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Als sie plötzlich alle vom Wetter redeten

 

Der »Zwiebel« und das berühmte SDS‑Plakat - eine Stuttgarter Leidensgeschichte

An einem diesigen und grauen Stuttgarter Januartag des Jahres 1968 kam der Kunststudent Ulrich Bernhardt, den jeder nur unter dem Namen »Zwiebel« kannte, wieder einmal bei seinem Spezi Jürgen Holtfreter vorbei. Der hatte eine kleine Bude »irgendwo an der Olgastraße« und bastelte schon jahrelang an irgendwelchen Fotomontagen, Plakaten und Collagen herum. Zwiebel bewegte in seinem Kopf ähnlich geartete Dinge: kurz vorher war er in der Kunstakademie von Professor Yelin aus dessen Malklasse geworfen worden, weil er sich am Akademiewettbewerb »Porträt« mit einem vier Meter hohen Bildnis von Mao beteiligt hatte. Die Performance auf dem Schlossplatz, während der das Mao‑Bild gezeigt und gleichzeitig ein Originalflugblatt einer Realschule in Shanghai verteilt wurde, war unvergessen. Ein Hauch von Kulturrevolution: »Die Lehrer müssen den Schulhof kehren!« und sonstige programmatische Thesen wurden unkommentiert unter dem überlebensgroßen Mao auf Handzetteln verteilt.

 

Zwiebel, der gerade eben mit drei befreundeten Kommilitonen eine Sektion des SDS, des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, an der Kunstakademie gegründet hatte, war voller Aufbruchstimmung, denn es stand ein entscheidender Wahlkampf an der Uni Stuttgart bevor. Dass die Künstler gleich ein Plakat für den SDS entwerfen sollten, lag nahe. Und bei Holtfreter lag »grad so was rum«, »ausgeschnittene Köpfe, ein Bundesbahnplakat«, da durchzuckte es Zwiebel: »Das ist es!« Holtfreter soll dann irgendetwas gemurmelt haben, von »ist noch gar nicht richtig montiert, ist noch mehr in Gedanken«, und außerdem sei das was für die »Falken«, die SPD‑Jugendorganisation. Daß Zwiebel damit nicht ganz einverstanden war, verstand sich in seiner Euphorie von selbst. Marx, Engels, Lenin und der Spruch der Bahn: »Alle reden vom Wetter, wir nicht!« ‑ das entsprach genau dem, wie er sich im Augenblick fühlte. »Dann nimm's halt mit!« soll Holtfreter, davon nicht unbeeindruckt, dann gesagt haben, und Zwiebel klaubte die vorhandenen Teile zusammen und ging damit zur Vorstandssitzung, die am selben Abend stattfand.

 

Wenn Ulrich Bernhardt, der später acht Jahre lang Leiter des Künstlerhauses in der Reuchlinstraße war, dies 20 Jahre danach in seinem Atelier in der Gutenbergstraße 62 erzählt, ist er ganz dabei. Denn das Plakat, um das es hier geht, wurde sprichwörtlich. Die klassische Botschaft, daß alle vom Wetter redeten, nur der SDS unter Bezugnahme auf Marx etc. nicht, hing binnen kurzer Zeit 50000‑fach an Studenten‑ und Sympathisantenwänden, auch der Biermann in Ostberlin soll eins gehabt haben. Die »Pfannkuchenperspektive«, wie Zwiebel es nennt, in der die revolutionären Köpfe ineinander übergehen, erhöhte die Suggestion. Es war Stuttgarts gewichtigster Beitrag zur 68er‑Revolte. Nur geriet sehr schnell in Vergessenheit, daß das Plakat aus Stuttgart kam.

 

Es war allerdings ein sehr beschwerlicher Weg, bis es soweit war. Denn die führenden Köpfe vom Stuttgarter SDS schlugen erstmal die Hände über denselben zusammen, als Zwiebel mit Holtfreters Versatzstücken ankam. »Unmöglich! Ein Plagiat der Bundesbahn! Das können wir uns als bewußte Genossen gar nicht leisten!« Das Spontitum, das Bohémehafte hatte noch nicht recht Fuß gefaßt in der Stuttgarter Politszene. Die Genossen hielten Zwiebel ein Plakat (von einer »Studentenunion« oder »Humanistischen Union« in Bonn) unter die Nase, das ungefähr die Richtung vorgab, in der er kreativ werden sollte: da waren 16 Köpfe der Reihe nach in Paßbildmanier abgebildet, Marx,,Marcuse, Rosa Luxenburg usw. natürlich auch,bis hin zu Martin Luther King und Che Guevara. Motto: »Alles, was denkt, ist links!« Dazu ein hochintellektueller Text, warum das so sei. Zwiebel war frustriert. Er lenkte seine Schritte schräg gegenüber in den »Elefanten«. Als er vor seinem Bier saß, kam der damals schon berühmte Galerist Hans‑Jürgen Müller (der, der jetzt mit seinem Atlantis- Projekt immer mal wieder von sich reden macht) zur Tür herein. Zwiebels Miene muß so betroffen gewesen sein, daß ihn Müller sofort ansprach. »Ach Mensch, ich hätte da so'n gutes Plakat, und das machen die Arschlöcher nicht!« Müller, der als Gebrauchsgrafiker angefangen hatte, ließ sich den Entwurf zeigen und nickte bedächtig mit dem Kopf. »Ist gut das Ding. Dann mach's doch selber!« Zwiebel machte die bekannte Geste mit Daumen und Zeigefinger: »Hier! Keine Kohle!« Das ließ Müller relativ kalt. »Wieviel brauchst du?« »So 500 Mark schätz ich mal!« Müller zückte seinen Geldbeutel und blätterte die Scheine auf den Tisch.

