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Peter
Furth und Peter Novick: von Günter Langer Der Neoliberalismus und die Menschenrechte werden
heutzutage von vielen systemoppositionellen Gruppen, rechter wie
linker Provenienz, als Kampfbegriffe der herrschenden Klassen,
insbesondere der USA, betrachtet und sind so bei vielen Menschen in
Verdacht geraten, als Mittel für finstere Zwecke zu dienen. Der
Neoliberalismus wird mit der Globalisierung in eins gesetzt und die
Verteidigung der Menschenrechte als vorgeschobener Grund für
Interventionen in missliebige Länder identifiziert. Der eigentliche
Gehalt der so ins Abseits geratenen Begriffe, der Anti-Etatismus und
der Schutz des Individuums vor staatlicher und anderer Repression,
wird durch diese Stigmatisierung häufig gleich mit "aus dem
Bade" geworfen. Rechte wie linke systemoppositionelle Gruppen wandeln
gleichermaßen ihre Sicht auf den Kommunismus bzw. den Sozialismus. Während
viele linke Gruppen, insbesondere im autonomen und Antifa-Bereich, nur
noch ganz diffuse Vorstellungen von Gesellschaften jenseits des
Kapitalismus haben und sich mit den noch existierenden kommunistischen
Staaten nicht mehr identifizieren, ist für viele rechte Gruppen seit
der Wende der kommunistische Feind abhanden gekommen. Offen
diskutieren letztere in ihren Blättern die Notwendigkeit, den
Antikommunismus von einst durch den Antiimperialismus von heute, den
"Kampf gegen die Völkermordzentrale USA" (eine der
zentralen Losungen auf der NPD-Demo für Haider am 13.3.2000 durch
Berlin) zu ersetzen. Ihr alter Antikommunismus wird durch einen
modernen National-Sozialismus abgelöst. Halten wir fest: Die USA als Zentrale der Globalisierung
sind die Hauptnutznießer der Durchkapitalisierung der Welt, sie
benutzen die Menschenrechte zur Durchsetzung des Neoliberalismus, und
wo diese nicht ausreichen, wird mit militärischer Macht nachgeholfen.
Internationale Institutionen, wie UNO, NATO etc. sind nur willfährige
Instrumente, um die amerikanische Vormachtstellung in der Welt
aufrecht zu erhalten. Andere kapitalistische Staaten wie die BRD, GB,
Japan oder die ganze EU sind nur Marionetten in diesem bösartigen
Spiel. Mit einem Wort, die USA sind heute für viele links- und
rechtsradikale Gruppen gleichermaßen der "Hauptfeind der
Menschheit". Bei so vielen Gemeinsamkeiten verwundert es, dass sich
linke und rechte Vertreter dieser Theorien gegenseitig die Köpfe
einschlagen. Selbst in der Einschätzung des Staates verwischen sich
zunehmend die Unterschiede. In linken Zirkeln wird der Ruf nach
nationaler Abgrenzung gegenüber der Globalisierung immer lauter und
bei rechtsradikalen Demos treten neuerdings "nationale
Anarchisten" auf. Ein weiterer Faktor qualitativer
Gleichartigkeit liegt in ihrer Identitätspolitik, die rechts in Bezug
auf das "Volk" und links in Bezug auf "Frauen" (Feminismus)
und "selbstbestimmte Lebensformen" (Hausbesetzer, Schwule,
Lesben) formuliert wird. Nicht zufällig macht Alain Benoist,
Theoretiker der Nouvelle Droite, diesen Faktor zu einem Grundstein
seiner Überlegungen, denn ihm zufolge werden "Identitäts- und
Zugehörigkeitsfragen ... in den kommenden Jahrzehnten eine immer größere
Bedeutung erlangen" (in: Aufstand der Kulturen, zit.n.
Bahamas-Nr. 31, S. 7). Identitätspolitik beruht notwendigerweise auf
Abgrenzung. Wer sich aufs Volk bezieht, grenzt bestimmte Menschen aus,
seien es Einwanderer, Juden, andere Minderheiten oder schlicht Ausländer.
