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Bernd Rabehl: Rede
bei den "Bogenhauser Gesprächen" über nationalrevolutionäre Ansätze
1968 und die heutige Lage der Deutschen, erschienen in "Junge
Freiheit" 52-53/98 Niemand weiß heute eindeutig, was linke
und rechte Positionen beinhalten. Fest steht, daß es in den Extremfällen eine
reaktionäre Linke und eine reaktionäre Rechte gibt, deren Träume und
Illusionen von einer Erziehungs- und Führerdiktatur und der Feinderklärung
gegen Andersdenkende nicht so grundsatzlich unterschieden wären. Gemeinsam
wäre ihnen die totale Mobilmachung gegen den vermeintlichen Gegner, um
dadurch bei den eigenen Parteigängern so etwas zu bewirken wie Weltanschauung
und Glauben und die Bereitschaft, für die "Sache" ohne Wenn und
Aber zu streiten. Eine derartige "Mobilmachung"
will Denk- und Diskussionsverbote erreichen. Bestimmte soziale Widersprüche
und Brennpunkte sollen nicht benannt werden: etwa daß in Zentraleuropa ein
Friedenszeitalter sich dem Ende zuneigt, das seit 1945 bestanden hatte, daß
die Bürgerkriege des Nahen Ostens, Nordafrikas, der Türkei, Jugoslawiens,
Rußlands ihren Einzug halten. Nicht primär die Asylanten- und
Flüchtlingsströme aus der ganzen Welt bedrohen den ethischen und moralischen
Zusammenhalt der zentraleuropäischen Völker, sondern der Import der
Partisanenformationen der internationalen Bürgerkriege und Kriegsschauplätze
geschieht durch den Zuzug hochorganisierter und gleichzeitig religiös oder
politisch fundamentalistisch ausgerichteter Volksgruppen, die keinerlei
Interesse haben, sich in den Gastländern zu integrieren oder sich ruhig zu
verhalten. Diese Länder werden genutzt als strategische Rückzugs- und
Versorgungsgebiete, als eine Art "befreite Gebiete", wo Steuern
eingetrieben, Rekruten ausgehoben werden, Kämpfer sich erholen können,
Schulung und militärtaktische Ausbildung erfolgt und ganze Volksgruppen
militärisch und politisch geformt werden. Stadtteile, Straßenzüge, dörfliche
Gebiete werden herausgebrochen aus dem geographischen und politischen
Zusammenhang und neu definiert. Die Bürgerkriegskonstellationen werden
hineingetragen in die jeweils europäischen und nationalen Gemeinschaften. Mit
dieser "Besetzung" gehen Hand in Hand illegale Geschäfte,
Drogenhandel, Bestechung, Korrumpierung von Polizei und Behörden, illegaler
Menschenhandel und über die fundamentalistische Ausrichtung von Politik und
Religion der Aufbau eigener Verwaltung, Recht und Moral. All das trifft nicht nur auf die Kurden
und die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) zu. Unterschiedliche Gruppen,
Partisanenverbände und religiöse Gemeinschaften aus Nahost, Nordafrika,
asiatischen Ländern, der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien, Rußland
verhalten sich ähnlich. Die Zuwanderung erfolgt, um in Europa Rückhalt zu
finden für eigene politische Ziele, aber vor allem, um den Krieg in den
eigenen Ländern vorzubereiten oder fortzusetzen und hier so etwas wie eine
Staatsgründung zu vollziehen mit eigener Steuer- und Militärhoheit, eigenen
Gesetzen, Religionen, Justiz und "Beamten". Allein schon dadurch
werden die europäischen Städte und Dörfer Kriegsgebiete, die jeweils nur
"beruhigt" sind, jedoch Schlachtfeld werden, sollte es deutschen
Truppen einfallen, als "Friedensmacht" dort in den fernen Ländern
zu intervenieren. Dadurch gewinnen die auswärtigen Kriege und Konflikte in
Zentraleuropa Aktualität. Die militärische, militante und fundamentalistische
Abschließung der einzelnen Volksgruppen von den Gastgebern und die
gleichzeitig artikulierte Feindschaft zu den nationalen Werten Westeuropas
und Deutschlands säen Zwietracht, Feindschaft und "Fremdenhaß". Sie
