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Auszüge aus
Hg. Werner Pieper, ALLES SCHIEN MÖGLICH. 60 Sechziger über die 60er Jahre und was aus Ihnen wurde. er Grüne Zweig 252 ISBN 978-3-922708-52-0 Format 20cm, 252 Seiten, Preis 19,68 Euro 1. Bernd Brummbaer Die Stellung des Samstagnachmittags im Universum. Meine sechziger Jahre. 2. Kai Ehlers Notizen über mich selbst „Gesättigt und versorgt träumten wir von einer konsumfreien Welt“
Bernd Brummbaer
Die Stellung des Samstagnachmittags im Universum. Meine sechziger Jahre. Vorausgeschickt: Ich lebe seit 20 Jahren in Los Angeles und habe beobachtet, dass sich amerikanische Klischees und Ignoranz in Bezug auf die sechziger Jahre den der Deutschen sehr ähneln. Hier wie dort liebt man es Hippies als drogensüchtige, geile Deppen darzustellen oder bestenfalls als naive Naturschwärmer und Treehugger. Man vergisst, dass der bunte Verein der Sechziger Rebellen eins gemeinsam hatte - es war eine antiautoritäre Friedensbewegung, die neben vielen diversen Aktivitäten auch einen Krieg, den in Vietnam, beenden half. Andererseits ist mir die hirnlose Glorifizierung der sechziger Jahre fast noch unangenehmer! Natürlich fanden meine “jungen Mannesjahre” in einer grandiosen Zeit statt und es ist nicht zu leugnen, dass die Sechziger eine einzigartige Episode in der Geschichte der Menschheit waren, aber ich habe genügend Männer kennen gelernt, die in ihrer Jugend Stalingrad überlebten und dies für die beste Zeit ihres Lebens hielten. Jugend, das Abenteuer, Leben und Tod, Kameradschaft, fremde Länder, Sprachen und Gebräuche, die sexuellen Erfahrungen - alles zum ersten Mal, alles neu - Du findest und erfindest Dich selbst. Das hat nichts mit den Sechzigern zu tun - jede Generation entdeckt sich so. (In unser aller Leben gibt es eine Periode intensivster Erfahrungen, eine Zeit in der wir in Hochform sind, in der wir Herausforderungen begegnen, Zerreißproben überstehen, Annerkennung erfahren, wenn wir einfach nur Spaß haben oder wir uns durchweg glücklich und frei fühlen - und es gibt eine Tendenz in diesem frohen Eis eingefroren zu werden, wobei wir für den Rest unseres Lebens zu lebenden Fossilien erstarren. Für Frauen ist diese klebrige Erinnerung häufig die Highschool. Für zu viele amerikanische Männer war es die Army: die einzige Zeit in ihren Leben, als sie weder von Eltern, noch von Ehefrauen oder Kindern belastet wurden, keine stumpfen Routinen und Verantwortlichkeiten, eine Zeit in der jede Anfrage erfüllt wurde und sie den Kameradschaftsgeist, das Reisen und das Abenteuer genießen durften. ( Tom Robbins on the 1960s and Their Psychedelic Sacraments - 1996) Allerdings, neu war schon, dass die Generation der Sechziger als erste durch die Verfügbarkeit der Pille “Sex ohne Angst” erleben durfte (obwohl diese erstmal nur rechtschaffenen Gutmenschen zugänglich war - auf keinen Fall jungen, unverheirateten Mädels). Und als erste Generation hatten wir Zugang zu einer ganzen Reihe psychedelischer Drogen. Da gab es keine historischen Parallelen! Insofern kann man die sechziger Jahre nicht verstehen ohne mit den fünfziger Jahren zu beginnen und so muss ich ein wenig ausholen: Das zwanzigste Jahrhundert hatte neben zwei Weltkriegen und unzähligen anderen Katastrophen eine dramatische Veränderung der Umwelt hervorgebracht durch die beispiellose Bevölkerungs-Explosion unserer Spezies. Jedoch acht oder zehn Jahre fielen in einzigartiger Weise aus dem Rahmen des Jahrhunderts. So etwa zwischen 1964 und 1972 verzauberte eine kleine, radikale Minderheit von Jugendlichen und Junggebliebenen die Welt mit seinem Verlangen nach Frieden. So fing es jedenfalls in Deutschland an. Es war die Zeit des Wirtschaftswunders! Wir waren wieder wer. Bohnenkaffee und Butter - anders als in der Ostzone, wo Schmalhans Küchenmeister war. Die “sogen. DDR” war das Beispiel vor unserer Nase, das allen ganz klar