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Rudi Dutschke & Peter Paul Zahl,
Mut und Wut – Briefwechsel 1978/79.
Edition Stadtmuseum „Berliner Subjekte“, Berlin 2015

Durchgesehen von Günter Langer

Rudi Dutschke wollte seine in den Sechzigern erarbeitete „Bibliographie des revolutionären Sozialismus“ überarbeitet neu herausgeben. Als Ergänzung zu seinen eigenen Vorstellungen sah er die Mitarbeit von Peter-Paul Zahl vor, der wegen einer Schießerei eine 12jährige Knaststrafe abzusitzen hatte. Die Kommunikation zwischen den beiden war allerdings äußerst schwierig. Die Knastleitung verweigerte Rudi jeden direkten Kontakt und lehnte Besuchsgesuche konsequent ab. Es blieb beiden nur der Briefwechsel übrig, der in diesem Band abgedruckt ist.

Gretchen Dutschke und Peter-Paul Zahl (Pepe) waren der Meinung, diese Briefe würden den revolutionären Zeitgeist Dutschkes und Zahls exzeptionell zum Ausdruck bringen. Als die Hälfte der Briefe redigiert waren starb Pepe im Krankenhaus von Port Antonio in Jamaica, nahe seinem letzten Wohnort in Long Bay. Gretchen schrieb eine lange Einleitung und redigierte den verbliebenen Rest.

Was faszinierte Rudi an Pepe, den wegen angeblicher Guerilla-Aktivität Verurteilten? Für Rudi repräsentierte Pepe die nichtstudentische Linke. Pepe kam zwar aus einem Intellektuellenhaushalt ursprünglich aus der DDR kommend, aber als Oberschuldropout ist er auf der Druckerschiene gelandet. Nebenbei schrieb er Lyrik und suchte in Westberlin Kontakt zu linken Literaten. Politisch suchte er Gleichgesinnte im linken Jugendclub Ça Ira. Ab 1969 druckte er dann auf kommerzieller Basis das antiautoritäre Wochenblatt „883“, die sich zum Organ der militanten Linken entwickelte. Pepe beteiligte sich gelegentlich in der Redaktion und schrieb Texte für das Blatt. In einem seiner Briefe verwahrt er sich gegen Bommi Baumanns Darstellung der 883 als vom „Blues“, bzw. von den Haschrebellen dominiertes Organ. (S.82f.)

Kurz bevor die eigentliche Zusammenstellung der neuen revolutionären Literaturliste beginnen sollte, starb Rudi wegen einer durch die von seinem Attentäter verursachte Verletzung erlittenen epileptischen Anfall. Pepe konnte diese Aufgabe vom Knast aus allein nicht erfüllen. So bleiben nur die Vorüberlegungen dazu erhalten, die sich im Briefverkehr wiederfinden. Sie zeigen die ideologischen Gemeinsamkeiten der Beiden, insbesondere ihren Antiautoritarismus und ihre vehemente Ablehnung der K-Gruppen, also der maoistischen und trotzkistischen Splittergruppen, einschließlich der RAF. Rudi betont explizit, „der Leninismus ist eine Seuche und Pest in der europäischen Arbeiterbewegung“ (S.113). In einem weiteren Brief betont Rudi dann „die Nähe von Sozialdemokratismus und Leninismus“ (S. 244).

Die Beiden unterschieden sich vor allem in ihrer Einschätzung des Ostblocks. Während Pepe die USA und ihre westlichen Verbündeten, einschließlich der BRD, als primäre Quelle von Ausbeutung und Unterdrückung ansah, meinte Rudi, der Ostblock sei nur die andere Seite derselben Münze. Er sprach von Staatssklaverei, die quasi im Bündnis mit dem Westblock die Welt beherrscht. Er schreibt explizit vom „Bündnis des amerikanischen und russischen Imperialismus“ (S. 219). Im ersteren herrsche „Lohnsklaverei“, im letzteren „Staatssklaverei“ (S. 240). Die Verträge von Jalta und Teheran sollten der „Regelung der Ausschaltung der potentiell vereinigten Arbeiterklasse Europas“ dienen. West und Ost seien nur „die je einzelne Form der Kolonisation“. (S. 241).

Die Briefe geben Aufschluss über einige bislang in der Forschung wenig aufgearbeitete Details. Rudi bezieht sich zB auf seine internationalistische Ausrichtung im SDS. Er erwähnt seine Freundschaft mit zwei haitianischen Genossen, Eden und Bernard, die später beim Versuch die dortige Diktatur in Haiti zu stürzen ums Leben kamen. In der SDS-Projektgruppe „Internationalismus“ habe er mit Elisabeth Käsemann kooperiert, die später in Argentinien von den Militärs ermordet wurde. In diesem Zusammenhang fand er es wichtig, „den nicht unwichtigen Ansatz des INFI-Projekts zu verteidigen“. Die INFI-Entstehung sei „weder vom Vietnam-Kongress, noch von der Fraktionierung im SDS zu trennen“. Es ging ihm „um die Kontinuität des antiimperialistischen Kampfes.“ Er fand „die Vorurteile der deutschen führenden Genossen gegenüber einem Chilenen wie Gaston Salvatore beschämend“. Er erwähnt dabei Wolfgang Lefèvre, Bernd Rabehl, Christian Semler und Jürgen Horlemann. Rabehl, der in der Literatur häufig als engster Freund Rudis vorgestellt wird, bekam noch Extrafett weg, da er ein „betrügerisches Interview“ gegeben habe über Rudis „neue Rollenbestimmung im SDS“. Andererseits fühlte Rudi sich „geehrt“ als einer der Kritiker, Tilman Fichter, den INFI-Ansatz mit dem Wirken von Willi Münzenberg verglich. Münzenberg war der Gründer und Organisator der erfolgreichen und populären kommunistischen Publikationsmedien während der Weimarer Republik. „Das INFI war als Informationssammler aus den Herrschaftszentren und für die Dritte Welt gedacht“. (S. 54-56). Parallel zu seiner Betonung des Internationalismus grenzt er sich von „Vaterlandsverteidigern“ ab, deren maoistischen K-Gruppenvertretern er auf Diskussionsforen begegnet ist. (S. 66).

