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Beppo

Giuseppe de Siati ("Beppo"):   Il Nonno in Ebrach

Im Frühsommer 1969 erhielten wir in Rom einen Anruf aus Deutschland, wahrscheinlich von unseren Filmer-Freunden Gerd Conradt oder Holger Meins. Sinngemäß teilte er uns mit, daß in Kürze in der Nähe von Bamberg ein größeres Treffen von Leuten aus der antiautoritären Linken stattfinden werde. Dazu seien wir eingeladen, denn es sei besonders wichtig, daß an dieser Aktion auch ausländische Genossen teilnehmen. Anlaß zu diesem Treffen, dem »Knast-Camp«, war die Forderung nach Freilassung des verurteilten und in Ebrach inhaftierten Studenten und SDS-Mitglieds Reinhard Wetter.

Einige Tage später erhielten wir auf dem Postweg einen Umschlag, der einige gelbfarbene Flugblätter enthielt, auf denen das Programm für das »Knast-Camp« und die Autoroute nach Ebrach verzeichnet waren.

Als bewußte Internationalisten hängten wir einen Teil der Flugblätter an verschiedenen Stellen der Universität Rom auf, ja, wir übersetzten sogar den Flugblatttext, vervielfältigten ihn und forderten dazu auf, nach Ebrach zu reisen.

Die Einladung zum »Knast-Camp« nahmen wir gerne an, zumal wir, die »Uccelli«, für den Sommer des gleichen Jahres eine Expedition in das 1968 von einem Erdheben heimgesuchte Gebiet bei Gibellina auf der Insel Sizilien in Planung hatten. Die Begegnung in Ebrach schien uns deshalb so interessant zu sein, weil wir bereits vor der Einladung beschlossen hatten, an unserer Expedition möglichst auch junge Deutsche teilnehmen zu lassen. Nicht zuletzt, weil gerade aus diesem Gebiet besonders viele junge Sizilianer als Arbeitsemigranten gen Norden nach Deutschland gezogen waren. Uns faszinierte die Idee von einem Austausch. Warum sollten nicht Deutsche, im Gegenzug der Arbeitsemigranten, als Helfer ins Erdbebengebiet fahren?

Also machte sich unsere kleine vierköpfige Delegation in einem Ford-Transit auf den Weg nach Ebrach. Leider konnten wir nicht verhindern, daß einige Freunde in Rom beleidigt reagierten, als wir sie nicht nach Deutschland mitnahmen.

In Ebrach angekommen, entdeckten wir bald einige alte Bekannte, u.a. die beiden Mitglieder der KI, Fritz Teufel und Dieter Kunzelmann, dem wir sofort den Spitznamen »II Nonno« (Großvater) verpaßten. Unter den Teilnehmerinnen stach besonders ein Mädchen namens Inga ins Auge, die junge, schone, später sehr mutige Irmgard Möller.

Zunächst hatten wir Schwierigkeiten, unsere Sizilienexpedition den deutschen Teilnehmern in Ebrach zu vermitteln. Ihre Verhaltensweisen waren uns reichlich fremd, besonders der sehr starke Haschisch-Konsum und die öffentlichen Liebesspiele. Ihre Verhaltensweisen glichen eher denen der Hippies bei Rock-Konzerten als denen von politischen Aktivisten. Wir entdeckten aber auch Widersprüche zwischen den Teilnehmern.

Bald beschlossen wir, eigene Aktivitäten zu entwickeln. Uns schien es wichtig, zumindest einen Teil der durch Presse und Politik aufgehetzten Bevölkerung zu neutralisieren und für das Anliegen zu sensibilisieren. Also kauften wir Farb-Spraydosen, Kartons, Rasierklingen, bunte Kreiden und sogar ein Schaf. Wir realisierten u.a. auf einem Bürgersteig ein großes Bild im Stile der Pflastermalerei, was den »Großen Vorsitzenden Mao« im Gespräch mit Reinhard Wetter zeigte. Leider hatten wir nicht mit der Brutalität, der Humorlosigkeit und der Kunstfeindlichkeit der deutschen Polizisten gerechnet. Denn bald wurde unser Kunstwerk von mit Wassereimern und Schrubbern bewaffneten Polizisten zerstört. Unserem Schaf sprühten wir das Wort »Hund« auf das Fell und versuchten, die Polizei, die mit Hundetrupps durch den Ort zog, nachzuäffen. Auch diese Aktivität brachte uns in Konflikt mit der Staatsmacht. Jemand zeigte uns wegen Tierquälerei an, wir wurden verhaftet und einige Stunden im Gefängnishof festgehalten. Die zu unserer Bewachung abgestellten Polizisten hielten uns offenbar für berühmte Künstler, denn sie wollten sich unbedingt mit uns photographieren lassen und verlangten Autogramme.

Jedenfalls schienen unsere Aktivitäten auch bei den Demonstranten Anklang zu finden. Zeitweise schien es so, als ob das ganze Knast-Camp nach Sizilien aufbrechen wollte. Tatsächlich fuhren dann etwa zwanzig Leute nach Italien. Trotz erheblicher Hindernisse wurde die Sizilienexpedition realisiert. Aber der »Nonno« und einige andere deutsche Freunde suchten in Rom vor der Abfahrt nach Sizilien das Weite und unternahmen einen längeren Ausflug in die Gefilde von Tausendundeiner Nacht. Vorläufig verloren wir uns aus den Augen.

Giuseppe de Siati, geschrieben im Sommer 1998

Veröffentlicht in Dieter Kunzelmann, Leisten Sie keinen Widerstand, Berlin 1998, S. 115-118


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