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Harry Mulisch
über Osama  bin Laden, Hitler und Rudi Dutschke

(Interview-Auszug)

Harry Mulisch, 74, gilt neben Cees Nooteboom als der bedeutendste niederländische Schriftsteller der Gegenwart. Unter seinen 60 Büchern: "Strafsache 40/61", eine Reportage über den Eichmann-Prozess, der Bestseller "Die Entdeckung des Himmels" und "Der Anschlag", dessen Verfilmung einen Oscar gewann. Sein neuer Roman "Siegfried" ist im Hanser Verlag erschienen.

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Der Publizist Joachim Fest sagt, das Schlimmste ist: Hitler war ein Mensch.

In diesem Punkt bin ich anderer Meinung. Natürlich, Adolf Hitler hatte Fleisch und Blut, aber im Kern saß etwas anderes, nämlich nichts. Ein Hohlraum, der alles Negative, alles Zerstörerische eingesogen hat. Wie ein großes schwarzes Loch. Wie die Personifizierung der Antimaterie. Wenn Antimaterie auf Materie trifft, gibt es eine Explosion. So kann man das auch bezeichnen, was Hitler angerichtet hat.

Dies schreiben Sie in Ihrem neuen Roman "Siegfried". Ein Schriftsteller versucht, Hitler in einem fiktionalen Netz zu fangen. Wir wollen nur so viel verraten: Die Annäherung an Hitler bekommt ihm nicht, man nähert sich der Hölle nicht ungestraft.

Ja, obwohl er sogar einen Erzähler zwischen sich und Hitler schalten wollte. Wie ich es ja auch getan habe mit der Figur des Schrifstellers.

Haben Sie beim Schreiben etwas von der Kälte der Figur Adolf Hitler gespürt?

Ich habe versucht, mich davor zu schützen. Von dieser Kälte haben viele berichtet, die ihm begegnet sind. Einige haben gefroren, sobald er durch die Tür kam.

Ist Ihnen dieses Buch schwerer als andere gefallen?

Gewisse Passagen. Als der kleine Siegfried...

in Ihrem Roman: Hitlers Sohn...

erschossen wird, da tat ich mich schwer. Ich habe öfters geschrieben, wie einer stirbt. Normalerweise trinke ich ein Glas Wein, wenn mir diese Szene gelungen ist. Diesmal war es anders, es war scheußlich.

Keinen Wein getrunken?

Doch, aber ich habe ihn auf andere Weise getrunken. Ich wollte was wegspülen.

Adolf Hitler und seine Verbrechen sind unvergleichlich. Aber doch die Frage: Kann man auf irgendeine Weise eine Verbindung ziehen zwischen einem Terroristenführer wie Osama bin Laden und Hitler?

Nur ein Unterschied: Hitler hätte die ganze Welt vernichtet, wenn er hätte können. Bin Laden würde das nicht tun. Er würde die Amerikaner vielleicht vernichten wollen, aber doch nicht seine Freunde, seine wahren Gläubigen.

Sie haben 1971 in Heidelberg Albert Speer getroffen. Was hatte er für eine Ausstrahlung?

Ein gut aussehender Mann, sehr gepflegt, sehr gute Manieren. Ich erinnere mich, dass ich ihn gefragt habe, ob er noch einmal in seinem Leben einem Menschen begegnet sei, der eine ähnliche Faszination wie Hitler auf ihn ausgeübt habe. Ja, sagte Speer, einen gab es, der ihn auch sehr beeindruckt hat. Dann kam er nicht auf den Namen, und ich versuchte, ihm zu helfen: Vielleicht Fidel Castro? Nein, nein. Und dann fiel es ihm ein: Rudi Dutschke.
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Interview: Christoph Amend und Stephan Lebert

tagesspiegel vom 6.10.2001