|
Freya
Fluten für Chipkarten-Ini
Betreff: Stellungnahme zum "Offenen Brief"
Als
MitbenutzerInnen des Servers partisan.net nehmen wir Stellung
zu der auf der SDS-Homepage (Homepage der ehemaligen
AktivistInnen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes
SDS) veröffentlichten offenen Brief »Stichwort
Becklash«.
Dieser
"offene Brief" ist aus mehreren Perspektiven
problematisch und in seinen Forderungen abzulehnen, die wir
kurz verdeutlichen wollen.
Als
»Initiative gegen das Chipkartensystem« kämpfen wir seit
mehreren Jahren gegen die rassistischen Sondergesetze, die es
in der BRD für Flüchtlinge und MigrantInnen gibt. Darunter
verstehen wir Gesetze, deren Bestimmungen nur für eine
bestimmte, staatlich definierte Gruppe gelten und deren Ziel
es ist, eine Spaltung der Menschen in der BRD zu
Herrschaftszwecken zu produzieren und zu stärken. Die
Forderung des offenen Briefes nach Sondergesetzen, zum einen
die Verpflichtung, dem Grundgesetz gesondert zuzustimmen und
zum anderen sexistisches Verhalten als Abschiebegrund einzuführen,
lehnen wir grundsätzlich ab und halten diese Forderung für
rassistisch. Wir lehnen jegliche Art von Sondergesetzen für
bestimmte Bevölkerungsgruppen ab, wobei die
Auseinandersetzung mit Gesetzen, die für so genannte "Nicht-Deutsche"
eingeführt werden (sollen), inhaltlicher Schwerpunkt unserer
Initiative ist.
Die
Verknüpfung von juristisch definierten Straftaten und der
Verweigerung eines Aufenthaltrechtes steht in keinem
inhaltlichen Zusammenhang sondern dient der
Abschottungspolitik der BRD (und Europas), sie schürt durch
die Zuschreibung negativer Eigenschaften an willkürlich
konstituierte Gruppen nach Aussehen, Herkunft oder Religion
rassistische Ressentiments in der Bevölkerung und
manifestiert dadurch das deutsche "Blutrecht", nach
dem Menschen in der BRD nur solange als dazugehörig
betrachtet werden, wie sie funktional für das System sind.
Werden sie "auffällig", "straffällig"
oder sind nicht mehr "notwendig", sollen sie nicht
mehr berechtigt sein, hier zu leben. Diese Argumentation wird
in dem "Offenen Brief" unhinterfragt übernommen und
ist die Ausgangsposition für die Forderung, sich des Problems
Sexismus auf Basis des Rassismus zu entledigen.
Neben
dieser rassistischen Konnotation des "Offenen Briefes"
verschiebt er zugleich das Problem sexistischer, physischer
und psychischer Gewalt gegen Frauen in der BRD aus dem Focus
einer emanzipatorischen Gesellschaftskritik, indem muslimische
Menschen als HauptakteurInnen von Sexismus stilisiert werden.
Es wird in dem Brief keineswegs benannt, dass die BRD eine
patriarchal organisierte Gesellschaft ist, in der Gewalt gegen
Mädchen/Frauen alltäglich ist und die Mehrheit der TäterInnen
sogenannte "Deutsche" sind. Ohne diese Einordnung,
innerhalb der es natürlich möglich ist, spezifischer Formen
von Sexismus zu definieren, verdeckt der "Offene
Brief" die sexistischen Strukturen und die systematische
Gewalt gegen Mädchen/Frauen in der bundesdeutschen
Gesellschaft.