machte, wohin der Flirt mit dem Kommunismus führen würde. Dann der Mauerbau in Berlin 1961, der Kalte Krieg, ein Drittel des Strategic Air-Commands immer in der Luft um die gegenseitige nukleare Vernichtung zu garantieren. Ein Damoklesschwert hing über unserer Jugend und ich traute den Mächten nicht, die mein Leben in ihren Händen hielten. Der letzte Weltkrieg war noch nicht so lange her. Selbst die modernen, vollgebauten Innenstädte West-Deutschlands waren nach wie vor dicht gesprenkelt mit Weltkriegsruinen, an die man sich schon fast so gewöhnt hatte, wie an die unbelehrbaren Alt-Nazis in jemandes Verwandtschaft. Wer Geld hatte konnte sich ja einen Atombunker bauen, wer kein Geld hatte durfte demonstrieren gehen, aber die meisten taten nichts dergleichen und gingen zur Arbeit. Es war muffig in diesem Land, so muffig wie die Hitparade1963: Freddy - Junge komm bald wieder / Billy Mo - Ich kauf mir lieber einen Tirolerhut, etc. Schwulsein war verboten - es war ein Verbrechen. Ebenso das Rauschgift! Beides waren Verbrechen - schlimmer und verächtlicher als Mord! Wer Unverheirateten ein Zimmer vermietete machte sich der Kuppelei strafbar. In der Schule stand man stramm und wie es später treffend formuliert wurde: "Unter den Talaren der Muff von tausend Jahren!" Der Astronauten Haar-Schnitt war topp selbst nachdem die Beatles mit ihren Pilzköpfen auftauchten. Inzwischen hatte ich die lokale Bücherei leer gelesen und jagte in der nächsten Großstadt den Werken Kerouacs, Ginsbergs und William Burroughs nach. Ich wollte so gern ein Beatnik sein! Als ich zu Weihnachten 1964 ein paar wohnsitzlose, junge Ausländer zum Fest der Nächstenliebe nach Hause brachte, flog ich im hohen Bogen aus der Siedlung und wurde ein Gammler, so nannte man das damals. Ich lernte auf dem Pflaster zu malen und verdiente so (nicht schlecht) meinen Lebensunterhalt, lebte im Schlafsack und Zelt, wenn es nicht anders ging, auch im Winter. Wir waren eine kleine Gruppe von Straßenmusikanten, Pflastermalern und sonstigen undefinierbaren Lebenskünstlern. Was wir alle teilten war unsere Ablehnung des Status quo als der einzigen Möglichkeit zu existieren. Außer unseren Schlafsäcken und dem was wir so mit uns trugen, besaßen wir nichts. Das bisschen was wir hatten teilten wir, sei es Geld, jede Form materiellen Besitzes und manchmal sogar unsere Partner/Innen. Denn wir wollten frei und wild sein wie die Tiere des Waldes - wir wollten sein wie Tarzan, Mowgli, Robinson Crusoe, Huck Finn oder zumindest wie die Indianer, auf einem Planeten, organisiert im Sinne der Nächstenliebe. So ließen wir unsere Haare wachsen, meist trugen wir schwarz, Jeans und Lederjacken, ornat mit sorgfältig gepflegter, hundertjähriger Patina. Und Schmuck - aus allen fantastischen und fantasierten Ländern des Planeten oder des Universums. Jeder Stil war erlaubt, Toleranz war die erste Regel. Denn nichts war für uns Misfits täglich erfahrbarer als die mörderische Intoleranz der Menschen mit dem geregelten Leben. Es war oft, in der Tat, ein Kampf um Leben und Tod. Im Nachhinein sehe ich wie heilsam die feindselige Gesellschaft mir war - ist man ein pathologisch schüchterner Exhibitionist wie ich und dazu ein aus der Entfernung erkennbarer Nichtdazugehöriger, dann ist die Wahrnehmung der Gesellschaft als feindselig absolut korrekt - wobei es natürlich die langen Haare waren, die die Feindlichkeit der Umwelt erst ans Licht brachten. Nun ja, wir wollten auch zurück zur Natur! Alles wachsen lassen. Bärte, Haare, Wildwuchs, wie das Unkraut, das nie vergeht. Die Einwohner Londons und Great Britains waren weitaus toleranter im Umgang mit dem Nichtangepassten als die Deutschen und, da obendrein die Bundeswehr hinter mir her war, vermied ich Deutschland so gut ich konnte und fand 1964 das Zentrum meines Universums in London. Natürlich waren die Erfahrungen mit psychedelischen Drogen essentiell für ein Verständnis