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Schule, Gewalt, Integration - die Rütli-Debatte
Polizei spricht von "Versklavung
von Mitschülern" (Mopo;
12.11.10).
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Brigitte Pick (60) war 22 Jahre lang Rektorin der Rütli-Schule im Berliner Stadtteil Neukölln |
GEW-Kollege Siegfried Arnz ist seit einem Jahr in der
Bildungsverwaltung für die Hauptschulen zuständig. Ihm ist vorher
als Schulleiter gelungen, was viele nicht schaffen: aus einer
Hauptschule mit einem hohen Migrantenanteil, in die keiner gehen
wollte, eine anerkannte Schule zu machen, die mehr Bewerber als Plätze
hat. Das kleine Wunder vollbrachte er an der Werner-Stephan-Oberschule
in Tempelhof. Sein Rezept: Altersgemischte Förderklassen für Schüler,
die ohne Deutschkenntnisse in die Schule kommen, spezielle
Integrationsklassen und – Hoffnung. Denn die Werner-Stephan-Schule,
eigentlich eine reine Hauptschule, eröffnet Wege zu allen Schulabschlüssen.
Wer die zehnte Klasse mit einem Schnitt von mindestens 2,5 absolviert,
bekommt einen Realschulabschluss. Immer wieder schaffen Schüler sogar
den Sprung auf ein Aufbau-Gymnasium (Tagesspiegel,
31.3.06). Nun soll Siegfried Arnz für Böger die
Kastanien aus dem Feuer holen, zusammen mit dem Aushilfsschulleiter Helmut
Hochschild aus Reinickendorf...
Die FAZ weiß, was zu machen ist und Redakteurin Heike Schmoll
meint, "daß es pädagogisch
falsch war, das Niveau zu senken und Lerngruppen einzurichten, um möglichst
viel Lob verteilen zu können. Denn Gruppenunterricht überfordert
solche Schüler, sie brauchen klare Zielvorgaben, Berechenbarkeit,
Strenge und unerbittliche Konsequenz, verbunden mit bedingungsloser
Zuwendung durch den Lehrer "(FAZ,
4.3.06). Eberhard
Seidel in der taz des gleichen Tages hingegen macht sich Sorgen um
Multikulti. Er möchte das Konzept verteidigen und weist darauf hin,
dass sich die Konservativen bislang vor der Diskussion gedrückt, die
Linken aber Konzepte erarbeitet und auch nichts verschwiegen hätten.
Konkret: "Am Beispiel der Rütli-Hauptschule in
Berlin Neukölln mit ihren vielen arabischen Jugendlichen ist die
Ignoranz der politischen Mitte schnell erzählt. Seit fünfzehn Jahren
haben Sozialarbeiter, Sozialwissenschaftler, Journalisten und
GEW-Vertreter vor den Problemen vor allem mit den palästinensischen
und libanesischen Familien Neuköllns gewarnt. Die Großeltern und
Eltern der Kinder der Rütli-Hauptschule kamen in den Achtzigerjahren
als Bürgerkriegsflüchtlinge nach Berlin. Sie erhielten keinen
sicheren Aufenthaltsstatus, sondern stets auf wenige Monate befristete
Duldungen, die ihnen die Aufnahme von Arbeit verwehrten. Die Familien
wurden auf Dauer in ein System reduzierter Sozialhilfe gezwungen und
hatten nur selten die Möglichkeit, ihr Leben durch eigene Arbeit zu
finanzieren. Integrations- oder gar Deutschkurse gab es nicht, und die
Schulpflicht für ihre Kinder wurde erst Anfang der Neunzigerjahre
durch den rot-grünen Senat verfügt. Dieses Leben im Transit währte
10, 15 oder gar mehr als 20 Jahre. Das Ergebnis dieser Politik sind
zerrüttete Familien, die von Analphabetismus geprägt sind, und Überlebensstrategien,
die nicht immer mit bürgerlichen Wertvorstellungen übereinstimmen".
Seidel schlussfolgert: "Wer nun in kulturkämpferischer
Pose über diese Jugendlichen herfällt und meint, sie seien ein
weiterer Beweis mangelnden Integrationswillens von Muslimen, ist nicht
nur zynisch, sondern zeigt: Das Interesse ist nicht Erkenntnisgewinn,
sondern die schiere Lust auf Krawall".