Pepe widerspricht Rudi in diesem Punkt nicht. Bei einem anderen Thema sehen beide allerdings Diskussionsbedarf, in der Frage nach der Einschätzung des Faschismus. Pepe geht „von der Aktualität des Faschismus“ aus, allerdings nicht wie die RAF, „die den Faschismus schon an der Arbeit sieht“. Für ihn sind die autoritären Tendenzen „Vorreiter und Wegbereiter, bei denen natürlich sowohl faschistische Strukturen zu konstatieren sind, als auch schon reale Faschisten innerhalb der normalen Institutionen an der Arbeit“ sind. (S.249). Rudi antwortet, dass für ihn „diese barbarische Richtung nicht vom Bündnis zwischen Monopolbourgeoisie und NSDAP zu trennen“ ist. „Die «Aktualität des Faschismus» wäre erneut über politisch-ökonomische und militärische Beziehungen abzuleiten“ (S. 272). Beide unterscheiden nicht zwischen Faschismus im Allgemeinen und Nationalsozialismus im Besonderen. Von daher verwundert es nicht, dass beide die Rolle des Antisemitismus im deutschen Faschismus mit keinem Wort erwähnen. Das Gleiche gilt für die Rolle des Zionismus/Antizionismus für die Internationalismus-Debatte. Die Gründung Israels und der Konflikt im Nahen Osten fanden in ihrem Katalog der zu bearbeitenden Literaturempfehlungen (S. 274) ebenfalls keinerlei Erwähnung, es sei denn, sie wollten dieses Thema unter der Rubrik Nr. 13 „Die Kämpfe der Völker…“ subsumieren.

Andere nichtbehandelte Themen: Feminismus, LBGT, Migration, Multikulti, ...

RPB, 18.9.2015

Weitere Rezensionen:

Wider das Davonstehlen vor der Geschichte – Der Briefwechsel zwischen Rudi Dutschke und Peter Paul Zahl ist endlich veröffentlicht

Verantwortlich: 

Gut zwei Wochen nach dem Tod von Rudi Dutschke schlägt Peter-Paul Zahl Helmut Gollwitzer im Januar 1980 vor, den Briefwechsel zwischen ihm und Dutschke zu veröffentlichen. Der Schriftsteller, der zu dieser Zeit bereits gut sieben Jahre im Gefängnis sitzt, hatte erfahren, dass Gollwitzer mit dem Rowohlt-Verlag über die Herausgabe von Dutschkes Aufsätzen verhandelt und war „schlicht entsetzt“, denn: „Ich hielte es für einen riesigen Opportunismus, mit Rudis Arbeiten zu einem bürgerlichen Verlag zu gehen; zudem zu einem, der Zensur übt.“ Schließlich seien die Texte in der kapitalistischen Welt nur eins: Tauschwert. Dagegen setzte er den Vorschlag, die „ungemein anregende“ Korrespondenz zwischen den beiden zu veröffentlichen. Eine Rezension von Helge Buttkereit

 

Stefan Reinicke (taz):

Schnauze halten!“
Am 7. März wäre Rudi Dutschke 75 geworden. Kurz vor seinem Tod schrieb er mit Dichter Peter-Paul
 Zahl über Kindheit, Deutschland – und die taz.

Todsünde Resignation
Aus: junge welt, Ausgabe vom 08.07.2015, Seite 10 / Feuilleton

Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten: Der Briefwechsel zwischen Rudi Dutschke und Peter-Paul Zahl ist endlich erschienen

Von Carsten Prien


Stimmen aus der Vergangenheit in der Gegenwart

Buchbesprechung von Henning Melber (Direktor em. der Dag Hammarskjöld Stiftung in Uppsala und Professor an der University of Pretoria.)

Mut und Wut. Rudi Dutschke und Peter-Paul Zahl. Briefwechsel 1978/79. Bearbeitet von Gretchen Dutschke, Christoph Ludszuweit und Peter-Paul Zahl. Verlag M - Stadtmuseum Berlin (Edition Stadtmuseum "Berliner Subjekte"), Berlin 2015, 342 S., 22,90 Euro, ISBN 978-3-939254-01-0

"Das Vergangene ist nicht tot.
Es ist nicht einmal vergangen."
(William Faulkner)