf, musste aber irgendwann erkennen, dass ihm die Freundlichkeit nicht gedankt wurde.
Den Kommunarden Teufel und Urbach
(rechtes Bild) wird Beleidigung des Gerichts und Abbrennen von
Feuerwerkskörpern ohne polizeiliche Erlaubnis in einem von Menschen
besuchten Ort vorgeworfen.
Das jämmerliche Ende Weshalb er sich diese Materie
aussuchte, kann er uns leider nicht mehr erklären. Am 3. Mai 2011 ist er
nach langer Krankheit (Nierenversagen) in Santa Maria, Kalifornien,
verstorben. Seine dort hinterbliebene dritte Ehefrau erzählte der
Santa Maria Times,
Urbach sei am 2. Mai 1941 in
Posen geboren worden, hätte in den letzten Kriegstagen dort aber seine
Eltern verloren und hätte sich mit seinem (älteren?) Bruder nach Berlin
durchschlagen müssen, wo er dann in einem Kriegswaisenheim aufgewachsen
sei. Neben seiner Ausbildung als Rohrleger hätte er an einer
Polizeiakademie ebenfalls einen Abschluss gemacht. Seine sportlichen
Aktivitäten wären so gut gewesen, dass er sogar in das deutsche
olympische Team aufgenommen worden sei. Beruflich hätte er als einfacher
Polizist begonnen, aber schließlich in die Festnahme der Führer des
Baaders-Meinhof-Komplexes verwickelt worden.
Seine Witwe berichtet, sie wisse nichts über seine Berliner Zeit. Er habe ihr erklärt, er dürfe darüber nicht reden. Er hätte zwar vorgehabt, seine Erlebnisse jener Zeit aufzuschreiben, dazu sei es aber nicht mehr gekommen. Atmen einige Berliner Ex-Chargen, falls sie noch am Leben sind, jetzt auf? Der Hauptverantwortliche für Urbachs Missetaten, Ex-Innensenator Kurt („Kutte“) Neubauer, ist inzwischen 90 Jahre alt und dement, sein damaliger Verfassungsschutzchef, Eberhard Zachmann. (1966 - 74 ) inzwischen 99 Jahre alt oder verstorben und dessen Abteilungsleiter IV (und späterer Chef des LfV, von 1975 - 1986), Franz Natusch, starb Anfang 2012.
Urbach wird S-Bahn-Peter Was liegt nun eigentlich gegen unseren Adrenalin-Junkie konkret vor, was waren seine Missetaten, dass er unerkannt in die USA flüchten musste? Reinhard Mohr vom Spiegel fasste es mal kurz zusammen: „Peter Urbach (im Szenejargon "S-Bahn-Peter") arbeitete praktisch für alle Seiten: Für den westdeutschen Verfassungsschutz, für die Stasi und für die Kommune 1.“
Davon stimmt nur
der letzte Teil.
Tatsächlich half er den Kommunarden der
K1 bei der Herrichtung einer
Fabriketage für Wohnzwecke.
Vorher war er bei der Berliner S-Bahn als Handwerker
beschäftigt, die Teil der unter DDR-Kontrolle stehenden
Deutschen Reichsbahn war und auch die Westberliner Strecken
fuhr,. Stefan Aust
zufolge sei in dieser
Zeit Mitglied der SEW geworden und hätte auch die
Zeitung der SEW, „Die Wahrheit“, bezogen, und er hätte
in dieser Zeit bereits für den Westberliner Verfassungsschutz
gespitzelt.
Den Kommunarden erzählte er, die Kommunisten hätten ihn schlecht
behandelt und rausgeschmissen. Das schien denen einleuchtend und sie
schlugen Warnungen der Reichsbahner, er hätte wegen Klauereien entlassen
werden müssen, in den Wind. Von Stund an hatte er seinen Spitznamen weg:
„S-Bahn-Peter“. Die
Reichsbahner vermuteten frühzeitig eine Geheimdienstverbindung.
Den Haschrebellen, wie Ralf
Reinders
bestätigt, war das
bekannt, aber das wurde von anderen antiautoritären Linken als
Kalte-Kriegs-Paranoia abgetan. Als
S-Bahn-Peter fand der Agent dann tatsächlich Zugang in viele
Kommunen, in den
SDS und in den linken
Republikanischen Club (RC),
der damaligen Zentrale der
Außerparlamentarischen Opposition (APO).
Der Agent Innensenator „Kutte“ Neubauer gab im Juni 1971 in einem Spiegel-Interview zu, dass Urbach Mitarbeiter des Westberliner Verfassungsschutzes sei (nicht des Westdeutschen, wie Spiegel-Autor Reinhard Mohr später behauptete). Der Spiegel wusste bereits im Mai 1971, dass „der Rohrleger Peter Urbach … ein Agent provocateur klassischer Prägung“ war und wiederholte diese Beurteilung 1980 mit der Bemerkung, „Agents provocateurs vom Schlage Peter Urbach brachten den Verfassungsschutz mehr ins Zwielicht als zum Erfolg.“ Letzterer Artikel veranlasste dann den ehemaligen Vorsitzenden des Berliner SDS, Tilman Fichter, zu einem Leserbrief, in dem er die Beurteilung für „den Beamten des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz Peter Urbach zu Recht als Agent provocateur“ bestätigte und bemängelte, dass der für die „nachrichtendienstliche Arbeit dieses „Agent provocateurs klassischer Prägung“ der Ex-Innensenator Kurt Neubauer nie zur Verantwortung gezogen wurde. Des weiteren beschrieb Fichter einige Missetaten Urbachs.
Dieser Brief hatte Folgen. Das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses Dr. Andreas Gerl befragte den neuen Innensenator, Peter Ulrich, was an den Beschuldigungen Fichters dran sei. Ulrich antwortete mit Bezugnahme auf Fichters Brief detailliert, wich aber in entscheidenden Fragen aus bzw. bestritt Fichters Darstellung. „Auf verschiedenen Ebenen“ sei „die Tätigkeit des Herrn Urbach sehr intensiv erörtert bzw. überprüft worden“. Dabei berief er sich auf die 7. Sitzung des Berliner Abgeordnetenhauses am 27.5.1971, in der der Fall Urbach behandelt worden war. Des weiteren habe „der damalige Innensenator, Herr Neubauer, in einer vertraulichen Sitzung des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin am 14.6.1971 eingehend und im Detail über die Tätigkeit des Herrn Urbach für das LfV Berlin berichtet.“ „Die gegen Herrn Urbach erhobenen Vorwürfe wurden hierbei zurückgewiesen bzw. der Sachverhalt entsprechend richtiggestellt.“ Ein „Agent provocateur“ sei er nicht gewesen und das LfV hätte die damalige APO nicht „kriminalisieren“ wollen. Zum Status Urbachs führte Ulrich er nichts aus, sondern schrieb nur von dessen „Tätigkeiten“. Weitere Einzelheiten weiter unten.
Innensenator Kurt Neubauer
legt sich in einem Spiegelinterview vom 7.6.1971 nicht genau fest, in
welchem rechtlichen Verhältnis
Urbach zum Amt stand, verbeamteter Mitarbeiter oder schlicht V-Mann.
Er spricht
dort
nur ganz allgemein von V-Männern, die er persönlich zumeist nicht kenne.
Urbachs Führungsmann,
Michael Grünhagen, zog in
einem Gespräch mit dem später ermordeten
Ulrich Schmücker einen
Vergleich zwischen Schmückers
gewünschter Rolle als Spitzel und
Urbach: „Sie sind ja die
ganze Zeit mit Linken zusammen, dabei kommt es leicht zu emotionalen
Bindungen. In dieser Beziehung haben wir schon Schwierigkeiten mit
Peter Urbach gehabt. Der war
einige Male so weit, dass er alles hinschmeißen wollte. Erst mit viel
Mühe und in stundenlangen Gesprächen haben wir ihn dazu bringen können
weiterzumachen.“ (zitiert in:
Stefan Aust,
Der Lockvogel, S. 91). Den Namen brauche er, Schmücker;
nicht ändern. Urbach würde auch unter seinem richtigen
Namen leben. (aaO, S.93).
Zachmann war Vorsitzender des Arbeitskreises „Sicherheit“ beim Parteivorstand der SPD. Dieser Arbeitskreis bestand aus Parteivorstands- und Präsidiumsmitgliedern, sowie SPD-Obmännern aus den Landesämtern für Verfassungsschutz, die ihre ermittelten Informationen zur Verfügung stellten Zachmann erarbeitete insbesondere Dossiers über Infiltrationsversuche von Kommunisten in sozialdemokratischen Organisationen (SHB und Jusos), sowie im VDS (Verband Deutscher Studentenschaften). Ihm ging es um klare Abgrenzung zwischen Kommunismus und Sozialdemokratie und gegen jede Zusammenarbeit. Der Doktorand Jens Schultz bemängelt in seiner Dissertationsschrift ("Sozialdemokratie und Kommunismus") zurecht, dass die Vermengung von Geheimdienstaktivitäten und Parteipolitik den rechtlichen und demokratischen Rahmen sprengte. Der SPD-Senator für Bundesangelegenheiten Dietrich Spangenberg soll Zachmann für ein „vollkommen verlottertes Individuum“ gehalten haben (Soukup, S. 267). Der ganze Berliner Verfassungsschutz wurde vor einigen Jahren rundum erneuert. Die Akten, die über den „Löwen“, die Kommunarden, geführt wurden, vermutlich alle entsorgt. Damit auch die Spuren, die in die politisch-höhere Sphäre des Senats führen würden. .
Doppelagent?
Der Lyriker FC Delius hat in seinem verdienstvollen Tatsachen-Roman „Mein Jahr als Mörder“ über den antifaschistischen Arzt Georg Groscurth, der 1944 von den Nazis hingerichtet wurde, und seiner Witwe Anneliese Groscurth, der später in Westberlin die Hinterbliebenenrente aberkannt wurde, einen weiteren Spieler hinter den Kulissen ausmachen können: Den CIC, eine geheime US-Behörde, die aktiv gegen Kommunisten in Ost und West agierte (S. 241). Der Westberliner Verfassungsschutz war per Besatzungsstatut verpflichtet, mit den alliierten Behörden zusammen zu arbeiten. Meinte Urbach diese Fährte? Das wäre nicht unbedingt von der Hand zu weisen, immerhin haben die Amis Urbach Exil gewährt. Aus Dankbarkeit für die Unterstützung in einer Politik der Nadelstiche gegen die bösen Kommunisten?
Wolfgang Kraushaar
weist in seinem Bombenbuch sogar explizit auf diese Möglichkeit hin,
wenn er darauf aufmerksam macht, dass Berlin zu der Zeit noch dem
Viermächtestatus unterlag und „Verbindungsoffiziere der drei
Westalliierten im Senat gesessen und zumindest die Praxis von
Undercover-Leuten kontrolliert hätten“
(Wolfgang Kraushaar, Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005,
S. 178).
Im vierten und letzten Prozess zum Mord an
Ulrich Schmücker begründet
Richterin Dr. Ingeborg
Tepperwien die Einstellung des Verfahrens unter anderem mit der
Observation und Bespitzelung der Verteidigung (durch den V-Mann
Christian Hein, aka Flach)
und „dass die Ausspähung der Angeklagten und ihrer Verteidiger ergänzt
wurde durch eine auf Initiative des LfV durch die
Alliierten vorgenommene
Telefon- und Postkontrolle“. (zitiert in: Stefan Aust,
Der Lockvogel – Die tödliche Geschichte eines V-Mannes zwischen
Verfassungsschutz und Terrorismus, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1992,
S.483).