Die Berliner
BZ hält dagegen und läßt Angelika Prase-Mansmann,
Schulleiterin der Theodor-Plievier-Oberschule, zu Worte kommen,
die den Berliner Senat in einem eigenen Brief um Hilfe bittet: "...Die
Schüler wissen gar nicht, warum sie lernen und arbeiten sollen. Ihre
Eltern sagen ihnen: In Deutschland mußt du dir die Hände beim
Arbeiten nicht schmutzig machen. Es gibt immer mehr Respektlosigkeit.
Lehrer werden angepöbelt. Die Gewalt nimmt zu, wird von draußen
reingetragen. Als unlängst zwei Lehrerinnen nach Hause gingen, fielen
Schüsse - auf eine Telefonzelle, hinter der sie gerade lang liefen.
Die Polizei ermittelt in diesem Fall. In unseren Klassen gibt es viele
Kleinkriminelle. Sie werden zu Jugendarrest verurteilt. Kurze Zeit später
aber sitzen sie wieder in der Schule, sind für einige Mitschüler
Vorbilder"... Die BZ
lässt nicht locker und bringt am 5.4. eine ganze Serie von Vorfällen,
von denen der letzte sich gegen einen Hausmeister an der Weddinger
Ernst-Schering-Oberschule Thomas H. richtete. Er wurde am 28.3.
zusammengeschlagen, weil er Schüler am Schwänzen hindern wollte.
Nach all dem Trubel und Versäumnissen tritt Senator Böger
nicht etwa zurück, sondern lässt
mitteilen: Über Delikte erhält der Senator quartalsweise Bericht.
Und: „Gewalt ist eine Realität in unserer Gesellschaft und damit
auch in unseren Schulen. Besondere Bedeutung hat dabei die zum Teil
komplette Vernachlässigung von Kindern durch das Elternhaus.“ (Soll
das ein Persilschein sein nach dem Motto, wir sind nicht schuld und
können nix tun?) Der Regierende Bürgermeister Wowereit ergänzt:
"Das ist mir zu einfach, immer nur zu sagen, es liegt am
mangelnden Geld. Die Hauptschulen haben schon jetzt eine bessere
Lehrerausstattung, ein höherer Ausländeranteil bedeutet
entsprechende Förderstunden. Für die Probleme gerade der
Hauptschulen braucht man vor allem Konzepte" und "Lehrer-Versetzungen
sollten vielleicht nach zehn Jahren ermöglicht" werden (03.04.2006 Berliner Zeitung).
Pflüger (CDU-Kandidat) macht jetzt schon Wahlkampf und fordert
in letzter Konsequenz wie General
Schönbohm ("Es ist hauptsächlich die Integration
islamischer Migranten") aus Brandenburg die Ausweisung von
Delinquenten. Er will "Zähne
zeigen":
1.
Einschulung nur mit Deutsch-Kenntnissen
2. Stärkung der Hauptschule durch Berufs-Praktika
3. Unterstützung der Lehrer durch Psychologen und Sozialarbeiter
4. Auf Wunsch der Schule Einsatz von Metall-Detektoren und Videoüberwachung
von Schulhöfen und Eingängen.
Schönbohm setzt noch einen
drauf: "Der Prozess der Selbstausgrenzung aus der deutschen
Gesellschaft kann auch nicht durch noch so gut gemeinte
Integrationsangebote aufgehoben werden. Wir sollten aufhören, um das
Problem herumzureden: Es ist hauptsächlich die Integration
islamischer Migranten. 47 Prozent der bei uns lebenden Türken können
sich nicht vorstellen, Deutsche zu werden. 21 Prozent der befragten
islamischen Migranten sind der Auffassung, dass unser Grundgesetz mit
ihrem Glauben unvereinbar sei. Wenn schon jetzt die Integration an die
Grenzen des Möglichen führt, dann gibt es nur einen vernünftigen
Schluss: Wir sollten den Nachzug begrenzen, besonders den aus
islamischen Ländern!" Wie soll das geschehen? "Das
Alter für nachzugsfähige Ehefrauen sollte von jetzt 18 Jahren
deutlich angehoben werden; zudem sollte vor der Einreise der Nachweis
ausreichender Deutschkenntnisse erhoben werden. Unsere Politik kann ab
sofort nur lauten: Integration intensivieren, Zuwanderung begrenzen!