Indem
der Sexismus von muslimischen Menschen ohne genauere Analyse
der Verhältnisse in den Focus gerät, werden
"deutsche" TäterInnen, UnterstützerInnen und
ProfiteurInnen bequem aus der Verantwortung genommen. Diese
Art und Weise der Argumentation ist von zahlreichen
FeministInnen schon Mitte der 80er Jahre angegriffen und in
ihrer Wirkungsweise als Herrschaftstabilisierend benannt
worden. Die Tatsache, dass zahlreiche "deutsche" Männer
diesen "Offenen Brief" unterstützten, die
keineswegs für ihr Engagement gegen den Sexismus der
deutschen Mehrheitsgesellschaft bekannt sind, bestätigt uns
in der Kritik, hier werde die eigene Verantwortung abgegeben
und muslimische Menschen und hier vor allem die Männer als
das "eigentliche Problem" präsentiert, wobei der
herrschende Rassismus hierfür die Möglichkeit eröffnet. Wir
sehen keinen Grund für einen diskursiven
"Backlash", der uns als "deutsche" Männer
und Frauen der eigenen Verantwortung enthebt und die wahren
Ursachen und Probleme mindestens verdeckt, im Zweifelsfall
aber sogar verstärkt!
Wir
solidarisieren uns hingegen mit dem Kampf von Mädchen/Frauen
für Gleichberechtigung bzw. eine emanzipatorische Veränderung
jeder Gesellschaft, unabhängig von der Herkunft der
Akteurinnen. Auch denken wir, dass es sinnvoll und analytisch
notwendig ist, die unterschiedlichen Formen von Frauenunterdrückung
innerhalb verschiedener kultureller oder religiöser Praxen
differenziert zu betrachten, schon allein, um eine sinnvolle
Gesellschaftsanalyse als Ausgangspunkt emanzipatorischer
Praxis zu ermöglichen. Jede Form von Gewalt gegen Mädchen/Frauen
muss bekämpft werden, jedoch in ihrem jeweiligen Kontext und
unter Federführung der Betroffenen, in all den Widersprüchlichkeiten
und Unterschieden, die dabei unvermeidbar sind.
Eine
Instrumentalisierung spezifisch islamischer Formen von
Frauenunterdrückung im Rahmen rassistischer Diskurse unter
der Glorifizierung der bundesdeutschen »Freiheitlichen
Demokratischen Grundordnung« lehnen wir ab. Denn die
kapitalistischen Produktionsverhältnisse sind die ökonomische
Basis dieser Gesellschaft und innerhalb dieser ist eine
emanzipative Gesellschaftsordnung ohne Unterdrückungsstrukturen
nicht möglich. Um die Frage zu klären, wie die Position
aller Mädchen/Frauen in der BRD verändert und verbessert
werden kann, ist es deshalb notwendig, die unterschiedlichen
Unterdrückungsstrukturen in der BRD gerade in ihrer Verschränkung
deutlich zu machen und deren Funktion zur Stabilisierung der
kapitalistischen Gesellschaftsordnung aufzuzeigen. Eine
emanzipative Politik muss sich gerade der möglichen
gegenseitigen Instrumentalisierungen bewusst sein, um dem
Ausspielen der verschiedenen ausgebeuteten Gruppen entschieden
entgegen treten zu können. Patriarchale Gewalt kann nicht
ohne gesellschaftlichen Zusammenhang und Kontext erklärt und/oder
verändert werden, eine Reduzierung der Erklärungsmuster
spielt denen in die Hände, die von der Gewalt profitieren.
Wir
wissen nicht, warum die VerfasserInnen und UnterstützerInnen
diesen "offenen Brief" in der Form veröffentlich
haben. Die Kritik daran ist vielfältig und die erste Reaktion,
die von Frigga Haug in der TAZ vom 17.1.04 vorgenommene
Relativierung des Inhaltes als Provokation und deren Übernahme
von Seiten der SDS-Homepage, finden wir inhaltlich schwach.
