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Was Rudi Dutschke
zu den Irrwegen der abgefallenen Achtundsechziger sagen würde. von
Gretchen Dutschke Ich kann verstehen: Wie
soll man es schaffen, die Last einer Schandgeschichte, die man selbst nicht
verschuldet hat, ewig mit sich herumzutragen? Andererseits: Wie sollten wir
sicher sein, daß in Deutschland nicht wieder Millionen von Menschen in
Gaskammern umkommen? Ich stehe irgendwie dazwischen. Durch meinen Mann, der
Rudi Dutschke hieß, bin ich ganz mit der deutschen Geschichte verbunden, und
meine Kinder sind deutsch; ich selbst aber bin nicht deutsch. Kann ich also
bekennen, daß es mich anekelt und mir Angst macht, wenn ich von alten
Freunden meines Mannes nun höre, daß sein Land Deutschland mit der Eroberung
durch die Amerikaner kulturlos gemacht worden ist, daß es durch Einwanderer,
Asiaten, Unzufriedene und Aufrührer überfremdet wird, von Juden identitätslos
gemacht worden ist? Diese ehemaligen Weggefährten meines Mannes behaupten,
ihre Aussagen seien von und mit meinem deutschen Mann schon vor über dreißig
Jahren entwickelt worden. Das verstehe ich nicht. Daß manche Deutschen ihre
Traditionen und ihre Kultur - genau sowenig wie die Franzosen oder Amerikaner
- nicht verschwinden lassen wollen, kann ich verstehen. Das ist nicht
überraschend und auch nicht zu mißbilligen. Das Problematische mit der
Forderung der Wiederherstellung der deutschen Kultur ist, daß sie offenbar
auf einer Klippe balanziert, jederzeit in der Gefahr, abzurutschen in den
Sumpf von Rassismus, Nazismus und letztendlich in die Feindschaft zu allen
Individuen und Völkern, die nicht ethnisch deutsch sind. Die Versuche,
deutsche Kultur zu reinigen und zurückzuerobern, haben in den letzten Jahren
zugenommen. Vor allem aber kommen sie nun nicht mehr nur von den
traditionellen Rechtsradikalen und Neonazis, sondern von einigen
Achtundsechzigern, die einen neuen, niederträchtigen Weg entdeckt haben, sich
von den Bewegungen der sechziger und siebziger Jahre loszusagen. Rudi Dutschke hatte Angst
gehabt, daß die Rechten seine vorsichtige (meist mit Pseudonymen
vorgetragenen) Versuche, die Frage nach Deutschland zu stellen, mißbrauchen
könnten. Er hoffte aber, daß er solchen Mißbrauch durch Argumentieren würde
vermeiden können. Heute ist er nicht mehr da und kann sich deshalb nicht
verteidigen. Er wird mißbraucht - von Rechten, die einmal seine linken
Freunde waren. Oder waren sie es jemals? Rudi Dutschke zu einem
Fürsprecher einer nationalrevolutionären (oder linksfaschistischen) Bewegung
zu machen ist eine absurde und bittere Verdrehung der Geschichte. Allerdings
ist er nicht unproblematisch mit dieser Geschichte umgegangen. Er hat sich
niemals mit den KZs auseinandersetzt, weder mit den sechs Millionen Menschen,
die in Gaskammern umgebracht wurden, noch mit der Ausrottung eines Volkes,
des Volks der Juden. Selbst schrieb er 1978: "So stellte sich mir die
Frage nach den Verantwortlichen für den Zweiten Weltkrieg. Meine christliche
Scham über das Geschehene war so groß, daß ich es ablehnte, weitere
Beweisdokumente zu lesen und mich mit einer allgemeinen Erkenntnis
zufriedengab: Der Sieg und die Macht der NSDAP, das Entstehen des Zweiten
Weltkriegs ist von dem Bündnis zwischen NSDAP und den Reichen
(Monopolkapital) nicht zu trennen." Wir können ihn verstehen, wir
können ihn nicht entschuldigen. Wir können es nur nehmen, wie er es
dargestellt hat, die Scham war zu groß. Bernd Rabehl schrieb einen Artikel, der in dem
rechten Blatt Junge Freiheit unter dem Titel "Ein Volk ohne Kultur kann zu
allem verleitet werden" veröffentlicht worden ist. Von Horst Mahler
kann man extrem rechte Gedanken in seiner "Flugschrift an die
Deutschen, die es noch sein wollen, über die Lage ihres Volkes" lesen. Ich möchte einige Thesen
aus diesen beiden Werken von Rabehl und Mahler nehmen und dann hinzufügen,
was Rudi zu diesen Themen tatsächlich gesagt hat, und in welchem Kontext.