Dieter Kunzelmann
beschreibt in seiner
Autobiografie „Leisten Sie keinen Widerstand“ (Transit-Verlag 1998)
einen weiteren Vorgang, der die
Alliierten betrifft: „Das Atelier von
Uwe Johnson in der
Friedenauer Niedstraße, wo wir damals wohnten, wurde von einem
US-Geheimdienst abgehört, und dieser gab sein Wissen schriftlich an den
Leiter der Berliner Staatsschutzabteilung weiter.“ (S. 99). Diese
Mitteilung habe dann zur Festnahme der Kommune 1 Mitglieder wegen einer
Vorbereitung eines Bombenattentats gegen den US-Vize
Hubert Humphrey geführt. Die
US-Lauscher konnten Pudding nicht von Sprengstoff unterscheiden.
Welche Verdienste Urbachs haben nun Westberliner Senat und US-Behörden mit so viel Geld und Enthusiasmus so lange gewürdigt? Zunächst sicherlich seine Sabotageaktionen bei der S-Bahn bzw. der Reichsbahn. Dann die Ausschnüffelung der Kommunarden- und APO-Szene, sowie des SDS. Schließlich die Festnahme des RAF-Mitbegründers Andreas Baader. Normale Kalte-Kriegs-Aktionen also. Wäre es dabei geblieben, würde sicherlich kein Hahn mehr nach ihm krähen. Andere Spitzel sind längst der Vergessenheit anheim gefallen, wie der unglückliche Ulrich Schmücker, wie der Zuhälter von der Potse Volker von Weingraber (aka Karl Heinz Goldmann, aka Edler von Grodek, aka Wien), Ingeborg Barz (?) und andere. Sowohl Wolfgang Kraushaar als auch der umstrittene Autor Gerhard Wisnewski, (in „Verschlußsache Terror“, S. 157, S.158) berichten, „Urbach wurde von dem Verfassungsschutzbeamten Michael Grünhagen aus der Britzer Dörchleuchtingstraße 48 (aka Peter Rühl, aka Michael Wegner; Abteilung IV, Verfassungschutz ( VS), Bereich Ursachenforschung Terrorismus, Elternsprecher an der progressiven Fritz-Karsen-Schule für die Klasse 3.1 von 1978 bis 1979) geführt, der in den Mord an dem Berliner V- Mann Ulrich Schmücker, unter seinem Vorgesetzten, dem Referatsleiter Willi Rumprecht verstrickt war.“ Ob das stimmt, wäre noch zu überprüfen. Chef des LfV war Eberhard Zachmann (SPD), der das Amt von 1966 bis 1974 führte. Weingraber und Grünhagen spielten die Hauptrollen beim Mord an Schmücker, Weingraber sozusagen als Urbach-Nachfolger und Grünhagen als Aufsichtsperson. Beide wurden vom LfV fürstlich mit vielen hundert tausend DM entlohnt. Die Rede ist von jeweils ca. 1 Million.
Der Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus Einige Journalisten und Forscher werden nicht müde, sich mit Urbach zu beschäftigen. Dieses Verdienst hat er vor allem dem Ex-Kommunarden Dieter Kunzelmann zu verdanken, der die von Urbach selbst gebastelten Brandsätze von der Sorte Unkraut-EX-mit Zucker dazu nutzen wollte, eine antizionistisch/antisemitische Kampagne in Deutschland zu entfachen, indem er Abi Fichter dazu überreden konnte, eine von dem Verfassungsschutzagenten Peter Urbach zur Verfügung gestellte „Bombe“ ins Jüdische Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße zu deponieren. Ob die „Bombe“ tatsächlich aus Unkraut-Ex und Zucker bestand, ist nicht endgültig geklärt.
Kunzelmann scheint die Aktion inzwischen peinlich zu sein. In seiner Autobiografie streitet er die Urheberschaft rundweg ab mit dem Hinweis, dass „jedem Linken eigentlich hätte klar sein müssen, dass eine derartige Aktion keinerlei Sympathien für die legitimen Anliegen der Palästinenser zu wecken vermochte; ganz zu schweigen davon, daß sie sich angesichts der deutschen Vergangenheit von selbst verbietet.“ Und er frage sich, „ob die Aktion eine Inszenierung von Geheimdiensten war oder ob der Brandsatz von ausgeflippten Sympathisanten der ‚Tupamaros Westberlin‘ gelegt worden sein kann? Merkwürdig bleibt, wie wenig die Ermittlungsbehörden unternahmen, um die für Aktion Verantwortlichen aufzuspüren.“ Mit dieser Interpretation schließt er sich quasi den von ihm seinerzeit beschimpften „Politmasken“ der „Palästina-Komitees“ an, die diesen Anschlag als schädlich für die Bekämpfung des Staates Israels hielten. Von der Aktionsform distanzierte er sich, nicht jedoch von der reaktionären Zielsetzung der Zerstörung Israels, der er offenbar weiterhin anhängt, die sich in den 60ern und 70ern einer sozialistischen Phraseologie bediente und ihren dschihadistischen Kern dem säkularen Publikum geschickt verbarg und sich heute in der völligen Aufgabe jeglicher sozialistischer Rhetorik zeigt. Es fiel damals niemandem in der linken Szene auf, dass Arafat sich auf seinen Onkel, den Hitler-Freund und SS-Kollaborateur, den Großmufti von Jerusalem berief. Im Jahre 2006, also kurz nach Veröffentlichung des Kraushaar-Buches zur „Bombe im Jüdischen-Gemeindehaus“ und der darin enthaltenen Enthüllung über die Tätergruppe, kam es anlässlich des 40jährigen Jubiläums der Gründung der Kommune 1 zu einem Treff der Kommune-Gründer in Berlin. Rainer Langhans ließ es sich bei dieser Gelegenheit nicht nehmen, Kunzelmann zu fragen, ob er wirklich im November 1969 eine Bombe im Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße hat legen lassen. Kunzelmann habe erwidert, „keine Aufregung, ihm sei immer klar gewesen, dass die Bombe nicht zünden würde.“ Damit gab er erstmalig zu, daran beteiligt gewesen zu sein. Ob er wirklich den Terminus „Bombe“ nutzte, ist nicht sicher. In seiner Autobiografie war die „Bombe“ korrekterweise noch ein „Brandsatz“. Der eigentliche „Bombenleger“ Abi Fichter, Innensenator Neubauer und der gesamte Berliner Senat beharren ja weiterhin darauf, dass es sich lediglich um einen Brandsatz bzw. um einen „bombenähnlichen Körper“ gehandelt habe. Doch dazu weiter unten mehr. Diese Aktion gilt seitdem als
Beweis für einen
Antisemitismus, der der radikalen deutschen Linken
immanent gewesen sei und nach wie vor ist. Dieser Vorwurf ist nicht ganz
unberechtigt, denn andere Vorfälle dieser Art folgten:
Ulrike Meinhofs Jubel über
das Attentat von München, also der Ermordung friedlicher Sportler, der
Selektionspraxis des Wilfried
Böse von den Revolutionären Zellen (RZ) bei der Entführung einer
Lufthansa-Maschine zwecks Erpressung der Freilassung gefangener
Stadtguerilleros in Deutschland und Israel, der einseitigen
Unterstützung radikaler Palästinenserorganisationen, die allesamt Israel
auslöschen wollen, bis hin zu
Christian Ströbeles
berühmt-berüchtigte Bemerkung in Israel zur Zeit des ersten
Golfkrieges, die Raketen, die
Saddam Hussein auf Israel abfeuerte, hätten sinngemäß die Israelis
ihrer eigenen Politik zu verdanken.
Neuerdings wurde diese Strömung mit der Unterstützung der sog.
Gaza-Flottille durch
Politiker der Partei der Linken wieder deutlich. Die Partei selbst
vermochte es nur sehr vage sich von den
rechtsradikalen türkischen Urhebern dieser Aktion und deren
Ziele zu distanzieren.
LfV und „Schwarze Ratten“ Hand in Hand Eine entscheidende Frage hat der damals viel gelesene Autor Sebastian Haffner aufgeworfen: »Wenn es sich als wahr herausstellen sollte, daß (der Innensenator) durch einen seiner Agenten die Bombe im jüdischen Gemeindehaus hätte legen lassen (....), dann hätte er selbst eine schwere Straftat begangen – und zwar eine Tat, die dem Ansehen Berlins mehr Schaden zugefügt hat, als irgendein wirklicher oder angeblicher Apo-Exzeß.« Haffner hat frühzeitig den Finger auf die offene Wunde gelegt. Heute lässt sich das besser einschätzen: Neubauers Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat die Tat mit Sicherheit nicht direkt angeordnet, Urbach hätte einen solchen Auftrag auch gar nicht erfüllen können. Für die jetzt bekannten Täter, die sich damals selbst als „Schwarze Ratten (TW)“ bezeichneten und damit das Label Tupamaros in Verruf brachten, war er längst als Agent bekannt. Sie konnten aber auf die Bomben, die ursprünglich vom LfV-Agenten Urbach in die linke Subkultur-Szene gestreut wurden, aus ihren Verstecken zugreifen.
Indem das LfV wissentlich, es hatte ja bereits Razzien
durch die Polizei durchführen lassen, wenn auch nur mit Teilerfolgen,
"Bomben" zur Verfügung stellte, ist es als Mittäter für das Attentat
verantwortlich. Die verschiedenen
Tupamarosgruppen lösten sich wegen ihrer
Ablehnung dieser Aktion
still und heimlich auf. Einzig die „Schwarzen
Ratten“ machten weiter und versuchten ihr Vorgehen zu rechtfertigen.
Dieter Kunzelmann
publizierte zu diesem Zweck Briefe in dem linken Wochenblatt „883“,
angeblich aus Amman "zugeschickt".
Drei andere, den Haschrebellen verbundene Linke (Willi Farkasowsky, Helmuth Caspari und Heinrich Jansen) wurden verhaftet und beschuldigt, sich an dem Anschlag beteiligt zu haben. Alle drei bestritten das vehement. Willi Farkasowsky ging sogar noch einen Schritt weiter und bot den Behörden an, bei der Suche nach den wahren Tätern behilflich zu sein. (Sein Brief wurde in 883 Nr.50 abgedruckt). Weder wurde dieses Angebot angenommen, noch führte Saggels Aussage zu irgendwelchen Konsequenzen.
Warum sind diese Herren nicht aktiv geworden?
Wurde KOK
Wolfgang Kotsch,
Leiter der Staatsschutzabteilung, wurde Klaus Hübner,
der seit Januar 1969 neu amtierende Polizeipräsident, informiert?
Weshalb wurde diese Spur nie verfolgt, obwohl die Behörden wissen
konnten, dass
Saggel
tief in der Szene verankert war und seine Informationen vermutlich Hand
und Fuß haben mussten?
Weshalb wurde alles
vertuscht?
Historiker Gerd
Koenen: „Was im Dunkeln liegt und
umso mehr verstört, ist die andere Seite des Schweigens, das diesen
vielleicht größten Skandal seiner Art in der Geschichte der alten
Bundesrepublik umgibt.“
Koenen meint genau das
Schweigen über die Erkenntnisse, die tatsächlich vorlagen und das
Schweigen der heutigen Behörden über ihre alten Verfehlungen. Dürfen
oder wollen sie nicht? Ist doch etwa der
CIC involviert gewesen und
deshalb darf darüber nichts an die Öffentlichkeit, um „die Freunde“ zu
schützen? Spiegel-Autor
Michael Sontheimer
bezeichnet diesen ganzen Komplex als „skandalös“ und
schlussfolgert:
„Es
ist ein unglaublicher Skandal, dass ein Verfassungsschutzmann solche
terroristischen Aktivitäten nicht verhinderte, sondern förderte und ganz
praktisch unterstützte. Aber Urbach
ist verschwunden,
lebt wohl in den USA, und von staatlicher Seite gibt es kein Interesse
seine Machenschaften aufzuklären.“
Besser und knapper kann man’s kaum sagen.
