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"Becklash" – Revisited
(2003 – 2007)
Replik auf Mark Terkessidis’
„vorläufiges Resümee“ – „Petition revisited.
„Becklash“[1] hieß im Jahre 2003 eine Initiative, die von uns, zwei Feministinnen und einem Gewerkschafter, verfasst und von 125 Personen bzw. Gruppen aus diesem Milieu unterschrieben wurde. Im „Forum Wissenschaft“[2] des „Bundes demokratischer Wissenschaftler“ kommt sie nun vier Jahre später zu neuen Ehren, wenn auch nur als Beispiel eines „auf den Hund“ gekommenen Feminismus. Die UnterzeichnerInnen hätten sich, so der Autor, „nachhaltig unglaubwürdig“ gemacht. Es scheint, als ob der Autor, Mark Terkessidis, sich bis ins Mark getroffen gefühlt haben muss, dass er nach so langer Zeit erneut meint, den Text verreißen zu müssen. Er behauptet, die Becklash-Initiative hätte Deutschland als ein Land betrachtet, „in dem es keine männlichen Privilegien mehr gibt“ und sie hätte „die Gleichheit der Geschlechter innerhalb der nationalen Gemeinschaft“ schützen wollen, „indem man den Sexismus einfach ausweist“. Wir hatten uns keineswegs gegen Immigration oder gegen „den Islam“ ausgesprochen, letzterer wurde mit keinem Wort erwähnt, sondern die Initiative richtete sich gegen die kritiklose, multifolkloristische Akzeptanz archaischer Kulturen aus Herkunftsländern, die gepaart mit religiösem Fundamentalismus nach unserer Auffassung in Europa zu Zuständen führen, die populär als Parallelgesellschaften bezeichnet werden, wo bspw. deutsche bzw. westliche Verfassungs- und Rechtsauffassungen schlichtweg negiert und durch sexistische Normen ersetzt werden[3]. Diese hielten wir für dauerhaft nicht hinnehmbar und verlangten, die Bundesimmigrations-Beauftragte, damals Marie-Luise Beck, sowie die Frauen-Ministerin Renate Schmidt und die Justizministerin Brigitte Zypris sollten Vorschläge erarbeiten, wie dieser Prozess umkehrbar zu machen wäre, statt wohlfeile Toleranzsprüche zu klopfen, wie in deren Aufruf „Wider eine Lex Kopftuch“[4] unserer Meinung nach geschehen. Falls ihnen nichts Besseres einfallen sollte, hatten wir eine „billige Lösungsmöglichkeit“ genannt: Einwanderer aus Staaten, in den Frauen rechtlich diskriminiert werden, sollten über deutsche Gesetze und Normen aufgeklärt werden, bevor sie in der Bundesrepublik einen längerfristigen Aufenthaltsstatus bekommen. Die Aufklärung sollten sie durch ihre Unterschrift bestätigen und Leute, die dennoch meinten, ihre Frauen oder Töchter unterdrücken zu müssen, sollten wie andere Kriminelle auch behandelt werden, d.h. sie würden ihr Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik verwirken. Deutsche Rechtsverletzer sollten unserer Meinung nach natürlich ebenfalls belangt werden. Die Reaktion war weitgehend positiv, mit Ausnahme bei einigen autonomen, spätstalinistischen, und multikulturellen Gruppen. Diese holten den großen Hammer aus ihrer Schublade und warfen uns einerseits Nationalismus, Rassismus und Islamphobie vor, andererseits rückten sie uns in die „antideutsche“, also kommunistisch-antinationale Ecke. Es blieb nicht bei Worten. Einer Gruppe gelang es, die Homepage, in der wir unseren Text publizierten, zu löschen. Die gleichen Gruppen rührten sich natürlich nicht, als Salman Rushdie oder Isioma Daniel mit Todesfatwas bedroht wurden oder als Theo van Gogh von einem muslimischen Fanatiker abgeschlachtet wurde. Von ihnen ist auch kein Wort gegen die Steinigung von Frauen oder Homosexuellen, bzw. anderen Unterdrückungsformen gegen Missliebige in muslimisch geprägten Ländern bekannt. Multikulti verkommt bei dieser Sorte von Appeasern schnell zur Verteidigung der schlimmsten Sorte von reaktionärer Ideologie und Praxis. Ein solches Beispiel stellt die von Mark Terkessidis und Yasemin Karakasoglu initiierte und hauptsächlich von Terkessidis verfasste „Petition“[5] gegen Necla Kelek und Seyran Ateş dar, die von 60 sogenannten Multikulti-ExpertInnen unterschrieben wurde und mit „Gerechtigkeit für die Muslime!