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Reinhard Wetter - Vom Knast in die Kanzlei

München am 10.4.2008 - Vor 40 Jahren gingen die Studenten auf die Straße - Rudi Dutschke, einer der ihren, war in Berlin niedergeschossen worden. Reinhard Wetter, damals "Rädelsführer" der 68er in München und heute angesehener Anwalt, erinnert sich.

"Der Knast hat für mein Leben eine wichtige Rolle gespielt", sagt Reinhard Wetter. Wer weiß, was geschehen wäre, wenn Wetter nicht den Großteil des Jahres 1969 im Gefängnis verbracht hätte. Vielleicht wäre dann aus dem einstigen Kopf der 68er-Bewegung in München kein bekannter Rechtsanwalt für Arbeitsrecht geworden. Drohte gar die RAF? "Es gab keine Gefahr, dass ich da reinrutschte, weil ich das nicht wollte", betont Wetter. Aber wer weiß.

Wetter geht zum Bücherregal. Zwischen dem Rechtsformularbuch für Unternehmer und der Bayerischen Bauordnung steht der "Knast-Report". Verfasser: ein gewisser Reinhard Wetter. Eine typische Sponti-Schrift, mit Witz und gegen den Strich geschrieben. "Essen. Die orale Frustration", heißt ein Kapitel. Frustration - das trifft auch auf Wetters Monat in München-Stadelheim und auf die acht Monate in Ebrach bei Bamberg zu. Während draußen sogenannte "Knast Camper" Solidarität schwörten, schmorte drinnen Wetter. Er fühlte sich bald nicht mehr als Märtyrer.

Reinhard Wetter hat trotzdem mit seiner Vergangenheit nicht gebrochen. 1968 - vieles war nicht schlecht, sagt er heute. Gleich nach der Schule floh er aus dem heimischen Wiesbaden. Der Vater Oberstudiendirektor, politisch konservativ, ein korrektes Elternhaus. "Ich wollte raus, weg", Wetter unterstreicht das noch heute mit einer wegwischenden Handbewegung. Erst ging er nach Wien, dann im Herbst 1966 nach München zum Studium brotloser Kunst, also Philosophie und Kunstgeschichte. Jura kam viel später. Doch für die trockenen Vorlesungen hatte Wetter wenig Zeit. Kaum eine Demo, bei der der Abgesandte der Anarchistengruppe im "Sozialistischen Deutschen Studentenbund" (SDS) nicht zu finden war. Natürlich lebte er auch einmal in einer Kommune - 1968 in einem schönen Bungalow in Gröbenzell. "Als Erstes haben wir alle Türen ausgehängt. Es sollte ja keine Privatheit mehr geben." Drei Monate hielt es Wetter aus. Als er seine damalige Freundin im Bett mit einem anderen sah, flüchtete er. "Das stundenlange Psycho-Gequatsche - ich habe es psychisch nicht mehr ausgehalten."

Wetter liebte die "Happenings". Er demonstrierte gegen den Besuch des Schahs Reza Pahlevi in München am 1. Juni 1967, ihn empörte der Tod von Benno Ohnesorg bei den Unruhen in Berlin einen Tag später. Danach kochte der Studentenprotest wellenartig immer wieder hoch. Ein Motiv ist Wetter auch heute noch wichtig: die NS-Belastung vieler Professoren. "Maunz, Maurach, Schmaus - müssen aus der Uni raus", das war damals ein beliebter Slogan, mit dem Juristen mit NS-Vergangenheit angeprangert wurden. Unvergessen bei 68-Veteranen bis heute Wetters Auftritt als verkleideter Polizist an der Münchner Uni. Damals zerbrachen sich die Studenten die Köpfe, ob die Polizei das Recht hatte, Zivilbeamte zu ihren öffentlichen Versammlungen zu schicken. Sie hatte, befand das konservative Rektorat. Der Aufruhr der Studenten war groß. Heute hat der Arbeitsrechtler Wetter auch keine Scheu, Beamte des Bundesnachrichtendienstes zu vertreten. Damals besorgte er sich mit zwei Studenten von einem Kostümverleih Polizeiuniformen - sogar mit aktuellen Abzeichen, die der nette Verleiher noch organisiert hatte. "Wir brauchen's für Filmaufnahmen", hieß es. München war ja Filmstadt. Hausmeister-Gehilfen nahmen Wetter & Co. in den Schwitzkasten, sie wurden wie Schulbuben im Rektorat eingesperrt, bis die Polizei kam. Das Trio erhielt eine Anzeige wegen Amtsanmaßung und Hausfriedensbruch und, für Studenten dann doch bitter, Hausverbot an der Uni. Natürlich hielt sich Wetter nicht daran, die vielen "Teach ins" und "Sit ins" waren einfach zu verlockend. Juristisch war das dann ein mehrfacher Hausfriedensbruch.

Die Akte Wetter füllte sich. Belagerung des Amerika-Hauses am Karolinenplatz: Hausfriedensbruch. Steinwurf-Attacke auf das griechische Konsulat, genauer gesagt auf das WC-Fenster: schwerer Landfriedensbruch. Dann kam Ostern 1968. Das Attentat auf den Berliner Studentenführer Rudi Dutschke am 11. April 1968, heute vor genau 40 Jahren, empörte auch die Münchner Studenten. Zu tausenden gingen sie auf die Straße, blockierten den Springer-Verlag in München-Schwabing. Steine flogen, am Ende waren der Pressefotograf Klaus Frings und der Münchner Student Rüdiger Schreck tot. Wer die Steine warf, wurde nie ermittelt. Der Bruder von Schreck sucht bis heute nach den Hintergründen. Kürzlich war er wieder bei Wetter. Aber der konnte nicht helfen. Er war damals an einer anderen Ecke frühzeitig festgenommen worden, wieder einmal.

Das Unglück braute sich über ihm zusammen. Die Studenten riefen mit einem abgewandelten Bahnplakat ("Alle reden vom Wetter") zum Besuch seiner Prozesse auf. Einmal gab es sogar eine regelrechte Saalschlacht. Als dann das Urteil fiel, "war ich konsterniert".

Nur einmal hat Wetter den Kontakt zu einem "Illegalen" gesucht. Irgendwann in den 1970er-Jahren besuchte er einen alten Bekannten aus der Münchner 68er-Zeit. RAF-Sympathisant Rolf Pohle saß im Straubinger Gefängnis. Wetter wollte ihn für sozialwissenschaftliche Arbeiten gewinnen. Aber Pohle "hat mich nur gefragt, was das mit dem antiimperialistischen Kampf zu tun hat". Als "Verräter" verhöhnte er Wetter. Da wusste der, dass er den richtigen Weg eingeschlagen hat.

Quelle: Merkur-online Das `68 des Knast-Reporters