| |
Eine Diskussion in der iz3w über
Islamophobie
Den linken (marxistischen)
Standpunkt geben wir hier wieder:
Lothar Galow-Bergemann/ Markus Mersault: Eine Debatte über Sinn und Unsinn des Kopftuchverbots ist
legitim, sie wird aber schräg, wenn sie den diesem vorausgehenden
Kopftuchzwang gar nicht mehr thematisiert - aus Angst, das sei
rassistisch. Oder gar, noch schlimmer, wenn sie die damit praktizierte
Frauenunterdrückung gleich ganz leugnet oder sie lediglich als "eine von
mehreren möglichen Interpretationen" in diskursive Luft auflöst. "Das
islamische Kopftuch" gibt es übrigens nicht. Es gibt zum Glück sehr
viele Menschen beiderlei Geschlechts, die sich als muslimisch definieren
und nichts von diesem abstoßenden patriarchalen Herrschaftsinstrument
wissen wollen. Mit dem Islamismus gibt es weltweit viele negative
Erfahrungen - die meisten Menschen, die sie machen, bekennen sich
übrigens selbst zum Islam - und deswegen ist scharfe Kritik an ihm
dringend notwendig. Jede Diskreditierung der Kritik am Islamismus, etwa
unter Zuhilfenahme des abstrusen „Islamophobie“-Vorwurfs, ist ein Verrat
an unverzichtbaren zivilisatorischen Standards und fällt gerade auch
Millionen Muslimen in den Rücken.
Das ist eine von mehreren unverzichtbaren
Seiten der Auseinandersetzung um das Thema. Eine andere ist die: Es gibt
unter den "Urdeutschen" (so Seyran Ates) ein grassierendes
antimuslimisches Ressentiment, das sich oft in völliger Selbstverkennung
als „Islamkritik“ versteht. Letztere, sofern sie denn wirkliche
Religionskritik ist, halten wir für dringend nötig. Höchst problematisch
ist es jedoch, wenn unter diesem Signet ganze Bevölkerungsgruppen
ausgegrenzt und diskriminiert werden. Warum Ressentiments anders als
Rassismus keine Auswirkung auf die ökonomische, soziale und politische
Lage der davon Betroffenen haben sollen, erschließt sich uns indes
nicht.
Damit Kritik nicht hilflos ihrem
Gegenstand gegenübersteht, bedarf es der Arbeit an und mit Begriffen,
die jenem Gegenstand gerecht werden und seine wesentlichen Elemente auch
tatsächlich benennen. Wir sprechen daher vom antimuslimischen
Ressentiment statt von Rassismus, weil wir glauben dass spezifische
Ressentiments gegen Menschen existieren, die als Muslime identifiziert
werden. Wer sich die antimuslimische Internetplattform „Politically
Incorrect“ oder den Verein „Bürgerbewegung Pax Europa“ anschaut, wird
dem zustimmen müssen. Es lassen sich auch traditionell rassistische
Elemente ausmachen, etwa die imaginierte Minderwertigkeit von Moslems,
die sich auf ein vormaliges oder gegenwärtiges Produktivitätsgefälle
beruft.
Aber zugleich weisen antimuslimische
Ressentiments über rassistische Elemente hinaus, wenn sie - um nur zwei
Spezifika zu nennen - in verschwörungsphantasierendem Duktus sich vor
der „Gebärmutter als Waffe des Islam“ fürchten und die westliche
Gesellschaft vor islamischer Überflutung und Unterjochung retten wollen.
Zwar gibt es in der islamischen Welt tatsächlich weltherrschaftliche
Ansprüche und Morde an Ungläubigen, doch längst nicht jede islamische
Strömung sympathisiert mit ihnen oder agiert gar in ihrem Sinn. Zum
anderen manifestiert sich im antimuslimischen Ressentiment, wie es in
Deutschland kursiert, die gescheiterte Vergangenheitsbewältigung. Es
bietet Entlastung, indem es Deutschen eine moralische Sanierung
ermöglicht: Die Benennung des auch in der islamischen Welt virulenten
Antisemitismus dient dem Zweck, das absolut Böse woanders auszumachen
und so die deutsche Identität zu rehabilitieren. Auch erscheinen die
Deutschen nunmehr als moderne Opfer an der Seite der wahren Opfer,
nämlich der Juden. Beide Elemente finden sich im Rassismus
typischerweise nicht. Der Begriff des antimuslimischen „Rassismus“
erzeugt aber gerade durch seine inflationäre Verwendung das Bild eines
raumzeitidentischen Phänomens, das der Dynamik gesellschaftlicher
Prozesse nicht gerecht wird.
iz3w: Herr Galow-Bergemann, Herr Mersault, warum lehnen Sie die Begriffe
„antimuslimischer Rassismus“ und erst recht „Islamophobie“ so vehement
ab?