These
1. Deutsche
Kultur wurde nach dem Krieg in Westdeutschland durch Amerikanisierung
zerstört. Diese Zerstörung wurde vor allem durch Juden vorangetrieben, die
die deutsche Identität und das deutsche Volk beseitigen wollten und wollen.
"In Deutschland durften sich nach der Niederlage nur von den
Besatzungsmächten lizenzierte Persönlichkeiten öffentlich äußern. Mit ihrer
Lizenzpolitik haben die Alliierten sichergestellt, daß die von der American
Jewish Conference approbierte Deutung über die Medien auch in Westdeutschland
die kulturelle Hegemonie erlangte." (Mahler) "Die psychologische
Aktion, von der die amerikanischen Deutschlandspezialisten 1944-45 sprachen,
die nationale Tradition aufzulösen, die Eliten zu entmachten und
auszutauschen, die Kultur und die psychologische Disposition der Menschen zu
verändern und vor allem Institutionen zu schaffen, die der Dynamik eines
modernen Kapitalismus entsprachen, ist 1998 längst verwirklicht."
(Rabehl) Die Amerikaner, von denen
Rabehl redet, waren Deutsche (meist Juden), die aus bekannten Gründen in den
dreißiger Jahren aus Deutschland geflohen waren. Die Elite, die entmachtet
werden sollte, das waren die Beamten der Naziregierung und Nazibürokratie.
Mahler macht die deutschen Täter zu Opfern der Juden. Solche Phänomene der
Umdrehung sind bekannt. Rudi hat von der Schwierigkeit
geredet, ein Deutscher zu sein. Wie das aber nun von den ehemaligen Freunden
verdreht wurde! 1967: "Der Tag der deutschen Einheit war in den
Jahren der Konjunktur ein glänzendes Beherrschungsinstrument...(Es wurde
eine) herrschaftsorientierte Beeinflussung der psychischen Disposition der
Menschen praktiziert". Es waren nicht
Amerikaner, die die Geistesväter der antiautoritären Bewegung in Deutschland
waren, sondern Deutsche aus der emanzipativen Tradition deutscher Geschichte
(Adorno, Horkheimer, Marcuse). Die psychische Beeinflussung kam von der
Restnazis und Konservativen, die die herrschaftsorientierte Ausrichtung
aufrechterhalten wollten. Rudi hat keinen Zweifel gehabt, daß ein
Identitätsverlust stattgefunden hat und daß das eine Gefahr für Deutschland
war. Er glaubte, daß ein Versuch gemacht werden müßte, deutsche Identität
zurückzugewinnen. 1976: Die deutsche Sozialismusfrage ist auch eine Frage
der Identifikationsgeschichte. Die italienischen Sozialisten und auch die
französischen haben einen ungeheuren Vorteil: Sie haben noch eine nationale
Identität, nicht die Identität der Bourgeoisie, sondern eine nationale
Identität des Volkes und der Klasse. Nach dem 2. Weltkrieg, durch die
Teilung des Landes, ist eine Situation entstanden, wo die Arbeiterklasse in
diesem Land einen besonderen Identitätsverlust erlitten hat." Rudi hat aber niemals die
Frage der deutsche Identität getrennt von der Situation in der Welt
betrachtet. "Entscheidend ist, daß der national
beschränkte Blick beendet werden muß. Wenn man nur den Blick auf die BRD
macht, dann kann man nur noch weinen vor der deutschen Misere. Und ich
glaube, das Weinen und das Erzaehlen von der deutschen Misere ist kein
Ewigkeitszustand, und es lohnt sich auch nicht." 1977: "Ohne weitere, viel weitere Annäherung der
beiden deutschen Staaten, ohne reale Annäherung der Menschen wird die
Zurückgewinning der Identität und Geschichte unmöglich werden." Rudi hat auf jeden Fall
gesehen, daß der deutsche Faschismus der Ursprung des Verlustes an Identität
war. 1978: "Der deutsche Faschismus hat nicht nur die
deutsche Arbeiterklasse zerstört. Er hat auch in Mitteleuropa die
Entwicklungsfähigkeit, die Kampfmöglichkeit der internationalen
Arbeiterklasse des Sozialismus auf eine Minimum reduziert, hat gewissermaßen
dem Sozialismus keine Chance gegeben." ·
These
2. Die
Amerikanisierung machte Westdeutschland zu einem kapitalistischen Anhängsel
der Besetzer. "In Europa bedeutet diese politische Überfremdung die
grundlegende Zerstörung von Volk und Kultur, vor allem dann, wenn die
Zersetzung der nationalen Identität bereits so weit fortgeschritten ist durch
die kapitalistische Umwertung der Werte wie in Deutschland." (Rabehl) Wir sollen offenbar den
Eindruck bekommen, daß Deutschland vor dem Krieg gar nicht kapitalistisch
war. Das stimmt aber nicht. Trotz des Namens Nationalsozialismus war
Deutschland unter den Nazis sowie davor grundlegend kapitalistisch.