Hierzu sei gesagt, dass "Offene Briefe" gerade wegen
ihrer Öffentlichkeit niemals außerhalb der HERRschenden
Diskurse zu sehen sind und so zwangsläufig eine Eingliederung
in bestimmte Debatten und Argumentationslinien geschieht. Die
"Kopftuchdebatte" wird politisch schwierig und
inhaltlich verkürzt geführt, aber darauf mit einer "Provokation"
zu reagieren, die in ein konservatives Horn bläst und die
Argumentation der unterschiedlichen Kulturen und deren
Unvereinbarkeit bei nicht geleisteter Assimilation an die »FDGO«
unterstützt und eine Ausweisung der "Nichtassimilierbaren"
fordert, finden wir höchst problematisch. Das dieser "Offene
Brief" sich nahtlos in den konservativen, rassistischen
und letztlich eben auch sexistischen Diskurs eingliedern läßt
und nicht ohne ihn denkbar ist, sollte den AutorInnen und
UnterstützerInnen eigentlich klar gewesen sein.
Die
Tatsache, dass viele der "deutschen"
Unterzeichnerinnen aus der feministischen Bewegung kommen und
sich in anderen Äußerungen, Schriften und Aktionen vor allem
mit dem Sexismus der "deutscher" Männer, Frauen
und, zum Teil Gesellschaft an sich befasst haben, kann
keineswegs eine Erklärung und/oder Entschuldigung dafür sein,
den Sexismus und patriarchale Gewalt in diesem Brief bei Flüchtlingen
und Migrantinnen zu verorten. Eben durch die Öffentlichkeit
des Briefes wäre eine Einordnung in gesellschaftliche Verhältnisse,
eine Differenzierung der Machtverhältnisse und eine kritische
Reflexion der eigenen Forderungen zwingend notwendig gewesen.
Das
Patriarchat gilt es überall anzugreifen, aber von "Deutschen"
erst einmal in der BRD, wenn sie keine reaktionär verwertbare
und zugleich paternalistische StellvertreterInnenpolitik
machen wollen, denn Gewalt gegen Frauen ist keine
Randerscheinung islamischer EinwanderInnen sondern
strukturiert hegemonial die bürgerliche Gesellschaft.
Abschließend
sei bemerkt, dass wir eine etwas längere Stellungnahme zu
diesem Brief deshalb für sinnvoll erachten, weil auch die
Diskussionen innerhalb der KritikerInnen dieses Briefes nicht
frei von problematischen Momenten sind. Kein Thema ist auch in
der radikalen Linken weniger beachtet und wenn doch,
Schauplatz von derart heftigen Auseinandersetzungen, wie die
Frage des patriarchalen Sexismus. In der Regel von Frauen
thematisiert, kommt es ungleich schneller zu Bündnissen
zwischen sonst "verfeindeten" Positionen, um
feministischer Kritik die Berechtigung abzusprechen oder
andere (Haupt-) Widersprüche als zentraler zu deklarieren.
Die Ignoranz der realen Verhältnisse in ihrer sexistischen
Wirkungsweise zeigt sich auch in der Kritik an dem "Offenen
Brief", wenn zwar der Bezug auf Grundgesetz und
Nationalität, Rassismus und Ausgrenzung berechtigt
angegriffen, das eigentliche Thema (Sexismus) jedoch weder
diskutiert noch in der eigenen Arbeit und Analyse reflektiert
wird. Die analytischen Leerstellen im Bezug auf die
problematische Verknüpfung von Sexismus und Rassismus, die
eigene innerlinke Unfähigkeit, Positionen zu erarbeiten und
umzusetzen, in denen beide Unterdrückungsmechanismen wie vorläufig
und kritikwürdig auch immer in ihrem Verhältnis aufgebrochen
werden könnten, sind und werden nicht ausreichend gefüllt.
Bei aller Kritik an diesem "Offenen Brief" ist
zumindest dieses Problem der radikalen Linken mal wieder
offensichtlich geworden und auch hier gilt es, bei sich selbst
anzufangen und die Widersprüche nicht bei den anderen zu
belassen, sondern die eigene Widersprüchlichkeit zu
reflektieren.
