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Anarchistische Solidarität mit den Wikingern

Kulturk(r)ampf – Facetten eines Bilderstreits

Ein Kommentar von
Jochen Knoblauch

Ein religiöser Tsunami mit vier Monaten Verspätung schwappt an die dänische Küste (mit seinen Ausläufern betrifft es die gesamte westliche Welt) und schickt sich an, Zerstörungskapazitäten von bisher nicht vorausschaubaren Ausmaß anzurichten. Es waren doch bloß Karikaturen, könnte man leichtfertig sagen, aber fraglos entscheiden die radikalen Moslems darüber, wie teuer uns die Pressefreiheit sein sollte. Und nebenbei lässt sich beobachten, wie fragil das Zusammenleben verschiedener Kulturen sein kann, bzw. wie schnell Hass geschürt wird, gegen etwas, was vermutlich niemand kennt, denn die meisten DemonstrantInnen kennen die Karikaturen, um die sich nun alles dreht, nicht.

Der italienische Schriftsteller Umberto Eco beschrieb in seinem Bestseller „Der Name der Rose“, wie der greise und blinde Bibliothekar Jorge von Burgos den Rest der Menschheit vor der Schrift des Aristoteles „Über das Lachen“, von dem es nur noch dieses eine Exemplar gab, zu schützen sucht, weil er dieses Werk für gefährlich hielt, in dem Sinne, dass Menschen, die Lachen, auch keine Furcht haben, und somit die Stellung der Kirche als gefährdet betrachtete. Der alte Mönch verbrannte eher sich samt der Klosterbibliothek, als dass dieses Buch in die Hände der Menschen des Abendlandes falle.

Nun, das war das christliche Mittelalter von 1327. Nach dem islamischen Kalender befinden wir uns (z.B. heute am 5.2.2006 = 25.12.1425) im Mittelalter, und wir wissen, was die christliche Religion in dieser Zeit getrieben hat: Inquisition. Die Zeit der Aufklärung war noch nicht angebrochen[1]. Bewusst hat die Erste Welt die sogenannte Dritte Welt in dem Zeitkontinuum zurückgelassen, welches wir, dank Technik und bürgerlicher Revolution, hinter uns gelassen haben. Neben der Sozialromantik ging es knallhart um die Rohstoffe einer wachsenden und immer stärker werdenden, westlichen Vormachtsstellung in der Welt.

Aber der Bilderstreit ist ja nicht der erste Fall, der den islamischen Fundamentalisten in Wallung bringt. Das war der Fall des englischen Schriftstellers mit indischen Wurzeln, Salman Rushdi, der 1989 wegen seines Buches „Die satanischen Verse“ von den Radikal-Mullahs zum Tode verurteilt wurde, und – Gott sei bedankt! – heute noch lebt (im Gegensatz zum niederländischen Filmemacher van Gogh, der am 2. November 2004 auf offener Straße von einem muslimischen Fanatiker niedergestochen wurde). Seitdem sehen sich die ScharfmacherInnen auf beiden Seiten in einem Kulturkampf, den es auf Leben und Tod auszufechten gilt.

Ohne nun sich mit den Falschen verbünden zu müssen, ob dänische Regierung mit ihrer restriktiven Asylpolitik, noch mit der US-amerikanischen, sehr christlich getränkten Heilspolitik der Eroberungskriege, stellt sich mir die Frage: Kann ein Glauben überhaupt beleidigt werden? Diese ganzen vorgeschobenen Eitelkeiten bezüglich der „Ehre“, dem religiösen Weltanspruch, dieser aggressiven und dogmatischen Gottesvorstellungen, der gehört in keine Welt, weder der Ersten, der Zweiten noch der Dritten. Wer sich über mein blaues Hemd lustig macht, bekommt was auf die Fresse, oder wie?