Identitäts- Bei so viel grundsätzlichen Übereinstimmungen zwischen
links und rechts dürfen aber die Unterschiede nicht übersehen werden,
der hauptsächlich in der verschiedenen Einschätzung des
Volksbegriffs liegt. Antifas und antirassistische Gruppen
stemmen sich aus uneigennützigen Motiven gegen das völkische Prinzip.
Dennoch wird aber auch hier ein massiver Vorwurf erhoben, der
insbesondere die Uneigennützigkeit der Antifas radikal in Frage stellt. Dem gängigen
deutschen Antifaschismus wird unterstellt, als Ersatzideologie für
den abhanden gekommenen Sozialismus zu fungieren (Peter Furth)
und in den USA wird ein ähnlicher Vorwurf erhoben, der sich auf die
Instrumentalisierung des Holocaust bezieht (Peter Novick).
Falls diese Argumente zuträfen, erschiene die Aufregung um die
Regierungsbeteiligung der FPÖ in Wien in einem völlig neuen Licht. Peter Furth bezieht sich in "Der
Antifaschismus als Nachlassproblem" (Heft 1/91 der Berliner
Debatte) hauptsächlich auf die DDR-Erfahrung, wobei zwei Phasen zu
unterscheiden sind. In der Abwehr des Nationalsozialismus konnten sich
die Kommunisten trotz ihrer "konstitutionellen Ähnlichkeit zum
Faschismus im Punkt des Gemeinschaftsradikalismus" mit den
anderen Demokraten in der Volksfront verbünden. Mit dem Sieg über
den faschistischen Feind entfiel praktisch die Basis für das
Volksfrontbündnis und damit für den Antifaschismus als kittendes
Band. Die Kommunisten hielten aber an ihm als Kampfbegriff fest, um
erstens den Bruch mit der Vergangenheit deutlich zu machen und
zweitens, um die eigene antikapitalistische Schwäche zu überwinden,
den Umbau der Gesellschaft in der DDR als
antifaschistisch-demokratische Revolution deklarieren zu können. Des
weiteren diente der Antifaschismus als "schützender cordon
sanitaire um den Kommunismus und hielt - zumindest in Deutschland -
den intellektuellen Antikommunismus auf Distanz". Der Marxismus-Leninismus als integrative Einheit von
Philosophie, sozialem Protest und politischer Ökonomie, der gewohnt
war, Geschichte zu
schreiben, war an seinen historischen Erfolg gebunden. Im Augenblick
seines Misserfolgs, blieb seinen Vertretern nichts anderes übrig,
als entweder gänzlich auf Geschichte zu verzichten oder auf
Ideologiegebäude zurückzugreifen, die bislang als überwunden galten:
Vom realen Sozialismus hin zum idealen, zum "wahren"
Sozialismus, von der wissenschaftlichen zur moralischen
Weltanschauung, von der Geschichtsphilosophie zur Ethik, der Gutmensch
betritt die Weltbühne. Furth vergleicht diesen Prozess der
Ideologieveränderung mit dem Dilemma der Christen, die irgendwann
erkennen mussten, dass ihr Heiland nicht wieder kam (Parusieverzögerung).
