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Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort hat jetzt der
Bundeskanzler Gerhard Schröder. Gerhard Schröder, Bundeskanzler: Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Merkel, ich weiß nicht,
was größer ist, Ihre Selbstgerechtigkeit oder Ihr Jagdfieber. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Sie haben Willy Brandt erwähnt - und vor allem aus diesem
Grunde habe ich das Wort genommen - und Sie sind Vorsitzende der
Christlich-Demokratischen Union. Sie haben in dieser Erwähnung Bezug
auf die Ostpolitik Willy Brandts und die damit verbundene Aussöhnung
genommen. Ich werfe Ihnen nicht vor, dass Sie damals nicht dabei
sein konnten, als die Auseinandersetzung im Deutschen Bundestag
stattfand; (Zuruf von der CDU/CSU: Das fehlte auch noch!) niemand kann Ihnen das vorwerfen. Aber ich muss Ihnen
vorwerfen, dass Sie sich mit der Historie Ihrer Partei nicht
zureichend auseinander gesetzt haben. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Viele von uns - Frau Merkel, hören Sie einmal einen
Moment zu - waren Zeitzeugen und haben noch im Ohr, mit welcher Unversöhnlichkeit
Sie diese Ostpolitik bekämpft haben und in welcher hämischen Art und
Weise Sie Willy Brandt bekämpft haben. Sie können sich nicht auf ihn
berufen! (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Wir Sozialdemokraten haben genau im Ohr, mit welch hämischer
Zustimmung der äußersten Rechten dieses Landes - es gab durchaus
Verbindungen hinein in Ihre damalige Partei -, mit welch hämischer
Unversöhnlichkeit dieser Kampf geführt worden ist. Dies ging bis hin
zu Leuten, die - man mag es ja gar nicht wiederholen: das waren nicht
Unionspolitiker, jedenfalls nicht Unionspolitiker aus dem Deutschen
Bundestag - diese verräterischen Sätze sagten wie "Brandt an
die Wand!" Wir haben das nie vergessen. (Friedrich Merz [CDU/CSU]: Das ist unglaublich! - Weitere
Zurufe von der CDU/CSU) - Wo stehen Sie denn historisch? (Hartmut Büttner [Schönebeck] [CDU/CSU]: Das ist ja
unglaublich!) In dieser Auseinandersetzung hat die Union keinerlei
Recht, sich auf Willy Brandt zu berufen. Das kann nicht gestattet
werden. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS - Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Sie verteidigen das noch, was der
Fischer gemacht hat!) Jetzt reden wir einmal über das, was hier wirklich los
ist. In dieser Auseinandersetzung, die Sie angefangen haben, meine
Damen und Herren, (Zuruf von der CDU/CSU: Die Medien haben sie angefangen!) ist doch auch die Frage nach der Qualität unserer
Gesellschaft zu beantworten: Was für eine Gesellschaft wollen wir
eigentlich? Man könnte dies auch auf die heutige junge Generation
beziehen. Wollen wir eine Gesellschaft, die gegenüber politischen
Irrtümern - sie waren schwerwiegend genug und sie werden ja auch
zugestanden - erbarmungslos ist, (Wolfgang Bosbach [CDU/CSU]: Darum geht es nicht!) oder wollen wir eine Gesellschaft, die politische Irrtümer
diskutiert und die dar aus resultierenden Konsequenzen, die in einem
langen Werdegang beschrieben sind, akzeptiert? (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Angesichts einiger Reden, die hier heute gehalten wurden,
ist für mich nur der Schluss nahe liegend: Sie wollen nicht urteilen
- wozu Sie ein Recht haben; auch Sie wollen das nicht, Herr Gerhardt
-, sondern verdammen. (Beifall bei der SPD - Widerspruch bei der CDU/CSU) Sie wollen damit nicht einen politischen Irrtum
kennzeichnen - den der Bundesaußenminister zugegeben hat -, sondern
seine politische Existenz vernichten. Das ist Ihr Ziel. Nur: Sie
werden es nicht erreichen. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der PDS) Ich fand das, was Sie, Frau Knake-Werner, gesagt haben
- bis auf den Schluss Ihrer Rede -, genauso wie das, was Sie, Herr
Erler, gesagt haben, bemerkenswert, wichtig und richtig: Hier spielt
auch eine Rolle, dass Sie eine ganze Generation, nämlich die, die man
"68er" nennt - ich kann das sagen, weil ich das miterlebt
habe -, pauschal verdammen wollen. Sie wollen doch gar nicht
einzelne politische Irrtümer - und seien sie noch so schwerwiegend -
diskutieren. (Walter Hirche [F.D.P.]: Es geht um politische Gewalt!) Sonst hätten Sie hier anders geredet. Nein, Sie wollen
die Generation, die einen politischen Aufbruch wollte, die in dieser
Gesellschaft etwas bewegt hat - auch diejenigen, die sich nicht die
geringste, gar strafrechtlich zurechenbare, Schuld haben zukommen
lassen -, diffamieren. Das geht doch nicht. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Meine Damen und Herren von der Opposition, im Grunde ist
das, was Sie hier versuchen, ebenso lächerlich wie erfolglos. (Beifall bei Abgeordneten der SPD) Was Sie nämlich versuchen, ist, einen Politikbegriff
zu definieren, der so verengt ist wie Ihrer, und diesen für alle
verbindlich zu machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN) Sie versuchen, eine Politikergeneration wie die Ihre als
beispielhaft hinzustellen - die mit Ihrem Werdegang und mit Ihrem
politischen Scharfsinn ausgestattet ist. Auch das will die Mehrheit
der Deutschen nicht. Sie will schon eine plurale Gesellschaft. (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) In einer pluralen Gesellschaft müssen auch
unterschiedliche Biografien akzeptiert werden. Wenn diese Art von Selbstgerechtigkeit, von unhistorischem
Umgang mit unserer eigenen jüngeren Vergangenheit hier wirklich Platz
greift, wenn diese Art von Erbarmungslosigkeit in Bezug auf politische
Irrtümer (Walter Hirche [F.D.P.]: Reden Sie nicht immer von sich
selber!) die Basis unseres politischen Verhaltens wird, weiß ich
nicht mehr, wie man national und international erklären soll, dass
zur Zivilisation und zu zivilisierten Gesellschaften auch immer gehört,
(Dirk Niebel [F.D.P.]: Steine zu werfen!) dass man Integration erlaubt, nachdem jemand Irrtümer
eingestanden hat. Dieses Fähigkeit zur Integration macht die Qualität
einer freien, einer offenen Gesellschaft aus. Seien Sie sicher: Diese
Qualität einer offenen Gesellschaft werden wir gegen Ihre Versuche,
hier ein vordergründiges Spiel zu spielen, nicht wirklich etwas zu klären,
sondern den Bundesaußenminister zu diffamieren, verteidigen, und dies
- da seien Sie ganz beruhigt - mit großem Erfolg. (Anhaltender Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN - Beifall bei der PDS) |