In erster Linie aber müssen wir für eine „nachgeholte
Integration“ sorgen, die intensiv diejenigen integriert, die bei uns
leben und arbeiten und vollgültige Bürger unseres Landes werden
wollen. Jeder, der das nicht will, muss gehen" (Tagesspiegel,
5.4.06).
Eine Woche nach Bekanntwerden der Zustände an der Rütli-Schule
beraten am 5.4.06 alle Berliner Hauptschulleiter mit
Bildungssenator Klaus Böger (SPD), wie es weitergehen soll. Sie
erhoffen sich konkrete Zusagen über neue Lehrer und die baldige
Einstellung der dringend erwarteten Sozialarbeiter. Neuköllner Pädagogen
rufen um 14 Uhr in der Karlsgarten-Grundschule zu einer „Solidaritätsveranstaltung
mit dem Kollegium der Rütli-Schule“ auf. Unterstützt werden sie
von den Lehrergewerkschaften GEW und VBE. Am Donnerstag
will auch das Abgeordnetenhaus in einer aktuellen Stunde über die
Integrationsprobleme an Berlins Schulen diskutieren. (Tagesspiegel).
Die Grünen-Fraktionschefin Renate Künast attackierte CDU und FDP wegen eigener Versäumnisse: „Was hat denn die CDU getan? Sie hat Ganztagsbetreuung gestoppt.“ Künast verwies darauf, dass Gewalt an Schulen kein Ausländerproblem sei. In Gardelegen in Sachsen-Anhalt seien an einer Hauptschule – ohne ein einziges ausländisches Kind – ein Drittel der Lehrer krank, Pöbeleien und Gewalt an der Tagesordnung. „Ich erinnere mich noch sehr genau an Zeiten, als die CDU fragte, wie man denn dazu käme, Migranten auch noch Deutschkurse zu bezahlen“, sagte Künast. (Hauptschul-Rektoren fordern Abschaffung ihrer Schulform Willenserklärung nach Treffen mit Bildungssenator Klaus Böger, Tgsp. 6.4.06)
Die Tagesschau berichtet am 5.4.06 über das Gewaltniveau in den Schulen von Schweden, Frankreich und Spanien. Wie nicht anders zu erwarten, Frankreich gewinnt. Kriminologe Christian Pfeiffer über Deutschland: "Seit 1997 geht die Gewalt an deutschen Schulen zurück". (Kriminologe plädiert für Abschaffung der Hauptschule tagesschau.de, 5.4.06).
Jetzt ist es raus, wer Schuld an der
Misere ist: Die Erblast von
Achtundsechzig
Von Berthold Kohler (Leitartikel,
FAZ, 6.4.06).
Lehrer-Online (Berlin Polizeischutz für bedrohten Schüler) (10.5.06)
Lehrer-Online («Berliner Zeitung» Lehrer als Hilfspolizisten) (11.5.06)
Malmö "schlimmer" als Nordneukölln? In Schweden wird eine Schule geschlossen – das erste Mal wegen gewalttätiger Schüler(Tgsp. 11.5.06)
Neuer Brandbrief kommt aus der Otto-Wels-Grundschule in Kreuzberg (Tgsp 11.5.06)
Konfliktlotsin Jenny vor der Riesengebirgs-Oberschule in Berlin-Schöneberg: "Wir Deutschen bekommen keinen Respekt!" Gewalt in Berlin-Schöneberg. Die Deutschen sind Verlierer - (SPIEGEL, 10.5.06).
Helmut Hochschild: Das System ist krank. Ein Fünftel der Rütli-Schüler sind Flüchtlinge oder Kinder von Flüchtlingen. Sie haben kein sicheres Aufenthaltsrecht. Wenn die in der neunten Klasse Berufsorientierungsunterricht haben, ist das für sie natürlich ein Witz: Mit ihrem Status durften sie bislang keinen Beruf erlernen. Mit ihrer Haltung ziehen sie die anderen einfach runter. Es ist wie eine ansteckende Krankheit. ( SPIEGEL, 4.12.06). "Klar ist, dass unsere Hauptschülerinnen und -schüler mehr Unterstützung brauchen", sagt auch Jürgen Zöllner, neuer Berliner Bildungssenator ( SPIEGEL, 5.12.06).