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Zur These vom
Niedergang des USA-Imperiums und seiner Weltordnung.
1.
Problemformulierung Im Vorschein des Endes der Sowjetunion und im Zusammenhang mit der Attacke auf das World Trade Center und das Pentagon am 11. September 2001 durch arabische Rebellen wurde eine politische und wissenschaftliche Debatte, insbesondere in den USA, losgetreten, die sich um das historische und zeitgenössische Thema „Imperium“ oder „Empire“ drehte. Diskutiert wurde über eine angemessene Definition, die Struktur und die Geschichte dieser gesellschaftlich-politischen und kulturell-ideologischen Entität. Gestritten wurde auch darüber, inwieweit die Vereinigten Staaten von Amerika mit dem Ausdruck „Empire“ zu belegen sei, ohne dass dadurch eine pejorative, kritische Konnotation mitgegeben sei. Die Debatte vermittelte dem politischen Beobachter – so schreibt der Historiker der Stern School of Business der New York University, Niall Ferguson [1] - den Eindruck, als ob eine nicht unbeträchtliche Zahl von Diskussionsteilnehmern an der „Idee eines amerikanischen Empire Geschmack gefunden“ habe. Die Imperiumsdebatte interessierte sich nicht nur für die bekannten klassischen Imperien des alten China und Roms, des mongolischen und russischen Großreiches, des portugiesischen, spanischen oder britischen Weltreiches, deren „Logik der Weltherrschaft“(Untertitel) Herfried Münkler[2] faktenreich und scharfsinnig analysiert hat. Vor allem aber betraf sie die Frage nach der geschichtlichen Genese des Imperium Americanum und der durch die USA gesetzten Weltordnung. Im Hinblick auf das USA-Imperium hat die Forschung – wie bei anderen hegemonialen Entitäten - einerseits Interesse an seiner Konstituierung, an der Aufstiegsgeschichte dieses globalen Reiches gezeigt und seine Entfaltung bis zur vollen Blüte analisiert. Der Fokus unserer Rede richtet sich aber insbesondere andererseits auf die heiß umstrittene „These vom Niedergang der USA und der durch sie begründeten Weltordnung“. Meine Aufgabe wird es hier sein, die Niedergangsthese - gegenüber einer Phalanx von Ideologen US-Amerikanischer globaler Hegemonie, von denen an dieser Stelle nur wenige präsentiert werden können - mit guten Gründen zu verteidigen. Zunächst werden wir Vertreter der Gegenpartei, die prinzipiell einen relativen „decline“, “fall“ oder Abstieg des „American empire“ nicht in Abrede stellen und praktisch seine Vergänglichkeit ungleich alles Irdischen bestreiten, zu Worte kommen lassen; danach diskutieren wir die politischen und theoretischen Positionen der Befürworter der Niedergangsthese. Aus dieser Diskussion versuchen wird der Kriterien für den imperialen Niedergang von Macht zu gewinnen, um an Hand von militärischen, ökonomischen, kulturellideologischen Tatsachen und von begrifflichen Konzepten, z.B. der Theorie hegemonialer Zyklen[3] den Abgesang der USA wahrscheinlich erscheinen zu lassen.
2. Ablehnung der
Niedergangsthese Als besonders emphatischer Gegner der Niedergangsthese hat sich der Herausgeber und (gemeinsam mit Francis Fukuyama und Zbigniew Brzezinski) Mitherausgeber der Zeitschrift „American Interest“, Josef Joffe, profiliert. In seinem Artikel „Der Kassandra-Komplex“[4] nennt er die „Propheten des amerikanischen Niedergangs“, die sich „noch immer geirrt“ hätten, „notorische Schwarzmaler“. Ihr „Wunschdenken“, das sich als „nüchterne Analyse“ gebärde, produziere bloße „Worthülsen“, „Projektionen und Fantasien“, „Alptraumszenarien“ oder „Prognosen von bodenloser Dummheit“. Die globale „Realität“ der politischen Verfasstheit der USA ihrerseits nimmt sich nach J. Joffe ganz anders aus, wie er auch in seinem Buch „Die Hypermacht. Warum die USA die Welt beherrschen“. München/Wien aus dem Jahre 2006 sich bemüht, nachzuweisen. In „jeder relevanten Machtkategorie“ – ob „ökonomisch, militärisch, diplomatisch und kulturell“- nimmt das imperium Americanum – so will J. Joffe[5] Glauben machen - den „Spitzenplatz“ ein; und das trotz der seit der großen Depression schwersten Weltfinanzkrise von 2008 und der beiden Kriege, die das US-Imperium in Afghanistan und Irak führe. US-„Amerikas Macht in der Welt“ sei zweifellos die „Nummer eins“, und „wer oder was“, fragt Joffe rhetorisch, „könnte“ es „vom Throne stoßen“? Die These vom drohenden wirtschaftlichen Niedergang der