Historiker Wolfgang Kraushaar beklagt: „Das beste Beispiel für den geheimdienstlichen Einfluss auf die linksradikale Szene ist immer noch die nur zum Teil geklärte Rolle des V-Mannes Peter Urbach, der ja im Übergang von der Studentenbewegung zu den ersten Berliner Untergrundgruppierungen als eine Art agent provocateur aufgetreten ist. Diese Rolle ist spätestens seit 1971 bekannt und inzwischen aufgrund einer Vielzahl von unabhängig voneinander zustande gekommener Zeugenaussagen nicht mehr bestreitbar. Dennoch gibt es dazu immer noch keine Stellungnahme der für ihn zuständigen Behörde, des Berliner Landesamtes für Verfassungsschutz, und der politisch Verantwortlichen beim Berliner Senat. Die Öffentlichkeit wird in dieser Angelegenheit wie in einer Reihe vergleichbarer anderer einfach hängen gelassen.“ Das hat sich leider bisher nicht geändert. Und der SZ-Journalist Willi Winkler will sich nicht festlegen: „Polizeitaktisch, das muss man sagen, war der Herr Urbach sehr erfolgreich. Allerdings wurde die Szene (Winkler meint hier dann die RAF und die Bewegung 2. Juni), die nach diesem meisterhaften Plan kriminalisiert werden sollte, am Ende doch zu groß. Ich vermute, dass sich der Innensenator nachher sagte: ‚Ich hab’s ja bloß gut gemeint.’“ Von viel „Erfolg“ kann eigentlich nicht die Rede sein. Die unberechtigten Verhaftungen von Langhans und Kunzelmann nachdem Urbach seine Bomben im Klo, das sich außerhalb der Kommune 1 befand, verstaut hatte, mögen im Sinne Neubauers zur Erhöhung der Spannung beigetragen haben, aber die Polizei war hier nur Teil der Provokation des LfV. Ähnliches kann für die Verhaftung Baaders geltend gemacht werden, obgleich der nun tatsächlich illegal die Waffen des Agenten auf einem Friedhof in Buckow abholen wollte. Für
Springer-Autor
Sven Felix Kellerhoff ist
selbst 2008 noch alles unklar: „Die Rolle von
Peter Urbach wird nie ganz
geklärt. Während er bei den radikalen Studenten ein- und ausgeht,
versorgt er zeitgleich den West-Berliner Verfassungsschutz mit
Informationen. Ob er nur ein
Spitzel ist oder sogar ein
Agent Provocateur, der linksradikale Kreise militarisieren soll,
bleibt umstritten.“ Na ja, immerhin hält er es für möglich.
Tatsächlich leitete die Staatsanwaltschaft laut
Justizpressestelle
am
21.06.1971 beim
Landgericht Berlin gegen
Neubauers V-Mann Peter
Urbach ein Ermittlungsverfahren ein. Aufgrund von drei Anzeigen will
die Staatsanwaltschaft zunächst prüfen, welche Aktionen Urbachs
als "Straftaten in Frage kommen, welche verjährt sind und welche unter
die Amnestie für Demonstrationsstraftaten fallen".
Ein Ergebnis ist nicht bekannt geworden. Vermutlich wurde es
eingestellt, nachdem Urbach ins Ausland gebracht wurde.
Die früheren Verbrechen Was lag also noch gegen den „Agent provocateur“ (so von SZ, Spiegel, Stern, Kraushaar und vielen anderen bezeichnet) vor, was sind seine minderen Verbrechen? Auf Demos animierte
Urbach Demonstrierende zum
Steine werfen. Selbst junge Frauen versuchte er auf diese Weise zu
inkrimieren mit den Worten: „Traust du dich nicht?“ Immerhin wurde eine
solche Tat auch damals schon mit „schwerem Landfriedensbruch“ geahndet,
also in der Regel mit einer Gefängnisstrafe. Ein VS-Mann nahm also in
Kauf, dass seine „Kollegen“ von der Polizei durch die von ihm animierten
Steinwürfe schwer verletzt werden konnten, wenn nicht gar getötet, wie
das bei den Osterunruhen in München in zwei Fällen passiert ist.
Ostern 68, nach dem Attentat des Josef Bachmann auf Rudi Dutschke, verteilte Urbach Molotov-Cocktails vor dem Springer-Hochhaus in Berlin Kreuzberg an gegen die Hetze dieses Konzerns Demonstrierende. Die Mollies wurden gerne entgegen genommen und viele Springerauslieferungsfahrzeuge auf dem gegenüberliegenden Parkplatz gingen in Flammen auf. Innensenator Neubauer soll auf dem Dach des Springer-Hochhauses gestanden und den Aufruhr aus nächster Nähe beobachtet haben. Ob Urbach tatsächlich die Mollies brachte, ist nicht 100% geklärt. Bislang beziehen sich alle Autoren auf eine einzige Quelle: Bommi Baumann. Dieter Kunzelmann ist sich da mit dem LfV einig. Beide bestreiten das. Dazu später mehr.
Der Sekretär des Republikanischen Clubs, Michael Böhme, wurde bald danach Zeuge mehrerer Vorgänge: ,,In mehr als einem Fall hat Urbach Bomben an Genossen ausgehändigt und den Tip gleich mitgeliefert, wo sie am wirkungsvollsten zu zünden seien." Böhme zeigte sich hellsehend; er verbürgte sich dafür, daß eine Reihe von Sprengstoffanschlägen bei bevorstehenden Prozessen noch eine sensationelle und politisch makabre Aufklärung finden würden. Er glaubte bereits zu wissen, dass auch „der spektakuläre Blindgänger“ (Stern), der im November 1969 im Cola-Automaten des Jüdischen Gemeindehauses in Westberlin entdeckt wurde, dem Arsenal des Verfassungsschutz-Agenten entstammte. Der ehemalige Berliner SDS-Vorsitzende Tilman Fichter schrieb in seinem Leserbrief an den Spiegel vom 27. Oktober 1980 von einem gleichen Vorgang mit Urbach in den Räumen des INFI. Am 26. Februar 1969, einen Tag vor dem Berlin-Besuch des damaligen US-Präsidenten Nixon habe Urbach einen Koffer mit 12 bis 13 Brandsätzen ins INFI gebracht und angefangen diese an zufällig Anwesende zu verteilen, was ihm in wenigen Fällen auch gelungen sei. Fichter habe ihn dann aber gezwungen, dieses Zeug in sein Auto einzuschließen, das vor dem Hause geparkt war, und die Schlüssel auszuhändigen, um zu gewährleisten, dass es am nächsten Tage vernichtet werden könnte. Am nächsten Tage sei das Auto aber verschwunden gewesen, vermutlich mit einem Zweitschlüssel von Urbach wegbewegt. Urbach behauptete danach, er habe die Brandsätze im Landwehrkanal entsorgt. Das war eine dreiste Lüge. Er deponierte sie schlicht in nahe gelegenen Kommunen. Innensenator Peter Ulrich bestätigt indirekt diesen Vorgang in seinem Brief an Dr. Andreas Gerl. Urbach habe „zwar bombenähnliche Körper mit zum sog. INFI gebracht, diese dort aber nicht verteilt.“ Angeblich hätte er sie „am gleichen Tage von einem anderen Angehörigen der damaligen APO mit der Auflage erhalten, sie zu dieser Besprechung im INFI mitzubringen.“ Mit anderen Worten, falls Urbach die Brandsätze tatsächlich nicht selber hergestellt hat, hätte das Amt in diesem Fall die „wahre Quelle“ dieser Brandsätze gekannt und eine Meldung an die Strafbehörden unterlassen, was eine sträfliche Unterlassungssünde gewesen wäre. Wir dürfen also weiterhin davon ausgehen, dass er sie selber und mit Wissen seiner LfV-Führer, Jachmann und Michael Grünhagen, fabriziert hat, wenn nicht gar mit diesem zusammen.
Eckhard Siepmann
beschrieb diesen
Bombenverteilungsvorgang
recht plastisch.
Heftiges Klopfen weckte
Siepmann eines Nachts. Als
er öffnete, stand er »einem halben Dutzend Beamter mit Maschinenpistolen
gegenüber: Hausdurchsuchung! Die ganze Wohnung wurde auf den Kopf
gestellt, der Keller und das Auto durchsucht. Dann zog die Camarilla
erfolglos ab. Ein paar Tage vorher hatte
Peter Urbach angerufen. Ob
wir etwas für ihn aufbewahren würden? (...) Als er mit einem
grau-braunen Paket ankam, fragte ich: `Sag mal
Peter, wie kommt es
eigentlich, dass von allen Berliner Arbeitern du der einzige bist, der
zu uns hält?´ – `Tja,
Ecki,
die einen verstehen es und die anderen nicht´, war die vage Antwort des
Agenten des Berliner Verfassungsschutzes. Das Paket stand gut verschnürt
da herum, so sprachlos, so unaufdringlich – einer Eingebung folgend
schaffte ich es aus dem Haus, ohne
Peter zu verständigen –
anders als die Molotow-Cocktails, die der Berliner Senat über
Urbach zum Abfackeln der
Springer-Autos nach dem
Attentat auf Dutschke zur
Verfügung gestellt hatte«. Am 6. März 1969 fand die Polizei
dann bei einer Razzia ein von
Urbach geliefertes Bombenpaket in der
Kommune 1, in der Moabiter
Stephanstr. 60. Dieter
Kunzelmann und Rainer
Langhans wurden dafür verhaftet. Später wurden deswegen auch
Haftbefehle gegen Ralf Reinders
und Bernard Braun
ausgestellt.
Als
Attentat
wird gemeinhin „eine Gewalttat“ bezeichnet, „die auf die Schädigung oder
Tötung eines zumindest im Interessenkreis des Attentäters stehenden
Entscheidungsträgers abzielt und ideologisch (religiös, politisch,
sittlich) motiviert ist.“ Wollte
Baumann den zurecht als Kriegsverbrecher angesehenen
Nixon tatsächlich auf diese
Weise umbringen? Selbst, wenn er es gewollt hätte, er muss gewusst
haben, dass er das auf diese Art nicht hätte leisten können. Das Gerede
vom „Attentat“ stellt sich so als Bluff heraus, dem aus anderen Gründen
einige Autoren leider folgen.
Neuerdings
betont
Baumann jedoch wieder den
„Bluff“. In einem Interview mit Jürgen Elsässer bringt er alles durcheinander:
„Ohne
Urbach
ist eine Bewaffnung der demonstrierenden Studenten nicht vorstellbar. Am
Kudamm hat er immer wieder aus seinem Auto heraus Bomben verteilt – vor
dem Büro der INFI,
der Internationalen Infoinitiative, einem Ableger des SDS. Mit einer
dieser Bomben wollten wir – ich war damals im
Zentralrat der Umherschweifenden
Haschrebellen
– den US-Präsidenten
Richard Nixon
bei seinem Berlin-Besuch Ende Februar 1969 in Kreuzberg in die Luft
jagen. Der Sprengkörper ging aber wegen Kabelbrand nicht hoch und die
Aktion wurde deswegen auch nicht entdeckt. Trotzdem hat der damalige
Polizeipräsident Klaus
Hübner
kurz darauf den versuchten Anschlag öffentlich gemacht. Das hat er
eigentlich nur von
Urbach
wissen können, dem Bombenlieferanten – sonst wussten das nämlich nur
noch zwei andere, einer davon war ich. Die
Nixon-Bombe
wurde von uns übrigens restauriert und kam dann am 9. November 1969
gegen die Jüdische
Gemeinde
zum Einsatz.“ In:
Elsässers Blog,
5.7.2011. Das Kürzel
INFI stand nicht für
„Infoinitiative“, sondern für „Internationales Nachrichten- und
Forschungsinstitut“, der
Nixon-Besuch in Berlin fand Ende Februar statt, der
Zentralrat der umherschweifenden Haschrebellen, in dem er zu
der Zeit Mitglied gewesen sein will, erblickte erst im Sommer des Jahres
das Licht der Welt. Ob derselbe Brandsatz dann den Weg ins
Jüdische Gemeindehaus gefunden hat, ist mehr als fraglich. Woher
will er das wissen, wo er doch mit dieser Aktion nichts zu tun hatte?