Für
die Auseinandersetzung, für das bessere Leben;
Die
Hölle sind nicht nur die Anderen!
Initiative
gegen das Chipkartensystem
c/o Berliner Büro für Gleiche Rechte
im Haus der Demokratie und Menschenrechte, Greifswalderstr. 4,
10405 Berlin
Tel: 030/41935839 (Do. 19:00 – 20:00),
mobil: 0160/3410547
NEU: Bürozeiten: Do. 19-20 Uhr NEU!!
http://www.members.partisan.net/chipkartenini |
Liebe
Freya Fluten und andere Interessierte!
Da
die Initiative gegen das Chipkartensystem
alle meine Hochachtung hat und unbedingt unterstützenswert
ist und Freya
Fluten auch für die Mühen der Auseinandersetzung zu danken
ist, bitte ich doch um nochmalige Lektüre unseres
becklash-Aufrufs!
»Stichwort
Becklash«
Insbesondere
der letzte Satz ist wichtig und widerspricht Eurer behaupteten
"rassistischen Konnotation"
eindeutig.
Jeder
Antirassismus, der den herrschenden Sexismus
gegen Frauen und sexuelle Minderheiten
nicht problematisiert, macht sich mitschuldig an der
Misere. Wir
wissen sehr wohl, wie
dringend auch die DEUTSCHEN als Adressaten
der FDGO
des GG Artikel 3, Absatz
2 gemeint sein müssen.
Da
aber nicht einmal mehr die verantwortlichen
BundesministerInnen den Gleichheitsparagraphen des Artikel 3,
Absatz 2 des
Grundgesetzes zu kennen
scheinen, noch einmal schwarz auf weiß:
"Männer
und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche
Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern
und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin."
sehen
wir es als unsere
Pflicht an, diese an ihren Auftrag zu erinnern und sich nicht
pseudoliberal aus der Verantwortung für die politische und
sozialökonomische Integration aller MigrantInnen zu stehlen.
Wir wollen nicht akzeptieren, dass die Grundrechte von Mädchen
und Frauen einem Kulturrelativismus geopfert werden, die ihnen
wie den Jungen und Männern laut unserer Verfassung gewährleistet
sein müssen.
Um
Frauen wie Männern Religionsfreiheit zu ermöglichen,
bestehen wir auf dem Neutralitätsgebot des Staates, in diesem
Zusammenhang meinen wir die Säkularität in der schulischen
Ausbildung , die insbesondere Mädchen keiner religiösen
Minderbewertung und patriarchalischen
Unterordnung ausliefern darf. Siehe Artikel 3, Absatz 2!
Keine
der monotheistischen Religionen hat sich ohne Aufklärung und
Kritik von ihrem Männerprivileg von selber befreit. Deswegen
braucht der Rassismus, wie auch der Sexismus nicht nur unsere
terminologische Verachtung, sondern konkrete Initiativen und Maßnahmen, um nicht noch
hinter die Menschenrechtserklärung für Frauen zu
verfallen.
Wir
sehen in der Selbstverpflichtung ALLER , die gleichen
Menschenrechte für Frauen, wie für
Männer zu akzeptieren als eine wichtige Voraussetzung
an. Zwar reicht die Kenntnisnahme allein noch nicht, sie dient
aber der normativen Schulung beider Geschlechter
und ist bei Bedarf eine Ermunterung für die
Benachteiligten, sich Rechtsunterstützung zu organisieren. Es
ist ein rechtsstaatlicher Unterschied von Belang zu wissen, ob
man/frau Rechte auf Gleichheit und Freiheit jenseits der
Religion hat oder nicht.
Soviel Zivilgesellschaft muß schon sein!
Freundlichst,
halina.bendkowski@gmx.de
Agentin
für Feminismus&Geschlechterdemokratie |