Die "Kritische
Theorie" sei angesichts des Stalinismus aus ähnlicher Motivlage
heraus entstanden. In Deutschland gewann der Antifaschismus unter
Intellektuellen eine besondere Funktion, er diente der Entlastung von
Schuld. Der Kommunismus wurde als entschiedenster Gegner des
Faschismus gesehen und so konnten Kommunismus und Antifaschismus eine
Allianz eingehen, bei der Selbstkritik zwangsläufig unter die Räder
kommen musste. Es wurde unterstellt, der Faschismus sei latent noch
vorhanden und um ihn niederhalten zu können, müssen die Faktoren,
die ihn erneut virulent werden lassen könnten, ständig bekämpft
werden. Trotz des Verlustes der Volksfront, die Kommunisten haben
sich ja überlebt, verschwindet ihr antifaschistischer Überbau
keineswegs, er nimmt nunmehr die Form einer selbständigen
Weltanschauung an. Er ist nicht mehr kommunistisch, sozialdemokratisch,
liberal etc. oder ökonomisch bzw. soziologisch begründet, sondern
nur noch moralisch. "Für diese Grundlage steht der Name
Auschwitz". Das Auschwitz-Verbrechen wird zum "Fundament
einer Weltanschauung". Um das absolut Böse für immer zu
verhindern, bedarf es des absolut Guten, der "reinen, unbedingten
Menschlichkeit". Aus dem bürgerlichen Citoyen wird der
moralische Citoyen, der universell ist, für den Moral und Politik
restlos zusammenfallen. Mit dieser Disposition unterwerfen sich die
"epigonalen Antifaschisten" aber einer moralisch-politischen
Zweiteilung der Gesellschaft: Die Schuldgefühle der einen sind die
Macht-Chancen der anderen. Eine ähnliche Debatte hat sich in den letzten Monaten
auch in den USA entfaltet. Mitte Januar d.J. stellte uns der
Tagesspiegel das neue Buch des Historikers an der University of
Chicago, Peter Novick, The Holocaust in American Life, vor. Der
Holocaust sei bei den amerikanischen Juden an die Stelle ihres
verlorenen Glaubens getreten, sei zu einer Ersatz-Religion mutiert,
ist seine zentrale These. Peter Novick, selbst Jude, ärgert
sich über die allseits akzeptierte Behauptung, der Holocaust sei
einzigartig, hierin einer Meinung mit Ismar Schorsch, Kanzler
des Jewish Theological Seminary in New York, der das Dogma von der
Einzigartigkeit des Holocaust "eine geschmacklose Version des
Auserwähltheitglaubens" nennt. Nun könnte man meinen, das Buch eines einzelnen sei weder
wichtig noch repräsentativ oder es handele sich um die Ergüsse eines
Querulanten, der nicht ernst genommen zu werden brauche. Dies ist
nicht der Fall. Die Thesen Peter Novicks werden in den USA
breit diskutiert. Selbst die von ihm heftig kritisierte Professorin
der Emory University, Deborah E. Lipstadt, die sich z.Zt.
gerade gegen eine Klage David Irvings in einem Londoner Gericht
verteidigen muss, stimmt Novick zu, dass er "nicht falsch"
liegt "bezüglich der Trivialisierung und des Missbrauchs des
Holocausts" ( "The holocaust in the Western mind: how
Americans think the unthinkable", in: The Boston Globe, 13. Juni
1999). Novick selbst führt u.a. folgende Missbräuche auf: die
US-Politik bezüglich Israels und Jugoslawiens, die Gleichsetzung der
Sowjetunion mit Nazi-Deutschland, die Behauptung, der Vergleich des
Holocaust mit anderen Verbrechen sei ein Sakrileg, die Heranziehung
des Holocaust in der Argumentation gegen Abtreibungen, bezüglich der
Todesstrafe, dem Recht auf Waffenbesitz, Geldsammeln für jüdische
Organisationen, oder in Bezug auf Tierrechte. Während aber Novick
es grundsätzlich ablehnt, aus dem Holocaust tagespolitische Schlüsse
zu ziehen, befürwortet Lipstadt dies in Fällen wie des
Kosovo-Krieges. Novick fragt, warum die 1 Million Toten in
Ruanda nicht genug waren, um einzugreifen. Dafür bedarf es keines Rückgriffs
auf den Holocaust. Polemisch fragt er, ob die Toten von Ruanda zu
wenig waren im Vergleich zum Holocaust, um als Argument zum Eingreifen
dienen zu können. Novick beschreibt die
Entstehungsgeschichte der Holocaust-Ideologie. Nach 1945 habe es
angesichts der Verbrechen ein Trauma gegeben, das dazu geführt habe,
die Diskussion über sie zu unterdrücken. In der zweiten Phase, in
der Phase des Kalten Krieges, galt es, die Sowjetunion zu dämonisieren
und den neuen Verbündeten, Deutschland, nicht zu verärgern. Die in
dieser Zeit hochgehaltene Totalitarismustheorie erwähnte den
Holocaust kaum und wenn doch, dann nur am Rande. Dies konnte auch der
Eichmann-Prozess im Jahre 1960 nicht ändern. Erst der 6-Tage-Krieg
1967 und der Krieg von 1973 ermöglichte es jüdischen Organisationen
in den USA, mit dem Hinweis auf den Holocaust, Geld zur Unterstützung
Israels zu sammeln. 1978 brachte den endgültigen Durchbruch, die
Fernsehserie "Holocaust" wurde von mehr als 100 Millionen
Zuschauern verfolgt. Von da an war der Holocaust "omnipräsent"
in Amerika. Der Funke war übergesprungen auf die Gesamtgesellschaft.