unserer Absichten, Sehnsüchte und Notwendigkeiten. Es ging uns ja nicht darum durch Drogengebrauch abgestumpft und angepasst zu werden, sondern auf der Höhe des Bewusstseins die Probleme der Welt zu lösen - oder zumindest die Eigenen. Es waren meist grandiose Erfahrungen, die man mit der Begeisterung des Entdeckers unbedingt mit anderen teilen wollte und es gab immer genügend Freiwillige. Man darf nicht vergessen, dass wir auf einer Mission waren. Unsere Aufgabe war es, Künstlern, Intellektuellen und jedem Interessierten zu - und durch - den ersten Trip zu helfen Den Sommer, Herbst und Winter 1967 verbrachte ich in London, hatte eine unbeachtete Ausstellung im Arts Lab, Drury Lane, wo nach mir Yoko Ono ausstellte und John Lennon kennen lernte. Ich hingegen, als illegaler Alien, verdingte mich bei windigen Agenten als Putzfrau und verdiente so ein Existenzminimum. Wir waren eine Gemeinschaft von zwei Frauen und drei Männern und lebten in zwei gemieteten Räumen in West Hampstead, als wir die Commune I Hempstead gründeten. Wir hatten durch gemeinsamen Beschluss unser Privateigentum abgeschafft, was zwar nicht viel war, aber wir zelebrierten es am Grab von Karl Marx in Hampstead Heath. („Drop out“ by Robin Farquharson, Anthony Blond Ltd. London 1968} Die Situation war archaisch einfach. Um Strom oder Gas zu haben, musste man Münzen in die Zähler werfen, die allgegenwärtig waren - im Badezimmer, an der Gasheizung, wie auch natürlich am Telefon. Wenn man nicht gerade mitten im Winter nachts um drei auf die Strasse musste, weil einem die Schillinge fürs Gas ausgegangen waren, hatte es den großen Vorteil, dass man nie eine Rechnung bezahlen musste - niemals Schulden machte. Mit der Miete war es ähnlich - sie war wöchentlich fällig. Wir alle legten das verdiente Geld in eine Schublade und jeder nahm sich von dort was er brauchte, immer darauf achtend, dass am Freitagabend 5 Pfund 5 Schilling für die Miete in der Lade verblieben. Fast so wichtig wie das Geld für die Miete war das Geld fürs Acid, das wir freitagabends besorgten und -- fast religiös -- jeden Samstag nahmen. Religiös aber nicht zwanghaft! Meist kam das Acid als klare Flüssigkeit und wurde auf Zuckerwürfeln serviert. Häufig war ich am Samstagnachmittag allein zu Hause lutschte meinen Würfel, warf den Plattenspieler an, machte es mir bequem auf der Couch und beschäftigte mich mit meinen Hangups. Selbstanalyse auf Acid - das war nicht immer so einfach - man will ja nicht unbedingt gleich alles über sich selbst wissen. Anschließend folgte ein oft abenteuerlicher Trip mit der U-Bahn zum UFO wo sich in einem ehemaligen Eisenbahn-Roundhouse etliche tausend Acid-heads in den exotischsten Verkleidungen eine Party gaben. Auf die Wände des kreisrunden Gebäudes wurden Lightshows und Filme projiziert. Dazu spielten die Pink Floyd live und das Roundhouse wurde zur fliegenden Untertasse und hob ab, ich schwöre es. Es war eines Samstagabends im UFO, ich hatte gerade Freunden geholfen Zuckerwürfel zu betropfen und dabei die Reste und die Finger abgeleckt, als jemand ein Crumb-Comic neben mir auf den Boden warf. Ich versuchte das Comic zu lesen hatte aber offenbar zuviel Acid geschluckt um zu verstehen was ich hier zum ersten Mal sah: Ein Crumb-Comic so grotesk, komisch, poetisch, so sozialkritisch, philosophisch und weise, wie ich es noch nie im Medium des Comic-Strips gesehen hatte. Ich dachte es sei ein Effekt der Droge und alle Stunden schaute ich das Comic wieder an, um zu sehen ob es sich inzwischen in etwas Trivialeres verwandelt hatte, aber gegen morgen musste ich akzeptieren, dass ich hier einen neue Kunst gefunden hatte, die es in dieser Form bis dahin nicht gegeben hatte. Von nun an sammelte ich Crumb-Comics mit Leidenschaft - Crumb war für mich der Bob Dylan der bildenden Kunst. I nzwischen war mein illegaler Status in London ein Problem und ich zog 1968 nach