USA konfrontiert Joffe nun mit deren Bruttoinlandsprodukt aus dem Jahre 2009 in Höhe von 14,3 Billionen Dollar. Das sind 2,8 mal soviel wie die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, Japan; aber rund 1,7 Billionen weniger als das BIP der Volkswirtschaften von Japan, China, Deutschland und Frankreich zusammen. Wenngleich keine andere Nation, ob Groß- oder mittlere Macht für sich, an das BIP der USA heranreicht, so lässt sich auch nicht für Joffe übersehen, dass die Europäische Union mit ihrem Bruttoinlandsprodukt von rund 16,4 Billionen Dollar mittlerweile das der USA um rund 2,2 Billion Dollar übertroffen hat. Nun stellt aber Joffe zufolge die Europäische Union keinen wirklich ernstzunehmenden „strategischen Mitspieler“ und Konkurrenten in der globalen Schacharena dar. Dabei verkennt er die weltpolitischen Realitäten und harten unbarmherzigen Fakten der Ökonomie; kurz er überschätzt als rechtgläubiger Neoliberaler das US-Imperium als unübertroffene „Hypermacht“. Inzwischen hat sich aber bereits ein weiterer ernsthafter „Rivale“, die Volksrepublik China, positioniert, um die USWirtschaft herauszufordern und aufgrund ihrer hohen jährlichen BIPZuwachsrate (durchschnittlich fast 10% in den letzten 20 Jahren; im Jahre 2009 rd. 9%) – wie die eigene ökonomische Expertise[6] der CIA und der anderen Geheimdienste der USA prognostiziert) die Ökonomie des US-Amerikanischen Empires nach ca. zwei bis drei Dekaden zu überholen. Nun sollen nach Joffe auch die Angaben über das Bruttoinlandprodukt pro Kopf der USA ihre führende globale Position beweisen. Dabei ist Joffe zweifelsohne im Recht, wenn er behauptet die USA mit ihren 46.000 Dollar pro Einwohner liege zwar eindeutig vor Frankreich (42.000 Dollar), Deutschland (41.000 Dollar), Japan (40.000 Dollar), Russland (9.000 Dollar), China (4.000 Dollar). Allerdings dieses ranking weist mitnichten die unangegriffene globale singuläre Position der Hegemonie nach. Weist doch diese Rangfolge Luxemburg mit 105.000 Dollar pro Einwohner als Erstplazierten laut Angaben des Internationalen Währungsfonds für 2009 (Stand April 2010) aus. Danach belegt den zweiten Platz mit 79.000 Dollar Norwegen, dann folgt Katar mit 69.000 Dollar auf dem dritten Platz. Den vierten bis achten Platz nehmen die Schweiz, Dänemark, Irland, Niederlande und die Vereinigten Arabischen Emiraten ein. Erst jetzt reiht sich dann das Imperium Americanum auf der Ranking-Liste ein mit Platz neun. Der Status des US-Imperiums als angeblich stärkster globaler Wirtschaftmacht, die ca. ein Fünftel des jährlichen Welteinkommens erwirtschaftet, lässt sich demnach auch nicht aus dem jährlichen Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ableiten. Dieser hegemoniale Status ist auch deswegen nicht gegeben, weil das BIP der USA durch ein krasses Ungleichgewicht charakterisiert ist. Dem aufgeblähten prozentualen Anteil des Bruttoinlandsproduktes von ca. 88% des BIP für 2009, soweit er im USA-Dienstleistungssektor erwirtschaftet wurde, steht eine Schwundstufe von ca, 12% des BIP aus dem produzierenden Gewerbe gegenüber, ca. 11% aus dem Industriesektor und ein % aus der Landwirtschaft. Der überproportional geringe Anteil aus dem produzierenden Gewerbe referiert auf eine weitere Schwachstelle des USA-Imperiums hin, auf seine unausgeglichene Handelsbilanz, die seine Binnenwirtschaft sowie seine internationalen Beziehungen zu anderen Ländern und untereinander stark belasten. Die USA sind der weltgrößte Absatzmarkt für Importgüter und rangieren hinter China und Deutschland an dritter Stelle. Im Vergleich zum Vorjahr mit 698,8 Milliarden Dollar ist ein deutlicher Rückgang des Handelsbilanz-Defizit[7] erkennbar. Aber immerhin hat die Handelsbilanz 2009 ein Defizit in krisenhafter Höhe von 374,9 Milliarden Dollar. Dazu gesellen sich wachsende Staatsschulden der USA in Höhe von 53% ihres BIP im Jahre2009 auf 63% in 2010 hinzu und ein Anstieg auf knapp 71% des BIP im Jahre 2011. Die augenblickliche Rezession hat die meisten US-Staatshaushaltpositionen massiv verschlechtert. Der im Februar vorgelegte Etatentwurf der USA sieht für das laufende Haushaltsjahr eine „deutliche Aufwärtsrevision“ beim Defizit auf 10,6% des BIP vor. Demgegenüber hatte die ursprüngliche Planung lediglich 8% angepeilt. Was die militärische Stärke der USA angeht, so „spielt“ sie, wie Joffe