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Hans W. Korfmann:
Eckhard
Siepmann -
Politik, Poesie und Alkohol, das
ist Kreuzberg für mich
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Mit den
68ern möchte er nicht so viel zu tun haben. Obwohl er
natürlich damit zu tun hatte. Aber seit Beginn des Jahres
2008 sind so viele der so genannten Altachtundsechziger zu
dieser Zeit befragt worden – Dumme und Schlaue, solche, die
etwas wussten, und solche, die nur nachplapperten –, dass
Eckhard Siepmann dem lieber nichts mehr hinzufügen möchte.
Deshalb lehnte er ab, als die Redaktion des Freitag
anfragte, ob er nicht etwas zu Rudi Dutschke schreiben
könne.
»Was bei den Betrachtungen der 68er immer wieder vergessen
wird, ist der Humor. Der Spaß, den wir hatten. Da werden
immer nur Bilder vom Straßenkampf und der RAF gezeigt.« Das
ist nur die halbe Wahrheit. Aber als der Redakteur des
Freitag dann sagte, er könne auch etwas Persönliches
schreiben, da gab er nach und schrieb über eine ganz andere
Seite des Agitators, Aufwieglers, Staatsfeindes, den auch
die CDU des 3. Jahrtausends partout nicht auf einem
Straßenschild sehen wollte. Er schrieb:
»Im September 1966 war ich nach Berlin gekommen, um (...)
bei der Redaktion seines Buches über den Schah von Persien
behilflich zu sein. Wir arbeiteten bis tief in die Nacht,
und beim Bier in der benachbarten Kneipe hatten wir das
Manuskript am Körper versteckt, aus Angst vor einem Einbruch
des persischen Geheimdienstes. Einmal waren die Papierstöße
in eine BZ, Springers Kampfblatt, eingewickelt, mit dem
reißerischen Aufmacher: Rudi Dutschke dreht an einem
dollen Ding. Dazu ein Foto: Rudi mit gebleckten Zähnen,
klaren sanft-heftigen Augen. Ich hatte nie vorher von ihm
gehört. Es war eine Liebe auf den ersten Blick.«
Wenige Tage später war Siepmann unterwegs zu Wolfgang Neuss
und traf Neuss, Dutschke und Hans Magnus Enzensberger im
Treppenhaus. Neuss und Enzensberger wollten gleich weiter,
aber Rudi »war mit einem schnellen Abschied nicht
einverstanden. Er legte den Arm um meine Schultern: Wie geht
es dir? Was machst du? Diese Art von Zärtlichkeit (...)
irritierte mich maßlos, ich war verlegen. Dutschke war (...)
unendlich sanft und offen«.
Siepmann will eigentlich nichts mehr dazu sagen, aber es
reizt ihn, das etablierte Bild zu korrigieren und in andere
Bezüge und Blickwinkel zu stellen. Er hat zu lange als
Historiker gearbeitet, das Werkbundarchiv und das
Museum der Dinge im Gropiusbau geleitet, sich immer mit
Perspektiven und Sichtweisen beschäftigt, als dass er jetzt
so einfach »Nein« sagen könnte. Aufklärung ist sein Auftrag.
Doch Siepmann ist keiner, der am Stammtisch des
Heidelberger Krugs laut mitdiskutieren würde. Er zieht
die Dialoge größeren Diskussionsrunden vor, sitzt lieber
abseits, wachsam, den Kragen des Trenchcoats hochgekrempelt,
ein Detektiv, ein Spurensucher. Ein verschmitzt lächelnder
Herr, schon ein bisschen vom Odem der Altersweisheit
umkränzt, ein 68 Jahre alter 68er, aber noch immer kein
griesgrämiger, enttäuschter Grauzopf, sondern später Vater
zweier Kinder, die ihn manchmal an die eigene Kindheit
erinnern, an den Uhrmacher, der sein Vater war, und der den
Schlüssel zum Kirchturm von Schwelm besaß, wo der kleine
Ecki dann immer saß, hinter der großen Turmuhr, und auf die
Stadt blickte. »In mir wuchs ziemlich schnell der Wunsch,
kein geregeltes Leben zu führen.«
1955 kommt das Wirtschaftswunder, Elvis Presley hat gerade
seine ersten Auftritte absolviert, man tanzt noch
Boogie-Woogie, den Vorläufer des Rock´n´Roll, von den
Beatles und den Stones noch keine Spur. 1962 beginnt
Siepmann mit einem Studium in Tübingen, 1966 sitzt der mit
einem Stipendium bedachte Kunsthistoriker in Rom auf der
Spanischen Treppe. Dann kommt er nach Berlin, und da war
gerade die Hölle los. Siepmann möchte lieber über 1988
sprechen, aber 1968 schiebt sich immer wieder dazwischen, er
schreibt:
»Ein paar Tage vor Weihnachten 1967 rief eine meiner
Schwestern mich an: Ob wir nicht den Weihnachtsgottesdienst
in der Gedächtniskirche mit ein paar Mahnungen zum
Vietnamkrieg bereichern sollten? Wir wollten Schilder vor
dem Altar aufstellen und uns dann ruhig zur Gemeinde setzen.