führen auch zur Ghettoisierung und Zerreißung der europäischen Groß- und
Kleinstädte. Hinzu kommt die wachsende Kriminalisierung, die sich in den
Grauzonen der Bürgerkriegsfronten oder im Rahmen der Konstituierung der
Keimformen von fremder "Staatlichkeit" im Rahmen der europäischen
Union vollzieht. Es ist also nicht primär der deutsche
Fremdenhaß oder die Angst vor Veränderung und Umwälzung, die die deutschen
Vorbehalte gegen die "Fremden" schüren, sondern deren Verhalten und
Demonstration, die deutsche Gesellschaft jeweils nur zu nutzen für private
oder gruppenspezifische Sonderinteressen. Diese Zerreißung und Ghettoisierung
eines Landes kann nicht – wie in den USA – aufgefangen werden durch die
"Weite" des Landes oder durch die Konzentration dieser Fremden auf
bestimmte Regionen, Städte oder Stadtteile. In Europa bedeutet diese
politische Überfremdung die grundlegende Zerstörung von Volk und Kultur, vor
allem dann, wenn die Zersetzung der nationalen Identität bereits so weit
fortgeschritten ist durch die kapitalistische Umwertung der Werte wie in
Deutschland. Dieses Problem der Überfremdung und der
Auflösung einer nationalen Kultur soll nicht besprochen werden. Die
Antifa-Linke steht hier bewußt in einem Bündnis mit bestimmten Medien im In-
und Ausland, die deutsche Kulturintelligenz in die Schuldfrage der Verbrechen
im Zweiten Weltkrieg einzubinden. Würde dieses Anliegen einer Tabuisierung
der deutschen Frage aufgehen, wären auch die herrschenden Eliten
handlungsunfähig, die auf die Kritik und die Stimmungen im Lande angewiesen
sind. Erst bei dieser Unbeweglichkeit in der nationalen Frage würden
Extrempositionen wie ein Rettungsanker wirken: etwa auf die Ausweitung eines
Sozialstaates in die Prämissen eines traditionellen Sozialismus zwischen
Fürsorge und Polizeistaat hinzuarbeiten. Dann würden die landespolitischen
Bündnisse zwischen SPD und PDS Zielpunkte signalisieren. Im Falle Öcalan hat der deutsche Staat
bereits kapituliert. Auf Barrikadenkämpfe, brennende Autos, Demonstrationen,
Aufzüge klagender Frauen und Kinder, Krawalle in Hamburg, Berlin, Dortmund
oder Düsseldorf sind Polizei und Bundesgrenzschutz, Justiz, aber auch die
neue Regierung nicht vorbereitet. Da ist es schon besser eine Art
"Russel-Tribunal" zu veranstalten, wo über die Situation in der
Türkei gesprochen werden kann und Deutschland ausgeblendet bleibt. Aufbrüche Die nationale Frage spielte bereits in den
sechziger Jahren eine Rolle bei der Konstituierung einer neuen Opposition.
Sie war damals vor allem antiamerikanisch und antirussisch eingestimmt. So
gesehen gehörten die "Nationalrevolutionäre" Dutschke und Rabehl zu
keinem Zeitpunkt zur traditionellen Linken. Deren Denken war beeinflußt durch
die russische Revolution und durch die realsozialistischen Experimente in der
UdSSR und in der DDR. Zurückzufinden zu den nationalen Grundlagen von
Sozialismus, Freiheit und Unabhängigkeit war ein Anliegen des antiautoritären
Aufbruchs dieser Zeit. Für Dutschke etwa war die Sowjetunion, die zwischen
weltrevolutionären Aufbrüchen und despotischer Restauration verharrte,
anfällig für eine innere Auflösung. In den Strudel einer derartigen Dynamik
würde sofort die DDR mitgerissen werden, weshalb eine revolutionäre Linke
immer auch gesamtdeutsche und nationalrevolutionäre Ziele verfolgen mußte.
Dabei orientierte er sich an dem 17. Juni 1953 und an der Plattform
dissidenter Marxisten um Wolfgang Harich im Herbst l956. Der Arbeiteraufstand
wurde gesehen als ein Abschied der alten deutschen Arbeiterbewegung, die für
die zukünftigen Revolutionäre folgende Botschaft hatte: den
Absolutheitsanspruch der SED nicht anzuerkennen und auch nicht zu dulden, daß
sowjetische Herrschafts- und Ausbeutungsformen installiert blieben im Osten.
