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Das
Theater als unmoralische Anstalt
Heiner
Müller, der Unberührbare: ein soldatischer, kerniger Mann / Eine
Kritik der Ästhetik der Gewalt und des deutschen Härtekitsches in
Theatern und Kinos Vorhang
auf Wenn
TheoretikerInnen die Theorie ausgeht, zitieren sie gerne die Kunst oder bemühen die Mythen. Was bleibt einem auch sonst, das
Leben
ist ja wirklich theoretisch redigiert oder gar standardisiert, schon etwas gräulich. Vor kurzem sah ich einen
witzig langatmigen
Film:
"Liebes Tagebuch" von Nanni Moretti. Nanni Moretti verfolgt
darin
einen Kritiker, der die Brutalitäten von John Naughtons Film "Henry - Portrait of a Serial Killer" in wuchernden Metaphern
cineastisch
poetisierte. Das war mal eine schöne filmische Rache der ästhetischen Vergeilung der splatternden Gewalt. Aber eben auch
nur
eine harmlose Ausnahme im kathartischen Gewaltrausch der Kulturproduzenten. Ihre Erkenntnis gleicht immer mehr einem
Bekenntnis:
Gewalt muß sein, Gewalt ist Wahrheit, Gewalt schafft Klarheit. Diese Kunst braucht den ganzen Mann. Und nur richtige
Männer
setzen Männern, die noch nicht recht Männer sind, mächtig
zu. Wer
erinnert nicht Theaterstücke, in denen Männer wie Archetypen über die Bühne holzen, stürzen, torkeln? Immerzu
brüllt es
aus
ihnen, ihre Triebe treiben sie an, trinken können sie nie, ohne daß ihnen der Wein über Rock und Schoß strömt. Und doch, ganz
anders
als im wirklichen Leben, lassen sich die Frauen auf der Bühne nicht davon abhalten, diese Kotzbrocken leidenschaftlich zu Wie sollte
ich ihnen diese Frage beantworten? Ich kenne solche Männer nicht, aber vielleicht kenne ich halt die
falschen.
Erster Akt
In den
USA, genauer gesagt, in New York, wird man, wenn man sich in Theaterkreisen aufhalten muß, immerzu nach Heiner Müller
befragt.
Er prägt,
ob wir nun wollen oder nicht, unser, ihr Bild von den
Deutschen,
theatralisch gesehen. Heiner Müller ist ein Superman, in der USA-Theaterwelt die korrekte Übersetzung des Übermenschen.
Heiner
Müller wird gerne interviewt, denn er hat was zu erzählen. Er ist ein Materialist im besonderen Sinne des Wortes. Es ist ihm
alles
Material. Sein Buch "Krieg ohne Schlacht. Leben in zwei Diktaturen" (1992) ist eine Fundgrube teutonischer Männerlichkeit.
Die
devote Befragungsarbeit wurde von zwei Frauen und einem Mann, Katja Lange-Müller, Renate Ziemer und Helge Malchow, besorgt.
Wichtig
ist Heiner Müller seine Unberührbarkeit, seine Unabhängigkeit,
die, anders als bei Christa Wolf, auch seine Stasi-Connection als Materialsuche verherrlicht. Nicht, ob es in
seinem
Fall stimmt, interessiert mich daran, sondern sein Anspruch und die tatsächliche mediale Reaktion darauf, seine
Freiheit als
eine
andere zu betrachten als die von Christa Wolf. Zitat Heiner Müller: "Ich konnte nie sagen, ich bin Kommunist. Es war ein
Rollenspiel.
