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SDS-Geschichte: Dutschkes Deutschland, die Stasi und das Verhältnis zur DDR

von U.H., Berliner Stimme, 12.11.2011

War die 68er-Bewegung von der DDS ferngesteuert? Wie viel Einfluss hatte die Stasi auf die Linke in West-Berlin und in Westdeutschland? War der SDS williger Gehilfe der DDR-Führung? Im Klartext-Verlag ist jetzt ein Buch erschienen, das diese Fragen aus der internen Kenntnis und Beobachtung heraus und mit zahlreichen Quellen belegt beantwortet.

Die Autoren Tilman Fichter und Siegward Lönnendonker haben mit der ,,Kleinen Geschichte des SDS" 1979 im rotbuch-Verlag einen Oberblick zur Entwicklung des SPD-nahen Studentenbundes vorgelegt, der - mehrere überarbeitete Auflagen später - noch immer ein Standardwerk darstellt. In verschiedenen Zeitungsartikeln hat Hubertus Knabe, Leiter der Gedenkstätte Hohenschönhausen, seinen Leserinnen und Lesern indes seit 1997 nahegelegt, dass diese Geschichte neu geschrieben werden müsste: Von der Anwerbung von Stasi-Informanten in SDS-Bundesvorständen schloss er auf eine erfolgreiche Einflussnahme der Stasi auf den SDS insgesamt.

Fichter und Lönnendonker verfassten 2009 eine Erwiderung auf einen entsprechenden Artikel Knabes in der FAZ. Doch dort lehnte man den Abdruck ab. So wuchs die Erwiderung zu einer rund 100 Seiten umfassenden Streitschrift an, die - ergänzt durch fast 200 Seiten Dokumente - in diesem Sommer als Buch erschien. Belegt wird, was die beiden Autoren bereits in der Einleitung formulieren: ,,Letztlich scheiterten unseres Erachtens spätestens seit 1961 alle Versuche der DDR-Staatssicherheit, den SDS aus der Normannenstraße in Berlin-Lichtenberg fernzusteuern am intellektuellen Selbstbewusstsein dieses linkssozialistischen Vortrupps eines westlichen Marxismus." Und sie ergänzen genüsslich: ,,Das trifft übrigens auch auf die Versuche des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu, denn drei der vier Stasi-Spitzel waren Doppelagenten."

Eine erfolgreiche Einflussnahme der Stasi müsste sich im Umgang des SDS mit der DDR niederschlagen. Das Buch ist daher in weiten Teilen eine Analyse der Positionen des SDS zur Deutschlandpolitik, es stellt die kritische Haltung zur DDR- namentlich die von Rudi Dutschke - in den Mittelpunkt. Und die Autoren wollen damit auch ganz bewusst die Unterschiede im Umgang mit der deutschen Frage innerhalb der bundesdeutschen Linken deutlich machen: Einerseits der antiautoritär geprägte SDS, andererseits die aus dem protestantischen Raum kommende Friedensbewegung sowie die ,,Status-Quo-SPD der Enkel" bzw. die Grünen. Vor allem letztere seien von der deutschen Wiedervereinigung überrascht worden, so die Autoren.

Fichter und Lönnendonker erinnern an den Kampf der SPD und des SDS gegen die deutsche Zweistaatlichkeit in den fünfziger Jahren. So war etwa der Kampf gegen die Bundeswehr weniger von pazifistischen Motiven geprägt als von der Erkenntnis, dass die Existenz zweier deutscher Armeen die deutsche Teilung weiter verfestigen werde.

Kurt Schumachers SPD grenzte sich entschieden von einem Sozialismus ohne Freiheit wie in der DDR ab, sie suchte aber ebenso entschieden Deutschlands Unabhängigkeit von den Großmächten zu bewahren und hatte die Wiedervereinigung im Blick. Adenauer setzte dem mit der er-folgreichen Westintegration ein Ende. Die Blöcke standen sich an der deutsch-deutschen Grenze gegenüber. Und die SPD musste sich neu orientieren.

Rudi Dutschke war in der DDR aufgewachsen, er hatte den Arbeiteraufstand in der DDR erlebt, er engagierte sich in der Jungen Gemeinde. Erfahrungen, die er mit in den Westen brachte. Von ideologischen Gemeinsamkeiten mit den ,,Staatssozialisten der DDR" konnte keine Rede sein. Das galt auch für eine Mehrheit des SDS. Übrigens auch aus einem anderen Verständnis von Wissenschaft heraus als dem in der DDR gepflegten: SDS-Sprecher traten entschieden für deren Unabhängigkeit von Parteien ein.

Etliche Originaldokumente mit Artikeln von Dutschke oder Reden von SDS-Vorstandsmitgliedern, Texte, die im Langen Marsch oder in der Zeitschrift konkret erschienen sind, belegen die Differenzen. Selbstbestimmung und Identitätsfindung sind für Dutschke auch mit dem Begriff der Nation verbunden, ein Begriff, der in der Arbeiterbewegung zunächst weitgehend mit dem bürgerlich-konservativen Lager verbunden wurde, später durch den Nationalsozialismus diskreditiert war.

Fichter, von 1963 bis 1970 Mitglied im SDS und zeitweise dessen Berliner Landes-vorsitzender, hatte bereits 1993 das Buch ,,Die SPD und die Nation" veröffentlicht. Darin setzte er sich mit der im Laufe der Nachkriegszeit veränderten Bedeutung der nationalen Einheit für die SPD auseinander.

Im Bemühen, aus der Konfrontation der Blöcke herauszufinden und über Gesprächskontakte und menschliche Erleichterungen zunächst ein Nebeneinander und später ein Miteinander zu organisieren, geriet das Ziel der Einheit zumindest in Teilen der bundesdeutschen Linken aus dem Blick. So attestieren Fichter und Lönnendonker ,,großen Teilen der westdeutschen in und jenseits der SPD" angesichts der Implosion der DDR ,,deutschlandpolitische Verwirrung".

Spannend nachzulesen ist in diesem Zusammenhang der Auszug aus einer Diskussion, die in der Reihe ,,Berliner Dialog" zum 30jährigen Bestehen der DDR u.a. von Peter Glotz, Egon Bahr, Tilman Fichter und Rudi Dutschke geführt wurde. Bahr beschreibt darin den evolutionären Weg der Sozialdemokratie, die Bewahrung des Friedens in Mitteleuropa und die Grenzen, die er der Politik gesetzt sieht. Dutschke stellt den Status quo in Frage.

Das Buch, vor allem die zusammengestellten Dokumente, tragt viel zum besseren Verständnis der Haltung der SDS bei, dessen Protagonisten schließlich sehr unterschiedliche Wege gegangen sind - sei es mit der Gründung maoistischer Zirkel, sei es bei einigen heute die Unterstützung rechtsextremen Gedankenguts.

Klar wird aber letztlich auch, dass Studentenbewegung, Republikanischer Club und SDS zwar das Interesse der Stasi geweckt haben, dass aber die Ideen und Diskussionen wenig mit den Vorstellungen der DDR-Führung gemein hatten, eine echte Beeinflussung nicht wirklich nachweisbar ist.

Dutschkes früher Tod hat mit dazu beigetragen, dass die Auseinandersetzung in der Linken über den Umgang mit den zwei deutschen Staaten und damit auch über Fragen des Friedens, der Freiheit, der Selbstbestimmung und nationalen Identität abgerissen ist. Innerhalb eines derzeit von Krisen erschütterten Europa konnten diese Fragen auch für die Linke wieder aktuell werden und Antworten verlangen.