Nazi-Deutschlands Massenmorde seien in das "Kollektivbewusstsein"
eingedrungen. Kollektivbewusstsein sei aber im eigentlichen Sinne
nicht nur ahistorisch, sondern auch anti-historisch. Indem der
Holocaust aus der Geschichte "herausgenommen" wird,
argumentiert er, erhält er im Denken und in der Erfahrung der
Amerikaner eine unmittelbare Relevanz für sie selbst im Gegensatz zur
Bedeutung, die er in der europäischen Vergangenheit hatte. Er wird
"einzigartig", "unvergleichbar", "heilig".
Deborah E. Lipstadt wurde, wie oben erwähnt,
nicht nur von Novick kritisiert, sondern sie wurde von David
Irving verklagt, weil sie ihn seiner Meinung nach fälschlich als
Holocaust-Leugner diffamiert habe. Der Prozess findet derzeit in
London statt und er hat massive internationale Aufmerksamkeit auf sich
gezogen. Irvings Anliegen ist ein völlig anderes als das von Novick.
Irving versucht, die Nazis in einem besseren Licht darzustellen,
als es gemeinhin geschieht, Novick will hingegen die Geschichte
von ihrem Missbrauch befreien, den auch Irving auf seine Weise
betreibt (vgl. The Holocaust on Trial, The Atlantic Monthly, February
2000). Furths Philippika gegen den Antifaschismus und Novicks
Kritik an der Ausbeutung des Holocaust für ideologische und
politische Zwecke haben einen gemeinsamen Nenner, Auschwitz. Sie
kritisieren beide eine ähnliche Reaktion in ihren jeweiligen Ländern.
Darin liegt aber auch ihr Unterschied. Furth kritisiert die Täternation,
Novick eine Opfergruppe und deren Einfluss auf eine
Siegernation. Furth stützt die Totalitarismustheorie, Novick
kritisiert sie. Dies weist darauf hin, dass es Furth um die
Relativierung der nazi-deutschen Verbrechen geht, während Novick
auf Differenzierung pocht. Der eine sagt, die Verbrechen der
Kommunisten seien genauso schlimm wie die Verbrechen der Nazis, der
andere sagt, jedes Verbrechen ist für sich einzigartig und
verwerflich. Der Totalitarist ebnet die Besonderheiten ein, der Anti-Totalitarist
hebt sie hervor. Weiterhin unterscheidet die beiden, dass Novick
bei der Herleitung der neuen Ideologie auf Rekurse zur Volksfront und
des damit zusammenhängenden Antifaschismus völlig verzichtet. Jörg Haider ist wie Furth jemand, der
Besonderheiten einzuebnen sucht. Verbrechen habe es überall gegeben,
das sei natürlich alles ganz schlimm gewesen, aber der
Nationalsozialismus habe auch positive Elemente enthalten. Er
argumentiert diesbezüglich nicht anders als hier zu Lande Horst
Mahler. Bundeskanzler Schröder und in seinem Gefolge die
linke bis liberale Öffentlichkeit in Deutschland bzw. auch die in Österreich
nutzen eher die von Novick beschriebene Variante einer
Holocaust-Ideologie. Inhaltlich können sie der neuen österreichischen
ÖVP/FPÖ-Regierung nichts vorwerfen, was nicht auch in Deutschland
oder in anderen europäischen Demokratien übliche Politik ist,
insonderheit die ausgrenzende Behandlung von sogenannten Ausländern.
