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Keine Fernsteuerung
SDS-Geschichte: Dutschkes Deutschland, die Stasi und das Verhältnis
zur DDR
War die 68er-Bewegung von der DDS
ferngesteuert? Wie
viel Einfluss hatte die Stasi auf die Linke in West-Berlin
und in
Westdeutschland? War der SDS williger Gehilfe der DDR-Führung? Im
Klartext-Verlag ist jetzt ein
Buch erschienen, das diese Fragen aus der internen Kenntnis und Beobachtung heraus und mit
zahlreichen Quellen belegt
beantwortet.
Die Autoren Tilman Fichter
und Siegward Lönnendonker haben mit
der ,,Kleinen Geschichte des SDS" 1979 im rotbuch-Verlag einen Oberblick zur Entwicklung
des SPD-nahen Studentenbundes vorgelegt, der - mehrere überarbeitete Auflagen
später - noch immer ein Standardwerk darstellt. In verschiedenen Zeitungsartikeln
hat Hubertus Knabe, Leiter
der Gedenkstätte Hohenschönhausen, seinen Leserinnen
und Lesern indes seit 1997 nahegelegt, dass
diese Geschichte neu geschrieben werden
müsste: Von der Anwerbung von
Stasi-Informanten in SDS-Bundesvorständen
schloss er auf eine erfolgreiche Einflussnahme der Stasi auf den SDS insgesamt.
Fichter und Lönnendonker verfassten
2009 eine Erwiderung auf einen entsprechenden Artikel Knabes in der FAZ. Doch
dort lehnte man den Abdruck ab. So wuchs
die Erwiderung zu einer rund 100 Seiten
umfassenden Streitschrift an, die - ergänzt
durch fast 200 Seiten Dokumente - in diesem
Sommer als Buch erschien. Belegt
wird, was die beiden Autoren bereits in der
Einleitung formulieren: ,,Letztlich
scheiterten unseres Erachtens
spätestens seit 1961 alle
Versuche der DDR-Staatssicherheit,
den SDS aus der Normannenstraße in
Berlin-Lichtenberg
fernzusteuern am intellektuellen
Selbstbewusstsein dieses linkssozialistischen
Vortrupps eines westlichen
Marxismus." Und sie ergänzen genüsslich:
,,Das trifft übrigens auch auf die
Versuche des Bundesamtes für
Verfassungsschutz zu, denn
drei der vier Stasi-Spitzel waren
Doppelagenten."
Eine erfolgreiche Einflussnahme der Stasi müsste sich im Umgang des SDS mit der
DDR niederschlagen. Das Buch ist daher in
weiten Teilen eine Analyse
der
Positionen
des SDS zur Deutschlandpolitik, es stellt die
kritische Haltung zur DDR- namentlich
die von Rudi Dutschke - in den
Mittelpunkt. Und die Autoren wollen damit auch ganz
bewusst die Unterschiede im Umgang
mit der deutschen Frage
innerhalb der bundesdeutschen
Linken deutlich machen: Einerseits der antiautoritär geprägte SDS, andererseits
die aus dem protestantischen
Raum kommende Friedensbewegung sowie
die ,,Status-Quo-SPD der Enkel" bzw.
die Grünen. Vor allem letztere seien
von der deutschen
Wiedervereinigung überrascht
worden, so die Autoren.
Fichter und Lönnendonker erinnern an
den Kampf der SPD und des SDS gegen die
deutsche Zweistaatlichkeit in den fünfziger Jahren. So war etwa der Kampf gegen
die Bundeswehr weniger von pazifistischen Motiven geprägt als von
der Erkenntnis, dass die Existenz
zweier deutscher Armeen die
deutsche Teilung weiter
verfestigen werde.
Kurt Schumachers SPD grenzte sich entschieden von einem Sozialismus ohne Freiheit wie in der DDR ab, sie suchte aber
ebenso entschieden Deutschlands Unabhängigkeit von den Großmächten zu bewahren und hatte die
Wiedervereinigung im Blick.