Endlich zurückzufinden zur Solidarität, Offenheit, Freiheit, Rätedemokratie,
Arbeiterkontrolle, zu einer Kultur von Verantwortung und Gerechtigkeit,
schien Auftrag zu sein für einen neuen revolutionären Anfang. Nach dieser
Sichtweise wurde auch Harich interpretiert. Die Intelligenz mußte diese
Erbschaft der Arbeiterbewegung übernehmen. Sie war so etwas wie Übersetzer,
Bewahrer und Verkünder und legte dadurch den Keim eines
nationalrevolutionüren Aufbruchs. Aus der sozialen Mitte kamen schon deshalb
keinerlei Impulse, weil der Mittelstand durch die NS-Diktatur kompromittiert
war, im Osten enteignet wurde und im Westen sich dem Diktat der
Besatzungsmächte unterwarf. Er war fett und impotent. Nach dem Scheitern der
Arbeiterbewegung lag die Last der Verantwortung auf den Schultern einer
unabhängigen Intelligenz. In Vietnam demonstrierte in den sechziger
Jahren die USA, daß sie die geopolitischen Grenzziehungen von 1945 in Asien
und Europa gegen die nationale Unabhängigkeit verteidigte. Parteien und Staat
hatten sich im Westen der nordamerikanischen Hegemonie unterworfen. 1961
hatten die "Fluchthelfer" Dutschke und Rabehl diese Koexistenz
zwischen USA und Sowjetunion schmerzlich verspürt. In der Solidarität mit
Vietnam wurden ab 1965 die Ziele einer "nationalen Befreiung" auf
Deutschland übertragen. Die Demonstrationen gegen die nordamerikanische
Kriegspolitik wurden die wichtigen Motoren einer antiautoritären Bewegung.
Alle kulturrevolutionären Impulse hatten hier ihren Ursprung. Beim Trauerzug mit dem Leichnam von Benno
Ohnesorg von Berlin nach Hannover nach dem 2. Juni 1967 stellte sich heraus,
daß die DDR-Jugendlichen auf den Autobahnbrücken standen und den
West-Berliner Studenten ihr Mitgefühl mitteilten. Nicht FDJ oder SED hatten
sie hierher befohlen, über die Westsender hatten sie erfahren, was passiert
war. Es gab die ersten Anzeichen einer deutsch-deutschen Revolte gegen die bestehenden
Ordnungen. Deshalb wurde in West-Berlin am 17. Juni 1967 im Festsaal der
"Neuen Welt" in der Hasenheide an den Arbeiteraufstand von 1953
erinnert. Gegen den Protest der Traditionalisten wurde das Erbe der
Streikenden von 1953 vorgestellt und deutlich gemacht, daß die nationale Idee
jeweils erneuert wurde von den widerständigen Schichten gegen herrschende
Lethargie und Verzweiflung. Das waren 1953 die Arbeiter, 1967 die
antiautoritären Studenten. Im gleichen Monat fand in den Kreisen von
SDS und Republikanischem Club eine Disputation über die "Freie Stadt
Westberlin" statt. Dutschke wollte eine studentische Bewegung in eine
Volksbewegung übertragen. West-Berlin sollte in Zentraleuropa so etwas werden
wie Hongkong für Asien. Diese Teilstadt sollte Experimentierfeld sein für
ost-westliche Verbindungen in Wirtschaft und Politik, gleichzeitig sollte der
Keim der Subversion nach West- und Osteuropa getragen werden, um jeweils die
Hegemonie der Großmächte zu untergraben. Die USA schienen durch Vietnam geschwächt,
und die Sowjetunion schien unfähig zu sein, sich über Reformen zu
modernisieren. Der Vietnamkongreß vom Februar 1968 stand bereits unter der
Zielsetzung, Keimformen einer europäischen Befreiungsfront zu legen, um die
Großmächte und ihre Kollaborateure aus Zentraleuropa zurückzudrängen.