Weder das neue Regierungsprogramm, noch das Parteiprogramm der FPÖ
geben irgendetwas her, was den
Faschismus- oder gar den Nationalsozialismusverdacht erhärten könnte.
Einzig bestimmte Reden Haiders oder seiner Parteigänger geben
Hinweise auf braune Flecken in seinem Denken bzw. in der Politik der
FPÖ. Der Wiener Revolutionsbräuhof stellte "1938 Gründe
gegen Haider" zusammen, nicht einer davon betraf eine wirkliche
politische Handlung. Die Redezitate, die dort versammelt sind,
beweisen zweifellos völkisches Denken, z.T. offener ausgesprochen,
als wir das von Stoiber, Schily, Koch etc. gewohnt sind. Die
linksradikale, antideutsche Publikation "Bahamas" fasst
das so zusammen: "In den Anliegen und Zielen sind also
Unterschiede zwischen Haider und den europäischen Verfassungsschützern"
(gemeint sind alle bürgerlichen Anti-Haider-Demokraten) "nicht
auszumachen. Wohl aber in den Formen" (Bahamas Nr. 31, S. 15). Ähnlich
sehen das linksradikale, kommunistische Gruppen in Österreich selbst:
"Die Sozialdemokratie ist nicht weniger gefährlich als der
Rechtspopulismus Haiders" (Überschrift zur "Erklärung der
Revolutionären Kommunistischen Liga"). Paul Spiegel, Präsident des Zentralrates
der Juden, sieht in einem Interview mit der Berliner Zeitung am
3.3.2000 die Demokratie durch Haider in Gefahr. Er glaubt, "dass
die Geschehnisse in Österreich die Demokratie bedrohen. Es ist das
erste Mal", fährt er fort, "dass in einem westeuropäischen
Staat eine rechte Partei an der Regierung ist". Die
faschistischen Diktaturen in Griechenland, Spanien und Portugal waren
für ihn demnach nicht "rechts", ebenso wenig wie der MSI,
der unter Berlusconi Kabinettsposten in Rom erhielt oder der
Postfrancist Aznar in Spanien, der gerade so glänzend die
Wahlen gewonnen hat. Es macht auch nichts, dass Haider sich bislang
nicht antisemitisch geäußert habe: "Haider ist viel zu klug, um
sich jetzt antisemitisch zu äußern". Da er sich aber "gegen
Ausländer gewandt habe", müsse trotzdem mit Schröder
gesagt werden: "Wehret den Anfängen". Es ist eigenartig, keiner der linken oder auch der bürgerlichen
Haider-Kritiker versucht, die Bedingungen für das Entstehen des alten
und des vermeintlich neuen Faschismus zu benennen. Weder findet ein
Vergleich einer ökonomischen Analyse statt, noch werden auf der
politischen Ebene die für das Aufkommen von Faschismus notwendigen
gesellschaftlichen Elemente herausgearbeitet. Überhaupt wird nicht
auf eine wenigstens halbwegs akzeptierte Definition des Faschismus
rekurriert. Der Verdacht kommt auf, eine solche Debatte ist nirgendwo
erwünscht. Zu viele Leichen im Keller würden dadurch ans Tageslicht
gebracht, zu viele vermeintliche Gewissheiten in Frage gestellt.
