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Der Spiegel
23. Januar 2001

 

I N T E R V I E W   M I T   E X - Z I E L F A H N D E R   H O F M A N N

Joschkas Jäger

Von Markus Deggerich

Erst demonstrierte er mit den 68ern. Dann war er Zielfahnder beim BKA. Im Visier: Der Terrorist Hans-Joachim Klein, und damit auch Joschka Fischer. Heute ist Frank Hofmann Bundestagsabgeordneter der SPD und deren Obmann im Spendenuntersuchungsausschuss. Ein Interview über die 68er, Fischer und eine hysterische Gesellschaft.

SPIEGEL ONLINE: Als Student demonstrierten sie mit den 68ern auf der Straße. Später waren Sie beim Bundeskriminalamt als Zielfahnder in der Terrorismusbekämpfung. Wollen Sie noch Außenminister werden?

Hofmann: Danke, ich bin ausgelastet. Ich hatte damals keine Pflastersteine gesammelt, und mit Molotow-Cocktails hatte ich schon aus Feigheit nichts...

SPIEGEL ONLINE: ...danach haben wir gar nicht gefragt. Warum muss man sich heute sofort rechtfertigen, wenn es um 68 geht?

Hofmann: Weil heute versucht wird, die Geschichte umzuschreiben. Das ist wie eine nachträgliche öffentliche Gerichtsverhandlung über eine ganze Generation.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie es denn damals empfunden?

Hofmann: Ich komme aus einem Nest mit 450 Einwohnern. Ich kann mich gut an die Stammtischgespräche erinnern. Diese Jagd auf Linke fanden die prima, das war Wild West. Das hat mir etwas von Deutschland gezeigt, wie man es sich nicht wünscht. Eine überhitzte Situation, die einen in Solidarität trieb mit Ideen, über die man gar nicht nachdachte.

SPIEGEL ONLINE: Haben Sie Marx etwa nicht gelesen?

Hofmann: Um Gottes willen, nein. Ich betrachtete das als Student eher distanziert aus soziologischer Perspektive.

"Elektrisiert und hysterisch"

SPIEGEL ONLINE: Und später als Polizist?

Hofmann: Als ich beim BKA anfing, überprüfte ich als erstes in der Kartei, ob dort Informationen über unsere Wohngemeinschaft archiviert waren. Unser Haus war tatsächlich als verdächtiges Objekt erfasst. Wir waren nur absolut harmlose Studenten, die mit auf Demonstrationen gingen, aber mit Gewalt nichts zu tun hatten. Alle sind in bürgerlichen Berufen gelandet. Aber wir waren erfasst. Da wurde mir klar, wie elektrisiert, hysterisch und politisiert die Gesellschaft damals war. Auf beiden Seiten.

 

SPIEGEL ONLINE: Sie kennen beide Seiten. Was dachte man übereinander?

Hofmann: Du hast keinen Menschen, kein Individuum mehr gesehen. Für Demonstranten waren die Männer hinter den Schutzschildern das System an sich. Polizisten wurden darauf gedrillt, das staatliche Gewaltmonopol vor der "Gefahr von Links" zu schützen.

"Das war entwürdigend"

SPIEGEL ONLINE: Wie unterscheiden sich die Erfahrungen als Demonstrant und als Polizist?

Hofmann: Als Demonstrant war es mir unheimlich, fotografiert zu werden. Du wusstest nicht, was mit den Bildern gemacht wird, wofür sie verwendet werden. Du lebtest in dem Bewusstsein eines Überwachungsstaats, der in deine Privatsphäre eindringt. Als ich später als Polizist einen Terroristen verhaftete, spuckte er mir ins Gesicht. Der hat in mir keinen Menschen mehr gesehen. Das war entwürdigend.

SPIEGEL ONLINE: Wie äußerte sich diese Elektrisierung der Gesellschaft?

Hofmann: Wenn du unter Studenten wahrgenommen werden wolltest, musstest du dabei sein. Jenseits aller politischen Ernsthaftigkeit, der Auseinandersetzung mit Nazi-Vätern und einer Gesellschaft im Stillstand, war es auch eine Modeerscheinung. Links war hip. Auf Seiten der Polizei verrutschten die Maßstäbe. Nach der Ermordung Schleyers gab es die Anweisung an alle BKA-Beamte, jederzeit bewaffnet zu sein. Sie müssen sich 2000 Beamte in einer Behörde vorstellen, nicht im Außendienst, sondern pendelnd zwischen Büro und Kantine: Jeder bewaffnet. Das veränderte auch die Atmosphäre und wirkte auf Menschen militärisch.

"Das war damals Neuland"

SPIEGEL ONLINE: Studenten entdeckten die Straße als Bühne und besetzten Häuser. Auf der anderen Seite gab es eine massive Polizeipräsenz im Alltag. Wie beeindruckte beides den normalen Bürger?

Hofmann: Es war unorganisiert und man konnte die Folgen nicht abschätzen. Was wir heute als selbstverständlich empfinden - eine Demo auf der Straße - war damals Neuland. Polizei und Demonstranten mussten erst noch lernen, damit umzugehen. Der Begriff der Deeskalation spielte erst in den achtziger Jahren eine Rolle. Weder Demonstranten noch Polizisten waren sich im Klaren, dass sie Ängste auslösten. Wenn Polizisten Häuser durchsuchten, waren die Bewohner für ihre Nachbarn etikettiert, stigmatisiert, kriminalisiert. Das ist heute eine Selbstverständlichkeit: Die Erkenntnis, dass die Atmosphäre in einer Gesellschaft Rückwirkungen auf die Persönlichkeit der Agierenden hat.