Revolutionäre Gruppen aus Frankreich, Italien, England, Irland, Spanien waren
anwesend, aber auch Repräsentanten aus Polen und der CSSR. Die Demonstration
vor den amerikanischen Kasernen in Lichterfelde sollte Symbolcharakter
gewinnen: draußen demonstrierten die Studenten, drinnen sollten die schwarzen
Soldaten den Befehl verweigern. Die Großmacht USA sollten als
"Papiertiger" vorgeführt werden. Es schien an der Zeit zu sein, die
Großmächte aus Zentraleuropa zu vertreiben. Der italienische Großverleger
Feltrinelli finanzierte ein Internationales Forschungs- und
Nachrichteninstitut (INFI), das die lokale Politik und Propaganda
koordinieren sollte mit dem illegalen Aufbau nationaler Befreiungsgruppen.
Ein Putsch der NATO gegen die europäischen Demokratien schien bevorzustehen. Traditionelle Sozialisten, Parteigänger
der SEW und SED oder der illegalen KPD, aber auch die unterschiedlichen
Geheimdienste in Ost und West setzten alles daran, dieses Projekt zu
zerschlagen. Am 11. April 1968 wurde auf Dutschke ein Attentat verübt.
Führerpersönlichkeit und Motor der Radikalopposition wurde in einer Situation
herausgeschossen, wo über ihn der politische Zusammenhang hergestellt wurde.
Mit einem Schlag zersprang die innere Einheit der Opposition. Die einzelnen
Führergruppen konkurrierten um die Nachfolge. Erst jetzt entstanden die
unterschiedlichen Initiativen, die in die verschiedenen K-Gruppen mündeten.
Die Radikalopposition taumelte zurück in die Bürgerkriegsfronten des Kalten
Krieges. Neubeginnen Dutschke blieb sich später immer bewußt,
daß die Radikalopposition zerschlagen wurde bzw. in die Auflösung getrieben
wurde, weil die Zielsetzung der nationalen Revolution bestanden hatte und
dagegen von unterschiedlicher Seite Front gemacht wurde. Die Überwindung der
deutsch-deutschen Spaltung und die Besinnung auf die nationale Integrität
sollte innerhalb der Linken Tabu-Thema bleiben. Die Idee einer
nationalrevolutionären Überwindung der Teilung Deutschlands wurde mit allen
Mitteln bekämpft. Im Milieu der maoistischen ML-Parteien tauchte zwar der
Gedanke der nationalen Befreiung auf. Er blieb jedoch reduziert auf die
Stalin’sche und chinesische Nationalitätenpolitik, die die Ziele der
zentralen und imperialistischen Politik der Partei und des Staates gegen die
nationalen "Minderheiten" verfolgte. Die Kopie in Deutschland hatte
keine Werte und Grundlagen, etwa der Arbeiterbewegung von 1953 in der DDR,
die die nationalrevolutionären Prinzipien bestimmte. Sie reproduzierte
lediglich den Konflikt zwischen China und Rußland auf deutschem Boden. Für
Dutschke bestand kein Zweifel, daß die Radikalopposition eine grundlegende
Niederlage erfahren hatte, unter anderem auch deshalb, weil
nationalrevolutionäre Ziele aufgegeben worden waren. In der Zeitschrift Das Da überdachte er
seine Position nicht zufällig in den Jahren 1976/77. Die Ausweisung von Wolf
Biermann und die Verhaftung von Rudolf Bahro durch die DDR-Behörden zeigten
ihm, daß die entstehende DDR-Opposition immer noch unter dem Bann des "17.
Juni" stand und die Positionen dieses Streiks jetzt von einer
dissidenten Intelligenz ausgesprochen wurde, die sich dieser Tradition bewußt
blieb. Die großen "Kongresse" an der Technischen Universität Berlin
thematisierten diesen Zusammenhang. Es wurde ein Bahro-Komitee gegründet, das
sich für die Freilassung des Dissidenten einsetzte und gleichzeitig die
Programmatik einer neuen Radikalopposition überdenken sollte. Das Ministerium
für Staatssicherheit war mit seinen Führungsoffizieren und Agenten, zusammen
etwa 30 Leute, von Anfang an dabei, wie die über 100 Akten der Bearbeitung
"Konferenz" belegen. Der ostdeutsche Geheimdienst war sich bewußt,
wo der wunde Punkt einer neuen Radikalopposition lag. Die
nationalrevolutionäre Rückbesinnung konnte Mittel sein, die Opposition aus
der Zerrissenheit und dem Sektenzustand herauszuführen und tatsächlich
Einfluß zu nehmen auf den laufenden Zerfallsprozeß der DDR. Dutschke übernahm
die Einschätzung sowjetischer Dissidenten, daß die UdSSR das Jahr 2000 nicht
erreichen würde. Der Kollaps dieser Großmacht mußte in Zentraleuropa die DDR
in den Strudel der Auflösung reißen, aber auch die politischen Verhältnisse
der Bundesrepublik erschüttern. Dutschke war bemüht, eine derartige
Opposition bündnisfähig zu machen mit konservativen und nationalen Gruppen.