Die Staatsanwaltschaft hat 1971 die gegen
Urbach erhobenen
Beschuldigungen geprüft und hat alle eingeleiteten Ermittlungsverfahren
eingestellt, mit einer Ausnahme.
Urbach hatte ein Jagdgewehr ohne Wissen des LfV an eine
unautorisierte Person weiter gegeben, wofür er sich eine Geldstrafe
einfing. (Schreiben
des Innensenators Peter Ulrich
an Dr. Andreas Gerl,
Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses, vom 16. Januar 1981, zitiert
in Kraushaar, S. 180).
Die Pistolennummer „S-Bahn-Peter“ bot bereits im Herbst 1968 einzelnen GenossInnen Pistolen an, so auch dem Autor dieser Zeilen. Er begründete das mit der Situation der sog. Frankfurter Kaufhausbrandstifter (Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll, Horst Söhnlein), die im Gefängnis saßen. Was die Pistolen gegen diesen Umstand ausrichten könnten, ließ er offen. Ich lehnte das Angebot ohne weitere Diskussion ab, redete aber mit niemandem darüber. Warum er ausgerechnet mir dieses Angebot machte, obwohl ich die Kaufhausbrandstiftung in keiner Weise für berechtigt gehalten hatte, bleibt sein Geheimnis. Bommi Baumann hat in seiner Erzählung (Wie alles anfing, Trikont-Verlag München 1975, 1. Auflage, S. 110) berechtigterweise auf den Umstand hingewiesen, dass der Verfassungsschutz über Urbach die Waffen geliefert hat, mit denen dann auf Polizisten geschossen wurde. Er folgert daraus, als Marionetten fremder Interessen missbraucht worden zu sein und fährt fort: „Wenn sie uns selber die Waffen in die Hand drücken, dann haben sie ein großes Interesse daran, dass sie auch benutzt werden…. Sie drücken uns die Waffen in die Hand, damit wir ihre eigenen Leute abballern können.“ Auf die Frage, wessen Interessen mit diesem Verfahren zum Durchbruch verholfen werden sollten, hat er keine Antwort. Baumanns Intimfeind Dieter Kunzelmann glaubt, es handele sich um den „ständigen Nachweis“ der Existenzberechtigung der „Dunkelbehörden“: „Primär geht es … um die Erweiterung der Macht dieser Dienste, die jeglicher Kontrolle entzogen ist." (Dieter Kunzelmann, Der Zorn über das Elend der Zeitgeschichte, taz, 12.3.1986, S. 9). Im Februar 1969, bot er Herrmann von Rohde, einem Mitbegründer der neu entstandenen Redaktion der Rote Presse Korrespondenz (RPK), die angeblich gestohlenen Beretta-Pistolen der Polizei gleich en gros an: „Ich habe eine Kiste mit 50 Pistolen. Wenn mal der Aufstand losbricht, müssen wir doch bewaffnet sein.“ (Jürgen Serke, Michael Seufert, Walter Unger: Der Spitzel des Senators. In: Stern Nr. 23, 1971, S. 36.). Gerd Koenen will auch wissen, "wie er den Machern des INFI, des designierten 'Che-Guevara-Instituts', fünfzig Pistolen aus angeblich abgezweigten Polizeibeständen anbietet, da die Revolution doch bewaffnet sein müsse." Für diese Behauptung fehlt jedoch jeglicher Beleg. Möglicherweise hat Koenen diese Geschichte mit der von de RPK verwechselt. Das INFI war ein sich als antiimperialistisch verstehendes, wissenschaftlich arbeitendes Institut, das zur Unterstützung der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt, in der Folge des Internationalen Vietnamkongresses, gegründet worden war. Es war kein Zentrum zur Durchführung oder Planung praktischer Aktionen. Von daher gehen Spekulationen über die Urheberschaft des INFI am von Bommi Baumann geschilderten, wenn auch gescheiterten "Anschlags" auf US-Präsident Nixon, völlig fehl. Anfang 1969, im Februar/März, bekam Urbach Wind von einer von SDSlern geplanten Reise nach Italien, die dazu dienen sollte, für griechische GenossInnen Kontakte zu knüpfen, die für Guerilla-Foci in dem seit April 1967 von einer faschistischen Junta beherrschten Heimat materielle Unterstützung suchten. Im SDS wurde befürchtet, der Faschismus könnte sich in Europa erneut ausbreiten. Rudi Dutschke formulierte diese Perspektive noch kurz vor dem Attentat, das er nur schwer verletzt überlebte: „Durch Griechenland ist Vietnam auch nach Europa gekommen. Das ist einfach keine Drohung, sondern eine zweifelhafte Perspektive, die sich auch für die Bundesrepublik ergibt.“ (Diskussion in der Evangelischen Akademie Bad Boll am 6.2.1968) Sofort bot Urbach seine „Hilfe“ an. Sein Onkel, ein LKW-Fahrer, sei häufig in Italien, kenne sich da gut aus, könne gutes Material besorgen und es zur Verfügung stellen. In Italien trafen die SDSler dann nicht auf Urbach oder gar dessen Onkel, sondern auf eine Horde italienischer Verfassungsschützer. Das hinderte Urbach aber nicht, einen Bericht an seine Behörde zu schicken, er sei dort gewesen und hätte die SDSler an der (nicht-existenten) „deutsch-italienischen Grenze“ getroffen. Dieser Bericht fand 1972 Eingang in das von Verfassungsschutzpräsident Horst Herold so bezeichnete „miese Machwerk“ „Baader-Meinhof-Report“ (Ohne Verfasserangabe, „Aus den Akten des Bundeskriminalamtes, der "Sonderkommission, Bonn" und dem Bundesamt für Verfassungsschutz“). Von dieser Quelle nährt sich die von einigen Forschern und Autoren behauptete These, diese Reise sei allein von den Kommunarden aus der Wielandkommune durchgeführt worden und sei die erste Waffenbeschaffungstour der RAF gewesen. Die RAF gründete sich Ende des Jahres 1969, bzw. Anfang 1970. Um die Lücke zwischen der Italienreise und der RAF-Gründung zu überbrücken, verlegen diese Schreiber (wie Kunzelmann-Biograf Aribert Reimann) deshalb die Reise um Monate in die zweite Hälfte des Jahres. Keiner der beteiligten SDSler war an der RAF-Gründung beteiligt oder wurde jemals später Mitglied dieser Organisation. Bommi Baumann zieht in seinen vagen Erzählungen zwar eine Linie von der Wielandkommune zu seinen eigenen Guerilla-Aktivitäten, aber nicht zur RAF. Dieter Kunzelmann wurde zeitweilig ebenfalls nachgesagt, er wäre mit in Italien gewesen. Er konnte, als er schon AL-Abgeordneter im Berliner Parlament war, das Gegenteil gerichtlich nachweisen und Kapital (3,000 DM) aus dieser Falschbehauptung eines Journalisten schlagen.
Die Ächtung Nach dieser Erfahrung mit den italienischen Beamten, die in Vicenza auf die Berliner SDSler schon gewartet hatten, und es klar war, dass nur Urbach die Quelle für diese Maßnahme gewesen sein kann, dazu die Koinzidenz mit den Razzien nach seiner Bombendeponierung in verschiedenen Kommunen, organisierten die Italienfahrer eine Info-Veranstaltung im Büro des Sozialistischen Anwaltskollektivs von Horst Mahler, Christian Ströbele und Klaus Eschen, um alle interessierten GenossInnen aufzuklären und sie nachdrücklich vor einer weiteren Zusammenarbeit mit Urbach zu warnen. Etwa 20 bis 30 SDS-GenossInnen nahmen an dieser Veranstaltung teil. Horst Mahler, der ebenfalls dabei war, erklärte viele Jahre später (1998), er hätte sich danach mit Urbach getroffen und dessen (abweichende) Version der Ereignisse für möglich gehalten und ihm erneut vertraut.
Urbachs größter „Erfolg“ Urbachs Pistolennummer brachte ihm letztlich den größten Erfolg. Horst Mahler, Andreas Baader und Gudrun Ensslin waren so wild auf Bewaffnung, dass sie alle Warnungen gegen Urbach in den Wind schlugen und 1970 dann in seine Falle tappten. Baader, der seine Rest-Gefängnisstrafe aus dem Kaufhausbrandstifterurteil (drei Monate bis zur „Halbzeit“, bei der zumeist entlassen wurde) nicht antreten wollte, lebte bereits im Untergrund. Auf der Fahrt zum angeblichen Waffendepot wurde er dann gefasst. Anstatt ein paar Monate auf seine Freilassung zu warten, plante die angehende RAF seine bewaffnete Befreiung. Damit nahm das Unheil seinen wirklichen Anfang. Gudrun Ensslin übergab einem 883-Redakteur ein Foto des „Verräters“ Urbach und erweckte bei ihm den Eindruck, dass die Gruppe ihn erschießen wolle. Die Redaktion beschloss, das Foto nicht zu veröffentlichen. Sie wollte nicht für einen eventuellen Mord mit verantwortlich sein.
Schwarzer Pakistani –starker Shit vom LfV Nachdem Urbach eigentlich als Agent längst verbrannt war, versuchte er dennoch Kontakt zu halten. Er informierte den zum Haschrebellen mutierten Bommi Baumann über seine Möglichkeiten Haschisch zu besorgen. Als die üblichen Quellen in einem Sommertag im Szenetreff „Zodiak“ (Foyer des Theaters am Halleschen Ufer) ausblieben, erbot sich Bommi, nach Wilmersdorf zu fahren und vom „Verfassungsschutz Haschisch abzuholen“, wie er sich unmissverständlich ausdrückte. Tatsächlich fuhr er in die Wilhelmsaue und kam zurück mit einem halben Pfund reinsten schwarzen Pakistani, das er dann an seine Freunde verteilte.
Kalte Füße Diese Episode zeigt eine Eigentümlichkeit dieses Agenten. Er scheute sich nicht, seine Familie, Frau und zwei Kinder, mit in seine Machenschaften zu ziehen. Vorher schon, als er noch nicht geächtet war, lud er hin und wieder die von ihm Bespitzelten in seine Wohnung und zeigte ihnen Waffenkataloge und diskutierte mit ihnen. Erst nachdem er Baader hat auffliegen lassen, bekam er kalte Füße und verlangte von seinem Amt, ihn zu schützen. Was das Amt und dessen Boss, Innensenator Neubauer, auch taten. Er wurde verdonnert, im Prozess gegen die RAF-Leute und auch später nichts auszusagen und im Gegenzug versprachen sie ihm, eine Exilexistenz zu ermöglichen. Er verschwand auf Nimmerwiedersehen. Seine Frau und Kinder gingen mit ihm unerkannt nach Kalifornien. Seine Frau jedoch hielt es nicht lange aus in der fremdsprachigen Ferne und ging ohne Kinder zurück nach Deutschland. Er selbst etablierte sich als respektierter Rohrleger, trat in die Gewerkschaft ein und heiratete noch zweimal. Mit seiner dritten Frau zeugte er sogar noch mal ein Kind. Vor zehn Jahren allerdings versagten seine Nieren und er musste an die Dialyse. Kein angenehmes Ende.
