Berlin |
|
Bundespräsident Johannes
Rau: |
|
|
|
Rede
zu Inge Deutschkron aus Anlass der Veranstaltung
"Grenzdenker"
|
.... Zu lange wurde verdrängt, geleugnet, verharmlost.
Margarete und Alexander Mitscherlich haben vor über dreißig Jahren
über die "Unfähigkeit zu trauern" geschrieben. Sie haben
darauf aufmerksam gemacht, welche Folgen es hat, wenn eine
Gesellschaft sich der eigenen Geschichte nicht stellt, sondern sie
durch Schweigen folgenlos zu machen sucht.
Die Mitscherlichs haben daran erinnert, dass für viele Deutsche das
Ende des Dritten Reiches der Zusammenbruch einer Weltanschauung war,
die ihrem Leben Sinn verliehen hatte. Diese Weltanschauung war
verbrecherisch. Sich der Tatsache zu stellen, daran beteiligt gewesen
zu sein, ist vielen Deutschen schwergefallen. Sie glaubten, ohne
Vergangenheit leben und die Zukunft gewinnen zu können.
Trauer über Schuld, über Verstrickung und Wegschauen schien dem im
Wege zu stehen. Damit wurde die Chance für eine befreiende
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit lange Zeit nicht genutzt.
Trauer ist aber nötig, um sich von Vergangenem lösen zu können:
Nicht in dem Sinne, das Vergangene zu vergessen oder zu verdrängen,
sondern mit dem Ziel, das Vergangene als Bestandteil des eigenen
Lebens anzunehmen. Erst dann kann das Vergangene das Leben nicht mehr
beherrschen, weder bewusst noch unbewusst.
Die fehlende und falsche Auseinandersetzung mit unserer Geschichte
war ein wichtiger Auslöser für die Bewegung der "1968-er".
An dieser Bewegung haben sich viele junge Frauen und Männer aus
vielen unterschiedlichen Gründen beteiligt. Sie hatten auch
unterschiedliche Ziele, und sie haben heftig darüber gestritten,
welche Methoden zur Durchsetzung ihrer Ziele erlaubt seien. Manche
sind dabei auf ihre Weise schuldig geworden und in Verstrickungen
geraten. Wir sollten darüber aber eines nicht vergessen: Wir
verdanken dieser Protestbewegung einen entscheidenden Anstoß dafür,
dass wir uns in der Folge als Gesellschaft offener und ehrlicher mit
unserer Vergangenheit auseinandergesetzt haben, als das bis dahin der
Fall war.
Das geschah nicht auf einmal. Das war ein langwieriger Prozess, der
nicht immer geradlinig verlaufen ist. Es gab auch Rückschritte. Es
ist erst etwa fünfzehn Jahre her, dass einige Historiker versucht
haben, die Verbrechen der Nationalsozialisten wieder aus der deutschen
Geschichte herauszuschreiben oder zu relativieren. Sie haben sich
damit nicht durchsetzen können. Inzwischen bestreiten selbst Gegner
der Wehrmachtsausstellung, die in den letzten Jahren großes Aufsehen
und auch scharfe Kritik erregt hat, nicht mehr, dass auch
Wehrmachtsangehörige, wenn auch bei weitem nicht alle, am Völkermord
beteiligt waren.
Mir scheint, dass wir so, wie wir uns früher zu wenig mit den
Verbrechen des Dritten Reiches beschäftigt haben, uns heute noch zu
wenig mit denen beschäftigen, die sich damals den Verbrechen entgegen
gestellt haben. Inge Deutschkron gehört zu den Menschen, die erlebt
haben, dass es auch in Deutschlands dunkelster Zeit Menschen gegeben
hat, die sich Mitmenschlichkeit und Mitgefühl nicht haben nehmen
lassen....
....
11.3.2001
Die ganze Rede ist zu finden in:
www.bundespraesident.de
|
|