Lothar Galow-Bergemann/ Markus
Mersault: Noch einmal: Wir tragen die Reduzierung des
antimuslimischen Ressentiments auf "Rassismus" nicht mit. Der bloß
formal bleibende (Neo-)Rassismusbegriff von Hall und Balibar
beispielsweise abstrahiert gerade von konkreten Inhalten der
Zuschreibungen, von Ursachen, Anknüpfungspunkten und
sozialpsychologischen Funktionen der jeweiligen Ressentiments. Ein solch
abstrakt-allgemeiner Begriff kann konkrete gesellschaftliche Phänomene
nicht wirklich erhellen. Nicht zufällig ist für Balibar der
differentialistische Rassismus der Form nach ein verallgemeinerter
Antisemitismus, der Antisemitismus also ein Vorreiter des heute gängigen
„kulturalistischen Rassismus“. Mit diesem inhaltsleeren Verständnis von
Rassismus und Antisemitismus ist der verhängnisvolle Schritt zum Glauben
nicht weit, der neue Antisemitismus heiße „Islamophobie.“
Diese Begriffsverwirrung kann nur da
entstehen, wo die Besonderheit des Antisemitismus als der voll
entfalteten regressiven Krisenverarbeitungsform des kapitalistischen
Alltagsbewusstseins nicht verstanden ist. Während sich der Rassismus
sein Objekt im imaginierten „Untermenschen“ sucht, lebt der
Antisemitismus von der Personalisierung unpersonaler Herrschaft, vom
Phantasma des Kampfes der verschlagenen Raffgier gegen die ehrliche
Arbeit, der Gleichsetzung des Juden mit dem Geld, der Halluzinierung des
wurzellosen Übermenschen, der mittels seiner Macht über das Geld die
Welt beherrscht und „uns alle“ aussaugt. Kurz, Antisemitismus ist der
unreflektierte Aufschrei gegen die Moderne, der mit der Vorstellung von
„den Schaffenden und den Raffenden“ beginnt - wie auch immer er dieses
vermeintliche Gegensatzpaar konkret benennen mag - und im
Vernichtungsfuror endet. All dies geht im Rassismusbegriff nicht auf.
„Islamophobie“ ist kein analytischer,
sondern ein Kampfbegriff, der jede Kritik an islamistischen Zuständen
diskreditiert und dabei die notwendige Religionskritik (gerade auch die
am Islam und seinen Schriften!) gleich mit entsorgt. Gesellschaftlich
relevant wurde der Begriff nach der iranischen Revolution 1979, als die
dortigen Mullahs mit jenem Begriff primär Frauen denunzierten, die sich
nicht dem islamischen Recht, etwa der Zwangsverschleierung, unterordnen
wollten. Aber dieser Bannstrahl traf auch alle, die scheinbar oder
tatsächlich „Ehebruch“ begingen oder sich „blasphemisch“ äußerten.
Heutzutage verschanzen sich häufig all
jene hinter dem Islamophobie-Vorwurf, die ein Kritikverbot bezüglich der
Religion oder religiöser Praxen aufstellen wollen. Wir halten es -
gerade auch im Hinblick auf Djihadismus und islamistischen Gottesstaat -
lieber mit Karl Marx: „Die Kritik der Religion endet mit der Lehre, dass
der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sei, also mit dem
kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der
Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein
verächtliches Wesen sei.“ Wo dieser Anspruch als westlicher Rassismus
gebrandmarkt wird, haben sich Linke aufgegeben.
Lothar Galow-Bergemann / Markus Mersault: Ismail
Küpeli hat recht, wenn er die Gleichbehandlung der Religionen fordert,
möglichst als Privatschrulle. So ist etwa die bürgerliche Errungenschaft
der Religionsfreiheit gegen das Schweizer Minarettverbot zu verteidigen.
Doch deswegen darf Religiosität nicht jenseits von Kritik stehen;
vielmehr gilt es sowohl für Religionsfreiheit als auch für Freiheit von
Religion einzutreten. Das umfasst auch die Kritik einflussreicher
Islamströmungen, die - zugegebenermaßen - auch in Teilen der Linken
oftmals unter der unzulässigen Verallgemeinerung einer „Kritik des
Islam“ kursiert.