SPIEGEL ONLINE: Warum müssen Fischer und Trittin sich so rechtfertigen?

Hofmann: Weil Einzelereignisse aus dem Kontext gelöst werden. Aber ohne den Kontext sind sie gar nicht zu verstehen. Sie werden bewertet nach Maßstäben und mit dem Wissen von heute. Das ist völlig unzulässig.

SPIEGEL ONLINE: Wie erklären Sie sich die plötzlich so breite und aufgeregte Debatte?

Hofmann: Der Mythos 68 spukt in vielen Köpfen herum, und diese Diskussion um Fischer und Trittin ist eine Stellvertreter-Diskussion über die Geschichte und ihre Deutung. Das liegt auch daran, dass viele Angehörige dieser Generation heute in Entscheider-Positionen sind, die solche Diskussionen steuern: Medien, Schulen und Hochschulen, Politik. Fischer ist damit Stellvertreter für viele, eine Projektionsfläche.

Genervt vom Mythos 68

SPIEGEL ONLINE: Aber die Diskussion trägt nicht zur Klärung bei. Viele Nachgeborene kriegen das große Gähnen oder sind genervt vom Mythos 68 und seinen Repräsentanten.

Hofmann: Das liegt an der politischen Instrumentalisierung der Diskussion. So wie sie geführt wird, klärt und erklärt sie gar nichts. Man kann nicht anhand eines Fotos darstellen, wie sich damals Aggression von beiden Seiten hochschaukelte. Fotos von besetzen Häusern erzählen auch noch nicht die Geschichte der Immobilienspekulation in Frankfurt zu der Zeit.

SPIEGEL ONLINE: Wo waren die Grenzen beim Übergang vom Fahnenschwenker zum Steinewerfer, zum Terroristen?

Hofmann: Die Grenzen waren fließend. Aber es gab natürlich Grenzen. In den Untergrund zu gehen, ist schon eine bewusstere Entscheidung, genährt von dem Bild eines repressiven, aggressiven Staates, den es zu bekämpfen gilt.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben sich dann entschieden, dem Staat zu dienen und als Zielfahnder beim BKA den Terroristen Hans-Joachim Klein gesucht.

Hofmann: Ich glaube an das Gewaltmonopol des Staates. Das ist eine ziemlich sinnvolle Einrichtung. So abstoßende Morde wie an Schleyer und Buback haben bei vielen, auch Sympathisanten, Abscheu ausgelöst. Im Zusammenhang mit Klein haben wir damals natürlich auch Joschka Fischer überwacht und überprüft, aber nichts gefunden. Es gab keine Beweise dafür, dass er im Zusammenhang steht mit Terroranschlägen.

SPIEGEL ONLINE: Wie hat 68 mit all seinen Folgen die Gesellschaft verändert?

Hofmann: Wir haben viel gelernt über die Verhältnismäßigkeit von Mitteln. Die Bedeutung des Versammlungsrechts ist im Bewusstsein. Das Verhalten von Demonstranten und Polizisten hat sich gewandelt. Auch in den Medien hat sich einiges geändert: Kampagnen und Kampfpresse sind seltener geworden, politisch Interessierte nutzen heute eher Medien, um sich politisch einzumischen. Gewalt als Mittel, um Aufmerksamkeit zu bekommen, ist seltener geworden.

Bedeutung des Gewaltmonopols

SPIEGEL ONLINE: Rechtsradikale sehen das anders: Ist Fischer ein gutes oder ein schlechtes Vorbild für Jugendliche?

Hofmann: Wenn Fischer heute was über die Bedeutung des Gewaltmonopols des Staates sagt, dann hat das mehr Gewicht, weil es in meinen Augen authentisch ist. Natürlich gilt deswegen nicht der Umkehrschluss: Ich müsste Gewalt ausprobieren, um sie später abzulehnen.

Ein Neonazi als Außenminister?

SPIEGEL ONLINE: Haben wir dann in 20 Jahren einen Ex-Neonazi als Außenminister?

Hofmann: Mein Kopf sagt: Ja, das muss möglich sein. Meine Gefühle heute sprechen dagegen. Dafür ist es im Moment zu heftig, was auf der rechtsextremen Seite los ist. Dieser Extremismus, seine Motive und vor allem die rechte Gewalt unterscheidet sich grundsätzlich von 68.

SPIEGEL ONLINE: Was können wir lernen über die Integration von Extremisten?

Hofmann: Es gibt auch eine Radikalität der Mitte. Wenn wir nur noch Mitte und keine Außen mehr haben, entsteht keine Reibung mehr. Eine solche Gesellschaft wäre nicht lebendig. Eine Gesellschaft im Wandel hat auch extreme Seiten. Wenn sie sich nicht mehr wandeln kann, hat sie keine Zukunft. Extreme kann man auch als Hinweis auf Mängel in Gesellschaften interpretieren. Eine lebendige Gesellschaft lernt damit umzugehen, sie braucht Impulse, sonst stirbt sie oder wird in sich radikal.

Das Interview führte Markus Deggerich