
Von
M. MENDE und P. HUTH
Außenminister Joschka Fischer (52, Grüne)
– gestern musste er als Zeuge im Prozess gegen den
Terroristen Hans-Joachim Klein (52) vor dem
Frankfurter Landgericht aussagen. Dabei bekannte
sich der Außenminister zu seinen Gewalttaten in den
frühen 70er-Jahren. Fischer: „Ich war kein
Sozialarbeiter, ich habe auch mal hingelangt.“

Joschka Fischer 1973: Der 25-Jährige
rebelliert gegen Staat und Polizei. Er raucht,
unter dem T-Shirt zeichnen sich Muskeln ab,
die er mit täglichen Kraftübungen trainiert.
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Frankfurt/Main, gestern 9.25 Uhr: Der Zeuge Joschka
Fischer (52) auf dem Weg zur Begegnung mit seiner
Vergangenheit...
Mit aufgeschlagenem Mantelkragen, den Kopf tief
zwischen den Schultern vergraben, steigt er aus seinem
dunklen Dienst-Mercedes. An 300 Journalisten vorbei
geht er ins Frankfurter Landgericht, begleitet von 6
Leibwächtern.
Pünktlich um 9.30 Uhr betritt der Zeuge Fischer
den Saal 165 C, öffnet den mittleren Knopf seines
grauen Jacketts, setzt sich. Nervös spielen die
Finger mit der goldgefassten Halbbrille.
Richter Gehrke: „Herr Fischer, ich muss
Sie – wie jeden anderen Zeugen – belehren, dass
Sie hier die Wahrheit sagen müssen. Sie können auch
vereidigt werden. Dies nur der Form halber. Zu den
Personalien. Sie heißen Fischer?
Fischer: „Ja.“
Gehrke: „Ihr Vorname – korrekter
Vorname?“
Fischer: „Joseph-Martin. Joseph mit ph.
Geboren am 12. 4. 1948.“
Gehrke: „Ich bräuchte Ihr Alter in
Jahren.“
Fischer: „52.“
Gehrke: „Beruf?“
Fischer: „Bundesminister des Äußeren.“
Gehrke: „Und Ihr Wohnort? Der Ort
reicht.“
Fischer: „Berlin.“
Gehrke: „Herr Fischer – wann haben Sie
Herrn Klein kennen gelernt?“
Fischer: „In Vorbereitung auf diese
Aussage habe ich mir die Frage selbst vorgelegt –
aber ich kann mich beim besten Willen nicht genau
erinnern. Das muss Anfang der 70er in Frankfurt
gewesen sein.“
Fischer im Terror-
Prozess: Das Tagesprotokoll
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Gehrke: „Fangen wir mal ganz vorne an.“
Fischer: „Die Sponti-Szene hat sich
entwickelt aus dem auseinander brechenden SDS (Anm.:
Sozialistischer Deutscher Studentenbund) heraus.
Man muss das ein bisschen einbetten. Wir fühlten uns
wie Fremde im eigenen Land. ‚Geh nach drüben‘ war
ja noch die weiche Version, wie wir beschimpft wurden.
Es gab aber auch ,Ihr gehört ins Arbeitslager‘ und
,sofort vergasen‘ war die härteste. Das war die
Atmosphäre damals. Da wurde man vom Antikommunisten
zum Kommunisten, weil das halt auch Provokation war.
Dann wollten wir ein anderes Leben. Wir
wollten nicht auf irgendwelche Reformen vom Staat
warten. Wir wollten das Leben anders organisieren, das
richtige Leben im Falschen führen. (...)
Aber die 68er-Revolte, das war eine
Freiheits-Revolte. Deshalb krieg ich so einen Hals,
wenn das heute von einigen Leuten mit der Nazizeit
verglichen wird.“
Gehrke: „Lassen Sie’s ruhig raus.“
Fischer: „Wissen Sie, damals ist mir, von
Schulhof-Rangeleien mal abgesehen, völlig fremd
gewesen, mich zu hauen. Ich bin im streng katholischen
Flüchtlingsmilieu in Baden-Württemberg aufgewachsen,
war Messdiener, wäre eigentlich eher ein idealer
Kandidat für die Junge Union gewesen.“ (...)