hervorhebt, „in einer eigenen Liga“. Detailliert notiert er die Militärausgaben des US-Imperiums von 2008 in Höhe von 607Milliarden Dollar, fast die Hälfte der weltweiten Militärausgaben. Die neun in der Rangliste folgenden Staaten wandten 476Milliarden Dollar auf. Und wie steht es mit den angeblichen Herausforderern der militärischen Hegemonie der USA? China, Indien, Japan und Russland haben zusammen nur 219 Milliarden ausgegeben, gegenüber den USA nur rd. 36%. In China, das von gewissen Niedergangsunken am häufigsten zur Weltmacht proklamiert wird, beträgt der Militärhaushalt nicht einmal ein Siebtel des US-Amerikanischen. Und selbst wenn alle 27 EU-Staaten mit ihren 288 Milliarden Dollar Militärbudget in die Reihe der Herausforderer der USA aufgenommen würden, so schlügen die USA sie immer noch um Längen: 607 Milliarden Dollar im Vergleich zu 507. Dem Argument, die globale Hegemonie der USA sei hinreichend begründet durch die angebliche ökonomische und einzigartige militärische Stärke und verhindere darum ihren Niedergang, widersprechen wir mit Joseph S. Nye[8], dem ehemaligen Verteidigungsminister der Clinton-Administration, indem wir sein Konzept von der „weichen Macht“(„soft power“) als Kriterium für gelungene Führung in Anspruch nehmen. Was versteht nun Nye unter dem Ausdruck „weiche Macht“? Sein Gegenbegriff „harte Macht“ meint „militärisch und wirtschaftliche Macht“ als die beiden „Formen“ dieser „harten Macht“. Die harte Macht dient dazu, andere Akteure zu veranlassen, ihren Standpunkt zu verändern. Die harte Macht funktioniert nach dem Zuckerbrot-Peitsche-Prinzip, beruht auf Lockungen und Drohungen. Andererseits gibt es auch einen mittelbaren Modus der Machtausübung. Ein Akteur kann auf dem Schachbrett weltpolitischer Konkurrenz seine Ziele erreichen, weil andere Akteure, Länder ihm folgen möchten, weil sie seine kulturellen und politischen Werte, wie Individualismus, „democracy“, Chancengleichheit bewundern, weil sie seinem Beispiel nacheifern möchten oder sein Niveau an Freiheit und Wohlstand anstreben. In diesem Sinne ist es ebenso wichtig, dass man die anstehenden weltpolitischen Ziele und Projekte in dem Sinne zu definieren versucht, dass andere Akteure sie anziehend finden. Diesen Aspekt der Macht, andere Akteure dazu zu bringen, dass sie selbst wollen, was man selbst will, nennt Nye „soft power“. Die weiche Macht kooptiert die Menschen, anstatt sie zu zwingen. Sie beruht auf dem Vermögen, die politische Tagesordnung so zu bestimmen, dass die Präferenzen anderer geformt werden. Der italienische Philosoph und Marxist Antonio Gramsci hat schon lange das mit der politischen Hegemonie zusammenhängende Problem der soft power begriffen, die sich daraus ableitet, dass man die Meinungsführerschaft anstrebt und von hieraus die Bezugspunkte für einen Diskurs oder eine Diskussion „sanft“ abstecken kann. Die Fähigkeit, politische Ziele bei anderen Akteuren durchzusetzen, wird meistens zusammengebracht mit einer Vielfalt von weichen Machtressourcen: der Attraktivität einer Kultur, einer breiten fetzigen Musikszene, dem Idol ewiger Jugend; einem harmonischen Zusammenleben in „love“, einer unglaublichen Tellerwäscher-Aufstiegsideologie oder bestimmten politischen Institutionen samt Menschenrechten. Wenn ein Akteur den anderen dazu bringt, dass er das tun will, was der erste Akteur möchte, dann muss er ihn dazu nicht zwingen, das zu tun, was er nicht will. Ein Duft von Zwanglosigkeit und Freiheit durchweht scheinbar das imperium Americanum. Wenn nun die USA Ziele und Werte repräsentieren, denen andere zwanglos zu folgen trachten, dann dürfte ihre hegemoniale Führung unangefochten bleiben, ein Niedergang wäre nicht absehbar. Nun lässt sich aber gegenwärtig die Hegemonie des USA-Imperiums auch nicht durch eine einzigartige kulturell-ideologisch Qualität legitimieren. Seine hard power hat einen verheerenden Todesschatten auf die freiheitliche und friedlich lockere Verfasstheit der USA geworfen. Die martialischen Aggressionen in den vergangenen und diesen Tagen, seien sie in Afghanistan oder im Irakkrieg verübt, die unverbrüchliche, Berge von Palästinenser Leichen tolerierende Treue zum Vasallen Israel haben die Hypermacht delegitimiert. Guantanamo und Abu Ghraib sind Meilensteine für den relativen auch moralischen Niedergang des imperium Americanum.
