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Mescalero

 

In den vergangenen Tagen wurde in allen größeren Zeitungen ein Text, den sich damals keine Zeitung zu drucken getraut hatte, in seinen wesentlichen Teilen und originalgetreu veröffentlicht. Es war - Sie ahnen es natürlich bereits - der Artikel "Buback - Ein Nachruf" vom April 1977, der es dann unter dem schöneren Titel "Mescalero-Brief" zu jenem legendären Status brachte, der ihn heute, zumindest in der Einschätzung von CDU und FDP, als wichtigstes und tiefstes Stück deutscher Prosa der siebziger Jahre erscheinen lässt.

Die Gründe für die durchschlagende und nachhaltige Wirkung des dreiseitigen Textes sind leicht auszumachen. Da ist erstens das berüchtigte Wort von der "klammheimlichen Freude", das in der damaligen, von gegenseitigen Verdächtigungen geprägten Atmosphäre, von überrumpelnder Offenheit war. Zweitens fühlte sich damit zwar jeder angesprochen, aber die wenigsten hatten den Brief gelesen. Da damals die Weiterverbreitung des Artikels unter Strafe gestellt worden war und nur eine Gruppe von Professoren im Juli des Jahres sich traute, den Text zu veröffentlichen (neben, ja, den damals gern Julis genannten Jungliberalen), war er im wesentlichen auf mündliche Verbreitung angewiesen. Das machte ihn nicht unbedingt bekannter, aber eben legendärer. Die mündliche Rede insistiert auf Erinnerung, während das Gedruckte getrost zu den Akten gelegt werden kann.

Drittens war bis gestern außerhalb der alten Göttinger AStA-Kreise nicht bekannt, wer der Verfasser war, der damals mit "ein Göttinger Mescalero" unterschrieben hatte. Anonymität aber, auch das weiß jeder Literaturwissenschaftler, verschafft Popularität. Jetzt hat sich der Autor zu erkennen gegeben. Er heißt Klaus Hülbrock, hat tatsächlich Literaturwissenschaft und Volkskunde studiert, und "arbeitet seit 20 Jahren daran, ausländischen Studenten und Wissenschaftlern die deutsche Sprache beizubringen" e-mailte er der taz. Auch er hat also eine durchaus gesellschaftsfördernde Tätigkeit übernommen und, wir rechnen zurück, drei Jahre nach seinem größten Erfolg als Autor damit begonnen.

Mit der jetzigen Veröffentlichung des Textes und dem Outing des Autors ist der Mescalero-Artikel, den sein Autor nun als "Literatur" betrachtet sehen möchte, aber vor allem eins: Er ist historisch geworden und hat seine unmittelbare Brisanz verloren. Es gibt kein Geheimnis mehr um das einstmals sagenumwobene Prosastück. Seine Schulbuchtauglichkeit steht bevor.

Warum aber gerade in diesem Moment Angela Merkel, damals FDJ, Friedrich Merz, der selbst so gerne ein Wilder gewesen wäre, und Guido Westerwelle, der seine Radikalität durch heftige Staatstreue zu kompensieren sucht, denken ein Stück Prosa von außerordentlicher Brisanz entdeckt zu haben, ist - neben dem offenkundigen strategischen Kalkül - nur mehr sozialpsychologisch zu erklären.

Cowboy oder Mescalero-Indianer, Abba oder Woodstock, das war wie Hund oder Katze eine der Grundsatzentscheidungen jugendlichen Lebens. Wer sich, weil er von den Eltern weiter geliebt werden mochte, für den Cowboy entschied, kann Briefe von rebellierenden Indianern, die im Namen eines, wie wir seit Karl May wissen, besonders edelmütigen Apachenstamms agierten, bis heute nur voller Neid lesen. Da wurde schlicht etwas verpasst. Wenn diese Mescaleros jetzt auch noch regieren und von der Übermutter der Politik, der Meinungsumfrage, mehr geliebt werden, als man selbst, dann bleibt ersatzweise nur die Wut auf die Gefühlslagen der Herren Fischer oder Trittin in den Siebzigern oder das Drucken von Plakaten, die von den heimlichen Vorbildern solcher Aktionen schon damals als mau empfunden worden wären. Es ging noch nie gut, wenn Cowboys Indianer spielen wollten. alz

 FR 30.1.2001