 

Zwiebel bezahlte den Fotografen für das Repro , gab dem Drucker eine erste Anzahlung, zog gleich den ersten Siebdruck selbst ab und ging mit 50 Andrucken am nächsten Mittag schnurstracks in die Mensa. Dort bauten ein paar SDS‑ler, die von nichts wußten, gerade einen Stand auf. Zwiebel hing die Plakate gleich auf, und was dann folgte, war der Beginn eines überwältigenden Siegeszugs. Sofort bildeten sich Trauben, im Nu waren die Plakate weg, und als die ersten 600 Exemplare vorlagen, dauerte es »höchstens eine Woche«, bis auch sie vergriffen waren. Der Sog hatte den Stuttgarter SDS‑Vorstand hinweggespült, der fand das Plakat jetzt auch gut. Dann liess er eine zweite Auflage von 2000 Exemplaren drucken, und die Deutsche Presse‑Agentur setzte davon sofort ein Funkbild an diverse Gazetten ab. Als die Stuttgarter Delegation dann das Plakat zum Berliner Vietnam Kongress im Februar mitnahm, ward es zum Orkan: die mitgebrachten Exemplare waren schon am ersten Tag ausverkauft, und die in Stuttgart kamen in der Folge mit dem Drucken nicht nach. Darauf riß der Bundesvorstand die Sache an sich. Zwiebel telefonierte in der Folge zwar noch einmal mit KD Wolff, damit die Identität nicht ganz verlorenginge, aber der sagte bloß: »Ihr Genossen aus Stuttgart müsst halt mal hinter der gemeinsamen Sache zurückstehen!«Mit den Einnahmen wurden die zahllosen Prozesse wegen Landfriedensbruch finanziert. Das war OK.

 

Zwiebel findet das im Prinzip heute noch gut. Es war ein anonymes Plakat, und mit dem Kunst‑ und Signaturgehabe hatte man es damals noch überhaupt nicht. »Es war ein guter Umgang mit solchen Sachen damals ‑ ganz typisch auch Holtfreter, wie er bloß sagte: dann mach halt mal. Da gab's nicht irgendwelche Eigentumsansprüche!« Von der zweiten Auflage besitzt Zwiebel heute noch einige Plakate ‑ sie sind deutlich von den späteren Massenauflagen zu unterscheiden, weil die Stuttgarter Auflagen im Siebdruck, die folgenden vom Bundesvorstand im Offsetdruck hergestellt wurden. Auf Wunsch signiert Zwiebel die historischen Dokumente auch.

 Helmut Böttiger, Stuttgarter Zeitung

 Helmut Böttiger: Als sie plötzlich alle vom Wetter redeten. In: Böttiger, Helmut (Hrsg.): Der VFB grüßt den tapferen Vietcong. Stuttgart in den 60er Jahren. Stuttgart 1989, S. 9–12.

Inzwischen hat das Plakat auch musealen Wert: Im Museumsshop der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ist es käuflich zu erwerben.

sds-wetter-im-Museum
Wolfgang Engert (l.) und Hans Walter Hütter (M.) bei der Feinabstimmung über Shopprodukte.


Ulrich Bernhardt machte auch später Geschichte mit Bezug auf 68:

Die Eingeschlossenen

Reden wir vom Subjekt: In der Berliner RAF-Ausstellung nimmt die Kunst sich selbst ins Verhör

Es gibt Kunstwerke, die erst dadurch, daß sie in einer RAF-Ausstellung gezeigt werden, ihren wahren Sinn enthüllen. Ulrich Bernhardts Arbeit "Nationalästhetik, 1968 - 77" wurde jahrelang bloß als Sinnbild für die Ablösung der Buchkultur durch die neuen Medien betrachtet: Ein aufgeschlagenes Buch auf dem Ziffernblatt einer Uhr, darin statt Text ein eingelassenes Videoband. Niemand interessierte sich für den Inhalt des Videos. Der aber ist das Entscheidende: Aufnahmen von der Beerdigung der Terroristen, die sich im Oktober 1977 im Gefängnis Stammheim das Leben genommen hatten. Das Begräbnis selbst unterlag der höchsten Sicherheitsstufe, auch die Fotografen und Kameraleute wurden erkennungsdienstlich erfaßt. Um sein Videoband herauszuschmuggeln, versteckte es der Künstler im ersten Band von Hegels "Ästhetik". (Mark Siemons, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 29.01.2005, Nr. 24, S. 33 ).