Drei Mitstreiter waren schnell gewonnen. Ich kramte also
eine große weiße Pappe heraus, schrieb darauf mit Ölkreide
»Frieden auf Erden – Napalm auf Vietnam« und machte mich auf
zum Kurfürstendamm. Was wir nicht wussten: Rudi Dutschke
hatte Wind von der Sache bekommen und beschlossen, an dem
Gottesdienst teilzunehmen.
Als die Orgel zu spielen begann, war es das Zeichen für uns.
Wir wollten nacheinander einmarschieren, den Anfang sollte
ich machen. Das Eindringen in ein Ritual fiel mir durchaus
nicht leicht. Ich schnappte mein Schild, ging oder spurtete,
ich weiß es nicht mehr, durch den Mittelgang des
kerzenerleuchteten Kirchenschiffs zum Altar und stellte das
Ding ab. Die nach mir Kommenden erreichten den Altar schon
nicht mehr. Die Gottesdienstbesucher, unter ihnen viele
Touristen, stürzten sich empört auf sie und nahmen Schilder
und Transparente weg. Rudi nutzte das Durcheinander, um sich
zur Kanzel durchzuarbeiten und begann: »Liebe Brüder und
Schwestern ...« Weiter kam er nicht. Er wurde herunter-und
in Richtung Ausgang gezerrt, dabei schlug ihm ein Rentner
und früherer SA-Mann mit einer Krücke heftig auf den Kopf.
Aus einer Platzwunde rann Blut über Rudis Gesicht...«
Die Achtzigerjahre waren ruhiger. »88 war nicht so
angespannt wie 68.« Die lauen Abende am Chamissoplatz, als
Eckhard beim Boulespielen Edith kennen lernte, um dann mit
54 zum ersten Mal Vater zu werden. Wolfgang Krolow, Fotograf
und Initiator der Boulepartien, hielt nichts von tierischem
Ernst, und deshalb spielte man ohne Regeln. Bis eines Tages
die Profis vom Maybachufer kamen. Bei Mario vom Chamisso
standen sie anschließend »in Fünferreihen am Tresen und
palaverten über Gott und die Welt. Karnevalistische
Gespräche auf höchstem Niveau. Hier war eine Art Bohéme
versammelt, hier herrschte eine Geisteshaltung, die gab es
auf der ganzen Welt nicht noch einmal.«
Von den Achtzigern erzählt er gerne. »Wir wollten die SEW in
eine Partei verwandeln, die ein freundliches Gesicht trug.«
Es gab noch Ideale. So wie einst im Dusteren Keller,
dieser dunklen Kaschemme am Kreuzberg, in der Dichter und
Sänger des 19. Jahrhunderts den »Deutschen Bund« gründeten
und von Freiheit und Demokratie träumten. Der Dustere
Keller, das ist die revolutionäre Keimzelle Kreuzbergs.
Poesie, Politik und Alkohol, das ist Kreuzberg! Bis heute.«
Aber 1968 war anders. Siepmann wohnte in einer WG in der
Wielandstraße, K2 genannt, zusammen mit Bommie Baumann,
Georg von Rauch und Günter Langer. Haschrebellen und
Tupamaros. Ein Spitzel, Peter Urbach, schmuggelte ihnen eine
Bombe ins Haus. Heftiges Klopfen weckte Siepmann, als er
öffnete, stand er »einem halben Dutzend Beamter mit
Maschinenpistolen gegenüber: Hausdurchsuchung! Die ganze
Wohnung wurde auf den Kopf gestellt, der Keller und das Auto
durchsucht. Dann zog die Camarilla erfolglos ab. Ein paar
Tage vorher hatte Peter Urbach angerufen. Ob wir etwas für
ihn aufbewahren würden? (...) Als er mit einem grau-braunen
Paket ankam, fragte ich: `Sag mal Peter, wie kommt es
eigentlich, dass von allen Berliner Arbeitern du der einzige
bist, der zu uns hält?´ – `Tja, Ecki, die einen verstehen es
und die anderen nicht´, war die vage Antwort des Agenten des
Berliner Verfassungsschutzes. Das Paket stand gut verschnürt
da herum, so sprachlos, so unaufdringlich – einer Eingebung
folgend schaffte ich es aus dem Haus, ohne Peter zu
verständigen – anders als die Molotow-Cocktails, die der
Berliner Senat über Urbach zum Abfackeln der Springer-Autos
nach dem Attentat auf Dutschke zur Verfügung gestellt
hatte«.
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Die legendäre Schlacht am Tegler Weg, 4. November 1968.
Siepmann - wie immer - mit Sonnenbrille.
Dennoch hatte die Geschichte Konsequenzen. Als er sich an
der Uni für eine Assistenzstelle bewarb, lehnte man ihn mit
Verweis auf den Radikalenerlass ab. Aber Siepmann blieb der
Kunst auf der Spur, und 1976 wurde er mit der Leitung des
Werkbundarchivs in Charlottenburg beauftragt. Später
wurde er zum Leiter des »Museums der Alltagskultur des 20.