Wir haben sehr viel gegen die
menschenfeindliche globalisierte Marktwirtschaft, vermögen aber nicht
einzusehen, warum selbst aufgeklärte Islamkritik nur dann geäußert
werden darf, wenn sie auch das kritisiert, was Ismail Küpeli „soziale
Ungleichheit“ nennt. Dass der Islamismus ein Kind der Armut sei, ist
eine bequeme, aber schon lange widerlegte These - nicht erst angesichts
gewisser saudischer Milliardärssöhnchen. De facto münden solche
Restriktionen in einem Kritikverbot des natürlich nicht einheitlichen,
sondern pluralen Islam, in dem es jedoch in einigen Regionen und
einflussreicher als im heutigen Christentum oder Judentum Strömungen
gibt, die massive Kritik verdienen.
Die Empathie mit Muslimen verlangt doch
förmlich, nicht zu schweigen. KritikerInnen „unabhängig von
Lebensgeschichten“ zu bewerten, wird den Menschen nicht immer gerecht.
Natürlich ist etwa Hirsi Alis Anbiederung an neokonservative oder
xenophobe Strömungen nicht akzeptabel, aber wie unerträglich muss dieser
Frau eine Linke sein, die sich nicht für Individuen, sondern nur für
Kulturen, Antiimperialismus und „Kritik“ an Israel und Amerika
interessiert? Trägt eine solche Linke keine Verantwortung dafür, dass
sich Hirsi Ali nicht zu ihr zählt? Warum kann, wer jedenfalls in Teilen
berechtigte Kritik vorträgt, nicht in seiner Ambivalenz wahrgenommen
werden? Verantwortlich dafür scheint uns unter anderem ein
antiwestliches Ressentiment, das es dem linken Mainstream so schwer
macht, eine aufgeklärte, nichtrassistische Islamkritik zu formulieren.
Dass Birgit Rommelspacher ausgerechnet
mit der iranischen Oppositionsbewegung gegen uns zu argumentieren
versucht, mutet skurril an. Um den islamistischen Tugendterror
wahrzunehmen, darunter auch den Kopftuchzwang, gegen den sich
insbesondere sehr viele Frauen im Gottesstaat wehren, muss man nicht
erst einen Berechtigungsschein bei einer bestimmten Sorte von
IslamwissenschaftlerInnen erworben haben. Es genügt ein Gespräch mit den
iranischen Frauen, die im letzten Sommer auch in vielen deutschen
Städten gegen das Regime protestiert haben. Und die sehr frustriert
waren, weil sie dort kaum (ur)deutsche Linke angetroffen haben. Diese
fürchteten offenbar, dass ihr antiamerikanisches und antizionistisches
Weltbild irritiert werden könnte. Anders ist ihre beschämende Abstinenz
von der Solidarität mit dem iranischen Widerstand nämlich nicht zu
erklären.
Zweifelsohne darf soziale Diskriminierung nicht negiert werden.
Jugendgewalt etwa alleine auf „den Islam“ zurückzuführen, ist in der Tat
Folge von Ressentiments. Völlig inakzeptabel ist es jedoch, wenn dieses
Diktum zum faktischen Kritikverbot an religiös und patriarchal
motivierter Unterdrückung führt. Wer „Kritik am Kopftuch“ verantwortlich
für Benachteiligung am Arbeitsmarkt macht, aber kein Wort über den
brachialen Ausschluss vieler Frauen und Mädchen vom Arbeitsmarkt durch
ihre sich religiös legitimierenden Patriarchen zuhause verliert, muss
sich eben dies vorwerfen lassen. Auch bleibt die Machtdimension bei
einer solchen Bewertung völlig ausgeblendet. Denn Macht hat nicht nur
die Mehrheitsgesellschaft über die Minderheit, es gibt auch innerhalb
der Minderheit jede Menge Machtverhältnisse, deren Negierung oder
Relativierung ebenfalls auf einen faktischen Verrat an Unterdrückten und
Gedemütigten hinausläuft.
Dass jemand in England gegen das
Frauenwahlrecht agitierte und in Ägypten für die Entschleierung,
verweist auf Heuchelei, ist aber kein Argument gegen die Entschleierung.
Und wenn es Anfang der 1920er Jahre in Ägypten bereits von Frauen
organisierte öffentliche Entschleierungen gab, so ist nur bedauerlich,
dass so etwas derzeit kaum mehr vorstellbar ist.
