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Tagesanzeiger vom 06.02.2007 Seite 45

Kultur GES

Von Markus Schneider

Da draussen muss ein pralleres Leben sein

Uschi Obermaier, Pin-up-Girl der deutschen 68er-Bewegung, ist der Star eines wenig inspirierten Films - und einer besseren Autobiografie.

Oje, das haben sie nicht verdient, die deutschen 68er. Kurz vor ihrem 40. Geburtstag werden sie für jede Misere zwischen Bildungsnot und Zusammmenbruch der Sozialsysteme verantwortlich gemacht. Die intellektuellen und politischen Ideale werden verhöhnt, und jetzt geht es auch noch um den letzten Rest von gegenkulturellem Glanz. Denn auch wenn der Politjargon verklemmt klang und die Vorstellung vom befreiten Leben hölzern wirkte - sie hatten bisher als lebenden Gegenbeweis immer Uschi Obermaier. Die war bekanntlich um 1968 herum für manche die schönste Frau der Welt, die geschürzten Lippen und ihre lässig und trotzig in die Kameras gehaltenen Brüste wurden zum Sinnbild für die Veränderung der Sitten, für die Auslüftung der Nachkriegsgesellschaft.

Irritierende Frauenfigur

Grund genug, «Das wilde Leben» der Sixties-Ikone nun in einem gut budgetierten Film zu verherrlichen. Schon der Schnelldurchlauf durch die knapp zwanzig Jahre, die sie in der Öffentlichkeit verbrachte, gibt Stoff für mehrere Filme. Über das Münchner Teenie-Hascherl zum Beispiel, das sich statt in die Retoucheurslehre lieber in die frisch erfundene Welt aus Musik, Sex und Drogen begibt; über das aufstrebende Topmodel, das die politisch revoltierendeJugend der legendären Kommune 1 verwirrt und zum Steinewerfer-Pin-up wird; über die irritierende Frauenfigur, die sich exzessiv und hemmungslos mit Jimi Hendrix, Mick Jagger und Keith Richards einige der schillerndsten Promis ihrer Zeit greift; oder über die Lifestyle-Renegatin, die statt einen standesgemässen Popkönig zu heiraten lieber mit dem windigen Hamburger Rotlichtprinzen Dieter Bockhorn im Bus durch den Orient und Amerika vagabundiert.

Eine sichere Nummer, sollte man meinen. Zumal als Vorlage die eben erschienenen Memoiren ihrer Heldin, «High Times», dienten, deren Ghostwriter
Olaf Krämer auch das Drehbuch schrieb. Als Marketingcoup eilte zudem die 60-jährige Ikone selbst, die recht unscheinbar als Hippieschmuckdesignerin in den USA lebt, durch Magazine und TV-Talkshows. Wo sie 20 Jahre jünger wirkte und unterhaltsamer als ihre Gastgeber war.

«Das wilde Leben» ist kein guter Titel für einen Film, der kaum lebt und es offenbar schon total crazy findet, wenn Jagger und Richards dieselbe Frau flachlegen wollen. Oft hat man den Eindruck, der Filmwerdung einer Agenturmeldung beizuwohnen. Alles ist natürlich sauber ausgestattet und recherchiert. Man ist viel gereist, hat die Requisite für das Zeitkolorit rackern lassen und einen hübschen Soundtrack zusammengestellt, der gern den eingeblendeten Jahreszahlen etwas vorgreift.

Schneller wird der Film dadurch nicht. Noch betulicher fuhr nie ein Bandbus voller Drogenhippies durchs feindliche DDR-Gebiet nach Berlin, wo sie so jämmerlich vor sich hin jammen, als sässe man in einer Folge von «Der Kommissar». Selbst die Abschrift eines Rudi-Dutschke-Textes hat mehr Verve als die Diskussionen in der Filmkommune. Und nie seit Karl-May-Verfilmungen waren Exoten so zwielichtig wie die bösen Grenzbeamten Pakistans oder so zutraulich wie die lustige Oberschicht Indiens. Ob wir angeblichen Exzessen von Rockmillionären beiwohnen, in deren schummrigen Schlössern Pythons übers Hummerbuffet schlängeln, oder durch Hamburger Zuhälterpartys geschleust werden, wo immer irgendein Kopf in irgendeinem Schoss hart arbeitet - stets scheint der Film ein wenig befremdet seine eigene Szenerie zu verfolgen.

Nachgefilmte Fotos

Zwar gibt man sich Mühe, all die tollen Fotos naturgetreu nachzustellen, die Obermaier und ihre Männer in internationalen Hochglanzheften und deutschen Nachrichtenmagazinen berühmt machten: Bilder der nackten Kommunarden bei der polizeilichen Hausdurchsuchung, des oberkörperfreien APO-Pärchens Obermaier und Rainer Langhans, der Pop-Uschi auf den Covers von «Twen» und «Vogue» und der aufrechten Uschi in Militärjacke vor der Staatsmacht mit Knüppeln und Schilden.