“ überschrieben war. Eine Gegenposition wurde von Sozial- und Erziehungwissenschaftler Hartmut Krauss unter dem Titel „Gerechtigkeit für demokratische Islamkritikerinnen!“ vorgelegt[6]. Von daher kann hier eine detaillierte Kritik unterbleiben. Necla Kelek, Seyran Ateş, Ayaan Hirsi Ali, Kola Boof[7], Meena und viele andere Frauen aus Ländern, die islamisch geprägt sind, haben viele Fälle verschiedener sexistischer Unterdrückung beschrieben, die in der Becklash-Initiative gemeint waren. Terkessidis und seine 60 MitstreiterInnen aus dem Multikulti-Business versuchten in ihrer Petition diese Tatsachen wenn nicht zu leugnen, so doch wenigstens zu relativieren. An Necla Kelek und Seyran Ateş ließen sie kein gutes Haar, ebenso wenig an der gebürtigen Somalierin und niederländisches Parlamentsmitglied Ayaan Hirsi Ali. Kola Boof, die feministische Sudanesin und Meena, die mutige Vorkämpferin für Frauenrechte in Afghanistan[8] waren bzw. sind ihnen vermutlich nicht bekannt und finden daher bei ihnen keine Erwähnung, genauso wenig wie zahlreiche ägyptische, marokkanische und Autorinnen aus anderen muslimisch geprägten Ländern, die detailliert die Stellung der Frauen, ihre Unterdrückung und Misshandlungen in ihren jeweiligen Gesellschaften beschreiben. Insbesondere im afrikanischen Raum findet die Beschneidung der Frauen nach wie vor ideologische Unterstützung von Seiten muslimischer Mullahs.[9] Terkessidis sieht in den Beschreibungen von Kelek, Ateş und Ali, den Interessen des „Feminismus mit deutschem Pass“ (also unseren) und dem „Konservatismus“ eine Gemeinsamkeit: Die „Verhinderung weiterer Einwanderung“. Da Erstere das mit keinem Wort fordern, wir schon gar nicht, bedient er sich einer Hilfskonstruktion. Sie/wir fungieren ihm zufolge als „Kronzeuginnen für die Durchsetzung einer restriktiven Politik“. Weiter stört ihn die Aussage von Necla Kelek, dass es in Deutschland keine Diskriminierung von Muslimen gäbe. (Offenbar geht Terkessidis vom Gegenteil aus.) Eine „Eingliederung“ in die „deutsche Gesellschaft“ als Weg in die Moderne, wie Necla Kelek es als Weg in die Moderne fordert, findet er ebenfalls kritikwürdig.
Terkessidis beschwert sich über die
mediale Kritik an seiner „Petition“. Von „rationaler Diskussion“ wäre
mit Ausnahme in der taz nichts zu finden gewesen.
Selbst einige seiner UnterzeichnerInnen und UnterstützerInnen, die sich
nachträglich von der Polemik in seinem Text distanzieren, bekommen jetzt
ihr Fett weg. Rezensenten im gleichen Argumentheft[10] werfen ihm einen „Tunnelblick“
vor. Sie „irren“ sich, schreibt er summarisch, um dann zu unterstellen,
dass nicht Kultur oder Herkunft für verfehltes Verhalten verantwortlich
zu machen sei, sondern
allein die soziale Lage, ohne allerdings irgend
einen Beweis dafür zu nennen. Schließlich beklagt er eine „neue Form
marginalisierter Männlichkeit, die mit Herkunft nichts zu tun“ habe.
Mädchen, einheimische wie solche mit Migrationshintergrund, würden
bildungsmäßig besser abschneiden als Jungen, die sich stattdessen auf
„Straßenwissen“ verlegen würden, also Gangs bilden usw. Die „Tradition“
oder „der Islam“ seien für „diese neue Art von Männlichkeitsartikulation
nicht verantwortlich“. Abgesehen davon, dass er hier selbst
unterschiedliche Dinge vermischt, unterstellt er offenbar, als ob diese
Jungs im luftleeren Raum aufwüchsen, keine traditionellen
Verhaltensmuster in ihren Familien erleben würden, nicht von der
patriarchalen Religion und Praxis des Islam beeinflusst wären usw.