Selbst die oben beschriebene Annäherung von links und rechts könnte
nicht länger vertuscht werden. Cui bono, wem nützt also die ganze Aufregung um
Haider? Wenn Chirac sich gegen Haider wendet, hat er mit
Sicherheit nicht nur Österreich im Blick, sondern sieht wie Paul
Springer die Gefahr, dass der Haider-Virus auch auf Deutschland überspringen
könnte. Schröder sieht sich solidarisch mit seiner Wiener
Schwesterpartei und sieht die Chance, die Christ- und Volksdemokraten
in die ideologische Defensive zu bringen. Hierzu ist er angesichts der
rassistischen Ausländerkampagne der CDU im letzten Hessen-Wahlkampf
auch nur zu berechtigt. Außerdem stand er bis zum Ausbruch des Kohl-Skandals
politisch und argumentativ mit dem Rücken zur Wand. Die Linken können
sich mit ihren jahrelangen Warnungen vor der rechten Gefahr endlich
gesamtgesellschaftlich bestätigt sehen. So werden nicht nur die
friedfertigen im eigenen Selbstverständnis linksradikalen AA/B-Demonstranten
gelobt, sondern sogar die (Steine werfenden) Autonomen während der
NPD-Demo in der anschließenden Berliner Abendschau. Die autonome Interim
wiederum sieht sich gegen Haider sogar solidarisch mit dem "ehemaligen
Straßenkämpfergenossen" Joschka Fischer. Wie der Gruppe um die Zeitschrift Bahamas,
kommt der Redaktion "Aufbrechen" diese Gemeinsamkeit
von Linksradikalen und bürgerlichen Demokraten ebenfalls nicht
geheuer vor (Flugblatt: "Antifa im Haider-Wahn. Joseph Fischers
Praktikanten bei der Arbeit").
Während Bahamas die gleichen Inhalte bei demokratischen
Bürgern und den Haideranern sieht, die linken AA/B-Antifaschisten
und die Interim dort
mit einbeziehend, und sie nur Unterschiede in den Formen attestiert,
diese aber in ihrer qualitativen Bedeutung völlig verkennt, werden
sie von den "Aufbrechern" selbst diesem Verdikt
unterworfen. Die "Aufbrecher" haben wie Furth erkannt,
dass Antifaschismus eine Ideologie ist, nur, sagen sie, diene diese
Ideologie den Demokraten zur kapitalistischen Herrschaftssicherung. Furth
hingegen behauptete, der Antifaschismus sei eine Methode, fellow
travellers im kommunistischen Sinne zu erzeugen und sie bei der Stange
zu halten, er sei freiheitsfeindlich. Was dem autonomen und
linksradikalen Mainstream der "Menschenrechtskurs" der
Herrschenden im Hinblick auf Kriegsinterventionen, ist den sich auf Bordiga
beziehenden linkskommunistischen "Aufbrechern" der
Antifaschismus, er spiele "die Rolle des ideologischen
Instrumentes zur Durchsetzung der 'demokratischen' Aggressionspolitik".
Was die "Aufbrecher" nicht
beantworten können, ist , weshalb sich die "demokratische Aggressionspolitik" ausgerechnet gegen Haider
richtet, der im Wesentlichen dasselbe Ziel verfolgt, wie
beispielsweise sein Vorbild Tony Blair. Beide wenden sich gegen die
Politisierung der Ökonomie, beide sind für das Zurückdrängen des
staatlichen Interventionismus in die Wirtschaft, beide propagieren die
Privatisierung von Unternehmen, die sich noch unter staatlicher Regie
befinden, sie sind gegen die Beschränkung der Konkurrenz, sie treten
beide für die volle Entfaltung der Individuen ein, ganz gleich welche
Privilegien sie dabei genießen, sie wollen weder den Unterschied von
Gesellschaft und Staat, noch den zwischen Gesellschaft und Individuum
aufheben (alles Kriterien, die H. Marcuse in "Über soziale und
politische Aspekte des Nationalsozialismus" für charakteristisch
für den Nationalsozialismus hervorgehoben hat). Beide treten für
eine sozial orientierte Abfederung der voranzutreibenden
Liberalisierung ein. Die einzige Erklärung, die die "Aufbrecher"
für die massive Kritik an Haider und seine Isolierung anführen ist,