Die Akten?
Was sonst? Es können nicht alle Missetaten oder Verdienste des Klempners
Peter Urbach,
alias S-Bahn-Peter,
aka Uwe Mallmann
(Achtung Forscher: nur in Haschrebellenkreisen genutzt) aufgeführt
werden.
Eine Quelle
besagt, der Verfassungsschutzspitzel
hätte den Vorschlag, die Freiheitsglocke zu sprengen, unterbreitet.
Eine Ex-Kommunardin der Wieland-Kommune
ist überzeugt davon, dass er Teile ihres teuren Schmucks gestohlen habe.
Es liegt in der Natur der Sache, dass nicht alle seine Aktionen bekannt
wurden, bzw. Eingang in Verfassungsschutzakten fanden. Vermutlich hat er
nicht alles gemeldet, weil es ihn selbst inkriminiert haben könnte, noch
ist davon auszugehen, dass die Akten noch vorhanden sind. Vor jetzt
schon mehr als 12 Jahren schrieb das Amt Personen aus dem Umfeld der
Haschrebellen
an, ob sie damit einverstanden wären, dass die Akten über sie vernichtet
werden könnten. Einige der Angeschriebenen, wie etwa
Dieter Kunzelmann,
verweigerten die Zusage und verlangten die Überführung der Akten in ein
Forschungsprojekt. Eine Reaktion des Amts auf diese Initiative von
Betroffenen ist nicht bekannt.
Was bleibt? Die Literatur:
1981 spielte die Figur Peter
Urbach, neben Dutschke,
Meinhof u.a. eine Rolle in dem Schauspiel “How
It All Began”, adaptiert und von dem später sehr
erfolgreichen Broadway-Regisseur
Desmond McAnuff anlässlich des
New York Shakespeare Festivals,
auf eine New Yorker Bühne gebracht, dem
Joseph Papp Public Theater.
Dargestellt wurde er von
Gregory Mortenson, jetzt
Regisseur in Los Angeles.
Bommi Baumann wurde von dem
Ko-Autor des
Stückes und späteren Filmstar
Val Kilmer gespielt.
Kilmer war Student der New
Yorker Juillard School und
Mitglied einer Gruppe von Studenten, die unter dem Namen „Group
X“ das Stück ursprünglich nach Vorlage des
Bommi-Buches und vielen
Zeitungsmeldungen schrieb. Das Stück kam bei der Kritik allerdings nicht
gut an. Frank Rich von der
New York Times meinte, es
sei von zu vielen Fakten
überladen, anstatt mehr Leben zu zeigen.
Das historische Urteil
Der
Spiegel
fasste im Sommer 1970 die Lage des Bewusstseins der Berliner Linken, der
„ungezählten anarcho-kommunistischen Zirkel“ nicht ganz falsch so
zusammen:
„Sie bestreiten die Legitimität des einst unumstrittenen staatlichen
Gewalt-Monopols und halten nahezu jede staatliche Gewaltanwendung für
illegitim. Für sich selbst jedoch beanspruchen sie das von
Herbert
Marcuse
für "unterdrückte und überwältigte Minderheiten" proklamierte
"Naturrecht" auf Widerstand" und rufen zu "Kommando-Aktionen" nach dem
Vorbild der El-Fatah auf oder zum "Volkskrieg" maoistischer Prägung.“
Wie lässt sich in einer solchen Lage, trotz der Wissenslücken bezüglich seiner Taten, Urbachs Wirken historisch einordnen? War er vergleichbar in seiner Rolle mit dem berühmten russischen Doppelagenten Jewno Fischelewitsch Asew, der als Chef der Terrorabteilung der Sozialrevolutionären Partei fungierte? Oder spielte er eher eine Rolle wie Joseph Conrads „Geheimagent“, der seinen debilen Ziehsohn mit einer Bombe zu einem Attentat anstiftete? Bei allem Talent, das Urbach an den Tag legte, verfehlte er deren Qualität. Asew bzw. Conrads „Secret Agent“ Adolf Verloc hatten beide eine eigene Agenda und spielten auf beiden Klavieren, sie waren überzeugte Terroristen (Asew) bzw. Anarchisten (Verloc) und doch arbeiteten sie mit den Behörden zusammen. Urbach schleuste zumeist ungefragt Molotov-Cocktails, Waffen und Pattex/Tesakrepp-umwickelte Brandbomben in die linke Szene. Einzig Mahler und Baader verlangten dies von ihm. Selbst für die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus bestand vermutlich kein Auftrag. So gesehen, geht der Vorwurf an die Adresse des Senats (Neubauer) fehl, dieser hätte direkt etwas mit diesem Attentat zu tun. Verantwortlich waren die Behörden allerdings für die ursprüngliche Verteilung. Sie wussten davon, bzw. hatten eventuell sogar den Auftrag dafür erteilt, denn anschließend führten sie Razzien in verschiedenen Kommunen durch und wurden zB in der Kommune 1 sogar fündig. Der
Marx-Biograf
Richard Friedenthal
schreibt ein ganzes Kapitel zu dem Spitzel
Wilhelm Stieber, der die
Bewegung der Kommunisten ausspionierte, das
Friedenthal so begründet:
»Revolution und Kriminalpolizei hängen nun einmal sehr eng zusammen. Die
Polizeizustände, meist nur mit Hohn oder Erbitterung von den Historikern
revolutionärer Bewegungen zur Kenntnis genommen, sind ein sehr
wesentliches Element der staatlichen Organisation.“
Spitzelbuchautor
Markus Mohr
zitiert
in der Zeitung „junge Welt“ den Kriminologen
Fritz Sack, der in
Urbach „ein Instrument der
sozialen Kontrolle von Seiten der staatlichen Behörden“ sieht, „das
einige der späteren terroristischen Handlungen ermöglichen und
vorbereiten half.“ Ein „Instrument der sozialen Kontrolle“, etwa so wie
der New York Times Kolumnist
Frank Rich den Irak-Krieg als Mittel zum Zweck durch den
Bush-Wahlkampf-Strategen Karl
Rove sieht (Frank Rich, The Greatest Story Ever Sold, NY 2006, S.
217). Die SDS-Chronisten Tilmann Fichter und Siegward Lönnendonker machen auf einen anderen Aspekt aufmerksam. inwieweit „ein agent provocateur in bestimmten historischen Situationen eine objektiv revolutionäre Funktion erfüllen kann“. Markus Mohr verweist auf die Aussage des Ex-SDSlers Klaus Hartung, der dieses Kriterium für die „Schlacht am Tegeler Weg“ im November 1968 geltend macht. Das Resultat dieser Demo waren 130 verletzte Beamte -- sechsmal mehr als bei den Angreifern. S-Bahn-Peter steht im Verdacht, einen LKW mit Steinen längs der Demoroute geparkt zu haben, aus dem sich die Demonstrierenden bedient hätten, um der Polizei im Straßenkampf eine Niederlage zu bereiten. Dies wäre tatsächlich etwas, das mit „Asewsche Qualität“ bezeichnet werden könnte, geht hier aber fehl, weil dieser Verdacht bislang nicht belegt wurde. Bleibt ihm nur sein positives Handwerkertum und die Mollies am Sturm auf das Springer-Haus, die revolutionär interpretiert werden könnten. Nicht besonders viel also. Selbst die Lieferung der Mollies wird ihm von Dieter Kunzelmann streitig gemacht. Diese Behauptung sei einzig und allein von Bommi Baumann, dessen Namen er geflissentlich auslässt, in Umlauf gebracht worden und sei völlig falsch. Er schreibt in seiner Autobiografie „Leisten Sie keinen Widerstand“ (Transit-Verlag 1998), sein Mitkommunarde Rainer Langhans hätte sein technisches Wissen den anwesenden Demonstrierenden mitgeteilt, wie diese Fahrzeuge per Anzünden außer Gefecht gesetzt werden könnten: „Uns versorgte mit Ratschlägen ein Experte: niemand kannte sich mit Automotoren, Benzintanks und Ölleitungen besser aus als Rainer Langhans. Schließlich war sein Vater Gebrauchtwagenhändler“. (S. 98). 1986 sah Kunzelmann das noch etwas differenzierter: „Selbst wenn die eine oder andere Brandflasche von Urbach kam, es gab am Abend des 11. April 68 unter den 10.000 vor dem Springer-Hochhaus sicher wenige, die das Anstecken der Auslieferungslaster missbilligt hätten. (taz 12.3.1986, S. 9). Ansonsten unterstellt Kunzelmann dem Urbach „die Freude am Doppelspiel“ und vergleicht Urbach mit dem Ochrana-Spitzel Malinowski. Im übrigen glauben beide, Langhans und Kunzelmann, nicht an die gezielte Infiltration der Kommune durch Urbach, sondern meinen, „S-Bahn-Peter“ hätte eine Art Rückversicherung durch die Behörden gesucht, nachdem er an mehreren Aktionen beteiligt gewesen war und sogar eine geringfügige Verurteilung in Kauf genommen hatte. Schließlich war er ja Familienvater und für Frau und Kinder verantwortlich gewesen. Da habe er eben kalte Füße bekommen. (Kunzelmann, S. 99; Langhans, Tagesspiegelinterview vom 23.3.2012).
Die Urbach-Bombe revisited Als nach dem Attentat auf das Jüdische Gemeindehaus, laut Kunzelmanns Autobiografie angeblich eine „Inszenierung von Geheimdiensten“, in einer Versuchsanordnung die Bombe zur „Explosion“ gebracht wurde, waren Krokodilstränen Krokodilstränen vom Lieferanten der Bombe, Innensenator Kurt Neubauer und seinem Leiter der Kriminaltechnischen Untersuchungsanstalt, Herrn Dr. Helmut Gansau, zu hören, die Bombe hätte hätte unter den 250 Besuchern der Veranstaltung viele Menschenleben kosten können. Urbach hatte den Rezipienten erzählt, seine Bomben seien aus Unkraut EX und Zucker gemischte Brandbomben, umwickelt mit Pattex-getränktem Tesakrepp. Davon ging z.B. Abi Fichter aus, der schließlich eines dieser Brandsätze in das Jüdische Gemeindehaus brachte. Dieser Behauptung wurde von Seiten der Behörden nicht widersprochen, obwohl in dem späteren Polizei-Bericht nicht mehr von Zucker die Rede ist. Wenn dies aber wahr ist, können die Bomben keine „Explosiv“kraft entwickelt haben, sondern waren qualitativ mit Molotov-Cocktails vergleichbar, sie waren Brandsätze und keine Sprengbomben, wie zB Wolfgang Kraushaar und andere irrtümlich annehmen. Aber selbst wenn es nur ein Brandsatz war, hätte ein Feuer eventuell auch schweren Schaden anrichten und ggf. sogar Menschenleben kosten können. So gesehen, wird die Aktion zurecht als terroristisches Attentat bezeichnet. Der Spiegel
berichtete, dass am 28.
November vor der Wohnungstür des Landgerichtsdirektors Dr Hans
Heinsen eine gleichartige Bombe „verpuffte“. Der Unterschied
war allerdings die Gasrohrummantelung. Die darin enthaltenen
„1850 Gramm-Sprengstoff“
hätten einen „heißen Strahl von 2000 Grad Celsius“ erzeugt. 24 Stunden
später wurde die dritte Bombe gefunden, diesmal in einem Blecheimer
versteckt, unter dem Veranda-Fenster der Villa des Oberstaatsanwalts und
Anklägers in zahlreichen Studentenprozessen, Horst Severin.