3. Befürworter der
Niedergangsthese Wenden wir uns zunächst einigen bedeutenden Vertretern der Niedergangsthese zu, um bei ihnen nach adäquaten Kriterien für das Maß politischer Macht und geeignete Modelle zu ihrer Erklärung zu recherchieren. Am Rande sei hier vorab nur hingewiesen auf einen Artikel des Focus (Nr.41/10; S.149f) vom 11. Oktober 2010 über den US-Amerikanischen Regisseur Oliver Stone und seine beiden Wall Street-Filme. Darin wird er interviewt und kommt zu sprechen auf die weltweite 2008 ansetzende Finanzkrise. Focus: „Denken Sie es wird erneut eine Krise geben?“ O. Stone: „Die nächste Krise wird kommen. Es wird eine neue Blase geben mit einer neuen Idee.“ Focus: „Was wird geschehen?“ O.Stone: „Wie soll ich das wissen? Amerika wird untergehen wie ein altes Imperium.“ Focus: „Sie zeichnen gerade ein dunkles Weltbild.“
3.1. Paul Kennedy Wenn wir nunmehr vom Feld journalistischer Aufarbeitung auf den Boden wissenschaftlicher Diskussion der Niedergangsthese zurückkehren, dann ist da zunächst der britische Historiker Paul Kennedy[9] zu nennen. Sein historisch gesättigtes, analytisch gesichertes Werk „The Rise and Fall of the Great Powers“(Der Aufstieg und Fall der Großmächte) erschien im Jahre 1987 kurz vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion und Fukujamas neoliberales, triumphalistisches Credo vom „Ende der Geschichte“. In diesem Werke findet sich, wie E. Todd[10] 10 betont, ein „brauchbares Konzept“ für uns zur Erklärung der fraglichen Niedergangsthese. Paul Kennedy ist der Ansicht, die USA seien von „imperialer Überdehnung“ („imperial overstretch“) bedroht. Darunter versteht er eine militärische Überbelastung, die sich dann einzustellen pflegt, wenn die relative ökonomische Stärke abzunehmen beginnt. Der Ehrgeiz einer globalen militärischen Intervention überstrapaziere das Leistungsvermögen der USA und untergrabe die „Konkurrenzfähigkeit“ ihrer Wirtschaft.[11] Die These von imperialen Überdehnung wird von P. Kennedy sechs Jahre später in der Originalausgabe[12] seines anderen Buches „Preparing for the Twenty-First Century“ („In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert.“) NewYork 1993 voll und ganz bestätigt werden. Paul Kennedy bekräftigt den relativen Niedergang der US-Amerikanischen Ökonomie aufgrund hoher wachsender Staatsverschuldung und der enormen „privaten Verschuldung“ im Kreditbereich, aufgrund des Bundeshaushaltsdefizits und des Defizits in der Handelsbilanz mit Einschluss der langfristigen Erosion ihres produktiven industriellen Sektors. Darüber hinaus hänge auch der Abstieg des Imperiums mit den sinkenden Wachstumsraten des US-Bruttoinlandsprodukts mindestens im Intervall 1940 bis 1991 zusammen zusammen; dann sei er der Vernachlässigung der in weiten Teilen maroden Infrastruktur in den USA geschuldet sowie den rückläufigen Investitionen in öffentliche Bildung und Forschung. Kennedy wird aber auch schließlich nicht müde, die Aufmerksamkeit zu richten auf Auflösungserscheinungen in der Sozialordnung der USA (Stichwort: Kriminalität, Drogenprobleme, sozialer Abstieg aus den Mittelklassen). Es sei schwierig, sie zu bekämpfen, denn „Reformen“ lassen sich in einer “politisch dezentralisierten, libertären Gesellschaft“ nur schwerlich durchsetzen.