"Faschismus ist ein historischer Begriff und ist so wenig zu trennen vom
Antisemitismus wie vom Bündnis mit dem Großkapital," schrieb Rudi. Er
sah es differenziert. Das imperialistische Interesse an deutscher
Wiedervereinigung zwischen Rhein und Oder-Neiße war niemals vorhanden. (Für
die deutsche Bourgeoisie war es ein Kampf gegen sozialistische
Wiedervereinigung. Fuer die anderen kapitalistischen Länder eine
Notwendigkeit im Kalten Krieg und Hilfe für ihre ökonomische
Konkurrenzsituation. Rudi hat von der
Amerikanisierung und Russifizierung Deutschlands nach dem zweiten Weltkrieg
geredet; aber niemals dachte Rudi, daß der amerikanische Einfluß zu
Überfremdung und Zerstörung des deutschen Volks führen würde, mit den
national-chauvinistischen Folgerungen, die daraus zu ziehen wären.
"Gezielt wird gelogen. Wenn ich von Amerikanisierung und Russifizierung
schreibe, dann geht es um Produktions- und Lebensverhältnisse, die nach dem
2. Weltkrieg in verschiedener Art und Weise aufgepfropft, grossmachtmäßig
bestimmt wurden." Rudi hatte mit Chauvinismus nichts im
Sinn. Niemals wollte er in die Hände der Rechten spielen. Dennoch war es ein
Fehler, so zu sprechen. Denn diese Worte können zu leicht von
national-chauvinistischen Rechten benutzt werden. Da war Rudi blind. Aber was
meinte er dann? 1978: "Wer von uns heute kann so ohne weiteres noch
sagen, ungebrochen, ich bin Deutscher. Und das ist ja eine der großen
Schwierigkeiten, jene Gebrochenheit, d.h. Gebrochenheit als Ausdruck von
Geschichtslosigkeit. Wenn Generationen jahrzehntelang nichts anderes
erlernen, als auf der einen Seite amerikanisiert zu werden und auf der
anderen Seite russifiziert zu werden, dann entsteht Geschichtslosigkeit. Und
Resultat der Geschichtslosigkeit ist auch, sich nicht mehr in der deutschen
Misere wirklich zu verhalten, dennoch in der deutschen Geschichte zu stehen,
zu verstehen, was schwer genug ist. Aber man kann sich, ob man es will oder
nicht, auf die Dauer nicht davonstehlen aus der Geschichte, aus der man
kommt, und man hat nicht frei gewählt, als Deutscher geboren zu sein. Aber im
Rahmen der Geschichte habe ich dort drin meine Arbeit zu tun, soweit es mir
möglich ist, und d.h., deutsche Geschichte aufzuarbeiten." ·
These
3. Überfremdung
durch Immigration. "Wir haben es mit Eroberern zu tun, die darauf aus
sind, den gebürtigen Deutschen, den ‚Eingeborenen‘, die Heimat wegzunehmen.