dass die ganze Aktion dazu diene, "die hegemonialen Ansprüche...des
deutschen Imperialismus...bei der innenpolitischen Vereinigung der EU
deutlich zu machen". Wie oben schon angedeutet, die Antwort ist vermutlich
dort zu finden, wo weder Furth sie geben würde, noch wo "Bahamas"
oder die "Aufbrecher" sie suchen. Es ist das nach wie
vor verdrängte Erbe Deutschlands, die Tabuisierung der
gesellschaftlichen Grundlagen des Nationalsozialismus, die Kontinuität
der Klassenherrschaft, die Gründe für die Kollaboration weiter
Schichten der Bevölkerung mit einer unmenschlichen Herrschaft, die
diskutiert werden müssten, wenn jenseits von Dämonisierungen die
Bewegungsgesetze gefunden werden sollen, die in die Katastrophe geführt
hatten. Philipp Jenninger hat in naiver Weise an diesem Tabu
gerührt, als er 1988 von dem "Faszinosum" des Hitlerschen
"Triumphzugs" sprach. "Die Fehlleistung besteht einfach
darin, dass sonst Abgedrängtes zum Vorschein gekommen ist",
urteilte über Jenningers Rede der Psychoanalytiker Paul Parin
(taz vom 12.11.1988, S.3). Und "es ist doch so", fuhr Parin
fort, "dass bei vielen Deutschen eine konservative oder auch bloß
bürgerliche Ideologie die Ideale, Stereotypen oder auch bloß
Vorurteile der Hitler-Zeit nie wirklich aufgegeben, sondern bloß
modifiziert hat". Jenningers Kernsätze, das Tabu: "Statt
Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit herrschten (in den 30igern)
Optimismus und Selbstvertrauen...Führte Hitler die Deutschen nicht
herrlichen Zeiten entgegen? War er nicht wirklich von der Vorsehung
auserwählt? ... Die meisten Deutschen
- und zwar aus allen Schichten: aus dem Bürgertum wie aus der
Arbeiterschaft - dürften
1938 überzeugt gewesen sein, in Hitler den größten Staatsmann
unserer Geschichte erblicken zu sollen..." In Hitler fanden u.a.
"die Obsessionen eines sexuell gestörten ein Ventil", im
"Hass auf die Juden". Für die Nachkriegszeit beklagt er die
"Verdrängungsprozesse", "die Abwehr von Trauer und
Schuld, den Widerwillen gegen eine schonungslose Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit". Was Jenningers Rücktritt verursachte, brachte Haider
nach oben. Sein permanenter Tabubruch, den er nicht lernen musste, war
er ihm doch familiär zugewachsen, den er aber immer artig wieder zurück
nahm, brachte ihm die Aufmerksamkeit der Medien, machte ihn berühmt,
verwandelte ihn zum Robin Hood des österreichischen Spießertums, das
ja auch schon den "Anschluss" seinerzeit bejubelt hatte. Er
gewann so die öffentliche Möglichkeit, gegen die "Filzokratie",
den "Proporz" zu Felde zu ziehen. Sein Handicap ist, dass
derselbe Mechanismus, der ihn hoch brachte,
ihn in Konflikt mit dem Selbstverständnis Europas als
Gemeinschaft demokratischer, aus dem Kampf gegen den
Nationalsozialismus hervorgegangener Staaten und Institutionen,
bringen musste. Der demokratische, antifaschistische Konsens verträgt
keinen Tabubruch, die Decke ist zu dünn, der schwer zu
kontrollierende Rassismus ist dafür ein deutliches Zeichen, obwohl
der moderne Kapitalismus in seiner globalisierten Form
universalistisch orientiert ist, rassistische Beschränkungen sind
heute eher geschäftsschädigend. Wenn Haider seine neoliberale
Propaganda ernst nimmt, wird er in diesem Punkt unweigerlich in
Widerspruch zu seiner Wahlklientel geraten. Jenninger musste zurücktreten, Haider sich nach Kärnten
zurückziehen. Ist das also sein Ende?
Jenninger wurde von seinen eigenen Leuten fallengelassen, weil
er ihnen peinlich war, Haider wird von seinen Leuten weiterhin gestützt
und wird neue Wege finden, seinen Kurs fortzusetzen. Der "epigonale
Antifaschismus" wird ihn daran nicht hindern können, er greift
zu kurz. |