Frankfurt/Main. Der Dichter-Rebell P.G. Hübsch hatte mich eingeladen und hier begann nun eine vierjährige Periode rastloser Aktivität. P.G., seine Freundin Heidi und ich begannen mit der Produktion von Postern, erfanden den „Heidi Loves You Headshop“, eine wilde Kombination aus einem Buch-, Poster- und Platten-Laden, einer Orangensaft/Bier Bar und einem Dealertreff. Außerdem veranstalteten wir alle Arten von Events, von Dichterlesungen, Happenings zu spontanem, kollektivem Rausch. Die Amon Düül spielten in unserem Laden, Mani Neumeier mit den Guru Guru Groove! Bis ein halbes Jahr später die Polizei den Laden zumachte. Inzwischen hatte ich mit meinem Partner Matthias Knollfick eine Lightshow kreiert, mit der wir übers Land zogen und für Gruppen wie Amon Düül, Tangerine Dream, Frank Zappa, den Fugs, etc das psychedelische Ambiente gestalteten. Außer bei Gruppen wie Pink Floyd, die ihre eigene Lightshow mitbrachten, durften wir bei fast jedem Rock-event dabei sein. Unser Gerüst war der beste Platz im Saal und gewappnet mit ein paar dicken Afghani Joints projizierten wir unsere blubbernden Kompositionen, von denen am Ende der Veranstaltung nur ein paar verschmorte Dia-Gläser übrig blieben. Ähnlich wie beim Pflastermalen war ich verzaubert von der Vergänglichkeit des Kunstobjekts. Es zwang die Zuschauer in eine Be Here Now Situation - entweder Du schautest jetzt hin und sahst es - oder nicht und dann war es auch schon vorbei. Es war lebendige, unmittelbare Kunst, wie Live Musik, während die Kunst in Museen mir vorkam wie Tiefkühlkost, deren Verfallsdaten Jahre überfällig waren. Da der Untergrund aus den niedrigen, dunklen Jazzkellern, den schmutzigen, bierseligen Spelunken ins Freie, ans Licht wollte - brauchten wir große, hohe Räume für unsere Lightshows und viel Platz zum Tanzen – Raum, der unsere erweiterten, hedonistischen Horizonte repräsentierte. Häufig organisierten wir solche Veranstaltungen selbst. Wir waren gut befreundet mit den Charakteren aus dem Buch von Bernd Cailloux’s „Das Geschäftsjahr 68/69“ und hatten mit Deutschlands erstem Stroboskop ein therapeutisches Gerät das selbst stocksteife KPD-Funktionäre zum Tanzen brachte. Anfang 1969 mietete meine Freundin, die einen wunderschönen, adligen Namen hatte, eine großbürgerliche Sechs-Zimmer-Wohnung in der Frankfurter Günthersburg Allee, und wir zogen zu sechst in die erste Kommune der Stadt. Das ging folgendermaßen: Man holte sich ein paar Ziegelsteine von der nächsten Baustelle, hängte die Tür aus den Angeln, die nun aufgebockt auf den Ziegelsteinen, als Tisch zu dienen hatte. Wer keine Geheimnisse, hat braucht keine Türen... Dann noch eine Matratze, eine Klemmleuchte an den Tisch und einen Plattenspieler. Die Türen wurden bald wieder eingehängt, mehr aus Gründen der Schalldämpfung, als zur Privatisierung. Einfache Umgangsregeln ergaben sich wie von selbst und sind noch heute gültig. Ist die Tür offen, kann man ohne lange zu fragen jedes Zimmer betreten, ist die Tür geschlossen, klopft man. Das schien doch alles bestens! Wir hatten die stärksten, bewusstseinsverändernden Drogen die der Planet je gesehen hatte, wir hatten die Musik, elektrische Musik von den Beatles zu Dylan, den Pink Floyd und Jimi Hendrix, wir hatten die Pille - also angstlosen Sex. Wir wussten mit den elektronischen Massenmedien umzugehen -- unsere ungestüme Kreativität beherrschte die Medien. Es schien nur eine Frage der Zeit wann der letzte Mensch angetörnt und erleuchtet sein würde. Aber das Empire schlug zurück! Benno Ohnesorg war das erste Opfer staatlichen Übereifers. Im April 1968: Rudi Dutschke wird angeschossen. Dann wurden die so genannten Brandstifter - Gudrun Ensslin, Andreas Baader, Thorwald Proll und Horst Söhnlein, auf Grund ihrer Brandstiftung in Frankfurter Kaufhäusern, nicht wegen Sachbeschädigung oder einfacher Brandstiftung verklagt, sondern wegen besonders schwerer Brandstiftung (Verlust von Menschenleben). Sie wurden zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt! So kreierte der Staat die RAF. 1969 schlug die Frankfurter Polizei einen mit uns befreundeten Kleindealer tot, als der sein dope (Acid und Haschisch) die Toilette runterspülen wollte. Der zartgebaute Junge war ein schwuler Friseur, der nicht auf eine derartige menschenverachtende Rohheit vorbereitet war. 1970 dann, wurde meine geliebte Freundin und Lebensgefährtin in Spanien mit einem Kilo Kif gebusted und wurde damals, noch unter Franco, zur Mindeststrafe von sechs Jahren verurteilt. Für mich, der ich als vagabundierendes Flüchtlingskind, in der Kommune und in dieser Liebesbeziehung zum ersten Mal eine gewisse soziale Stabilität erlebt hatte, war dieser Gewaltakt ein frühes Ende meines guten Willens. Ich erklärte dem Staat den Krieg, Gesetze hatten für mich keine Bedeutung mehr, außer dem einen: egal ob man es christliche Nächstenliebe nennt, Kants kategorischen Imperativ oder, dass die Freiheit meine Arme zu schwingen da endet, wo die Nase des Anderen anfängt. Dieses System war krank und unmenschlich. Es musste verändert werden, mit allen verfügbaren Mitteln! Und ich hatte inzwischen gelernt nicht zimperlich zu sein. Weil die Brandstifter und späteren Terroristen häufig bei uns wohnten, waren wir längst in den erlesenen Kreis der RAF-Sympathisanten aufgenommen worden, und wurden von der Polizei, den „Bullen“, entsprechend terrorisiert. Irgendwann hatte ich dann auch eine Waffe, von der Jan Carl Raspe bei seinem letzten Besuch bei uns, eine Woche vor seiner endgültigen Verhaftung, etwas herablassend sagte - sie sei gut genug um Mäuse zu erschrecken! Er bezog sich wohl aufs Kleinkaliber und irgendwann landete die Kanone im Main. Meiner geistigen Stabilität zuliebe, hatte ich nie aufgehört, meine gegenwärtige Situation durch die Einnahme von LSD zu überprüfen, und einer dieser Trips erklärte mir eindeutig, dass ich zwar einen besonders horrenden Menschen töten konnte, dieser aber gewöhnlich nur durch einen noch furchtbareren Mensch ersetzt werden würde. Man kann die Dummen töten, aber nicht die Dummheit. Nein, es schien wesentlich effektiver, eine liebevoll platzierte, chemische Miniaturbombe in einem entsprechend vorbereitetem Gehirn hochgehen zu lassen. Auch dies ist nicht ohne Risiken - psychologischer, gesundheitlicher und in erster Linie legaler Natur. Aber eine Gesellschaft die sich nicht scheut einen jungen Menschen in den Krieg zu schicken, wo ihm der Kopf abgeschossen werden kann, hat kein Recht demselben Menschen das Experiment am eigenen Gehirn zu verbieten. Wir wollen nicht vergessen, dass wir uns mitten im Kalten Krieg befanden, und die Welt gelegentlich gerade mal fünf Minuten am nuklearen Untergang vorbeischlitterte. In Vietnam starben sie rund um die Uhr und die Luft wurde überall bleihaltiger, in jeder Hinsicht. In China randalierten die Roten Garden. Woodstock und Altamont folgten einander in perfider Logik. Charles Manson wurde verhaftet - Timothy Leary bekam 30 Jahre für einen Joint. Während einer Gelbsucht übersetzte ich Crumb’s erstes Buch „Headcomix“, das so erfolgreich war, dass ich mit dem jungen Verleger Abi Melzer einen Comic-Verlag gründete, wobei er für das Geschäftliche und ich für das Programm zuständig war. (BrummComix) Nun erwies sich meine Liebe für Comics und meine umfangreiche Sammlung, insbesondere meiner Crumb-Comics, als sehr hilfreich. Mein Leben im englischen, wie auch im deutschen Untergrund, gab mir die Fähigkeit Slang zu übersetzen für den es noch keine Wörterbücher gab. Unser Verlag war extrem erfolgreich und bald erweiterte ich das Programm auf alle klassischen Comic-Strips und für eine Weile waren wir absolut konkurrenzlos und veröffentlichten alles was zu haben war, von Windsor McKays „Little Nemo“ zu „Prinz Eisenherz“. Die meisten Comics aus jener Zeit finden sich noch heute in