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Günter Langer: Horst, warum hast
Du Dein Privates nie revolutioniert? Berlin, den 17.1.1999 Lieber Horst, gestern gab’s im
Willy-Brandt-Haus, zur Finissage der Ruetz-Ausstellung, den
schönen Film "Die 68iger Story". Er zeigt, wo sich
wirklich etwas seit 68 geändert hat, bei den Menschen selbst. Es waren viele
alte GenossInnen dort und es gab im Anschluß noch viele Gespräche. Unter
anderem traf ich einen alten Freund aus Britz, der Deinen Positionen zuneigt.
Er kannte nicht nur die "Frankfurter Initiative", sondern
merkwürdigerweise auch bereits Deinen Brief an mich... Ich will nicht auf alle
Einzelheiten Deines Briefes eingehen, es gibt, so glaube ich, grundlegendere
Fragen zu diskutieren. Nur so viel: Deine Beschreibung der SDS-Runde
ist so verschieden von meiner eigenen Wahrnehmung, daß ich nicht glauben
kann, wir meinen dieselbe Veranstaltung. Beispiel: Du unterstellst,
"wir" würden einem "proletarischen Internationalismus"
frönen, der darin bestünde, alle Welt mit der deutschen Staatsangehörigkeit
"beschenken" zu wollen. Die Wahrheit ist, nicht ein einziger hat
auch nur annähernd so etwas gesagt, geschweige denn, es hätte ein Konsens
über diese Frage bestanden. Über einen Punkt in
Deinem Brief bin ich dann gestolpert, der mich dazu bringt, das
Grundlegendere anzusprechen. Es ist Dein positiver Bezug auf Bernd Rabehl, wo
Du beschreibst, daß ein Teil der Linken durch seine "antinationalen
Affekte" der "Unterjochung der Völker unter den lebensfeindlichen American
way of life Vorschub leisten" würden. Diese Worte drücken einen
eklatanten und platten Antiamerikanismus aus, der möglicherweise in der RAF
gepflegt wurde, nicht aber im SDS. Ich kenne ihn aus meiner
Jugend, als ein ewiggestriger Vater eines meiner Schulfreunde, mir ähnliche
Zitate aus der Deutschen National- und Soldatenzeitung entgegenhielt.
Dieser Vater war während des 3. Reichs aktiver Nazi und Partisanenbekämpfer.
In dem o.g. Film hättest Du dagegen in beispielhafter Weise die Haltung der APO
zur "Überfremdung" Deutschlands durch die amerikanische Kultur
sehen können. Es war ein positiver Bezug, wir begrüßten die Übernahme
amerikanischer Kulturelemente als Befreiung von dem spießbürgerlichen
Sumpf, der uns in der Nachkriegszeit erstickte. Unterlagen wir Eurer
Meinung nach nur einer Gehirnwäsche? Die Frage des
Antiamerikanismus habe ich schon in meiner Kritik an Deiner
Rohrmoser-Laudatio angesprochen. Leider hast Du damals Dein Versprechen nicht
eingehalten, darauf einzugehen. Überhaupt hast Du Deine versprochene Antwort
nie geschrieben. Das kann ja mal in der Hitze des Gefechts aus dem Blick
geraten. So habe ich das bis gestern gesehen, bis ich nach der Filmvorführung
Renate S... traf. Renate erzählte mir eine ähnliche Geschichte. Sie hatte Dir
einen Brief geschrieben, in dem es um Hannah Arendt ging, aber nie eine
Antwort erhalten. Worauf ich hinaus will, ist folgendes: Du möchtest den
Gesprächsfaden zwischen uns nicht abreißen lassen. Das finde ich gut. Ein
Gespräch zwischen zwei Menschen ist aber nur als Dialog
möglich, sie müssen aufeinander eingehen. Der zweite Punkt, der mir
auf dem Herzen liegt, ist ebenfalls ein metakritischer. Ich meine, bei Dir
eine entscheidende Veränderung innerhalb des letzten Jahres festgestellt zu
haben. In der Rohrmoser-Laudatio argumentiertest Du rein rational. In
Gesprächen gabst Du Deiner Angst Ausdruck, in Deutschland bestünde die Gefahr
einer rechtsextremistischen Gewaltorgie, wenn es niemandem gelänge,
diese Energien in zivile Bahnen zu lenken. Diese Annahme konnte ich als
Ausgangspunkt für eine Diskussion akzeptieren. Jetzt hat ein Wandel
stattgefunden: Du gehst jetzt davon aus, daß ein Volk bzw. eine Nation ein
"lebendiger geistiger Organismus" sei. Du gehst deshalb davon aus,
weil Du es "im Gefühl" hattest. Gefühle kann ich nicht
leugnen, ich kann aber fragen, ob Du überlegt hast, woher sie kommen. Du
wirst sagen, auf der Suche danach bist Du bei Hegel fündig geworden. Warum
aber akzeptierst Du Hegel und nicht etwa Freud oder die Frankfurter Schule?