Jahrhunderts« im Gropiusbau. Jetzt ist er im Ruhestand.
Siepmann freute sich darauf, aber »das Nichtstun ist schwer«
für einen, der Zeit seines Lebens so umtriebig war.
Manchmal schaltet Siepmann den Fernseher ein. Um alte
Bekannte wieder zu sehen, die anlässlich des 68er Jubiläums
in den Talkshows herumgereicht werden. »Die 68er hatten
überhaupt keinen Humor!«, sagt da Bettina Röhl und fügt
hinzu: »Ich empfinde Mitleid mit denen, weil ich die als
absolut gescheiterte Existenzen kennen gelernt habe!« Sie
hatte auch Eckhard Siepmann kennen gelernt. 1970 hatte er
sich in Italien um die Zwillinge von Ulrike Meinhof
gekümmert, bis Stephan Aust sie nach Deutschland entführte.
Eigentlich will Siepmann nicht so viel erzählen von den
68ern. Aber….
»Eine Gruppe von SDSlern, Michael und Peter Schneider,
Gaston Salvatore, Christian Semler und ich, kurz war auch
Ulrike Meinhof dabei, fiel im November in die Villa des
Komponisten Henze in der Nähe von Rom ein, wo Rudi für drei
Monate lebte. Nach den Schüssen in den Kopf war es eine
ungeheuere Erleichterung, ihn wieder -wenn auch manchmal
Worte suchend -sprechen zu hören. Er war gespannt auf
Neuigkeiten aus Berlin. Lustig zu sehen, wie vor dem
Abendessen die Straßenkämpfer ihre Finger in silberne
Wasserschüsselchen tauchten, die von den Hausangestellten
gereicht wurden. (...) Wir spielten zusammen Krocket,
während weiße Zicklein im paradiesischen Garten von Henze
herum sprangen und Windhunde miteinander spielten. Hinter
roten Heckenrosen, die an umfriedenden Mauern emporwuchsen,
hockten in den Olivenbäumen Zeitungsleute mit
Teleobjektiven.«
Die Lage war ernst im Jahr 1968. Auch 1976 war sie noch
ernst. Doch Siepmann hatte die Front verlassen, und 1976
wurde das erfolgreichste Jahr des Eckhard Siepmann.
Gemeinsam mit Tom Fecht gründete er den Verlag
Elefantenpress, »die Idee war Aufklärung mit Spaß«.
Gleich das erste Buch, Siepmanns Arbeit über John Heartfield,
den Erfinder der Fotomontage, war so erfolgreich, dass der
Autor ein Drehbuch dazu schreiben und eine Ausstellung zu
dem Thema konzipieren musste, die bis 1981 in ganz Europa
unterwegs war. Das Buch verkaufte sich 120.000 mal.
Siepmann hat den Kragen seines Trenchcoats hochgezogen, ein
freundlicher Rentner. Einer, der viel zu erzählen hat und
der viel aufzuschreiben hätte. Tatsächlich ist das Schreiben
eine heimliche Liebe. Eines seiner Bücher hieß »Nilpferde
des höllischen Urwalds«. Ein Byron-Zitat. Es sollte die
ästhetisch-romantischen Wurzeln der Revolte aufzeigen.
Natürlich hat Siepmann Marx gelesen, Adorno diskutiert, und
Anfang dieses Jahres eine Podiumsdiskussion mit dem Sohn
Ernst Blochs auf der Bühne des Kreuzberger Wasserturms
veranstaltet.
Aber Eckhard Siepmann liest auch Hölderlin und Lao Tse, er
zitiert aus dem Stegreif. Über Novalis hat er ein Buch
geschrieben. Auch Meister Eckhard gehört zu seinen
Lieblingsautoren. Als er kürzlich den Direktor des Deutschen
Historischen Museums besuchte, keimte die Idee auf,
anlässlich des 750. Todestages des Meisters mit dem
sympathischen Namen ein Buch zu veröffentlichen. Ein Buch,
das über 700 Jahre entfernt wäre von 1968. Anders als bei
Rudi Dutschke würde er keine Sekunde zögern. (Kreuzberger
Chronik, Oktober 2008 - Ausgabe 101).
Kommentar des Webmasters:
Korfmann wirft hier einiges durcheinander. 1. Die Kommune in
der Wielandstraße war keineswegs identisch mit der K2, die
sich zwar auch in Charlottenburg angesiedelt hatte, aber
nicht in der Wielandstraße. 2. Eckard Siepmann wohnte dort
tatsächlich zusammen mit den drei Genannten, die aber zu
diesem Zeitpunkt keineswegs, im Gegensatz zum Genossen Ecki,
Haschisch oder andere Drogen (z.B. Rotwein, genannt „Tinte“)
konsumierten. Diese im Nachhinein gesehen merkwürdige
Konstellation führte sogar zum Zerwürfnis zwischen den
Dreien und Ecki und drei weiteren, die deren Auszug aus eben
jener Kommune bewirkte. Erst als sich die drei wenig später
ebenfalls untereinander stritten, kam es zum Auszug von
Bommi und Günter, während Georg mit seiner Familie und
einigen anderen in der Wielandkommune verblieb.
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