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Rudi Dutschke & Peter Paul Zahl,
Rudi Dutschke wollte seine
in den Sechzigern erarbeitete
„Bibliographie des revolutionären Sozialismus“ überarbeitet neu herausgeben. Als Ergänzung zu seinen eigenen Vorstellungen
sah er die Mitarbeit von Peter-Paul Zahl vor, der wegen einer Schießerei
eine 12jährige Knaststrafe abzusitzen hatte. Die Kommunikation zwischen
den beiden war allerdings äußerst schwierig. Die Knastleitung
verweigerte Rudi jeden direkten Kontakt und lehnte Besuchsgesuche
konsequent ab. Es blieb beiden nur der Briefwechsel übrig, der in diesem
Band abgedruckt ist.
Gretchen Dutschke und
Peter-Paul Zahl (Pepe) waren der Meinung, diese Briefe würden den
revolutionären Zeitgeist Dutschkes und Zahls exzeptionell zum Ausdruck
bringen. Als die Hälfte der Briefe redigiert waren starb Pepe im
Krankenhaus von Port Antonio in Jamaica, nahe seinem letzten Wohnort in
Long Bay. Gretchen schrieb eine lange Einleitung und redigierte den
verbliebenen Rest.
Was faszinierte Rudi an
Pepe, den wegen angeblicher Guerilla-Aktivität Verurteilten? Für Rudi
repräsentierte Pepe die nichtstudentische Linke. Pepe kam zwar aus einem
Intellektuellenhaushalt ursprünglich aus der DDR kommend, aber als
Oberschuldropout ist er auf der Druckerschiene gelandet. Nebenbei
schrieb er Lyrik und suchte in Westberlin Kontakt zu linken Literaten.
Politisch suchte er Gleichgesinnte im linken Jugendclub Ça Ira. Ab 1969
druckte er dann auf kommerzieller Basis das antiautoritäre Wochenblatt
„883“, die sich zum Organ der militanten Linken entwickelte. Pepe
beteiligte sich gelegentlich in der Redaktion und schrieb Texte für das
Blatt. In einem seiner Briefe verwahrt er sich gegen Bommi Baumanns
Darstellung der 883 als vom „Blues“, bzw. von den Haschrebellen
dominiertes Organ. (S.82f.)
Kurz bevor die eigentliche
Zusammenstellung der neuen revolutionären Literaturliste beginnen sollte,
starb Rudi wegen einer durch die von seinem Attentäter verursachte
Verletzung erlittenen epileptischen Anfall. Pepe konnte diese Aufgabe
vom Knast aus allein nicht erfüllen. So bleiben nur die Vorüberlegungen
dazu erhalten, die sich im Briefverkehr wiederfinden. Sie zeigen die
ideologischen Gemeinsamkeiten der Beiden, insbesondere ihren
Antiautoritarismus und ihre vehemente Ablehnung der K-Gruppen, also der
maoistischen und trotzkistischen Splittergruppen, einschließlich der
RAF. Rudi betont explizit, „der Leninismus ist eine Seuche und Pest in
der europäischen Arbeiterbewegung“ (S.113). In einem weiteren Brief
betont Rudi dann „die Nähe von Sozialdemokratismus und
Leninismus“ (S. 244).
Die Beiden unterschieden
sich vor allem in ihrer Einschätzung des Ostblocks. Während Pepe die USA
und ihre westlichen Verbündeten, einschließlich der BRD, als primäre
Quelle von Ausbeutung und Unterdrückung ansah, meinte Rudi, der Ostblock
sei nur die andere Seite derselben Münze. Er sprach von Staatssklaverei,
die quasi im Bündnis mit dem Westblock die Welt beherrscht. Er schreibt
explizit vom „Bündnis des amerikanischen und russischen Imperialismus“
(S. 219). Im ersteren herrsche „Lohnsklaverei“, im letzteren „Staatssklaverei“
(S. 240). Die Verträge von Jalta und Teheran sollten der „Regelung der
Ausschaltung der potentiell vereinigten Arbeiterklasse Europas“ dienen.
West und Ost seien nur „die je einzelne Form der Kolonisation“. (S.
241).