In der Tat können Religionen äußerst
unterschiedlich interpretiert, besser gesagt in unterschiedlichem Maß
von außen eingehegt werden. Denn auch die christlichen Reform(ation)en
entstanden ja nicht wirklich aus dem Christentum selbst und können, wie
der aktuelle Aufschwung des Fundamentalismus auch unter Christen zeigt,
infolge nachlassenden Drucks von außen schnell wieder in der Versenkung
verschwinden. Gerade deswegen verdient der Appell von Seyran Ates so
viel Unterstützung: „Ich möchte alle aufgeklärten Muslime und
Musliminnen aufrufen, sich der Verantwortung nicht zu entziehen und sich
einzumischen in die Reformbewegungen im Islam, die notwendig sind, um
der Diskriminierung von Frauen, der Gewalt und dem Terror, der im Namen
des Islam betrieben wird, Einhalt zu gebieten.“
Zur Frage: „Wozu dient die Kritik?“
Richtig, der Standpunkt, von dem aus man Kritik betreibt, ist nicht
egal. So gibt es bekanntlich auch die Kritik am Kopftuch, es sei zu
liberal und müsse durch die Burka ersetzt werden. Ein humaner und
emanzipatorischer Standpunkt kann sich nur auf den Marx’schen Imperativ
beziehen. Und muss dann allerdings - auch insoweit täte die Erinnerung
an Marx gut - „rücksichtslose Kritik alles Bestehenden, rücksichtslos
sowohl in dem Sinne, dass die Kritik sich nicht vor ihren Resultaten
fürchtet und ebenso wenig vor dem Konflikte mit den vorhandenen Mächten“
sein. Mit allen vorhandenen Mächten wohlgemerkt, nicht nur mit einer.
Lothar Galow-Bergemann/ Markus Mersault: Ismail Küpelis Aufzählung der Gemeinsamkeiten können wir so nicht
unterschreiben. Beim Streit um „Rassismus“ und „Ressentiment“ handelt es
sich keineswegs um eine akademische Diskussion. Der analytische Vorzug
des Begriffs „antimuslimisches Ressentiment“ besteht darin, dass er
besser in der Lage ist, moderne Phänomene regressiver Krisenverarbeitung
zu fassen, die sich im Zuge der Post-9/11-Ära herausgebildet haben und
die nicht mehr mit klassischen Zuschreibungen gefasst werden können. Es
geht um mehr als eine bloße Neuauflage xenophober Strömungen. Angesichts
diverser Pro-Parteien oder der Internetplattform Politically Incorrect,
die sich in der Tradition der Aufklärung wähnen, deutlich von Neonazis
abgrenzen und eine demonstrative, wenn auch durchsichtig instrumentelle
„Solidarität mit Israel“ vor sich hertragen, verfehlt eine Kritik, die
nicht über den Begriff des Rassismus hinauskommt, ihr Objekt und damit
ihren Zweck, den Ressentiments durch deren Begreifen entgegentreten zu
können.
In der „Islamdebatte“ finden wir nicht
nur antiemanzipatorischen, sondern durchaus auch emanzipatorischen
Gehalt. Autorinnen wie Ayaan Hirsi Ali oder Seyran Ates haben auf den
Zusammenhang zwischen Zwang, Gewalt und Islam hingewiesen. Dieser
Zusammenhang ist kein notwendiger, ein Moslem muss nicht gewalttätig
sein. Aber wenn er es ist, muss er seine heiligen Schriften dafür nicht
entfremden oder instrumentalisieren - sie geben die vermeintliche
Rechtfertigung von Gewalt her, genauso wie dem Christen die seinen. Die
häufig lust- und individualitätsfeindliche Erziehung im reaktionären
Alltagsislam legt dem Einzelnen moralische Ge- und Verbote auf, die -
erst einmal internalisiert - zur Abwehr und Bekämpfung jener führen, die
an die eigenen Entsagungen erinnern. Dass freiwilliges Kopftuchtragen
auch internalisierter Zwang sein kann und dass die Abwehr sich oftmals
auch praktisch manifestiert gegen Homosexuelle, Ungläubige, und liberale
Moslems, mag nicht überraschen. Aber insofern es sich hier um die
Vermittlung religiöser Vorstellungen handelt, gehören diese und die
ihnen zugrunde liegenden Überlieferungen benannt und kritisiert.
Natürlich kann man sich nur vordergründig
für Emanzipation der Frauen oder der Homosexuellen einsetzen und in
Wahrheit dabei seiner Fremdenfeindlichkeit frönen, indem man unter dem
Deckmantel der Islamkritik einzig den Menschen, den Moslem, angreift.
Doch aus Angst davor, dass die notwendige Islamkritik im Jargon der
Halbgebildeten aufgegriffen wird von den Sarrazins dieser Welt, darf
Menschenfeindliches im Islam nicht von der Kritik ausgenommen werden.
Lothar Galow-Bergemann und Markus Mersault sind aktiv
bei der Gruppe Emanzipation und Frieden und leben in Stuttgart (www.emanzipationundfrieden.de).
Wer die gesamte Debatte in der iz3w Nr. 323 lesen will, click
hier!

|