Die muslimische, als patriachale, vorindustrielle Gesellschaft mag sich darauf stützen, dass die Ehre und ihr Glauben das einzige sei, was die Ungläubigen ihnen nicht nehmen können. Aber wenn dies eine so starke Vorstellungen ist, wie können da ein paar Karikaturen beleidigend wirken? Wäre der Glaube nicht immer stärker?

Ein großes Problem des Bilderstreites liegt natürlich darin, dass es zeitlich den radikalen Muslimen in den Kram passt, ihre Massen anzuheizen. Etwa in Palästina, wo – ganz demokratisch – gerade die radikale Hamas gewählt worden ist, ein Gesprächspartner, den weder Israel, noch die EU haben wollen. Im Iran dasselbe Problem. Den radikalen Moslems, die nicht nur den Westen samt seinen christlichen Vorstellungen ablehnen, sondern genauso die allgemeinen Menschenrechte, die nun wirklich eine Errungenschaft gegenüber dem Mittelalter darstellen, geht es vermutlich eben auch wie den Westlern um ganz andere Dinge, als um die religiöse Beleidigung. Die Hamas braucht, um ihre Pfründe zu sichern, die sie ja gerade der Al Fatah abgenommen hat, die Gelder der EU, und der Iran will, koste es was es wolle, sein Recht auf die Nutzung der Kernenergie durchsetzen. Hier ist der Hass gegen den Westen ein willkommener Anlass, die entsprechenden politischen Vorstellungen zu untermauern.

Dies gilt es sich zu vergegenwärtigen: Es sind die Staaten, in denen Demokratie herrscht, die gegen den Westen mobil machen. Da wurde mit „Flamme und Schwert“ den „zurückgebliebenen“ die Demokratie beigebracht, und dann wählen sie die „Falschen“. Und andere Staaten dieser Region, die tatsächlich – gesellschaftspolitisch gesehen – im Mittelalter leben, bleiben unangetastet, weil sie sich kooperativ geben. Einigkeit war noch nie die Stärke dieser Region. Seit sich die Industrienationen, neben der verklärten Romantik über den Orient, auch für deren Bodenschätze interessieren, schafften es die Araber z.B. nicht, sich auf eine Strategie gegen die anrückenden Ausbeuter zu einigen – da half ironischer Weise nicht mal der berühmte englische Offizier mit seinen „Sieben Säulen der Wahrheit“.[2]

Es ist die Verlogenheit der westlichen Welt, das Marode, das ambivalente System, welches hier zum Aufruhr Anlass geben sollte. Demokratien, die von der finanziellen Macht abhängen, Folter, die dort angeprangert, aber selbst praktiziert wird, Werte, die eben nicht für alle gleich gelten, sowie die beliebige Inkonsequenz bei deren Anwendung. Die Trennungslinien in den Gesellschaften, im Orient wie im Okzident, verlaufen eben immer noch zwischen unten und oben, und nicht zwischen irgendwelchen Kulturen.

Und Kulturen (oder Religionen, oder was weiß ich), die gegen Menschenrechte verstoßen, können nicht akzeptiert werden, schon gar nicht als „kulturelle Eigenheit“, so wie einige dies aus einer (schein-) liberalen Weise mitunter tun. Eine Religion, die die Hälfte der Menschheit versklavt, wie in den meisten islamischen Ländern die Frauen, kann nicht akzeptabel sein. Dies mag nicht zwingend am Koran liegen, die Bibel hat hier ebenso genügend Hasstiraden bereit, sondern an der Auslegung der Schriften, und wenn sie dazu aufrufen, andere Menschen zu hassen, zu unterdrücken, zu verstümmeln, dann ist es keine akzeptable Schrift, schon gar keine heilige.