Es ging mich im Kern nie etwas an. Ich habe oft gesagt und behauptet, daß ich mich mit dieser Gewalt, mit diesem Terror
identifizieren
konnte, weil es eine Gegengewalt war, ein Gegenterror gegen den vorigen. Das ist vielleicht schon eine Konstruktion. Im
Grunde
bin ich da unberührt durchgegangen." Von der Interviewerin gibt es dazu keine weitere Nachfrage. Der Kern ist seine Sache. Frauen,
wen wundert es, erscheinen hier und da als Objekte dekorativer Ornamentalistik: "Er hatte eine blonde, sehr
langbeinige
Frau,
die ein begehrtes Objekt war, und bei ihm sah ich zum ersten Mal eine Wohnung, wo an der Wand ein lederner Phallus hing." Auch
in der
DDR war man ledermäßig ganz up to date. Frauen haben Beine oder Brüste, die erwähnenswert sind, oder bringen Männer in
peinlicher
Weise in Schwierigkeiten, weil sie Kinder kriegen. Auf die Frage, ob sein Umzug aus Sachsen nach Berlin auch
persönliche
Gründe
gehabt habe, antwortet er: "Es war auch eine Flucht vor der
Schwangerschaft
meiner Freundin in Frankenberg. Ich habe Schwangerschaften immer als Freiheitsberaubung betrachtet. Brecht:
,Aber
Kinder fürchtet sogar Baal. Kinder machen erpreßbar und abhängig.'" Die zweite Frau, Inge Müller, die ihm seinen ersten
festen
Wohnsitz in den 50er Jahren bereitstellt, ist ein geeignetes Objekt seiner "proletarischen Gier", weil sie der dortigen
Oberschicht
angehört. In den 80er Jahren wurde feministisch skandalisiert,
daß Heiner Müller seine Frau Inge in den Selbstmord getrieben hätte. Mir gefallen solche Art
Skandalisierungen
nicht, denn sie geben vor, zu viel zu wissen. Sie sind anmaßend. So hat
sich Heiner über Inge Müller geäußert: "Es war schwer für sie, sich freizuschreiben, auch frei von mir, außer
in den
Gedichten,
die ich eigentlich erst nach ihrem Tod in ihrer Qualität erkannt habe. Das war ihre eigene Welt. Manchmal hat
sie mir einige
gezeigt,
ganz selten. Sie waren mir fremd. Ich habe gemerkt, wenn ich ihr Verbesserungen vorschlug, wurde etwas anderes daraus, etwas für
sie
Falsches, deswegen ließ ich dann die Finger davon." Ihm war
das Schreiben wichtiger als die Moral. Mit solch einer
Haltung
ist Heiner Müler eigentlich fein raus. Anpassung, die in der DDR Selbstkritik hieß und die er durchaus übte, wird von ihm
zum
Material stilisiert. Das Werk heiligt alle Mittel und relativiert alle Geschichte, die andere ausschwitzen müssen. Zur Verstärkung
bezieht
er sich auf Bertolt Brecht: "Ohne Hitler wäre aus Brecht nicht Brecht geworden, sondern ein Erfolgsautor. Dreigroschenoper,
Mahagonny,
das wäre glänzend weitergegangen, aber Gott sei Dank kam Hitler, dann hatte er Zeit für sich." Heiner Müller
interessiert
sich für das Theater der Grausamkeit, als Eingriff in das Bewußtsein, Angriff auf falsches Bewußtsein und Zerstörung
von
Illusionen. Carl Schmitt ist für ihn Theater. Seine Texte erscheinen ihm als Inszenierungen: "Mich interessiert da nicht, ob
er recht
hat oder nicht."
Es geht
ihm eher um Erfahrung als um Erkenntnis. Der Faschismusvorwurf gegen Ernst Jünger ist für ihn Polemik: "In
einem
Vorgang wie dem der Sommeschlacht war der Angriff so etwas wie eine Erholung, ein geselliger Akt. Das ist ein Satz, der mir schon
damals
sehr einleuchtete, Jünger beschreibt seine Erfahrung der Materialschlacht, der man mit Pazifismus nicht beikommt, nicht mit
einer
moralischen Position. Die Sommeschlacht war eine der ersten großen Materialschlachten." Jünger hat Heiner Müllers Meinung
zufolge
ein Jahrhundertproblem. "Bevor Frauen für ihn eine Zweiter
Akt Er selbst
ist da schon von anderem Kaliber und als Mann gewaltig selbstherrlich von Jugend an. Er erinnert sich mit
Hochachtung an
seinen
Deutschlehrer in Sachsen, dem er folgendes Zitat aus "Jubiaka"
von
Amado zu verdanken hat: "Der Held war ein Neger auf Montage, der onaniert, weil er allein ist, und seine Hand war die
Frau." Dieser
Art
von Einsamkeit hat sich Herr Müller fortan souverän zu bedienen gewußt. Als Schüler hatte er hier und da noch einige
kleine
Probleme zu vermelden: "In Geographie hatte ich Schwierigkeiten, weil ich mit der Tochter des Lehrers geschlafen Dritter
Akt Der
Hochkultur entspricht durchaus die diskursanalytisch hochgepeppte
Subkultur,
die besonders in der taz liebevoll gepflegt wird. Die Präsenz des Bösen, die Würde der Gewalt, die Konstanz des
