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Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Als nächster
Redner hat der Kollege Ludwig Stiegler von der SPD-Fraktion das
Wort. (Jörg Tauss [SPD]: Ludwig, bitte Demut!) Ludwig Stiegler (SPD): Herr Präsident! Meine Damen
und Herren! Der Kollege Pflüger hat eben die Bibel zitiert.
Darin steht auch der Satz: Oh Herr, wie danke ich dir, dass ich
nicht so bin wie diese. - Ich glaube, das war die Stelle vom Pharisäer. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der PDS) Herzlichen Glückwunsch! Ich spreche hier für die Sozialdemokratie. Die Geschichte
unserer Partei ist die Geschichte der friedlichen Reformen vom ersten
Tag an, der Auseinandersetzungen ohne Gewalt und der Erreichung ihrer
Ziele mit friedlichen Mitteln von 1863 an. Wir haben deshalb keine
Veranlassung, das, was war, irgendwo zu rechtfertigen. wir haben
vielmehr Veranlassung, dankbar zu sein, dass jemand vom Weg der Gewalt
zum Weg der friedlichen Reformen gefunden hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ich kann das von Konservativen und Liberalen in
Deutschland nicht immer sagen. Ich erinnere an die Sozialistengesetze,
als sie ungeniert zur Gewalt gegriffen haben. Ich erinnere daran, dass
sie eines Tages Hitler ermächtigt
und damit auch die Gewalt dieser Banden unterstützt haben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN -
Widerspruch bei der CDU/CSU) - Ja, 1933 haben Konservative und Liberale Hitler zur
Mehrheit für das Ermächtigungsgesetz verholfen. Ich bitte Sie:
Schauen Sie sich Ihre eigene Ge schichte an. Schauen Sie sich das an,
was Sie alles gemacht haben. (Martin Hohmann [CDU/CSU]: Es spricht der Oberpharisäer!) Zweitens. Sie tragen ja das hohe C vor. Gehen Sie einmal
die Kirchengeschichte durch. Ich empfehle Augustinus' "Confessiones"
und viele andere. Da werden Sie sehen, was Heilige in ihrer Jugendzeit
alles angestellt haben, um endlich ans Ziel zu gelangen. (Heiterkeit und Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN und der PDS - Zurufe von der CDU/CSU) - Man muss das einmal deutlich sagen. Ich spreche den Außenminister
nicht heilig; damit da keine Missverständnisse entstehen. Aber ich
sage: Die Unbarmherzigkeit, mit der Sie Bekenntnis, Reue und Veränderung
verurteilen, ist zutiefst unchristlich. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) So wie sich Herr Merz hier hingestellt hat, ist er mir
vorgekommen wie der Großinquisitor in "Der Name der
Rose". Er hat vorher immer schon das Feuer brennen sehen. Der
Betreffende konnte sagen, was er wollte; kein Argument zählte. Wer
Herrn Fischer zugehört hat, kann nicht so reden wie Sie, Herr Merz,
wenn er nicht die Ohren verstopft hat oder ein vorgefertigtes Urteil
hat. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Wer so auf Fischer zeigt, auf den - so sagte Gustav
Heinemann - zeigen drei Finger zurück. Dies veranlasst mich,
einmal daran zu erinnern, woher denn der ganze Protest kam, was eine
ganze Generation in den Protest trieb: Das war das, was wir 68er
CDU-Staat nannten. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Das waren die alten Nazis, ob Globke oder Oberländer.
Das waren die getarnten Braunen an den Universitäten. Das war die
Sympathie von Strauß für Salazar, für die griechischen Obristen und
für Franco. Das war die Situation. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Das war der Umgang mit den Intellektuellen. Ich
erinnere daran, wie Intellektuelle als "Pinscher" und
"Ratten" bezeichnet worden sind. Das war Ihre
Auseinandersetzung mit der Vergangenheit. Davon ist das gekommen. Dann kam Willy Brandt mit Walter Scheel und hat
diese Generation mit dem Wort "Mehr Demokratie wagen" wieder
geholt für diesen demokratischen Staat. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Ich war damals Student und habe in Bonn miterlebt, wie Sie
von der CDU/CSU sich alle über den Satz: "Wir sind nicht am Ende
der Demokratie, wir fangen erst an." aufgeregt haben. So hat es
begonnen: Sie haben gegen den Marsch der Linken durch die
Institutionen gehetzt. Sie wollten die anderen aussperren. Das war
Ihre Reaktion. Während Brandt und Scheel damals um jede Seele gekämpft
haben, haben Sie diejenigen, die sich, wie Frau Vollmer oder andere,
um die Verirrten gekümmert haben, als "Sympathisanten"
beschimpft. So war die Situation. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
sowie des Abg. Uwe Hiksch [PDS]) Ich verurteile die Art und Weise, wie Sie hier versuchen,
von Ihrer eigenen Geschichte abzulenken. Ihre Vorgänger sind eine der
Hauptursachen für die entstandenen Probleme. Wir können dafür
dankbar sein, dass wir es gemeinsam geschafft haben, in dieser offenen
Demokratie leben zu können. Ich schließe mit der Bibel. Dort heißt es, dass im Hause
des Vaters über einen reuigen Sünder mehr Freude als über 100
Gerechte besteht. (Michael Glos [CDU/CSU]: 99!) Von Freude ist da die Rede; deshalb kann Herr Fischer Außenminister
sein. Im Himmel herrscht Missvergnügen über Selbstgerechte,
Scheinheilige, Pharisäer. Lassen Sie sich das gesagt sein! (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) |