In Dänemark beispielsweise ist der Anteil der AusländerInnen relativ gering[3], was aber, wie wir vom Beispiel Österreich her kennen, nichts über Fremdenfeindlichkeit, und vor allem die Angst vor Fremden aussagt. Aber die Karikaturen waren sicher kein gemeiner Akt von Fremdenfeindlichkeit, eher wohl ein sorgloser Umgang mit der Pressefreiheit. Ohne aber auf das Nachbarland mit den Fingern zu zeigen, habe ich ehrlich gesagt auch hier meine Schwierigkeiten, wenn etwa Grundschulkinder (!) eine Mitschülerin als „Hure“ bezeichnen, weil sie meinen, dies mit einer „Ungläubigen“ machen zu dürfen oder gar zu müssen. Wenn wir in unserer Gesellschaft, wo Gotteslästerung als Straftatbestand (§ 166 StGB) noch Geltung hat, aber kaum noch angewendet wird, menschenfeindliche Ansätze in der Religion nicht entschieden zurückweisen, dann arbeiten wir den Fanatikern in die Hände. Religion und Staat sollten getrennt sein, was selbst den Christen hier schwer fällt[4], aber um den Moslems, den Weg in die Klassenzimmer deutscher Schulen zu verbauen, wie jetzt etwa in Berlin, ist die Diskussion darüber wieder im Gange, ob nicht ein Werteunterricht für alle, statt des Religionsunterrichts nötig sei. Auch hier wieder dieses unsägliche Beispiel für das Messen mit zweierlei Maß: Haben die Christen die Vorherrschaft, dann ist das Verquicken staatlicher Schule und Religion in Ordnung, aber wenn die Moslems auf die Gleichstellung der Religionen pochen, hat der Staat ein Problem. Er sollte halt eben seine eigenen Grundsätze mal ernst nehmen. Und für uns als AnarchistInnen, die zwischen diesen Fronten von Wahnsinnigen sitzen, kann es kein so wohl als auch geben. Der einzige Maßstab – und dies wäre der kleinste Nenner – kann nur die Gültigkeit bzw. Anwendung der allgemeinen Menschenrechte sein, diese gilt es zu verteidigen. So kommen wir wohl nicht drum herum, uns mit den Wikingern solidarisch zu erklären, zumindest mit der dänischen Pressefreiheit.

 

[1] Der Begriff ist irreführend. Die Menschen waren schon „aufgeklärt“ aber die Macht der Kirche etwa war sehr groß und die Menschen wurden mit dem Schreckgespenst des Satans klein gehalten. Das war das „dunkele“ am Mittelalter. Und hier müssen wir die Parallele zur heutigen islamischen Welt sehen – trotz Internet etc. – ist der Satan für sie allgegenwärtig.

[2] Gemeint ist T.E. Lawrence (1888-1935), genannt „Lawrence von Arabien“ (bekannt geworden durch den gleichnamigen Hollywood-Film), der als Oberst in der britischen Armee diente und als Agent die Araber zu einem Aufstand gegen die osmanische Besatzung während des Ersten Weltkriegs anführte. Das alles hat er verarbeitet in dem Buch „Die sieben Säulen der Weisheit“, München 1978.

[3] Der AusländerInnen-Anteil liegt bei ca. 5% in Dänemark. Bei einer EinwohnerInnenzahl von 5,3 Mio. Menschen hat Dänemark insgesamt 258.629 AusländerInnen. Davon kommen knapp 160.000 aus Europa (incl. der Türkei), etwas über 25.000 aus Afrika, etwas über 10.000 vom amerikanischen Kontinent, und etwa 63.000 Menschen kommen aus Asien, Ozeanien oder sind als Staatenlose, bzw. Nationalität unbekannt geführt [laut Statistik von 2002]

[4] Im übrigen wird immer gern vom Christentum als dem Wertebewahrer des Abendlandes geschwafelt. Wo wir doch wissen, das Jesus vermutlich nicht blond und blauäugig war, sondern eben gerade aus dem Landesteil stammt, wo die Hamas gerade gesiegt hat. Soweit reicht das Abendland nicht – zum Glück.