Schreckens
wird als antiideologische Befreiung zelebriert. So wie Heiner Müller von Charles Manson fasziniert ist,
weil der doch
weniger
Leute umgebracht hat als Nixon oder alle anderen US-amerikanischen
Präsidenten und dabei so lyrisch werden konnte - "kill all people who don't hear the song oft the
sun" -, so werden Sex and
Crime, Filme des Underground besonders dafür gelobt, daß
sie
auf jedwede Pseudolegitimation der dargestellten Gewalt verzichten. Gewalt sei die Wahrheit des Mannes am Abgrund auf seinem
langen
und verfehlten Weg zur Frau, schreibt Georg Seeßlen, ein anerkannter Filmkritiker, gemütlich über seinen
Lieblingsrepräsentanten
des Hollywood-Kinos, Harvey Keitel. Eine Wahrheit, die dieser seiner Meinung nach am gelungensten in "Snake
Eyes"
demonstriert. Man könnte das genervt als Quatschjournalismus abtun, wenn man auch mal etwas anderes zu lesen bekäme. Aber wer
will
heute noch kritisch sein, wenn Kritik als political correctness, p.c., desavouiert ist? "Sadismus
und Brutalität ist mittlerweile auf den Bühnen allgemein geworden und ist selbst schon ein Ausdruck des neuen
Stils",
schreibt Hannelore Schlaffer in der Neuen Rundschau. Ihre Rezension der Essaysammlung von Fritz J. Raddatz,
"Männerängste
in der
Literatur", betitelt sie als die "Emanzipation der Männer"
- und
das meint ihrer Analyse zufolge das Verschwinden der Frauen von den deutschen Theaterbühnen. Die harten Burschen teilen sich allein
die Bühne
der Selbstdarstellung und geben sich tumber als jeder Personalchef, der mit den Sollvorgaben der
Gleichstellungsgesetze zu kämpfen
hat. Den Vormarsch der Frauen im Realleben strafen sie mit
dem
Abmarsch der Frauen von den Bühnen. Ihr Bühnenzauber, dem sie spielerisch erliegen, wird immer gewalttätiger. Julie Burchill,
eine
englische Rock-, Pop- und Theaterkommentatorin, amüsiert sich über die britische Variante dieses Phänomens und läßt uns
wissen:
Es ist der pathetische Männlichkeitswahn vieler Schriftsteller, der Drang, sich in heroische Posen zu werfen, der
mich
davor zurückschrecken läßt, mich als Schriftstellerin zu bezeichnen. Dort wie hier scheint der Boxer der meistverfehlte Beruf
ihrer
Kollegen zu sein. "Was macht unseren schreibenden Kollegen mit den harten Fäusten denn nun eigentlich so zu
schaffen?" fragt Julie Burchill.
"Offenbar sind sie sich nur allzu schmerzlich bewußt,
daß
die meisten Leute es als eine ziemlich unmännliche Arbeit betrachten, den ganzen Tag in einem geheizten Zimmer zu hocken und
sich
Geschichten auszudenken." Diese Schmach muß dann mit allen
möglichen
Selbstinszenierungen kompensiert werden. Bezogen
auf Heiner Müller, scheint Burchill nicht unrecht zu haben. Der Titel seiner Autobiographie, "Krieg ohne
Schlacht", ist von diesem
Mann auch so gemeint. Es war immer Krieg für ihn, und so war
er
auch in Friedenszeiten immer im militärischen Einsatz für seine Helden, die tapfer auf der Bühne um sich schlagen. Heiner
Müller
ist ein deutscher Mann, und die Härte ist sein Gütezeichen.
Anders als in den USA, wo die Beschäftigung mit den
Frauen
unausweichlich bleibt, gelingt es in Deutschland den Autoren und den Regisseuren, das Rad noch einmal zurückzudrehen.
Ganz im Auftrag
Heiner Müllers üben Frank Castorf und Christoph Schlingensief die Rolle der bad boys: "born
bad" eben. Ein Kulturbürokrat
des Theaterfestivals '95 paraphrasiert die diesjährige Auswahl der Stücke: "Erwachsen werden heißt
schlachten
lernen". Daß dieses Schlachtfest mit aller Härte inszeniert wird, analysiert keine Kritikerin als deutschen
Härtekitsch.
Diese natürlich auch von Theaterfrauen kopierte Kälteästhetik
steht im eigentümlichen Widerspruch zu der "entpolitisierenden" Dekonstruktionsdebatte in der
Geschlechterauseinandersetzung.
Die DekonstruktivistInnen suchen Trost und Erneuerung des Feminismus in der Verabschiedung von
Identitäten
und Sicherheiten. Die Theatermacher in Deutschland dagegen beschwören Archetypen heraus. Gerade weil
sie vorgeben,
endlich
antiideologisch zu agieren, mutieren sie zu Herrschaftsagitatoren. Halina
Bendkowski ist Soziologin und Männerforscherin. Ihr von der taz stark gekürzter Essay erschien zuerst in "Heterosexuelle Verhältnisse",
Beiträge zur Sexualforschung Nr. 71, 1995. zuerst erschienen in taz Nr. 4650 vom 22.6.1995 Seite 13 444 Zeilen |