Und der Spiegel weiter: „Keine der Bomben explodierte, und unklar blieb,
ob ihre Bauweise eine Explosion überhaupt bewirken konnte. Denn die
Zündmechanismen -- Weckuhr, Batterie und Glühdraht -- waren
offensichtlich ungeeignet, den Sprengstoff -- regelmäßig eine rund
zwei Kilo schwere
Pattex-Kaliumchlorat-Masse -- in die Luft zu jagen.
Als sicher hingegen erscheint der
Berliner Polizei, daß alle drei Sprengkörper aus derselben
Bastlerwerkstatt stammen und nach denselben Rezepten gefertigt wurden --
wie das explosive Paket, das Polizisten bei einer Hausdurchsuchung in
der Berliner Ur-"Kommune I" Anfang März gefunden
hatten.“
Die Polizei vermutete „die Pattex-Spezialisten in einer "äußerst kleinen
Gruppe", denn aus jedem anderen Zirkel, glaubt Polizei-Chef
Klaus Hübner, hätten "die
Leute, die uns darüber auf dem laufenden halten, was die einzelnen
Gruppen tun und planen, längst berichtet.“
Meinte
Hübner damit Urbach? Der war zwar beim SDS
und der Wieland-Kommune
inzwischen als Spitzel erkannt, aber offiziell war er noch nicht
enttarnt und hielt weiterhin Kontakt zu
Horst Mahler, dem künftigen
Gründer der RAF.
Abi Fichters
Aussagen sind nicht immer ganz konsistent und in einigen, eher
unbedeutenden Details
falsch, aber der Kern seiner Darstellung korrespondiert in weiten Teilen
mit dem amtlichen Befund, zumindest insoweit er von
Kraushaar korrekt wieder
gegeben ist. Demnach hat die Garderobenfrau am nächsten Tage den Mantel
mit der "Bombe" in der Garderobe „im ersten Stock des Gebäudes … in der
Bodenöffnung eines Getränkeautomaten, der sich hinter der Theke
befindet“ gefunden. Die Sonderkommission der Politischen Polizei unter
KOK Wolfgang Kotsch hat den
Fund vor Ort untersucht und in einem Bericht festgehalten, was es war:
Ein Wecker, Batterie-Elemente und ein in rotes Ölpapier eingewickeltes
Paket. Alle drei Teile waren mit Draht verbunden, der angelötet gewesen
sei. Das Paket selbst habe etwa 1000 Gramm gewogen. Beim Betasten des
Paketes sei festgestellt worden, dass es sich „um eine knetbare Masse
gehandelt habe“,
die demnach nicht verdämmt gewesen war.
Der „Leiter der Abteilung
für kriminaltechnische Untersuchungen“,
Dr. Gunther Paulig, lässt
den Fund zum Sprengplatz im Grunewald bringen, unterlässt allerdings die
sofortige Sprengung und ordnet eine „Entlaborierung“ an. (S. 30).
Am Folgetag wird das Ergebnis dieser labortechnischen Untersuchung bekannt gegeben: Das Paket bestand demnach aus einem „Gemisch aus Kaliumchlorat und Pattex“. „Experten der Kriminalpolizei“ stellen fest, diese Konstruktion ähnele derjenigen des am 5. März 1969 bei einer Hausdurchsuchung in der Kommune 1 beschlagnahmten Gegenstandes. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätten bei Herrn Kotsch alle Alarmglocken läuten müssen. Er muss gewusst haben, wer ihm den Tipp zur damaligen Razzia gegeben hatte. Das war ja niemand anderes als sein Kollege vom LfV.
Im Bewusstsein, dass das
LfV hier verstrickt war,
wird nun nicht etwa zurück gesteckt, nein, im Gegenteil, jetzt setzt die
Polizei noch einen drauf. Zunächst wird das Fundstück fachmännisch
entschärft und dann genauer untersucht. In der Verpackung fand man eine
Glühpille, die in einem 4 cm langen Röhrchen aus Silberpapier steckte,
in dem ein Pulver vorhanden war. Darunter wurde eine Plastikflasche
entdeckt, 8 cm lang und 2,5 cm im Durchmesser mit Schraubverschluss. Die
Plastikflasche, die eine bläuliche Flüssigkeit enthielt, von der kein
Analysebefund vorliegt, war „in eine knetbare, höchstwahrscheinlich aus
Pattex und Kaliumchlorat bestehenden Masse eingebettet gewesen.“ Das
Ganze habe „ca. 1500 bis 2000 Gramm“ gewogen, in einen „weißen
Plastikbeutel gefüllt, mit Silberpapier flaschenförmig fest verpackt und
von außen mit rotem Papier und rotem Isolierband fest umklebt.“ In einem
weiteren Bericht vom 8. Januar 1970 wird bekannt
gegeben, dass das in dem Silberröhrchen gefundene Pulver aus 90%
Unkraut-Ex und 10% Schwefel bestand. (S. 36). Noch im November, also nur ein paar Tage nach dem Fund und noch vor der endgültigen Analyse vom Januar 1970 wird ein „Duplikat der Bombe zur Sprengung gebracht.“ Wie man ein Duplikat herstellen kann, ohne genau zu wissen, woraus das Original bestand, dürfte ein schwieriger Prozess gewesen sein. Polizeifeuerwerker Walter Braun steckt die rund zwei Kilogramm wiegende Sprengladung in eine dickwandige Holzkiste, dämmt sie mit Sand ein und bringt sie anschließend zur Explosion. Wie Messungen ergeben, werden die zersplitterten Einzelteile mit einer Detonationsgeschwindigkeit von 3,5 km/sec etwa 50 Meter weit über das Gelände katapultiert.“
Mit anderen Worten, die
Sprengung, die vom Fernsehen gefilmt und in der Berliner Abendschau dem
schaudernden Publikum präsentiert wurde, war keineswegs ein „Duplikat“
des gefundenen Objekts. Nicht nur war bis dahin nicht bekannt, welche
Art von Pulver sich in dem Röhrchen aus Silberpapier befand, bzw. welche
„bläuliche Flüssigkeit“ in der Flasche war, sondern zusätzlich verdämmte
man die ganze Anordnung. Die „dickwandige Holzkiste“ und die Umhüllung
durch festen „Sand“ sind klassische Methoden der Verdämmung, die aus
Brennmaterial einen gefährlichen Explosionsstoff machen können.
Kraushaar zitiert einen
weiteren „Leiter der kriminaltechnischen Untersuchungsanstalt“, einen
Herrn Dr. Helmut Gansau, der
„später feststellt“, die Bombe hätte das Haus „zerfetzen“ und eine
„Vielzahl von Opfern unter den Teilnehmern verursachen“ können. (S.
38f.).
Welchem Zweck diese
Demonstration dienen sollte, lässt sich nur vermuten. Es gab
möglicherweise vier Adressaten: 1. die Bürger, 2. die Kollegen vom LfV,
3. die Täter und 4. die Opfer. Den Bürgern wird vermittelt, die linken
Extremisten sind äußerst gefährliche Verbrecher, die vor Mord nicht
zurück schrecken. Dem LfV wird gezeigt, was eine Harke ist, ungeachtet
dessen, ob KOK Kotsch,
der Leiter der Staatsschutzabteilung der Kripo, oder Polizeipräsident
Klaus Hübner (1969-1987),
direkte Kenntnis
hatten, wer vom LfV die Bomben in die Szene getragen hatte, ob das
Michael Grünhagen, Peter Urbach
oder sonst wer war. Den Tätern wird bedeutet, welche hohen Strafen sie
zu erwarten haben. Ungewollt, aber im Ergebnis eindeutig, wird den
Opfern, also den Mitgliedern der jüdischen Gemeinde, der Terror
verstärkt, den die Täter von sich aus bezweckt hatten.
Der dermaßen durch die Polizei verstärkte Terror hatte tatsächlich eine nachhaltige Wirkung. Er wirkt bis heute fort. Im Jahre 2005 befragte ein Team von Kontraste (rbb) Ruth Galinski, die Witwe des damaligen Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Heinz Galinski, was sie über den Anschlag denke. Sie sagte: ,,Ich weiß nicht, was in den Köpfen dieser Menschen vorgeht, das ist reiner Mord, an und für sich. Es ist Mord und da wollten sie ein Symbol setzen, an diesem Tag sind sie die Helden, die die Juden wieder umgebracht haben, so stell ich es mir vor." … ,,Das war Entsetzen und Wut und Traurigkeit dabei auch." KONTRASTE: „Worüber?" Ruth Galinski: ,,Wut, dass es das an dem Tag und auch heute noch gibt." (Beitrag vom 10.11.2005). Das Berliner Abgeordnetenhaus befasste sich mit dem Fall in seiner 7. Sitzung am 27. Mai 1971. Erst im Januar 1981 wird bekannt, dass Innensenator Neubauer am 14. Juni 1971 in vertraulicher Sitzung dem Ausschuss für öffentliche Sicherheit des Abgeordnetenhauses über die Ergebnisse der Untersuchungen zum Fall Urbach im allgemeinen und zum Fall Jüdisches Gemeindehaus im besonderen berichtete. Er revidierte dort die früheren polizeilichen Behauptungen über die angebliche Sprengkraft der Bomben. Er muss dort offenbar den Terminus „bombenähnliche Körper“ benutzt haben. Das schlussfolgert jedenfalls Gerd Koenen. Leider ist Koenen nicht besonders genau. Sein viel zitierter Artikel ist eine Rezension des Buches von Wolfgang Kraushaar (Die Bombe im Jüdischen Gemeindehaus, Hamburg 2005) und bringt einiges durcheinander. Ein direktes Zitat von Neubauer ist dort explizit nicht enthalten. Kraushaar erwähnt auf S. 180 nur Neubauers Stellungnahme zum Fall Urbach vor einer „vertraulichen Sitzung des Ausschusses für Sicherheit und Ordnung“, die am 27.5.1971 stattgefunden hatte und nicht, wie Koenen wähnt, im Jahre 1980. Aber nicht nur Neubauer bestreitet im Nachhinein die Sprengqualität der "Bomben". Auch seine Nachfolger im Amt beharren darauf. In einer Antwort auf die parlamentarische Kleine Anfrage des Abgeordneten Dr. Andreas Gerl bestätigte der Senator für Inneres (Peter Ulrich) am 16. Januar 1981, in Antwort auf einen im Spiegel veröffentlichten Leserbrief von Tilman Fichter, explizit die Aussage Neubauers von 1971: „Herr URBACH hat am 26.2.1969 zwar bombenähnliche Körper mit zum sog. INFI gebracht, diese aber dort nicht verteilt…“ Und: „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der am 9.11.1969 im Jüdischen Gemeindehaus gefundene bombenähnliche Körper sich am 26.2.1969 vorübergehend im Besitz von Herrn URBACH befunden hat.