Am Dienstag, beim
Klein-Prozess in Frankfurt, war alles klar. Da ging es
formal um den Überfall auf die Opec- Konferenz und die
Erkenntnisse des Zeugen Joschka Fischer. Eigentlich aber
ging es um die Vergangenheit des Außenministers. Am
Mittwoch, im Bundestags-Plenum, war weniger klar. Da
handelten die Fragen der Opposition formell von Fischers
Verhältnis zur Gewalt. Eigentlich aber ging es um das
Geschichtsbild der Bundesrepublik. Das war spätestens
klar, als Rezzo Schlauch, der grüne Fraktionschef, am
Rednerpult stand. Er gestikulierte wild, ruderte mit den
Armen, stellte sich auf die Zehenspitzen und sagte dann
jenen Satz, der zum lautesten Protest im bürgerlichen
Lager führte. "Wir waren damals mitnichten ein
liberales, weltoffenes, tolerantes Land."
Mit dem Wörtchen "damals" meinte Schlauch
jene Phase ideologisch motivierten Protests und
theoretisch begründeter Gewalt gegen den Staat, die in
vielen Schattierungen 1968 begann, sich über Fischers
Spontibewegung der 70er Jahre fortsetzte und ihren
Schlusspunkt im radikaleren Teil der Hausbesetzer- und
Anti-Akw-Bewegung fand. Der Bundestag stritt über die
Frage, ob Deutschland durch all diese Bewegungen besser
wurde, ob sie rückblickend ein Teil der
bundesrepublikanischen Gesellschaft wurden oder als Irrweg
in den Fußnotenteil der Geschichtsbücher gehören.
Ach ja, Fischer. Der Mann, der diesen Historikerstreit
ausgelöst hat, verpackte sein Grundsatzurteil in einem
Nebensatz. Damals habe er Teil gehabt an einer
"Revolution gegen die entstehende Demokratie",
sagte Fischer. Die "entstehende" - die erst
durch den Marsch durch die Institutionen, den die
Ex-Revolutionäre bald aufnahmen, komplett wurde.
Es geht um die Reste des Unwohlseins, die das bürgerliche
Lager bei der Gegenüberstellung mit jenen empfindet, die
1968 als wahre Geburtsstunde der Demokratie betrachten und
heute auf der Regierungsbank sitzen. Sie hatten Fischer zu
diesem Auftritt genötigt, aber es wurde an diesem Tag
nichts Neues bekannt. Fischer blieb auch bei der
zwanzigsten Nachfrage dabei: Brandflaschen hat er weder
gebaut noch geworfen noch empfohlen; Terroristen hat er
nicht beherbergt; Waffen hat er nicht versteckt; Carlos
kennt er nicht.
"Um eine Enttäuschung reicher"
Ansonsten betonte er wieder einmal, wie schwierig es
ist, Verhalten zu erklären, ohne es zu rechtfertigen. Er
wehrte sich gegen aus dem Zusammenhang gerissene Zitate,
deren gefährlichstes wohl seine angebliche Äußerung
ist, er habe "keine rechte Trauer um die hohen
Herren" Buback, Ponto und Schleyer empfinden können,
die prominentesten RAF-Opfer. Und er verteidigte
Erinnerungslücken mit dem Hinweis an die Union: "Sie
erleben doch mit Frau Baumeister und Herrn Schäuble, was
Gedächtnis bedeutet!"
Der Beitrag des Außenministers schwankte zwischen
zornig-hitzigen und eher getragenen Passagen.
"Politisch erbärmlich" finde er die Art und
Weise, wie seine ehemalige Fraktionskollegin Vera
Lengsfeld, die im Dezember 1996 zur Union gewechselt war,
ihre Insider-Kenntnisse aus Grünen-Zeiten nutze, rief der
Außenminister. Der Abgeordneten fehle wohl der Mut, ihr
Wissen wenigstens selbst für eine Frage zu nutzen.
"Ich bin heute um eine menschliche Enttäuschung
reicher geworden."
Der Kanzler, der wie Fischer bei den Fragen der
Opposition bemüht lächelte und kopfschüttelnd grinste,
sprang seinem Außenminister zur Seite: "Sie wollen
seine politische Existenz vernichten - nur: Sie werden es
nicht erreichen." Gegenüber politischen Irrtümern dürfe
man nicht erbarmungslos sein, man solle einen Werdegang
respektieren.
Fischer selbst ordnete Studentenunruhen, Spontis und Häuserkampf
mit einem schlichten Satz ein: "68 hat zu mehr
Freiheit in diesem Land geführt!" Die meisten
Deutschen sehen es unter dem Strich ebenso. Und eben dies
ist das Problem der Union - zunächst konnte sie ihr plötzliches
Glück, dass Fischers Biografie noch einmal zur Munition
wurde, gar nicht fassen, und nun weiß sie nicht mehr so
recht, wie sie die Salven verschießen soll.