Er setzte deshalb bei der Konzipierung einer grünen und ökologischen Partei
auf ein Bündniskonzept, das die Parteigänger des traditionellen Sozialismus
aussparte. Die Kader von DKP und ML-Parteien sollten nicht mit einbezogen werden
in den Aufbau einer neuen Opposition, weil sie entweder im Auftrage von MfS
und SED handelten oder auf die Prinzipien von Kadersystem und
Erziehungsdiktatur fixiert waren. Die jugendlichen Mitläufer und
Sympathisanten dieser Parrteien waren willkommen, teilzuhaben an dem Konzept
des neuen Bündnisses. Um einen Ausgleich zu den links
eingestimmten Exponenten einer grünen Partei zu schaffen, dachte Dutschke
daran, auf die konservativen Kreise von CDU/CSU um Gruhl, die
Aktionsgemeinschaft unabhängiges Deutschland (AUD), Burschenschaften und und
konservative Zirkel und Bürgergruppen zuzugehen. Ihn interessierten dabei die
konservativen Tugenden von Verläßlichkeit, Aufrichtigkeit, Verantwortung,
aber auch die tiefe Verbundenheit zu Natur und Heimat. Derartige Tugenden
waren deshalb bedeutsam, weil Zerfall und Sektenkrieg der Linken alle
solidarischen Beziehungen zersetzt hatten durch gegenseitigen Haß,
Denunziation, Neid, Hinterhältigkeit und Feindschaft. Der Bezug zu den
konservativen Kreisen hatte auch den Sinn, die Opposition herauszuführen aus
den studentischen Jugendmilieus oder aus dem Dunstkreis von Bildung und
öffentlichem Dienst. Unterschiedliche soziale Schichten sollten erreicht
werden, um aus dem Bann herauszukommen, immer nur der Sozialdemokratie
zuzuarbeiten und diese bürokratische Dienstpartei mit Ideen aufzufrischen wie
1968. Wichtig war auch, die ökologische Frage
einer Bewahrung der natürlichen Existenzbedingungen des Menschen zu verbinden
mit der nationalen Frage und mit der Demokratisierung eines Sozial- und
Machtstaates, der sich immer mehr ausweitete und alle Lebensäußerungen schier
erdrückte. Am 24. Dezember 1979 ertrank Dutschke in der Badewanne, und so kam
es, daß die entstehende grüne Partei Auffangbecken wurde der Bankrotteure der
ML-Gruppen und des traditionellen Sozialismus, aber auch von jungen
Karrieristen, die sich den langen Weg zu den Pfründen des Staates abkürzen
wollten. Alle konservativen Kräfte wurden schnell herausgedrängt. Bei der
deutschen Wiedervereinigung spielte die Partei deshalb auch keine Rolle.