Adenauer setzte dem mit der er-folgreichen
Westintegration ein Ende. Die
Blöcke standen sich an der
deutsch-deutschen Grenze
gegenüber. Und die SPD musste
sich neu orientieren.
Rudi Dutschke war in der DDR aufgewachsen, er hatte den Arbeiteraufstand in der
DDR erlebt, er engagierte sich in der
Jungen Gemeinde. Erfahrungen, die er mit in den Westen brachte. Von
ideologischen
Gemeinsamkeiten mit den ,,Staatssozialisten
der DDR" konnte keine Rede sein. Das
galt auch für eine Mehrheit des SDS. Übrigens auch aus einem anderen Verständnis
von Wissenschaft heraus als dem in der
DDR gepflegten: SDS-Sprecher traten entschieden für deren Unabhängigkeit von
Parteien ein.
Etliche Originaldokumente mit Artikeln
von Dutschke oder Reden von SDS-Vorstandsmitgliedern, Texte, die im Langen
Marsch oder in der Zeitschrift konkret erschienen sind, belegen die Differenzen.
Selbstbestimmung und Identitätsfindung
sind für Dutschke auch mit dem Begriff der
Nation verbunden, ein Begriff, der in der
Arbeiterbewegung zunächst weitgehend mit dem
bürgerlich-konservativen Lager
verbunden wurde, später durch den Nationalsozialismus
diskreditiert war.
Fichter, von 1963 bis 1970 Mitglied im
SDS und zeitweise dessen Berliner Landes-vorsitzender, hatte bereits 1993 das Buch
,,Die SPD und die Nation" veröffentlicht.
Darin setzte er sich mit der im Laufe der
Nachkriegszeit veränderten Bedeutung der
nationalen Einheit für die SPD auseinander.
Im Bemühen, aus der Konfrontation der
Blöcke herauszufinden und über Gesprächskontakte und menschliche Erleichterungen zunächst ein Nebeneinander und
später ein Miteinander zu organisieren, geriet das Ziel der Einheit zumindest in Teilen
der bundesdeutschen Linken aus dem
Blick. So attestieren Fichter und Lönnendonker ,,großen Teilen der westdeutschen
in und jenseits der SPD" angesichts der Implosion der DDR ,,deutschlandpolitische
Verwirrung".
Spannend nachzulesen ist in diesem Zusammenhang der Auszug aus einer Diskussion, die in der Reihe ,,Berliner Dialog"
zum 30jährigen Bestehen der DDR u.a. von Peter Glotz, Egon Bahr, Tilman
Fichter und
Rudi Dutschke geführt wurde. Bahr beschreibt darin den evolutionären Weg der
Sozialdemokratie, die Bewahrung des Friedens in Mitteleuropa und die Grenzen, die er der Politik gesetzt sieht.
Dutschke stellt den Status
quo in Frage.
Das Buch, vor allem die zusammengestellten
Dokumente, tragt viel zum besseren
Verständnis der Haltung der SDS bei,
dessen Protagonisten schließlich sehr unterschiedliche Wege gegangen sind - sei es
mit der Gründung maoistischer Zirkel, sei
es bei einigen heute die Unterstützung
rechtsextremen Gedankenguts.
Klar wird aber letztlich auch, dass Studentenbewegung, Republikanischer Club
und SDS zwar das Interesse der Stasi geweckt haben, dass aber die Ideen und Diskussionen wenig mit den Vorstellungen
der DDR-Führung gemein hatten, eine echte Beeinflussung nicht wirklich nachweisbar ist.
Dutschkes früher Tod hat mit dazu beigetragen, dass die
Auseinandersetzung in der
Linken über den Umgang mit den zwei deutschen Staaten und damit
auch über Fragen des Friedens, der
Freiheit, der Selbstbestimmung und nationalen Identität abgerissen ist. Innerhalb eines derzeit
von Krisen erschütterten Europa
konnten diese Fragen auch für
die Linke wieder aktuell
werden und Antworten verlangen.
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