Die Briefe geben Aufschluss
über einige bislang in der Forschung wenig aufgearbeitete Details. Rudi
bezieht sich zB auf seine internationalistische Ausrichtung im SDS. Er
erwähnt seine Freundschaft mit zwei haitianischen Genossen, Eden und
Bernard, die später beim Versuch die dortige Diktatur in Haiti zu
stürzen ums Leben kamen. In der SDS-Projektgruppe „Internationalismus“
habe er mit Elisabeth Käsemann kooperiert, die später in Argentinien von
den Militärs ermordet wurde. In diesem Zusammenhang fand er es wichtig,
„den nicht unwichtigen Ansatz des INFI-Projekts zu verteidigen“. Die
INFI-Entstehung sei „weder vom Vietnam-Kongress, noch von der
Fraktionierung im SDS zu trennen“. Es ging ihm „um die Kontinuität des
antiimperialistischen Kampfes.“ Er fand „die Vorurteile der deutschen
führenden Genossen gegenüber einem Chilenen wie Gaston Salvatore
beschämend“. Er erwähnt dabei Wolfgang Lefèvre, Bernd Rabehl, Christian
Semler und Jürgen Horlemann. Rabehl, der in der Literatur häufig als
engster Freund Rudis vorgestellt wird, bekam noch Extrafett weg, da er
ein „betrügerisches Interview“ gegeben habe über Rudis „neue
Rollenbestimmung im SDS“. Andererseits fühlte Rudi sich „geehrt“ als
einer der Kritiker, Tilman Fichter, den INFI-Ansatz mit dem Wirken von
Willi Münzenberg verglich. Münzenberg war der Gründer und
Organisator der erfolgreichen und populären kommunistischen
Publikationsmedien während der Weimarer Republik. „Das INFI war als
Informationssammler aus den Herrschaftszentren und für die Dritte Welt
gedacht“. (S. 54-56). Parallel zu seiner Betonung des Internationalismus
grenzt er sich von „Vaterlandsverteidigern“ ab, deren maoistischen K-Gruppenvertretern
er auf Diskussionsforen begegnet ist. (S. 66).
Pepe widerspricht Rudi in
diesem Punkt nicht. Bei einem anderen Thema sehen beide allerdings
Diskussionsbedarf, in der Frage nach der Einschätzung des Faschismus.
Pepe geht „von der Aktualität des
Faschismus“ aus, allerdings nicht wie die RAF, „die den Faschismus
schon an der Arbeit sieht“. Für ihn sind die autoritären Tendenzen „Vorreiter und Wegbereiter,
bei denen natürlich sowohl
faschistische Strukturen zu konstatieren sind, als auch
schon reale Faschisten innerhalb der normalen
Institutionen an der Arbeit“ sind. (S.249). Rudi antwortet, dass für
ihn „diese barbarische Richtung nicht vom Bündnis zwischen
Monopolbourgeoisie und NSDAP zu trennen“ ist. „Die «Aktualität des
Faschismus» wäre erneut über politisch-ökonomische und militärische
Beziehungen abzuleiten“ (S. 272). Beide unterscheiden nicht zwischen
Faschismus im Allgemeinen und Nationalsozialismus im Besonderen. Von
daher verwundert es nicht, dass beide die Rolle des Antisemitismus im
deutschen Faschismus mit keinem Wort erwähnen. Das Gleiche gilt für die
Rolle des Zionismus/Antizionismus für die Internationalismus-Debatte.
Die Gründung Israels und der Konflikt im Nahen Osten fanden in ihrem
Katalog der zu bearbeitenden Literaturempfehlungen (S. 274) ebenfalls
keinerlei Erwähnung, es sei denn, sie wollten dieses Thema unter der
Rubrik Nr. 13 „Die Kämpfe der Völker…“ subsumieren. RPB,
18.9.2015 Weitere Rezensionen: Wider das Davonstehlen vor der Geschichte – Der Briefwechsel zwischen Rudi Dutschke und Peter Paul Zahl ist endlich veröffentlichtVerantwortlich: Wolfgang LiebGut zwei Wochen nach dem Tod von Rudi Dutschke schlägt Peter-Paul Zahl Helmut Gollwitzer im Januar 1980 vor, den Briefwechsel zwischen ihm und Dutschke zu veröffentlichen. Der Schriftsteller, der zu dieser Zeit bereits gut sieben Jahre im Gefängnis sitzt, hatte erfahren, dass Gollwitzer mit dem Rowohlt-Verlag über die Herausgabe von Dutschkes Aufsätzen verhandelt und war „schlicht entsetzt“, denn: „Ich hielte es für einen riesigen Opportunismus, mit Rudis Arbeiten zu einem bürgerlichen Verlag zu gehen; zudem zu einem, der Zensur übt.“ Schließlich seien die Texte in der kapitalistischen Welt nur eins: Tauschwert. Dagegen setzte er den Vorschlag, die „ungemein anregende“ Korrespondenz zwischen den beiden zu veröffentlichen. Eine Rezension von Helge Buttkereit
Stefan Reinicke (taz):
„Schnauze halten!“
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