den Comic-Katalogen mit zwei Angaben: Hinweis: Es existieren mehrere Raubdrucke und Auf der Liste der jugendgefährdenden Schriften. Mir allerdings war es eine große Freude dieser so unterbewerteten Kunstform ein Forum zu geben, zumal es irgendwie alles zusammengehörte - die Comics, die Poster, die Lightshows, die Drogen, die Musik und die Untergrundzeitungen. Mein Freund und Mentor Willem De Ridder, der in Amsterdam die Undergroundzeitschrift Aloha herausgab überzeugte mich, der richtige Mann für eine überregionale Undergroundzeitschrift zu sein. England hatte die „International Times“ und „OZ“, in den USA florierten dutzende von Undergound-Magazines vom „SF Oracle“ zum „Realist“. Selbst die Schweiz hatte „Hotcha“. Obwohl wir nur ein paar Ausgaben hervorbrachten, so war doch jede geladen Kurioserweise fand ich eine Erwähnung unserer „Germania“ (Oh, welche Ironie!) in der Debatte um den Ursprung des Slogans „Keine Macht für niemand!” Zu dem Vorwurf der Song sei von Ton, Steine, Scherben für die RAF geschrieben heißt es: "Laut eigenen Angaben hat Rio den Spruch “Keine Macht für Niemand” aus der Anarcho-Kiffer-Zeitung Germania.“ Um diese Zeit fand auch die erste Hausbesetzung im Nachkriegsdeutschland statt. Wir hatten ein Spekulationsobjekt gefunden, dessen Bewohner aus ihrem Haus herausgeekelt wurden. Bis zum letzten Tag befürchteten wir einem Agent Provocateur auf den Leim gegangen zu sein und, dass beim Betreten des Hauses die Handschellen klicken würden! Dennoch, eines Nachts kamen wir, reparierten die Elektrik, fixten Wasser und Toiletten, strichen ein paar Wände und halfen einer Familie aus einer Slum-Situation umzuziehen in ein paar anständige Zimmer. Ich zeichnete einen Comic-Strip in dieser Nacht, das gleich gedruckt wurde und am morgen in allen Briefkästen der Umgebung lag und gleichzeitig von der Frankfurter Rundschau abgedruckt wurde. Wir hatten das Parterre verrammelt, die Polizei sollte es nicht zu einfach haben. Aber die Polizei kam nicht! Am Nachmittag gratulierte uns der lokale Pfarrer! Passanten warfen Zigaretten durchs Fenster und brachten Bier. Die erste Hausbesetzung hatte geklappt! Wenn ich mich nicht irre, waren es zwei Jahre später schon über hundert. ”Friede den Hütten! Krieg den Palästen!” - “Unter dem Pflaster liegt der Strand!” Meine damalige Freundin Didi Wadidi war die denkbar erotischste Mischung zwischen einem Enfant Terrible und einer Femme Fatale. Sie machte ganz Frankfurt unsicher und ich war auf der Stelle verliebt. Sie hatte ein silberhelles, ansteckendes Lachen und war ein unermüdlicher Flirt. Schön war sie, wild, frech, mutig, intelligent und obendrein hundertmal geschäftstüchtiger als ich, dabei war sie kaum siebzehn Jahre alt. 1970 fuhren wir zum Urlaub nach Dänemark, wo gerade die Pornografie legalisiert worden war. Ich erinnere mich als Kind Karten von Afrika gesehen zu haben, die in der Mitte noch weiße Flecken hatte, für nicht kartografiertes Gelände. Mysteriöses Niemandsland! Als ich die erste dänische Pornografie sah, hatte dies einen überraschenden Effekt der Erleichterung auf mich – der weiße Fleck war weg, es war das Ende der Mystifikation! Nichts mehr war verborgen! Keine hässlichen Geheimnisse! Die Sonne bringt es an den Tag! Und dann schlug ich einen kurzen, gedanklichen Bogen von Wilhelm Reichs staatlicher Unterdrückung des Sexes und dem Zusammenhang zum Faschismus - zu Marshall McLuhans Medienverständnis und schloss messerscharf: Die Scham, das Verstecken der Sexorgane im Keller erzeugte eine Verhässlichung, die Sex zu einer zwangsläufig ekligen Angelegenheit machten. Was wir brauchten war Reklame für Genitale. Die verborgene Schönheit dieser unbekannten Landschaft musste einfach allen nahe gebracht werden, um endlich die schreckliche Angst vor dem grauslichen Genital zu verlieren. Didi Wadidis perfekte Anatomie war einem bekannten Photographen aufgefallen und er machte