Durch die beschlossene Änderung des Staatsbürgerrechts funktioniere "die
Verfassung nicht länger als eine Art Besitzstand der Volkszugehörigen"
(Mahler). "Wenn die Völkerwanderung nicht zum Stillstand kommt, könnte
Europa schon bald, wie Ernst Nolte fürchtete, zu einem Anhängsel Asiens und
Afrikas werden." (Mahler) "Die militärische, militante und
fundamentalistische Abschließung der einzelnen Volksgruppen von den
Gastgebern und die gleichzeitig artikulierte Feindschaft zu den nationalen
Werten Westeuropas und Deutschlands säen Zwietracht, Feindschaft und
Fremdenhaß." Manche fragen, was Rudi
bloß dazu gesagt hätte, wenn er heute leben würde. Er hat sich dazu geäußert.
Eher nebenbei, aber deutlich, 1978: "Die deutsche Frage war mir nie fremd, ich
verließ die DDR nicht, um in ein Exil zu gehen. Zwar in fremde Verhältnisse,
aber nicht in ein fremdes Land... Bei mir ist nirgendwo... die reaktionäre
Kategorie ‚Überfremdung‘ zu finden." Und: "Ein wirkliches
Kettenglied - und der Streik in Hanau weist darauf hin - sind noch immer
besonders die ausländischen Arbeiter... Diese disponible Reservearmee des
westdeutschen Kapitalismus ist darum subversiv." ·
These
4. 1968 hat die
Zerstörung der deutschen Identität vollendet. "Wir erleben dieses
Resultat der Kulturrevolution von 1968 jetzt als die Hölle, denn mit
Tradition und Religion ist unsere sittliche Substanz verflogen."
(Mahler) "Es erfordert einige Anstrengung des Denkens, das geistige
Vakuum - diesen Zustand der absoluten Negativität, die uns als Menschen und
als Volk ja jetzt wirklich auszulöschen droht - als etwas Positives und in
diesem Sinne als eine geschichtliche Leistung der 68er zu erkennen und
anzuerkennen." (Mahler) Sind die Deutschen ein
Volk ohne Kultur? Deutsche Kultur ist nach dem Krieg nicht verlorengegangen.
Sie hat sich aber geändert, ein Naturgesetz. Kultur ist innig mit der Sprache
verbunden. Zwar gibt es Musik, Kunst und Gegenstände, die Art von menschlichen
Beziehungen, Verhaltensregeln, die auch eine Kultur ausdrücken, jedoch die
Sprache steht im Kern. Deutsche Sprache hat sich geändert, sie existiert aber
weiter und steht auch nicht in der Gefahr zu verschwinden.
Sprachreinigungsversuche sind so absurd wie ethnische Säuberung. Nun stellen wir fest, daß
Rudi vom Verlust deutscher Identität geredet hat und daß er ihn teils auf den
Faschismus, teils auf die Amerikanisierung zurückführt. Warum hat er so etwas
gesagt? Er hat den Weg für Mißverständnisse geöffnet. Er hat ein Resultat
möglich gemacht, das er nicht beabsichtigt hat. Denn während er immer als
Hauptziel die Emanzipation der Menschen in der Welt von Ausbeutung und
Erniedrigung sah, war Deutschland für ihn sein zufälliger Wirkungsort,
weswegen er Deutschland und die Widersprüche der deutschen Gesellschaft -
jedoch immer innerhalb eines internationalen Kontexts - als Ausgangspunkt
nahm. So aber konnten seine Worte schnell ihrer emanzipativen und
sozialistischen Ziele entledigt und daraus ein rechtsradikaler, nationaler
Chauvinismus gemacht werden. Rudi wäre entsetzt, wenn er das wüßte. Er hat
seine Ziele deutlich bezeichnet. "Es gilt also nicht mit dem
Imperialismus zu koexistieren, sondern ihn mit den in unserer Epoche zur
Verfügung stehenden Mitteln an seinen schwächsten Stellen zu bekämpfen, um
dem Ziel, einer Welt ohne Hunger und Krieg, näher zu kommen." Das
antiautoritäre Ziel blieb für Rudi grundlegend. 1970: "Der ganze Mist unseres Landes wird deutlicher
als je zuvor nach dem 2. WK wieder sichtbar. Der Muff der angetasteten, aber
unzerstörten Autoritäts- Verhältnisse wird wieder deutschgemäß. Gelingt der
Rechten ein Eingriff in die Jugend, meine im Sinne der 20iger Jahre, so
verlieren wir ein entscheidendes Kettenglied!! Hier wäre auch ein sozialistisch
antiautoritäre Beleuchtung der Deutschlandfrage von grundlegender Relevanz.