Heute ist sie primär West- und Stadtpartei und Bestandteil der
unterschiedlichen Staats- und Kommunalbürokratien. Abgesang Die "psychologische Aktion", von
der die amerikanischen Deutschlandspezialisten 1944/45 sprachen, die nationale
Tradition aufzulösen, die Eliten zu entmachten und auszutauschen, die Kultur
und die psychologische Disposition der Menschen zu verändern und vor allem
Institutionen zu schaffen, die der Dynamik eines modernen Kapitalismus
entsprachen, ist 1998 längst verwirklicht. So wie es keine Klassen- und
Arbeiterkultur mehr gibt, so existiert in Deutschland kaum noch eine
nationale Identität. Schon aus diesen Gründen scheiterte jede politische
Konzeption, die sich auf die nationale Frage berief. Deutschland ist heute
"offener Raum", der sich prägen läßt von außen und der Politik nur
als Marketing oder Inszenierung erträgt. Deshalb dominiert das Bild von der
multikulturellen Gemeinschaft der Nationen, Völker, Religionen und Kulturen,
ein Reklamespot, denn real existieren derartige Gemeinsamkeiten nirgendwo auf
der Welt, weder in Kapstadt, New York, Peking, Moskau oder Rio de Janeiro. Es
ist eine Fiktion wie die "Völkerfreundschaft" der Ostbürokraten und
ein Element von Machtpolitik, um zu verbergen, daß in dem Maße, wie die
Regierbarkeit derartiger Räume unmöglich wird, Korruption und Kriminalität
wachsen und die einzelnen Banden, Partisanen, Gruppen, Religionen ihr Terrain
abstecken. Ein Volk, eine Mischung aus Masse, Konsument, Käufer, Klientel,
muß sich das bieten lassen, denn es besitzt keinerlei Kraft mehr, eigene
Interessen zu formulieren. Die Eliten haben ihre Verantwortung deligiert an
Großbürokratien und Verwaltungsakte. Sie verhalten sich als Kaste, Klüngel
oder Clique, die den inneren Beziehungen von Zugriff, Selbstbedienung,
Gefolgschaft und Selbstversorgung genügen. Machterwerb ist Glücksfall, die
richtigen Beziehungen zu haben und nicht mehr Ergebnis von Verantwortung,
Wissen oder Qualifikation Diese Dilettanten haben nur ein Ziel, möglichst
lange an der Macht zu bleiben. Deshalb müssen die Wahlen manipuliert werden,
finden große Reklamefirmen Einsatz, werden Wahlgeschenke verteilt und Feste
gefeiert, und es geht immer darum, neue Wählerschichten zu finden. So sollen
16jährige teilhaben am Wahlklamauk und werden die unterschiedlichen
"Einwanderer" verdeutscht, früher die Kasachstandeutschen für die
CDU, jetzt die bunten Völker der Türken und Nordafrikas für Grüne und SPD. Es
geht gar nicht mehr um "Integration" und um Besinnung bei der
Diskussion über das Verhältnis zwischen Fremdenanteil und deutscher
Bevölkerung. Die Dilettanten wollen ihre Macht sichern. So kann es auch nicht ausbleiben, daß die
großen Mobilisierungen und Kriegsvorbereitungen von diesen "Eliten"
entweder nicht bemerkt oder schöngeredet werden. Die europäische Vereinigung
ist ein Werk der Bürokraten. Die Völker und Nationen haben keinerlei Anteil.
Ein derartiges Werk kann unter diesen Voraussetzungen nur gelingen, wenn die
wirtschaftliche Stabilität und Wohlstand für die Mittelschichten erhalten
bleibt. Gelingt das nicht, entstehen Absatzbewegungen, die in Italien,
Frankreich oder England nationale Züge aufweisen werden, in Deutschland
jedoch lediglich Verzweiflung hervorrufen. Und die Kriegsvorbereitungen in
Nahost und Jugoslawien? Die Deutschen an die Front? Durch die Einbindung der
Grünen in die Regierung verliert die Friedensbewegung in Deutschland an
Substanz. 1966 mußten die Amerikaner alle Pläne aufgeben, Bundeswehr nach
Vietnam zu schicken. Jetzt kann deutsches Kanonenfutter wieder eingesetzt
werden. Aber die Kulturintelligenz und die Parteieliten reden nicht darüber.
Der Schuldpranger der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg soll alle
kommenden Verbrechen überdecken, und ein Volk ohne Kultur kann zu allem
verleitet werden, zumal es von "Eliten" beherrscht wird, die von
"außen" geprägt werden und keine innere Verantwortung tragen. Dort, wo Völker keinerlei Kultur oder
Identität mehr besitzen, ist keine Entscheidung zum Kurswechsel möglich.
Agonie und Anomie sind angesagt. So gesehen haben die Fremden, die nach
Deutschland fliehen, sogar recht, sich nicht anzupassen, denn um selbst nicht
zu verschwinden in Dekadenz und Lethargie, wird es notwendig sein, die eigene
politische Identität zu pflegen und sich vorzubereiten auf die Kriege im
eigenen Land.
Prof. Dr. Bernd Rabehl, 60, war ein enger Weggefährte Rudi Dutschkes und gehörte zu den führenden Köpfen im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS). Heute lehrt der Soziologe am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Freien Universität Berlin |
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