ein paar hinreißende Photos von ihr. Es stellte sich heraus, dass er einer der besten Produktphotographen Deutschlands war. So entstanden die Bücher „Softgirls“ und „Softlove“, in denen auch ich mit Didi Wadidi posierte, da es nicht so ganz einfach war Models für so was aufzutreiben. (Denn, wenn man schon solche Ideen hat, sollte man auch bereit sein seinen eigenen Schwanz dafür hinzuhalten.) So gründete Didi Wadidi (immer noch minderjährig!) die erste Porn-Model Agentur der Welt und wurde auch gleich überall interviewt. Die Bücher waren ein Hit! Der Rolling Stone beschrieb unsere Produktion als die wohl stilvollsten Photobücher in der Geschichte der Pornographie. Und dann fand ich auch eines Tages meinen Namen in einem Geschichtsbuch: „The History of Pornography“ . Na, immerhin! Dabei waren die richtigen Porno-Konsumenten von unserer Ästhetik gar nicht so begeistert, denen fehlte das verbotene, schweinische - wir lachten alle zu fröhlich in die Kamera. So endeten die Sechziger für mich auf einer grandiosen, wochenlangen Orgie in Amsterdam, während des Wet-Dream-Film-Festivals 1972. (Wet Dreams by William Levy and Willem de Ridder A JOY Publication, Amsterdam). Über dreihundert Menschen jeglicher sexueller Orientierung und aus aller Welt hatten sich hier eingefunden, eigentlich um Filme anzusehen, aber jede Situation schien sich unmittelbar in ein erotisches um- und in-einander zu verwandeln.
Make Love not War wurde zur Wirklichkeit für eine ekstatische
Woche.
Schon um einiges besser als eine Jugend in Stalingrad! Jetzt ist es vierzig Jahre später und ich verstehe, dass die Erfahrungen, die wir in kleinen Gruppen machten, nicht auf andere gesellschaftliche Bereiche zu übertragen waren. Unser rührender Größenwahnsinn schien ja aufgrund rasanter, persönlicher Lernprozesse im Mikro-Klima der Kommunen durchaus gerechtfertigt. Wir ahnten nicht, dass unsere Träume von Frieden und Gerechtigkeit sich während ihrer Verbreitung in homöopathischer Weise so verdünnten, bis nur noch psychedelisch gemusterte Babywäsche ahnen ließ, dass sich da mal was ändern sollte. Ich war schon reichlich irritiert als Anfang der Siebziger plötzlich jeder einen persönlichen Guru hatte und ich herzlich eingeladen wurde mich doch endlich dem wahren Meister zu Füssen zu werfen. Richard Alpert verwandelte sich in Ram Dass -- P.G. Huebsch wurde zu Haddayat Ullah -- Rainer Langhans versuchte mir Kirpal Singh nahe zu bringen – Georg Deuter brachte die frohe Botschaft von Rajneesh aus Poona – Hans Nickel (Herausgeber von Pardon) wurde Mitglied bei Maharishi Mahesh (Transzendente Meditation) – und so weiter…Manchmal schien es als sei ich der einzige, der noch keinen Guru hatte – und auch keinen wollte, denn, ging es nicht darum selbst zu denken und autoritäre Systeme zu vermeiden? Mitte der achtziger Jahre zog ich nach Los Angeles, da ich dort in Tim Leary wie auch in John und Toni Lilly inspirierende Freunde hatte. Das International Synergy Institute in L.A. hatte mich als „Artist in Residence“ engagiert, auf dass ich mit ihrem Fairlight-Computer Kunst kreieren möge. Durch meine Tätigkeit im Institut und in den folgenden Jahren hatte ich das Privileg einige der interessantesten Menschen auf diesem Planeten kennen zu lernen und gelegentlich mit ihnen zu arbeiten. Dazu gehörten natürlich auch die haarsträubenden Ketamin-Experimente, die ein erlesener Kreis um John und Toni Lilly veranstalteten. Meine Expertise war der synergistische Effekt von Ketamin auf andere Drogen, wie LSD, MDMA, 2CB, Psilocybin, 5MEO, etc… Zur gleichen Zeit verschlang ich Computer-Manuals im Dutzend und entwickelte mich zum Experten diverser (3D) Computer-Programme und wurde manchmal richtig gut bezahlt. Ein paar Jahre arbeitete ich bei Sony Picture Imageworks und gestaltete Special-Effects für Filme. (Johnny Mnemonic, Openers für das SIGGRAPH Electronic Theatre und das Imax Feature „Cyberworld 3D“) Im Jahr 2001 schuf ich für Jean "Moebius" Giraud einen Trailer für seinen Film „Thru’ the Moebius-Strip“. Zurzeit arbeite ich als digitaler Designer für eine Computer-Game Company und bin etwa doppelt so alt wie der Rest der Angestellten. 