Unser Volk hat jegliches Selbstbewußtsein verloren, wenn es je ein solches
hatte: vielleicht der Stolz über das Volk der Dichter und Denker. Aber gerade
dieses subversive Element unserer Geschichte wurde bisher nie Ausgangspunkt
einer politischen Selbstbestimmung und Reflexion des Volkes." ·
These
5. Rudi wollte
eine Nationalrevolution in Deutschland. "Die nationale Frage spielte
bereits in den sechziger Jahren eine Rolle bei der Konstituierung einer neuen
Opposition. Sie war damals vor allem antiamerikanisch und antirussisch
eingestimmt. So gesehen gehörten die Nationalrevolutionäre Dutschke und
Rabehl zu keinem Zeitpunkt zur traditionellen Linken." (Rabehl) In der
Solidarität mit Vietnam wurden ab 1965 die Ziele einer nationalen Befreiung
auf Deutschland übertragen. "Gleichzeitig sollte der Keim der Subversion
nach West- und Osteuropa getragen werden, um jeweils die Hegemonie der
Großmächte zu untergraben. "Dutschke blieb sich später immer bewußt, daß
die Radikalopposition zerschlagen wurde bzw. in die Auflösung getrieben
wurde, weil die Zielsetzung der nationalen Revolution bestanden hatte und
dagegen von unterschiedlicher Seite Front gemacht wurde." "Für
Dutschke bestand kein Zweifel, daß die Radikaloppositon eine grundlegend
Niederlage erfahren hatte, unter anderem auch deshalb, weil
nationalrevolutionäre Ziele aufgegeben worden waren." "Dutschke war
bemüht, eine derartige Opposition bündnisfähig zu machen mit konservativen
und nationalen Gruppen.. Die Kader von DKP und ML-Parteien sollten nicht mit
einbezogen werden." (Rabehl) Das sind schwerwiegende
Behauptungen (eigentlich Beschuldigungen), daß Rudi im Grunde alle Leute
betrogen hatte, daß er heimlich eine Nationalrevolution machen wollte, also
gar keine Kulturrevolution, keine antiautoritäre Bewegung, keinen
Internationalismus, sondern, eigentlich Nationalsozialismus. Daß Rudi dieses
heimliche Projekt während seines Lebens und Wirkens in 15 Jahren niemals öffentlich
zugab. Kann es sein, daß er mich, seine Frau während dieser ganzen 15 Jahre
hinters Licht geführt hat? Daß er mich, eine Amerikanerin, eigentlich als
Feind betrachtet hat, daß er seine anderen engsten Freunde, den Chilenen, den
Ecuatorianer, die Juden, die Tschechen, die Engländer, Kanadier, Ungarn und
Amerikaner, alle betrogen hat? Das sind solche verleumderischen Behauptungen
von Bernd Rabehl, daß man ihm die schlimmsten Lügen, Verdrehungen und
Bosheiten zutrauen muß. Rudi hat sich sehr mit der deutschen
Frage beschäftigt, aber nicht um eine nationale Revolution im Sinne eines
mächtigen deutschnationalen Staates zu schaffen. Schon 1960
überlegte er: "Das nationale Machtstreben ist schon
weitgehend eingeschränkt. (Am Beispiel der Bundesrepublik die Notwendigkeit
der Ausschaltung nationalen Machtstrebens erklären, um die Freiheit zu
erhalten im Rahmen der freien Welt.)" Nationen waren immer
international miteninander verflochten und sollen es auch bleiben. Deswegen
war für Rudi der Internationalismus sehr wichtig. Von diesem Gesichtspunkt
wich er nie ab. 1964: "Die schon heute konstituierte
Weltgesellschaft (unter Bedingungen der friedlichen Koexistenz) weist nach
vorn, die Internationalisierung der Strategie der revolutionären Kräfte
scheint mir immer dringlicher zu werden." 1965/66: "Wir haben uns bisher vom Gegner vorschreiben
lassen, was Proletariat sei oder nicht (Verelendungstheorie) und das primär
darum, weil wir nicht fähig waren, den Provinzialismus der
Nationalgesellschaften als falsche konkrete Totalität zu begreifen." 1967: "Der revolutionäre Nationalismus ist kein
Dauerzustand, muß in militanten und sozialen Humanismus transformiert