“ (zitiert auch in Kraushaar, Die Bombe im..., S. 270f.). Das INFI, das Internationale Nachrichten- und Forschungsinstitut, war das Dritte Welt Institut, das der internationalistische Flügel des SDS nach dem Vietnamkongress gegründet hatte. Die angebliche Sprengkraft dieser „Körper“ wird also in Abrede gestellt, die von der Polizei durchgeführte Sprengung eines „Duplikats“ damit als Fälschung entlarvt. Die Formulierung jedoch, dass die "Bombe" sich "vorübergehend im Besitz von Herrn Urbach befunden" hätte, ihm jedoch von "anderen Angehörigen der damaligen APO" zur Verwahrung gegeben worden seien, ist angesichts der Vielzahl von gegenteiligen Aussagen von Zeugen, als dreiste Lüge abzutun. Selbst im Jahre 1981 will sich der Senat aus der Verantwortung stehlen und sich selbst von jeder Verantwortung reinwaschen. Aber der Begriff „bombenähnliche Körper“ trifft dennoch den wahren Sachverhalt recht gut. Historiker Kraushaar äußert sich nicht im Detail zu den einzelnen Angaben des Senats, aber sie erwecken in ihm den Eindruck einer „systematischen Verharmlosung“. Der Begriff der „bombenähnlichen Körper“ assoziiert er mit dem Terminus „Attrappen“. Eine Attrappe war der Gegenstand, den Abi Fichter hinter den Cola-Automaten des Jüdischen Gemeindehauses legte, sicher nicht. Immerhin hätte er brennen können. Laut Online-Lexikon Wikipedia ist eine Bombe „ein Behälter, der mit explosivem Material gefüllt ist, das durch einen Zünder, einen Sensor oder eine Fernbedienung zur Explosion gebracht werden kann, um Zerstörung anzurichten bzw. Menschen zu töten.“ Der „bombenähnliche Körper“ hatte keinen „Behälter“, war eben nicht verdämmt. Gemäß Wikipedia wäre das Objekt eher als „Brandsatz“ zu bezeichnen, qualitativ einem Molotov-Cocktail vergleichbar. In einem geschlossenen Raum ist das gefährlich genug. Gerd Koenen zeigt sich total unkritisch. Er scheint dem behaupteten Ergebnis einer manipulierten polizeilichen „Sprengung“ eines angeblichen Duplikats völlig zu vertrauen. Es entbehrt nicht einer gewissen Komik, dass Polizei, Presse und einige Autoren sich in einem Punkt mit den „Schwarzen Ratten“ und deren Sympathisanten völlig einig sind. Beide Seiten spielen die Angelegenheit hoch zu einem „Bombenattentat“. Die Legung eines Brandsatzes ist ihnen nicht genug für ihre jeweiligen Zwecke. Die Tätergruppe der „Schwarzen Ratten“ schreiben in ihrem Bekennerflugblatt „Schalom + Napalm“, sie hätte eine „Brandbombe“ im Jüdischen Gemeindehaus „deponiert“. Der von Abi Fichter als Inspirator der Aktion bezeichnete Dieter Kunzelmann bezieht sich in seinem „Brief aus Amman“ auf die „Bombenchance“, die die „Politmasken vom Palästinakomitee“ angeblich nicht genutzt hätten und meint damit den Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus.Der ursprüngliche Polizeibericht bezeichnet den Fund als „Bombe“ und die gesamte Presse greift den Begriff kritiklos auf. Wolfgang Kraushaar betitelt sein Buch ebenfalls mit diesem Begriff. Zu fragen wäre, welche Interessen werden hier jeweils vertreten, und welchen Stellenwert hatte der ursprüngliche Polizeibericht. War er nur ein Ergebnis des Rivalitätskampfes zwischen Polizei und VS, oder war er einfach vorschnell veröffentlicht worden, weil Neubauer seine Polizei nicht rechtzeitig instruiert hatte? Bezüglich dieses ganzen Komplexes lohnt es sich, auf eine ähnliche Situation zwei Jahre zuvor hinzuweisen, die Uwe Soukup beschreibt, sich auf die Äußerungen des Chefs der Senatskanzlei, Horst Grabert, stützend. Nachdem am Abend des 2. Juni 1967 Benno Ohnesorg ermordet wurde, berichtete am nächsten Vormittag Polizeipräsident Erich Duensing dem Regierenden Bürgermeister Heinrich Albertz, seine Behörde hätte ein Sprengstoffattentat auf den Flugplatz Tempelhof, von wo aus der Schah von Persien, gegen den sich die Proteste am Vortage richteten, wieder wegflog, vereitelt. „Die Polizei habe einen mit Sprengstoff gefüllten PKW am Platz der Luftbrücke gestellt und den Fahrer, einen Studenten, verhaftet,“ Assoziationen zu den Protesten am Vortage erweckend. Grabert schlug vor, sofort dorthin zu fahren. Duensing protestierte und „verbat sich Zweifel an seinem Bericht.“ Albertz befahl trotzdem sofort den „Tatort“ in Augenschein zu nehmen. Dort angekommen wurde Grabert von dem begleitenden Polizeioffizier gewarnt, nicht näher an das Auto heranzutreten, da es sich um „Sprengstoff handele, der jederzeit explodieren könne.“ Grabert ließ sich davon nicht beeindrucken. Er fand lediglich eine Kiste mit gewöhnlichen Feuerwerkskörpern auf dem Rücksitz des Wagens. (Uwe Soukup, Wie starb Benno Ohnesorg, Berlin 2007, S. 158). Die Parallele zu den
Übertreibungen der Polizei zwei Jahre später ist augenfällig. Im ersten
Fall wurden Feuerwerkskörper noch zufällig gefunden, im zweiten Fall
wurden sie indirekt vom Finder selbst platziert. Aber nicht nur das.
Auch die technischen Details, soweit sie bekannt sind, müssten rote
Lampen aufleuchten lassen.
Fassen
wir zusammen:
3.
Die Polizeiberichte zum Fund im Jüdischen Gemeindehaus sind nicht
konsistent. Aus der 1 kg Bombe wird eine 2 kg Bombe.
Das Material der bläulichen Flüssigkeit, das bei der zweiten Sicht
gefunden wird, findet im Endbericht keine Erwähnung mehr.
Das
Mischungsverhältnis
von Pattex und Kaliumchlorat
wird uns
ebenfalls nicht mitgeteilt, ist aber von großer Bedeutung.
4
5 6. Bleibt die Möglichkeit der Dämmung. Wenn schnellentzündlicher Stoff in hartem Material (Tesakrepp reicht nicht) eingeschlossen, dann zur Zündung gebracht wird, findet tatsächlich eine Sprengung statt. Kalium- und Natriumchlorate wurden in dem Herbizid Unkraut-Ex verwendet. Da Unkraut-Ex als natriumchlorathaltiges Präparat ein starkes Oxidationsmittel war, wurde es, insbesondere in Form eines Gemisches mit Zucker, zum Bau von Sprengkörpern missbraucht. Wikipedia definiert: „Ein Sprengkörper ist eine mobile verdämmte Ladung, d.h. ein Behältnis, das einen Sprengstoff, der dort zu einer Explosion bestimmt ist, enthält“. Keine einzige Urbach-"bombe" ist je gedämmt gefunden worden. Von daher ist auch die Versuchsanordnung der nachträglich erfolgten „Sprengung“ eines „Duplikats“ durch die Polizei mit größter Skepsis zu begegnen. Es ist vielmehr als Fälschung ansehen. Das Ergebnis dieser Polizeiaktion fand auch niemals Eingang in ein Gerichtsverfahren. Vermutlich aus guten Gründen. Polizeifeuerwerker Walter Braun hätte dann erklären müssen, weshalb er so verfahren ist, bzw. wer ihm den Befehl dafür gegeben hatte. . Seine Chefs, Dr. Gunther Paulig und Dr. Helmut Gansau, können nicht mehr befragt werden. Sie sind inzwischen verschieden.
7 8.
Die Zündung: Für das
„Versagen“ der Bomben wird zumeist der nichtfunktionierende
Urbachsche Zündmechanismus
verantwortlich gemacht, so auch vom Attentäter des Jüdischen
Gemeindehauses, Abi Fichter,
der die Nichtfunktionstüchtigkeit vor seiner Tat gewusst und sogar
eingeplant haben will, so jedenfalls in seiner Aussage gegenüber
Wolfgang Kraushaar in dessen
Buch zur "Bombe". Das mag so gewesen sein, dem ist allerdings entgegen
zu halten, dass es zumindest einmal, bei dem Landgerichtsdirektor doch
gefunkt hat, und zwar mit dem Ergebnis
des „Verpuffens“, also
der Nichtexplosion.
9. Der zur Tatzeit
verantwortliche Innensenator,
Neubauer, gibt 1971 in einem Ausschuss des Berliner
Abgeordnetenhauses zu Protokoll, es habe sich nur um einen „bombenähnlichen
Körper“ gehandelt.
Wikipedia zitiert kritiklos und ohne gültige Quellenangabe den Polizeibericht: „Die nicht explodierte, von Urbach stammende Bombe hätte nach Polizeiangaben das Gebäude komplett zerstört, in dem sich zum geplanten Explosionszeitpunkt rund 250 Menschen aufhielten.“ Etwas mehr Distanz zu amtlichen Behauptungen würde den Wikipedisten gut anstehen, insbesondere wenn es um die damalige Polizei geht, die eindeutig Partei gegen die Linke war und vermutlich eigene Motive hatte, die besondere Gefährlichkeit des Fundes zu betonen.
Exkurs: Zum Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei
Wie wir heute wissen stammte der Brandsatz aus der Werkstatt des Agenten
Peter Urbach, also vom Berliner Landesamt für
Verfassungsschutz. Sollen wir wirklich glauben, dass der für
das LfV und die Polizei verantwortliche Innen-Senator
Neubauer seinem Polizeichef die Quelle der "Bomben" verschwieg?
Über die konkreten
„harten Bandagen“ mehr zu erfahren, brächte vielleicht auch mehr Licht
in das Wirken von Peter Urbach,
der zwischen LfV und der Staatsschutzabteilung der Polizei operierte.
Beide Institutionen sollen unabhängig voneinander handeln. Ihre
Zielsetzungen sind grundverschieden.
Der Spiegel (42/1980) fasste es einmal bezüglich der
Bundesinstitutionen so zusammen: „Verfassungsschutz-
und Polizeibehörden prallen wegen ihrer gegensätzlichen Zielsetzung --
Penetrieren, Observieren einerseits, Täterfangen andererseits -
aufeinander; zum anderen hat die Polizei Techniken und Praktiken
entwickelt, die teilweise Verfassungsschutzmethoden gleichkommen;
letztlich wird der ganze Komplex überlagert von einer Art
Erfolgseifersucht beider Institutionen, die sich zuspitzt in
persönlicher Rivalität bis hin zur Animosität zwischen“ den Chefs beider
Institutionen.
Gemäß gesetzlicher Vorgabe
darf nach den bedrückenden Erfahrungen in national-sozialistischer Zeit
nie wieder eine Verquickung zwischen Geheimdienst und Polizei und damit
eine allmächtige Gestapo in deutschen Landen geben. Nach dem
"Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in
Angelegenheiten des Verfassungsschutzes" ist dem Bundesamt und den
Landesbehörden "die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten
und sonstigen Unterlagen" über alle die freiheitlich demokratische
Grundordnung gefährdenden Bestrebungen und Tätigkeiten aufgegeben.
Daneben haben sie zu prüfen, wie weit auf Geheimnisträger und
"technische Sicherheitsmaßnahmen" Verlass ist. Den Polizeibehörden
obliegt die „Bekämpfung des Straftäters“. Die Funktionsfähigkeit der
Demokratie hat mithin der Verfassungsschutz zu gewährleisten, die
Polizei hingegen das ungefährliche Leben in diesem Rahmen. Im "Vorfeld"
des Verbrechens agieren die Verfassungsschützer, Polizisten verrichten
die Feldarbeit. Und niemals, nach der Rechtslehre, heiligt der Zweck des
einen Dienstes die Mittel des anderen.