Sexismus gebiert Sexismus - diese einfache Wahrheit geht an
Terkessidis völlig vorbei.
Das, was Terkessidis uns und anderen
vorwirft, soziale Bedingungen und religiöse Überzeugungen und
Traditionen zu verwischen, führt in dem Bemühen, eine strikte Trennung
zwischen beiden einzuhalten, in seinem Beispiel zur absurden Aussage,
die Mädchen seien nunmehr gegenüber den Jungs privilegiert. Haben wir
also den Mord an Hatun Sürücü durch ihre Brüder, der
älteste Bruder, Mutlu, war zeitweilig Günter
Langers Schüler im „Oberstufenzentrum Handel“ des
Wrangelkiezes, nunmehr als Widerstandsaktion gegen die gesellschaftliche
Benachteiligung der männlichen Familienmitglieder zu werten? Der jüngste
Bruder muss aufgrund seiner Jugend eine relativ geringe Haftstrafe
absitzen, die beiden älteren gingen frei aus. Beweist das nicht zum
Überdruss unsere These in „Becklash“ vom „rechtsfreien
Raum“? Die Sürücüs sind eine konservativ-kurdische
Familie aus dem Nordosten der Türkei und streng sunnitisch religiös.
Hatun wollte sich nicht mit der aus dieser Tradition
stammenden Rolle für Frauen abfinden und begann ein Leben zu führen,
dass Terkessidis als „integriert deutsch“ denunziert.
Dafür musste sie nach Aussage des einzig verurteilten Bruders sterben.
Regionale Traditionen gehen eine Verbindung mit
religiösen Dogmen ein. Dies ist wahr, nicht nur für den Islam, sondern
für alle anderen Religionen ebenso. Dabei ist es nicht gleichgültig,
welche religiösen Dogmen die Oberhand gewinnen. Gerade die Türkei ist
ein gutes Beispiel für den Unterschied des religiösen Einflusses auf das
Bewusstsein, die Traditionen und das Verhalten der Menschen bei gleichen
sozialen Verhältnissen. Dies ist z.B. in Schulklassen schnell
auszumachen. Nach nur einer Schulstunde wissen LehrerInnen zumeist, ob
SchülerInnen mit türkischem bzw. kurdischem Hintergrund aus sunnitischen
oder alevitischen Familien stammen. Erstere entpuppen sich fast durchweg
als wesentlich konservativer als letztere. Die Aleviten,
ca. 25 % der Bevölkerung in der Türkei, beziehen sich in ihrem Glauben
zwar auf Mohammed und dessen Schwiegersohn Ali, erkennen aber den
überlieferten Koran wegen seiner Verfälschungen nicht an, besuchen keine
Moscheen, sondern Gemeindehäuser, in denen Frauen und Männer gemeinsam
ihrer Spiritualität nachgehen, kennen kein Verhüllungsgebot für Frauen,
nennen ihren Gott nicht Allah, sondern Hak,
und sie sind tolerant gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen. Die
Mehrheit der Aleviten meint einer Form des Islam
anzuhängen. Dies aber offenbar aus historischen Gründen, da sie sonst
noch stärker diskriminiert worden wären als es ohnehin geschah.
Tatsächlich sollte man sie aber als eigenständige Religionsgemeinschaft
betrachten. Die sozialen Bedingungen und die Herkunft für
Sunniten und Aleviten sind gleich oder ganz
ähnlich. Trotzdem verhalten sich diese Menschen völlig unterschiedlich.
Wie erklärt Terkessidis und seine MitstreiterInnen
diese Tatsache, wenn die Religion angeblich keine Rolle spielt? In
seinem Bemühen, „den Islam“ aus der Verantwortung auszunehmen, ignoriert
er schlicht, was in der Türkei allgemein akzeptiert wird. Progressive
bzw. linke politische Gruppen sind in der Regel von Aleviten
dominiert, konservative eher von Sunniten.
Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die parlamentarische Politik,
sondern auch auf das private Leben.[11]
Um Terkessidis und andere unserer
KritikerInnen zu beruhigen, sei hier gesagt, dass wir die Rolle der
christlichen Konfessionen in Deutschland bei deren Bemühungen,
konservative Wertvorstellungen insbesondere in Bezug auf die
Geschlechterrollen zu bewahren
ebenso kritisieren, wie z.B. den Einfluss
fundamentalistischer Kirchen auf die Politik in den USA und zunehmend
wieder bei uns.
Deshalb treten wir für eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche in
Deutschland ein. Hätten wir eine laizistische Situation wie in
Frankreich, wären die Muslime automatisch gleichberechtigt und müssten
nicht versuchen, mit Christen gleichzuziehen. Im Vergleich USA und
Westeuropa fällt ebenfalls auf, dass Terkessidis’
Methode, alles „sozial“ begründen zu wollen, zu kurz greift. Trotz des
vergleichbaren Lebensstandards unterscheidet sich die Religiosität
diesseits und jenseits des Atlantiks erheblich. Auch der Subtitel seines
„Resümees“ stellt Feminismus und das Soziale gegenüber, so, als ob beide
miteinander nichts zu tun hätten. Terkessidis scheint
einem platten Basis-Überbau Schema anzuhängen, das mit der Realität auf
dem Kriegsfuß stand.
Terkessidis versuchte in seiner
„Petition“ den Eindruck der Wissenschaftlichkeit zu erwecken, indem er
herausstellte, dass sich seine 60 UnterzeichnerInnen aus dem
professionellen Migrantenforschermilieu rekrutierten. Uns wirft er vor,
unterschiedliche Dinge in einen Topf geworfen zu haben, also
unwissenschaftlich vorgegangen zu sein. Nun, unser Aufruf wurde von 125
Menschen vorwiegend aus dem akademischen Milieu unterschrieben. Das
macht ihn noch lange nicht „wissenschaftlich“. In der Tat haben wir
einen polemisch zugespitzten Aufruf zu Problemen in der Migrantenszene
vorgelegt, der zur Diskussion anregen sollte. Dies bedeutete einen
Tabubruch, da bis dahin im linken Milieu die von uns angesprochenen
Themen nicht zur Kenntnis genommen wurden. Die Reaktionen haben uns
bestätigt. In seinem jetzigen „Resümee“ gibt Terkessidis
nun zu, ebenfalls polemisch zugespitzt zu haben. Unserer Meinung nach
durfte er das, aber seine Kritik an uns erweist sich damit als
heuchlerisch und seine angebliche Wissenschaftlichkeit als hohl. Auch im
Detail kommt er diesem Paradigma nicht nach. Obwohl er fast ein Viertel
seines Textes unserem Aufruf widmet, vermeidet er eine Quellenangabe.
Will er seine LeserInnen davor schützen, ohne längeres Suchen das
Original in Gänze lesen zu können?
Um „Gerechtigkeit für die Muslime!“,
also um den Islam ging es in Terkessidis’ „Petition“.
Obwohl in unserem Becklash-Aufruf nicht genannt, aber
es ist von Ländern die Rede, in denen keine Gleichberechtigung der
Geschlechter herrscht, assoziiert Terkessidis
umstandslos den Islam. Wir meinen zurecht, denn die Ungleichbehandlung,
besser die Diskriminierung der Frauen ist in der Scharia,
einem zentralen Bestandteil des muslimischen Glaubens, festgeschrieben,
und in Ländern, in denen die Scharia zur
Rechtsgrundlage erhoben wurde, ist der Sexismus damit Gesetz.
Terkessidis und Gleichgesinnte erweisen dem angestrebten Ziel
einer multikulturellen Gesellschaft einen Bärendienst, wenn sie meinen,
Minoritäten vor jeglicher Kritik schützen zu müssen, insbesondere dann,
wenn, wie im Falle des Islam, die Fakten dagegen sprechen. Es hilft auch
nicht darauf hinzuweisen, dass selbst einige muslimische Frauen mit
Kopftuch für ihre Emanzipation im und außerhalb des Islam streiten.
Mutter Theresa war z.B. in diesem Sinne bereits
„emanzipiert“, immerhin hat sie ihr Schicksal selbst bestimmt, aber
ebenfalls im
Dienste
einer repressiven Moral, in ihrem Falle katholisch gestrickt. Uns geht
es darum, diesen viel zu engen Rahmen
nicht als „gottgegeben“ hinzunehmen.
3. Oktober 2007
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