Aber keiner der Verantwortlichen kann uns erklären oder scheint wenigstens zu fragen, warum diese im Film so geschwätzigen Zausel, grenzdebilen Musiker oder eben «die Uschi» und ihre aufmüpfigen Brüste die braven Bürger so empörten, ja überhaupt interessierten. Oder was Promiskuität und gelebter Pop eigentlich mit Notstandsgesetzen und Entführungen, mit durchdrehenden Kleinbürgern und realitätsverlassenen Stadtguerillas zu tun haben könnte.

«Sex sells», sagt Kommunarde Langhans im Film, um Obermaiers Glamourfaktor seinen grämlichen Mitkommmunarden als revolutionsdienlich zu rechtfertigen. Doch selbst diese Flause treibt einem der Film aus. Newcomerin Natalia Avelons Brüste sind fast so schön wie Obermaiers. Aber sie werden so verschwiemelt ausgestellt wie in einem Schulmädchenreport, und man wünscht bald, sie würde sie endlich einpacken. Dass andererseits inmitten all der Nacktheit und der Kopulationen nie eine Ahnung von Erotik oder Spass aufkommt, ist schon eine Leistung.

Der einzige wahrhafte Moment kommt, wenn Dieter Bockhorn im mexikanischen Alkoholdelirium mit kunstlosem Nouvelle-Vague-Realismus gegen einen Laster rast und Obermaier jäh vor den Trümmern ihres bunten Traumes steht. Diese einsame Szene - grotesk, schockierend und doch distanziert - vermittelt tatsächlich Emotion und Erkenntnis.

Wappentier des Aufstandes

Zum Glück ist da noch «High Times». In der Autobiografie gibt es nicht nur viele der Originalfotos, sondern auch Originalsound. Obermaier erzählt recht leidenschaftlich, wie sie dem «ewigen Totensonntag» ihrer kleinbürgerlichen Münchener Vorstadt entfloh, weil sie wusste, dass da draussen ein pralleres Leben und intelligente, kreative und wilde Typen sein mussten. Man hat Zeit, sich wiederum die eigenartige, begriffslose Rebellion gegen diese albernen Grossmäuler auf der Zunge zergehen zu lassen. Man ist von der Beiläufigkeit angetan, mit der sie ihre Rolle in Rudolf Thomes «Rote Sonne» - immerhin einer der besten deutschen Filme jener Zeit - herunterspielt. Man staunt, wenn sie für tolle Partys und ihre Frisur die New Yorker Modelkarriere sausen lässt und achselzuckend ein Angebot über zehn Filme des italienischen Grossproduzenten Carlo Ponti gegen das Hippiebett im alten Bus tauscht. Und ist irgendwie gerührt über ihre unentschiedenen Amours fous mit «dem Keith» und «dem Bockhorn».

Der heilige Ernst, mit dem damals um Dinge gerungen wurde, die heute selbstverständlich sind, wirkt in «High Times» fern, aber nachvollziehbar und sympathisch. Man versteht sogar, wieso Obermaier - ein egoistisches, wichtige Männer fressendes Wesen - zum Wappentier des Aufstands werden konnte. Eben weil diese begriffslose Frau mit ihrem Sex, Drogen und Rock n Roll das einladendste Gegenbild zu einem Alltag gab, in dem es quer durch die Schichten nach Verdrängung und Nazi-Verstrickung miefte, während die Kriegsbefreier ihre Jugend in Vietnam verheizten.

Von Sehnsucht zu Sucht

Man ahnt das provinzielle Elend des Landes und spürt zugleich, wie es sich doch auch bei den Herren niederschlägt, die im Kiez oder an der Uni das Bürgertum verachten. Und man erfährt, wie andererseits die Sehnsüchte und Versprechen sich in Sucht, bürgerlicher Ernüchterung oder banaler Flucht auflösen. Wo der Film sich die Nase am Schaufenster zur Epoche platt drückt, betritt «High Times» deren Gefühlswelt. Als Bild einer Zeit, in der Rebellion und halsbrecherische Lebensgewohnheiten, Theorien und Sounds sexy und glamourös waren.

Uschi Obermaier und
Olaf Krämer: High Times - Mein wildes Leben. Heyne, München. 224 S., viele Abbildungen., 25.30 Fr.

«Das wilde Leben» kommt im März in die Schweizer Kinos.

BILD ULLSTEIN

Luder in Rot: Uschi Obermaier (Aufnahme von 1969) faszinierte und provozierte.

Datum:

20070206


425324, TAG , 06.02.07; Words: 1126, NO: J20070206436991