An anderer Stelle, in Deiner Flugschrift, hast Du mir die Antwort
darauf schon gegeben. Du haßt die Frankfurter, weil sie Juden sind. Aus dem
gleichen Grund ist Dir Freud und plötzlich auch Marx suspekt geworden. In
Deinem Junge-Freiheit-Interview vom 10.7.98 führst Du bereits aus, daß
Marx und alle seine Anhänger die nationale Frage deshalb nicht verstünden,
weil "die Juden...sehr lange ein Volk ohne Staat" waren. Junge
Freiheit Leser wissen mit diesem Hinweis bestimmt etwas anzufangen. Marx
war Jude. In der Flugschrift weist du darauf hin, daß das
"Unterjochungsprogramm", d.h. die Reeducation nach 1945 eine
jüdische Erfindung war. Demnach war die Situation Deutschlands bis zur Wende
durch folgende Faktoren gekennzeichnet: Der Osten "unseres Vaterlandes"
war durch die jüdisch-inspirierten Marxisten im sowjetischen Gewand okkupiert
und der Westen durch die jüdisch-inspirierten Oberkapitalisten aus dem
"lebensfeindlichen Amerika". Gemeinsam wurde "die deutsche
Nation" also durch die Juden beherrscht. Diese Konstruktion wird nicht
nur von bekennenden Nazis benutzt, die von der "Judenrepublik"
sprechen, wenn sie die Bundesrepublik Deutschland meinen, sondern es ist auch
ein Musterbeispiel für Verschwörungstheorien und ein Musterbeispiel für
widerlichen Antisemitismus. (Nur als Hinweis: Am Reeducation-Programm haben
sicherlich Juden mitgewirkt. Das US-Kapital war bis dahin aber selbst stark
antisemitisch geprägt, Henry Ford sogar ein ausgemachter Hitler-Freund. Für
Details empfehle ich Ute Schmidt/Tilmann Fichter, Der erzwungene
Kapitalismus. Klassenkämpfe in den Westzonen 1945-48, Berlin 1972) Ich bin sehr dafür,
Gefühle in die Debatte einzubeziehen. Das muß aber viel gründlicher
geschehen, als ihnen einfach nur freien Lauf zu lassen und schließlich in der
Überfremdungsangst oder in allgemeiner Angst zu enden. Du bist schon an dem
Punkt angekommen, wo Du Dich gegenüber anderen Meinungen völlig abschottest.
Deine Argumentation folgt dem simplen Muster von jeder besseren Sekte: Irrtum
ausgeschlossen. Alles was nicht in den Kram paßt, ist des Teufels,
bei Dir "jüdischen Ursprungs". Auf diese Weise verlierst Du jede
Möglichkeit für einen Dialog. Wenn wir im Gespräch bleiben wollen, müssen wir
also ran an die Gefühle. Welches Gefühl hat Dich bewogen,
zeitweilig von Deinem Nazi-Vater abzuweichen und auf den
Juden Marx zu bauen? Wie kam es, daß Dir Freud oder Wilhelm Reich nichts
bedeuteten? Warum hast Du an Kommuneversuchen nie teilgenommen? Welche
Gefühlswallung hat Dich dazu verleitet, Gudrun und Andreas aus Italien
zurückzuholen, um die RAF zu gründen, anstatt Dich dem Blues
anzuschließen, der bei Deiner damaligen Freundin Renate ein- und
ausging? Oder wolltest Du einfach nur Chef sein? Hast Du jemals versucht,
Deine eigene, von zu Hause aus autoritär-patriarchal gestrickte
Charakterstruktur zu verändern? Welche seelischen Auswirkungen hatte
die lange Knastzeit auf Dich? Warum redest Du mit uns nicht über Dein
gegenwärtiges Problem mit Deiner Freundin? Bist Du neidisch auf Ottos
Erfolge? Wozu brauchst Du den Wirbel um Dich? Lieber Horst, wo kommt
Dein Antisemitismus her, hast Du ihn von Deinem Vater
"geerbt", der, wie Du erzählt hast, ein PG war? Hat Herzinger in
der Zeit recht, der Dir unterstellt, Du hättest Dich im Nahen Osten
militärisch ausbilden lassen, um schon damals auf Juden schießen zu können?