1995 hatte ich eine schwere Herzattacke, die ich in der Notaufnahme knapp überlebte. Zum Erstaunen meiner Ärzte habe ich mich hervorragend rehabilitiert – dafür diagnostizierte man mich dann 2003 mit einem „Plattenepithelkarzinom im Kopf- und Halsbereich“, auch als Kopf- und Halskrebs bekannt. Man gab mir eine 20%ige Überlebenschance, die ich genützt habe und offensichtlich bin ich noch am Leben. Aber mit der Unsterblichkeit war es nun endgültig aus und so begann ich, während meiner Chemo- und Radiation-Therapie, eine Geschichte der sechziger Jahre zu schreiben. Eng angelegt an meine Erlebnisse versuche ich die Stimmung jener Zeit zu reflektieren, die wilden Hoffnungen, unseren größenwahnsinnigen Optimismus, aber auch unsere Opferbereitschaft. Das erste Buch ist bereits geschrieben (On The Street – or DXM in 1964 – Or My Best Friend Jesus), das Zweite: „What’s so wrong with Love and Peace?“ ist halb fertig. Denn es geht doch letzten Endes um die Gretchenfrage: haben wir in den Sechzigern überhaupt irgendwas Positives erreicht? Das ist leider schwer zu beantworten, als wolle man beweisen, man sei wegen oder trotz einer Medizin gesund geworden. Dennoch, es hat sich so einiges verändert: Das sexuelle Verhalten in Europa ist im Vergleich zu den fünfziger Jahren überaus freizügig. Homosexualität ist nicht mehr strafbar, Nacktheit wird glatt übersehen, Abtreibungen sind legal und Pornographie regt niemand mehr auf. In Bezug auf die Drogen verstehen inzwischen selbst die Gerichte, dass es einen Unterschied zwischen harten und weichen Drogen gibt und urteilen etwas informierter als zuvor. Die Ländergrenzen Europas haben sich weitgehend aufgelöst und ein Krieg in Mitteleuropa ist unwahrscheinlich. Die Wahrnehmung der Umweltzerstörung begann in den Sechzigern und jetzt sitzen Grüne im Bundestag. -- und – Hurra! -- wir leben noch! Immerhin! Währendessen werden die Armen, nach wie vor, immer ärmer. 2. Kai Ehlers Notizen über mich selbst „Gesättigt und versorgt träumten wir von einer konsumfreien Welt“ Wenn ich gebeten werde zu erzählen, wie es
damals – in den 60ern - war, komme ich immer in Verlegenheit: Womit
beginnen? Es gibt so viele Türen, durch die man gehen kann. Es gibt
so viele Arten, wie man erzählen kann. Soll ich mit den Träumen
beginnen? Vielleicht besser mit dem Zorn? Oder einfach nur erzählen,
wie mein Leben in der Zeit zwischen dem fünfzehnten und dem
dreißigsten Lebensjahr ausgesehen hat? Das alles liegt lange zurück
und ist doch gegenwärtig. Was damals Träume waren, das sind auch
heute noch Träume, nämlich die nach einer gerechteren und wärmeren
Gesellschaft, nach Gemeinschaft, die frei lässt und zugleich
beflügelt, nach Schönheit statt Krieg. Aber heute weiß ich, wie
teuer unsere Träume erkauft werden müssen und der Zorn hat sich
immer noch nicht gelegt. Der Traum ist eine Funktion des Zorns,
Traum und Zorn bedingen einander, ohne Traum kein Zorn, aber ohne
Zorn bleiben auch die Träume gestaltlos. Wenn ich nun mit dem Zorn
beginne, dann muss ich weit ausholen, um meinen damaligen Zustand
von dem meines heute sechzehnjährigen Sohnes und dem meiner
zwanzigjährigen Tochter zu unterscheiden. Sie sind heute genau so
zornig, wie ich es damals war. Vieles ist identisch, obwohl die Welt
sich seitdem um fünfzig Jahre gedreht hat. Oft weiß ich nicht, ob
wir damals mehr Grund hatten zornig zu sein, als wir es heute haben
– wenn ich mich zu dem „wir“ noch dazu zählen darf. Kai Ehlers http://www.kai-ehlers.de/Artikel/2007/010807notizen.htm Wer mehr wissen will www.kai-ehlers.de, info@kai-ehlers.de D- 22147 Rummelsburgerstr. 78, Tel./Fax: 040/64789791, Mobiltel: 0170/2732482 |