zurück

 
SDS-Website  

 

Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile der Kollegin Heidi Knake-Werner, PDS-Fraktion, das Wort.

Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Steine, Knüppel, Fußtritte gegen Menschen habe ich früher ebenso abgelehnt wie heute, auch und vor allem als Mittel der politischen Auseinandersetzung.

(Beifall des Abg. Dirk Niebel [F.D.P.])

Dies sage ich zu Anfang ausdrücklich, weil ich, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Konservativen, einen  Verdacht nicht loswerde: Der CDU und allen, die in den vergangenen beiden Wochen so etwas wie eine öffentliche Empörung über ein Jugendfoto des Außenministers organisiert haben,

(Zuruf von der CDU/CSU: Diese Sprüche zählen nicht mehr!)

geht es zuallererst nicht um den Nachweis einer Gewaltstraftat oder um den Außenminister persönlich; es geht ihnen in der Tat vielmehr um die nachträgliche Kriminalisierung einer ganzen Bewegung.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es interessiert sie zwar auch, ob Minister Fischer eine strafbare Handlung nachzuweisen ist. Aber es geht ihnen besonders darum, dass er nach ihrer Meinung politisch sträflichen Haltungen und Überzeugungen anhing.

Thomas Schmid brachte es am 5. Januar in der "FAZ" auf den Punkt. Er schrieb:

Der Joschka Fischer, der heute Außenminister ist, hat auf dem Weg dahin buchstäblich alle Überzeugungen ablegen müssen,

(Walter Hirche [F.D.P.]: Hatte er je welche?)

die ihn einst zum politischen Tier machten.

Ich wiederhole: "Überzeugungen..., die ihn einst zum politischen Tier machten". Wenn also jemand in der Sache auf die Anklagebank gesetzt werden soll, dann ist es nicht der inzwischen zum Minister gewordene Hausbesetzer Joschka Fi scher, sondern dann sind es die politischen Haltungen und Überzeugungen der 68er-Bewegung insgesamt.

(Beifall bei der PDS)

Wir debattieren heute nicht über irgendeine im Frankfurter Häuserkampf begangene Jugendsünde. Diese Debatte dient vielmehr der Geschichtsinterpretation: Es sollen Überzeugungen und Ideale der Protestbewegung entsorgt werden. Mich macht besonders betroffen - auch das will ich offen sagen -, dass viele der damals Aktiven selbst zur Entsorgung und zur Geschichtsklitterung ihrer eigenen politischen Vergangenheit beitragen.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist absurd: Da wird nachgekartet und uminterpretiert und da werden die abenteuerlichsten Vergleiche gezogen, um die 68er-Bewegung auf eine Stufe mit ihrer faschistischen Vätergeneration zu stellen. Ich weiß nicht, was an den Parallelen, die in den vergangenen Tagen gezogen wurden, unappetitlicher ist: die Verharmlosung des Faschismus oder die Verteufelung der 68er-Bewegung.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Mir scheint beides für das politische Klima in diesem Land bedrohlich zu sein.

(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Als eine, die sich der 68er-Bewegung zurechnet und dort entscheidende politische Schritte gemacht hat, will ich deutlich sagen - ich habe es eingangs schon betont -, dass Gewaltfreiheit zu meiner damaligen wie auch zu meiner heutigen Überzeugung gehört. Ich sage aber auch genauso deutlich, dass diese Überzeugung weder konfliktfrei noch leicht in meiner politischen Biografie durchzuhalten war: weder in der Anti-Notstands-Kampagne noch in den Rote-Punkt-Aktionen, noch bei den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg oder gegen die Berufsverbote.

Ohnmächtige Wut hat viele von uns ergriffen angesichts der demonstrativ zur Schau gestellten staatlichen Gewaltbereitschaft. Die Todesschüsse auf Benno Ohnesorg haben bittere Spuren hinterlassen.

(Beifall der Abg. Monika Ganseforth [SPD])

Wer hat sich eigentlich jemals dafür entschuldigt? Es war Heinrich Albertz als Privatmann.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dafür gebührt ihm auch heute noch Respekt.

Das Klima von Hetze und Hass, von politischem Muff und von Intellektuellenfeindlichkeit sieht man auf den Bildern von damals. Welche Wechselwirkungen damals bestanden haben, haben Sie bis heute nicht begriffen. Ich glaube, Sie werden es auch nicht begreifen.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/

CSU: Sie begreifen auch vieles nicht!)

Die PDS-Fraktion beschäftigt nicht vorrangig die Vergangenheit von Joschka Fischer.

(Zuruf von der CDU/CSU: Die eigene! Da habt ihr viel zu tun!)

Es ist die Vergangenheit einer sehr unterschiedlich rebellischen Generation. Sie darf weder von Joseph Fischer noch von seinen politischen Gegnern insgesamt in Haftung genommen werden. Es ist die Aufgabe vieler in diesem Parlament, diese Vergangenheit endlich einmal differenziert aufzuarbeiten.

(Siegfried Hornung [CDU/CSU]: Juristisch ist das alles verjährt!)

Dabei dürfen die Anstöße der 68er-Protestbewegung für die demokratische Entwicklung in diesem Land, für Emanzipation und für ein friedliches Zusammenleben der Völker nicht der Auseinandersetzung um Steinewerfer, um Molotowcocktails und um Militanz zum Opfer fallen.

(Beifall bei der PDS)

Ich sage ausdrücklich: Die PDS ist weit mehr um die Gegenwart als um die Vergangenheit von Joschka Fischer besorgt. Sein heutiges Bekenntnis zur Gewaltfreiheit ist unglaubwürdig, solange von ihm Krieg als Mittel der Politik nicht nur akzeptiert, sondern auch aktiv eingesetzt wird.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Frau Kollegin Knake-Werner, kommen Sie bitte zum Schluss.

Dr. Heidi Knake-Werner (PDS): Ich hatte leider keine Uhr, Herr Präsident. - Durch die Zustimmung zu einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, zu den Bomben im Kosovo und zur Gewalt gegen die Zivilbevölkerung hat Außenminister Joschka Fischer sich endgültig von seiner Vergangenheit verabschiedet.

(Beifall bei der PDS - Zuruf von der CDU/CSU: So einfach ist das!)