Oder ist die Gehirnwäsche jüngeren Datums? In der SDS-Runde hast Du
Dich verteidigt mit dem Hinweis auf Redefreiheit. Das kannst
Du machen, nur es war ziemlich ungeschickt und schwach. Denn niemand hatte
Dir dieses Recht streitig gemacht. Im Gegenteil, nach meiner Beobachtung
waren alle sehr bemüht, sich sachlich mit Euren Thesen auseinanderzusetzen.
Ich als Diskussionsleiter habe Dich immer korrekt in der Redeliste geführt
und Dich entsprechend zu Wort kommen lassen. Eine Redezeitbegrenzung gab’s
auch nicht. Viele GenossInnen zeigten
sich enttäuscht und teilweise empört über Eure Aktivitäten. Du schreibst,
Dich hätte das nicht überrascht, Du wärst aber über die (mangelnde) Güte der
Argumentation erstaunt. Ich dagegen war über die Einhelligkeit der Ablehnung
Eurer Thesen hocherfreut. Mit antifaschistischen
Grüßen Günter PS: Inzwischen ist mir
eine "Kanonische Erklärung zur Bewegung von 68"
unter die Finger gekommen, in der Du zusammen mit Maschke und Oberlercher unterstellst,
der SDS, die RAF (dort: "Waffen-SDS") und die SS hätten alle
gleichermaßen und offenbar auch gleichwertig
"nationalrevolutionäre" Ziele verfolgt und Hanns Martin
Schleyer als ehemaliger SS-Mann sei eigentlich umgebracht worden,
weil er ein "Verräter" an der (von Dir positiv gesehenen)
"nationalrevolutionären Volksgemeinschaft" war. Ergo: Rudi
Dutschke, Bernd Rabehl und Du selbst seid nach dieser Lesart nunmehr nur noch
späte Kampfgefährten Heydrichs und Hitlers. Ich kann nicht mehr glauben, Du
wüßtest nicht, was Du schreibst. Jetzt sehe ich den Tag, an dem Du offen mit
der Hakenkreuzbinde um den Arm in Erscheinung trittst. Auch wenn Du meinst, dies
mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten widerlegen zu können, ich und die
meisten anderen auch, sind damals angetreten, um dieser braunen Pest zu
begegnen und sie endgültig mit Stumpf und Stiel auszurotten. Zum Beispiel der
Blues: Aus unterschiedlichsten Häusern
kommend, Bommis Vater gehörte zu den SA-Gründern, Georgs Vater habilitierte
mit antisemitischen Studien und mein Vater wechselte 1933 von der KJ zur KPD,
waren wir gemeinsam bereit, genau für diesen antinationalistischen Zweck bis
zum äußersten, d.h. in den Untergrund zu gehen. Wir waren individualistische
Rebellen, die davon ausgingen, daß die Wurzel des Übels in den
Menschen selbst lag. Verbunden mit dem Kapitalinteresse sahen wir dieses Übel
über Leichen gehen. So sahen wir den Antiautoritarismus mit dem
Antikapitalismus bzw. dem Antiimperialismus verbunden. Dazu gehörte die
Solidarität untereinander, sowie mit den Schwachen und mit den Unterdrückten
in der 3. Welt, die dieselben Feinde wie wir hatten. Kein SDSler ist mir
jemals untergekommen, der mich für nationalrevolutionäres Gedankengut hätte
gewinnen wollen, auch und gerade Rudi nicht, weder vor noch nach dem
Attentat. Gott sei Dank hat sich inzwischen die politische Situation um uns
herum zum Positiven gewandelt. Bei aller Kritik, aber Rot-Grün ist nicht
dasselbe wie Schwarz-Braun. Selbst Schwarz hat sich geändert: Kohl bezog
sich zwar auf die Nation, war aber bereit, sie in Europa aufgehen zu lassen
und machte sich dadurch bei Euch verhaßt. Falls nötig, würde ich
heute dieselbe Entscheidung treffen wie damals. Wer behauptet, wir hätten
bewußt oder unbewußt für nationalrevolutionäre Ziele gekämpft, der irrt nicht
nur, der tut dies, um uns zu beleidigen oder uns in unziemlicher Weise zu
provozieren. Es geht keineswegs um Ideologien oder gar um Politik. Ich fühle
mich in meiner Identität und in meinem (archaischen) Ehrgefühl zutiefst verletzt,
mehr noch, ich fühle mich, meine Angehörigen und meine Freunde durch Euch
unmittelbar bedroht. Ihr wollt die Brandstiftung nicht verhindern, Ihr seid
selbst die Pyromanen. Mein entschiedener Widerspruch ist
angesagt. PPS: In der Diskussion mit Rainer fiel mir auf, daß Deine interne Rede sich von Deiner öffentlichen stark unterscheidet, hier sanft und freundlich, dort hart und demagogisch. Wie kommt das? |
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