werden." 1968: "Auf keinen Fall dürfen wir mit der nationalen
Niveaulosigkeit der halbrevolutionären Kräfte fortfahren. Die
Konterrevolution arbeitet international." 1969: "Wesentlich scheint mir zu sein, ob es uns
gelingt, die ‚dezentralisierten Zentralen‘ der einzelnen Gebiete permanent
und systematisch miteinander zu vermitteln. Die ‚nationale Frage‘, das
Problem der deutschen Wiedervereinigung als revolutionäres Kettenglied des
Angriffs gegen Spätkapitalismus und Revisionismus muß endlich reflektiert
werden, der Konterrevolution darf nicht der revolutionierende Boden der
‚nationalen Befreiung‘ innerhalb eines globalen Sozialismus-Kontextes
überlassen bleiben." 1969: In einem Brief an Bernd Rabehl
erklärte Rudi, wie er diese Frage sah, vielseitig, komplex, und keineswegs,
wie Bernd das heute interpretiert: "Seit relativ langer Zeit spreche ich von der nationalen
Frage als Bestandteil des internationalen revolutionären Prozesses. So wie
Versailles, so waren Teheran und Potsdam nichts anderes als kapitalistisch
revisionistische Machtentscheidungen, kapitalistisch bürgerliche Realpolitik
und ideologisierte sozialistische Realpolitik entschieden über das Schicksal
der Völker, entschieden gegen den revolutionären Kampf der Klassen. Warum
wurden bis heute von den deutschen Revolutionären diese
Unterdrückungsergebnisse liegengelassen, seit Jahrzehnten konterrevolutionären
Parteien und Personen überlassen. Es geht mir hier, wie Du merkst, nicht um
nationale Gefühle, die benutzenswert sind bzw. waren, es geht mir allein um
die Voraussetzungen, Bedingungen und Möglichkeiten der vollen Analyse dessen,
was ein revolutionäres, sozialistisch antiautoritäres Programm auszeichnen
muß. Als revolutionäre Materialisten wissen wir sehr genau, daß es in beiden
bisherigen Weltkriegen der deutsche Imperialismus war, der aus ökonomischen,
politischen u.a. Gründen die Erschießung und Ermordung von vielen Millionen
von Menschen ausgelöst hat. Wir wissen aber gerade als Sozialisten, daß nicht
ein imperialistischer Staat, sondern der Imperialismus als Totalität die
objektive Voraussetzung für den Ausbruch und die Durchführung der Weltkriege
darstellte." Rudi hat allerdings auch
hier die KZs vergessen. Ein schwerwiegender Fehler. Er fühlte sich ständig
genötigt - und auch zurecht -, sich von rechten Gesichtspunkten und rechter
Vereinnahmung abzugrenzen. 1974: "Vor einigen Tagen ging die Carstens-Sau auf
die Bedeutung der ‚nationalen Frage‘ ein, die nationalchauvinistische
Variante der Strauß und Dregger findet ihre ‚offizielle‘
CDU/CSU-Ausdrucksform. Hoffentlich bin ich nicht zu früh und zu wenig
abgesichert in den Kampf eingestiegen." "Bei Eichberg gibt es nur
einige Zitate von mir mehr, aus dem Zusammenhang gerissen, versteht sich. Um
nationalistisch vorgehen zu können. Von meinem Sozialismus-Fundament in der
Diskussion über die so schwierige deutsche und europäische Frage bleibt dann
bei ihm nichts mehr übrig." "Nennings Sorgen vor einem Vierten
Reich kann ich verstehen. Das Dritte Reich steckt noch zu tief in den
Knochen. Doch es steht bei mir kein Reich zur Debatte, ganz im Gegenteil.
Demokratie und Sozialismus, Nation und Kontinent steht für mich auf der
Tagesordnung. Es geht bei mir darum, zu erkennen, warum ohne eine Klärung der
nationalen Frage im Herzen Europas, ohne Friedensvertrag usw., trotz
Entspannungsverträgen usw. die Kriegsgefahr und nicht die Friedenssicherung
steigen muß." 1978: "Die lokale und nationale Lage kann ich doch
allein im internationalen Blick richtig einordnen, oder?"
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