Und der Spiegel führt weiter aus: „Der
Verfassungsschutz darf ‚nachrichtendienstlich‘, verdeckt, mit geheimen
V-Leuten tätig sein, hat aber keine Polizeigewalt, darf weder festnehmen
noch schießen; die Polizei andererseits darf und muß meistens auch
zugreifen (Strafverfolgung), darf und muß manchmal auch zuschlagen
(Gefahrenabwehr), hat jedoch keine nachrichtendienstliche, keine
Geheimdienstbefugnis. Der
Kompetenz-Konflikt im Staatsschutzbereich Terrorismus scheint dennoch
unvermeidbar. Während Verfassungsschützer darauf aus sind, möglichst
viel über Organisation, Logistik oder gar Tatpläne terroristischer
Gewalttäter beispielsweise zu erfahren, zielen Polizisten eben primär
darauf ab, die Täter dingfest zu machen und vor den Richter zu bringen.
Und wie Verfassungsschützer verpflichtet sind, die Szene im Untergrund
umfassend auszuloten, so sind Polizisten gehalten, Gefahren frühzeitig
abzuwehren und Verfolgte zu ergreifen. Juristisch gesprochen, der
Verfassungsschutz unterliegt dem Opportunitätsprinzip, die Polizei dem
Legalitätsprinzip. Aber: Beide Grundsätze können allzu leicht
strapaziert und dadurch wechselseitig lahmgeritten werden.“
Die „personifizierte
Gestapo“ war im Fall Urbach
Innensenator Kurt Neubauer.
Aber fragwürdig ist
bereits die Rechtsgrundlage für die Tätigkeit des Verfassungsschutzes
überhaupt, so dass zwangsläufig jeder Innenressort-Chef in Gefahr gerät,
von vornherein zweifelhaftes Verfassungsschutzinteresse gegen die
Pflicht der Polizei zur Täterverfolgung abzuwägen. Der Mainzer
Rechtsprofessor Hans Heinrich
Rupp weist darauf hin, dass die Verfassungsschutz-Gesetze des Bundes
und der Länder "nur bedingt" gebotenen "rechtsstaatlichen Anforderungen"
entsprechen.
Der Spiegel
schlussfolgert: „Wenn nicht einmal gesetzlich eindeutig festgeschrieben
ist, an welcher juristischen Grenze alle noch so opportunen Aktivitäten
des Verfassungsschutzes enden müssen, dürfte deutliche Markierung auch
im und für den Kopf eines Innenministers in dessen "doppelter
Verantwortung" schwer auszumachen sein. Berufs- wie Selbstverständnis
und Überzeugungskraft des jeweiligen Verfassungsschutz-Chefs vielmehr
wohl geben den Ausschlag dafür, wann sich der Verfassungsschutz-Minister
zum Polizei-Minister wandelt, wann aus seiner Sicht der Zugriff auf die
Täter wichtiger wird als der Schutz der Verfassung.“ Es stelle
sich die schwierige Frage, wann der Verfassungsschutz nicht mehr im
Vorfeld ackere und mithin Raum geben müsse für Strafverfolgung und
polizeiliche Festnahme.
Inwieweit beide Behörden
zur gegenseitigen Information verpflichtet sind, ist nicht absolut
geklärt. Es gelte in solchen Fällen der alte Geheimdienst-Grundsatz:
"Need to know" -- jeder sei über das zu unterrichten, was er für seine
spezielle Arbeit unbedingt wissen müsse.
Im Fall
Urbach scheint es einen
Austausch gegeben zu haben. Anders sind die polizeilichen Razzien nicht
zu erklären, die stattfanden, nachdem er seine Brandsätze ungefragt
verteilt hatte. Andererseits hat es in bezug auf den Fund im
Jüdischen Gemeindehaus
Differenzen gegeben, die
Neubauer im nachhinein vor dem Berliner Abgeordnetenhaus versucht
hat auszubügeln.
Woher kam der Berliner
Mini-Machiavelli her, was wollte er, wo wollte er hin?
Für den SDS verhandelte u.a.
Bernd Rabehl, der die
Vermutung äußerte, die Herrschenden warteten nur auf die Gelegenheit
zuzuschlagen. Heinrich Albertz,
inzwischen von allen Posten enthoben,
äußerte sich zustimmend, man müsse sich darüber im klaren sein, dass
Neubauer nur auf eine Möglichkeit warte, Gewalt anzuwenden. Tote
nähme er in Kauf: „Neubauer
ist ein Verbrecher, dem ist alles zuzutrauen. Das sind Leute, die haben
kein Gewissen, die schießen. Wenn ich an
Neubauer denke, das ist ein
brutaler Mensch.“
In der Nachfolge zum
Vietnam-Kongress betrieb er den Ausschluss von
Harry Ristock und dem Kreuzberger Stadtrat
Erwin Beck aus der SPD, weil diese sich an der Vietnam-Demo
beteiligt hatten. Nicht vergessen werden sollte auch, dass
Neubauer und sein
Verfassungsschutz den Mord an
Ulrich Schmücker wissentlich geschehen ließen. Selbst der Regierende
Bürgermeister Klaus Schütz,
dessen Posten Neubauer so sehnsüchtig anstrebte,
charakterisierte Jahre später
Neubauer als „Scharfmacher“, der sich „hochgepusht“ hätte.
„Strategie der Spannung“ Die Vertuschungsverschwörung um den Mord von Kurras an Benno Ohnesorg, die vom Gericht und jetzt vom Spiegel aufgedeckt wurde, war den Zeitzeugen damals durchaus bewusst und die Linke fühlte sich zu Recht bedroht. In einer solchen Situation Waffen und anderes Gerät in die Szene einzuschleusen, muss als besonders infam angesehen werden und ist in der Tat nur mit einer „Strategie der Spannung“ von Seiten der Verantwortlichen, hier als des damaligen Innensenators Neubauer, zu beschreiben. Das hat sicher nichts mit Gladio zu tun, wie es einige Blogger und Autoren wie Regine Igel darstellen wollen, aber es kann als eigenständige Politik des damaligen rechten SPD-Flügels angesehen werden. Es galt ja, den eher gemäßigten Flügel um Heinrich Albertz und Klaus Büsch, dem Vorgänger Neubauers, ins Abseits zu manövrieren. Das ist Neubauer und Klaus Schütz, dem Nachfolger des regierenden Bürgermeisters Albertz, auch gut gelungen.
Instrumentell hat das LfV diese Strategie der Spannung auf Provinzniveau umgesetzt. Die Befehlskette Eberhard Zachmann, Willi Rumprecht, Michael Grünhagen, hat dafür seine Rolle gut erfüllt. Peter Urbach war das letzte Glied in dieser Kette. Die Polizei unter dem reformorientierten Klaus Hübner hat fleißig mitgespielt und die Leute im vermeintlichen Untergrund haben sich, im Glauben revolutionär zu handeln, freiwillig zu Gehilfen machen lassen. Dass diese Strategie gleichzeitig durch den Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus einen virulenten Antisemitismus in Teilen der Linken bloßgelegt hat, ist nur ein Nebenprodukt einer ansonsten machiavellistisch anmutenden Politik. Stefan Aust hat in seinem Buch „Der Lockvogel" die Geschichte des Mordes an Uli Schmücker beschrieben. Eine zentrale Rolle spielten dabei zwei Herren: Volker Weingraber und Michael Grünhagen. Weingraber spielte den Revolutionär, so ähnlich wie Urbach, und war beim Mord direkt dabei, möglicherweise sogar als Mörder. Wenige Minuten nach vollbrachter Tat übergab er die Mordwaffe jedenfalls an seinen „Agentenführer“ Grünhagen, der sie ins LfV schaffte. Dort wurde die Pistole in einem Tresor versteckt und nur durch Zufall wurde ihr Vorhandensein Jahre später vom Verteidigungsteam der Angeklagten Gruppe bekannt. Aus den Aufzeichnungen des ermordeten Schmücker wissen wir, dass Grünhagen zumindest teilweise bereits Peter Urbach „geführt“ hatte. Darin zeigt sich eine Kontinuität des verbrecherischen Verhaltens eines Amtes, das eigentlich Gesetz, Ordnung und Demokratie schützen sollte. Grünhagen lässt Urbach Brandsätze und Schusswaffen in einer Szene verteilen, die unberechenbar war und in der Zerstörung und Tote durch die Anwendung dieser Mittel nicht ausgeschlossen werden konnten. Grünhagen wusste von dem Mordkomplott gegen Schmücker und unternimmt nichts, um seinen Schützling vor einem wirklichen Attentat zu bewahren. Im Gegenteil, er trifft sich stattdessen mit dem Mörder bzw. Mittäter und lässt sich die Mordwaffe aushändigen. Mit anderen Worten, das Amt heizt die Atmosphäre an, anstatt zur Beruhigung beizutragen. Das ist völlig konträr zu seinem gesetzlichen Auftrag und kann nur erklärt werden mit einer außeramtlichen politischen Zielsetzung. Neubauer hat sich auf Dauer durchgesetzt. Anderthalb Jahre nach dem Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus berichtet er erstmalig dem Sicherheitsausschuss des Abgeordnetenhauses von Urbachs Rolle und klärt auf, dass dessen „Bomben“ gar keine waren. Erst 10 Jahre später wird die Öffentlichkeit darüber informiert. Dafür ist nicht nur der Innensenator verantwortlich, sondern der gesamte Senat, bzw. die Parteien, die ihn gestellt haben. Nach nun mehr als 40 Jahren sollten wenigstens alle Akten, soweit es sie noch gibt, endlich geöffnet werden. Das ist der Senat nicht nur den Opfern schuldig, sondern der gesamten Öffentlichkeit. Nicht mitgeteilt wurde bis heute, wie z.B. Urbach abgefunden wurde. Hat er, wie wenig später Weingraber und Grünhagen, ebenfalls eine Million bekommen?
Das letzte Urteil Der eingangs erwähnte (unbekannte) Blogger, der das„Kommando Peter Urbach“ erfand, war sich wohl nicht bewusst, welche historische Realität am besten damit beschrieben werden könnte. Der antisemitisch-terroristische Anschlag auf das Jüdische Gemeindehaus ist so eng mit dem Namen Peter Urbach verbunden, dass der Begriff hier zu Ehren kommen sollte. Alle zusammen, die „Schwarzen Ratten“, das Landsamt für Verfassungsschutz und der Innensenator Kurt Neubauer hätten keine bessere Bezeichnung für diese finstre Aktion finden können als eben „Kommando Peter Urbach (LfV-TW)“. Dieser Fall wird mit Urbachs Namen für immer verbunden bleiben. Ob dieser gescheiterte Anschlag ein „Konstituens“ für eine deutsche urbane, antisemitisch orientierte Guerilla war, „das sich als kontinuitätsstiftend erwiesen" habe (Kraushaar), ist eine Frage, die noch zu diskutieren ist. Durch sein individuelles
Verhalten und seine Lieferungen hat
Urbach nicht nur zu einer
Kriminalisierung von Teilen der Linken, inklusive viele Jahre Knast für
einige vom ihm agitierte Personen beigetragen, sondern auch zu einer
Radikalisierung des politischen Denkens einiger angehender
Stadtguerilleros. Letztere können sich natürlich nicht damit
herausreden, sie seien nur verführt worden, aber
Urbachs Wirken war zumindest
ein Faktor, der eine Rolle in deren Hinwendung zum
politischen Irrsinn gespielt hat.
S-Bahn-Peter hat schwere
Schuld auf sich geladen. Leider war er damit nicht der Einzige und
vielleicht auch nicht der Letzte. Die
Kontroverse um die RAFlerin
Verena Becker (aka
Sola) ist ja noch nicht beendet.
Wolfgang Kraushaar hat bereits ein erstes Buch, "Verena
Becker und der Verfassungsschutz", zu diesem Thema
vorgelegt. Auf weitere
Enthüllungen dürfen wir gespannt sein. Günter Langer, 21. März 2012. Last Update: 20. Mai 2012 |