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DIEWOCHE 05/01, 26. Januar 2001
Oberflächlich
betrachtet ist alles ganz einfach. Selten liegen die taktischen Motive
eines politischen Großkonflikts so offen zu Tage wie diesmal im Fall
Joschka Fischer. Da zielt die Union, die schier daran verzweifelt,
noch immer keine Strategie gegen Rot-Grün gefunden zu haben, natürlich
auf den grünen Vormann, um mit ihm auch gleich den Kanzler und die
gesamte Koalition in den Abgrund zu reißen. Sie wäre ja auch keinen
Schuss Pulver wert, wenn sie das nicht wenigstens versuchte. Im Übrigen
tritt die CDU dabei noch erstaunlich dezent auf, denn als die Sache
aufkam, war Angela Merkel gerade dabei, die Grünen als potenziellen
Partner zart zu umgarnen.
Da laufen die Liberalen zu ganz besonders kritischer Form auf, weil
sie mit den Grünen, denen gerade ein ungeheuer zugkräftiges Thema -
gesunde Ernährung - in den Schoß gefallen ist, um den Rang der
dritten Partei kämpfen. Und damit um eine Regierungsbeteiligung nach
2002. Wundert das jemanden? Die FDP wäre geradezu hirnverbrannt, ließe
sie die Chance ungenutzt, den grünen Helden vom Sockel zu holen.
Da kommt eine konservative Presse hinzu, die seit Helmut Kohls
Untergang den (verflucht!) einlullenden Lockgesängen Gerhard Schröders
erlegen war und nun die verschütteten Instinkte aus den Schlachten
der 60er und 70er Jahre wieder entdeckt. Im Springer-Verlag sind alte
und junge Eiferer auf den Kommandobrücken ganz aus dem Häuschen, um
über den Kampf zu neuem Kurs zu finden. Allerdings geht das heute
nicht mehr so einfach wie in den Golden Sixties, denn inzwischen wird
das Mannschaftsdeck auch von Matrosen bevölkert, die sich nicht als
ideologisches Kanonenfutter missbrauchen lassen wollen und den Beitrag
der eigenen Schlachtschiffe - "Bild" und "Welt" -
zu den blutigen Kriegen gegen die 68er kritisch unter die Lupe nehmen.
Wenn "Welt"-Neufeuilletonist Wolf Biermann daran erinnern
darf, dass 1968 beim Attentat auf Rudi Dutschke die erste Kugel aus
dem Springer-Verlag kam, und wenn "Bild"- Kolumnist Franz
Josef Wagner dann dem "Spinner" im Schwesterblatt zuruft:
"Ich bin kein Mörder", dann riecht das immerhin ein ganz
kleines bisschen nach Meuterei.
Und da folgt schließlich der bunte Haufen politischer Freibeuter,
die eine Witterung haben für die Gunst der Stunde. Oskar Lafontaine
etwa, der Joschka Fischer zürnt, weil der sich im verlorenen
Machtkampf mit Gerhard Schröder auf die Seite des Stärkeren gestellt
hatte; nun ruft er ihm in "Bild" nach, er sei gar "kein
Grüner". Oder der in die mediale Flaute gesegelte
Alleskommentierer Michael Wolffsohn, der Fischer in einem -
selbstverständlich offenen - Brief vorhält, einer wie er könne
"lebenslang kein Vorbild" mehr sein, und damit sofort wieder
Fernseh-Talkshows entert. Nicht zu vergessen jene Bettina Röhl, die
ihren Lebensschmerz als Tochter der Terroristin Ulrike Meinhof mit der
Entlarvung des Ober-Grünen zu stillen sucht, Fischers Prügel-Bilder
aus den Archiven zog und damit die Opposition erst auf den Plan rief.
Es hat sich also eine höchst gemischte Gesellschaft zur Jagd auf
Joschka Fischer zusammengefunden.
So weit die Skizzierung der - mitunter fast albernen -
tagespolitischen Manöver. Die hohe Erregung, mit der normale Menschen
den Fall verfolgen und diskutieren, können sie nicht erklären. Über
Jahre hat kein Thema die Deutschen so aufgewühlt wie dieses, von dem
man doch eigentlich annehmen konnte, dass alles längst bekannt und erörtert,
in Büchern erschöpfend geschildert sei. Doch das erweist sich als
Irrtum: Die Nation hat eine Generaldebatte über politische Kultur, über
Schuld und Sühne, über Gewalt und Totalitarismus in der deutschen
Geschichte begonnen.
Es ist die dritte Vergangenheitsbewältigung der Deutschen seit dem
Krieg: Nach NS-Zeit und DDR-Geschichte sind die Revolte von 1968 und
die bleierne Zeit des Terrorismus der 70er Jahre ins Blickfeld gerückt.
Der Mythos der 68er wird neu, das Trauma des Terrorismus überhaupt
zum ersten Mal richtig debattiert; beides wiederum mit Rückverweisen
auf kommunistische Diktatur und Faschismus, in dem letztlich alle
deutschen Irrtümer wurzeln. Und es zeigt sich: Der
radikaldemokratische Aufbruch von 1968 ist sorgfältig zu trennen von
den Verirrungen und Verbrechen, die der Zerfall der Protestbewegung in
kommunistische Sekten, gewaltgeneigte Spontis und vollständig
pervertierte Mordkommandos während der 70er Jahre nach sich zog.
"Mehr Demokratie wagen" war in dieser zweiten Phase nicht
mehr das Ziel; im besten Fall ging es um Räteherrschaft, im
schlimmsten um Meinungsterror und Parteidiktatur. Der Blick zurück
offenbart indes nicht nur die Irrtümer Weniger; viele bürgerlich
gewandelte Zeitgenossen müssen heute erkennen, wie weit sie selbst
den Verrücktheiten dieser Jahre erlegen waren. Der Streit um Jürgen
Trittin und das Göttinger "Mescalero"-Papier erinnert
daran, dass "klammheimliche Freude" über terroristische
Morde durchaus verbreitet war. Beschwichtigungsversuche wie der
Wolfgang Thierses, auch gewandelte Skinheads könnten in 20 Jahren
Minister sein, haben da fatale Wirkung. Der Satz ist richtig, heute
ausgesprochen kann er indes als Ermutigung von Rechtsradikalen
missverstanden werden. Viel eher wäre - angesichts der Karriere
Fischers - über die Frage nachzudenken, wie gnadenlos SED-Mitläufer
nach der Wende geschasst wurden.
Joschka Fischer muss es ertragen, dass die Debatte an seinem
Beispiel geführt wird. Die Meinungsumfragen belegen, dass ihm die
Menschen die Umkehr glauben, seine militante Vergangenheit nicht
anlasten. Bleibt es dabei, kann er im Amt bleiben, womöglich sogar
gestärkt. Würde er hingegen der Lüge überführt - und das dröhnende
Schweigen seiner Frankfurter Ex-Genossen mutet eher seltsam an: Warum
bestätigt niemand seine Darstellung? -, wäre nicht nur er politisch
vernichtet. Die Jagd würde mit einem schalen Triumph der
schrecklichen Vereinfacher enden. |