Gehrke: „Und die Gewaltfrage?“
Fischer: „Natürlich wurde die Gewaltfrage
rauf und runter diskutiert überall. Meine Haltung
dazu war eigentlich immer ganz klar. Aber ich will mal
was zu meiner persönlichen Entwicklung sagen. Warum
ich militant wurde:
Ich wurde Ostern 68, Ostermontag, an der
Frankenallee mit meiner damaligen Frau windelweich
geprügelt,
obwohl wir damals gar nichts gemacht hatten. Das
war der Punkt, wo sich etwas ändert in meinem
Kopf.“ (...)
Gehrke: „Und dann kam die Putzgruppe?“
Fischer: „Die Putzgruppe diente zur
Verteidigung der besetzten Häuser. Und die Putzgruppe
habe nicht ich gegründet.“
Gehrke: „Was heißt das konkret?“
Fischer: „Wir sind in den Taunus gefahren
und haben trainiert, wie man sich wehrt. Der Erfolg
war überwältigend negativ – die Blocks wurden
einer nach dem anderen geräumt, fertig.“
Gehrke: „Wie kam es zu den berühmten
Fotos von Ihnen, auf denen auch Herr Klein zu sehen
ist?“
Fischer: „Das war am Bornheimer Uhrtürmchen.
Die Polizei hat eine Demo aufgelöst. Die Polizei
machte Jagd auf einzelne Demonstranten. Da waren
welche, die kamen aus Köln. Einer war verletzt, ich
wollte helfen. Einer rief noch „Zurück, zurück!“
Aber ich lief nicht mehr weg. Das war eine
individuelle Entscheidung. Ich habe mich umgedreht und
bin zum ersten Mal nicht mehr weggelaufen.“ (...)
Gehrke: „Wenn ich die Fotos richtig sehe,
gab es keine Waffen?“

Der Funkwagen, der bei der gewalttätigen
Demonstration 1976 in Frankfurt in Flammen
aufging. Der Polizist Jürgen Weber wurde
schwer verletzt. Fischer nahm an der Demo
teil.
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Fischer: „Nein, es gab keine Waffen.“ (...)
Gehrke: „Gab es bei irgendjemandem, der
Ihre Sympathie hatte, Waffen? Auch Brandsätze?
Ich muss Sie jetzt belehren, dass Sie nach
Paragraph 55 nicht zu antworten brauchen, wenn Sie
sich selbst belasten würden.
Wir wollen hier ja keine Fehler machen.“
Fischer: „Ich antworte trotzdem gerne.
Nein, es gab keine Waffen.“
Gehrke: „Der Terrorist Carlos, der in
diesem Verfahren ja auch vernommen wurde, hat
angegeben, in Ihrer Wohngemeinschaft mit Daniel
Cohn-Bendit seien Waffen gelagert worden.“
Fischer: „Na klar. Nee, also wirklich: Wer
schläft schon gerne auf Waffen und Sprengstoff, wenn
er nicht gerade Carlos heißt? Das ist grotesk. Wer
Dany und mich kannte, wusste, es gibt keinen
ungeeigneteren Platz.“ (...)
Gehrke: „Sie wollten nie gegen die
demokratische Grundordnung vorgehen?“
Fischer: „Ich war Revolutionär und kein
Demokrat.
Und ich habe auch lange gebraucht, bis ich
die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland als
etwas Einzigartiges begriffen habe.“
Gehrke: „Diese Schlussworte zeigen, dass
wir nicht nur den Zeugen Fischer, sondern einen Außenminister
vernommen haben. Vielen Dank.“
Fischer: „Ich möchte mich bei Ihnen
bedanken, Herr Vorsitzender. Und bei den anderen
auch.“
Fischer zögert einen Moment. Setzt die Brille
auf und geht auf seinen ehemaligen Freund Hans-Joachim
Klein auf der Anklagebank zu. Fischer streckt ihm die
Hand entgegen, der Angeklagte schüttelt sie herzlich.
Sie wechseln wenige Worte. Dann verlässt Fischer den
Gerichtssaal.
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