3.2. Emmanuel Todd Unter dem Originaltitel „Après l´empire. Essai sur la décomposition du système américain“ hat der französische Politologe Emmanuel Todd[13] 2002 einen „Nachruf“ auf die imperialistische Herrschaft der USA verfasst; ihre Zeit sei abgelaufen, dabei sei das US-Imperium nur noch ein Hegemon in der Phase seines „Niedergangs“. Die heutige neoliberale kapitalistische Welt ist nach Todd zu komplex, vielgestaltig und dynamisch, als dass sie die Vormacht einer einzigen Macht hinnehmen könnte. Darüber hinaus hätten die USA trotz wiederholter Versicherungen von George Bush junior nicht mehr das politische Ziel, eine „liberaldemokratischen Ordnung“ des Kapitalismus zu verteidigen, die selbst in ihrem Ursprungsland immer mehr an „Substanz“ verliert.[14] In Wirklichkeit gehe es den herrschenden Kreisen darum, „weltweite politische Kontrolle“ über die „Ressourcen des Planeten“ zu sichern; denn die USA sind mittlerweile vom „Rest der Welt“, weil sich die „wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse“ umgekehrt haben, viel abhängiger als vice versa. Die politische Klasse der USA versucht, den politischen und ökonomischen Niedergang zu kaschieren, indem sie einen „theatralischen Militarismus“ zur Schau stellt, der gegen relativ unbedeutende Staaten, „Kleinstmächte“ gerichtet ist. Der sog. Kampf gegen den Terrorismus, gegen den Irak, Afghanistan und andere Vertreter der vermeintlichen „Achse des Bösen“ dürfte auch ein Vorwand für die USA sein, die Schwachstellen ihrer Vorherrschaft schamhaft vor ihren engsten Verbündeten zu bemänteln. Wegen ihres relativen wirtschaftlichen, militärischen und ideologischen Machtverlustes seit den 70er Jahren können die USA die Welt nicht mehr so effektiv lenken wie vordem, weil die Welt, wie Todd betont, „zu groß, zu bevölkerungsreich, zu gebildet, zu demokratisch“ geworden sei. Die eigentlichen bedeutendsten strategischen Akteure sind nunmehr wieder die energiereiche Großmacht Russland, Europa, China und Japan, deren Eigeninteressen dem nationalen Interesse des USA-Hegemons im Wege stehen. Der Anspruch des Imperium Americanum, diese Hindernisse zu beseitigen dürften „überzogen“ und darum unerreichbar sein. Angesichts dieser neuen Akteuren der internationalen Politik müssen die USA den Elfenbeinturm ihrer arroganten Unipolarität verlassen, verhandeln und nicht selten ihnen nachgeben. Jedenfalls muss es eine Verhandlungslösung sein, die kompatibel mit ihrer besorgniserregenden ökonomischen Abhängigkeit ist. Das USA-Imperium hat gegenwärtig nicht mehr die Kraft, die neuen Akteure zu kontrollieren; wird über kurz oder lang noch den letzten verbliebenen Teil seiner Weltherrschaft verlieren und so dann in Zukunft eine Großmacht unter anderen sein. Schon in der letzten Dekade des vorigen Jahrhunderts hatten die USA Probleme mit dem Respekt vor ihrer Führungsautorität. Noch vor einem möglichen Angriff auf den Irak haben Deutschland und Frankreich die hegemoniale Autorität der USA coram publico offen herausgefordert. War es bislang für US-Amerikanische Politiker und Journalisten selbstverständlich, in der BRD den ergebenen Verbündeten bzw. willfährigen Vasallen zu sehen; so kamen sie aus der Staunen nicht heraus, als sich Deutschland dem Willen der USA widersetzte, am Irakkrieg teilzunehmen. Todd[15] zufolge hat Deutschland deswegen eigensinnig das „Signal für den Aufbruch Europas in die strategische Autonomie“ gegeben. Aufgrund der deutschen Haltung konnte das Land der Trikolore seinerseits wirksam in der UNO tätig werden, die USKriegspläne, wenn nicht vereiteln, so doch verzögern: ein mit dem Rahmen einer globalen Imperiumslogik unvereinbares, unerhörtes Verhalten seitens subalterner Systemelemente in der pax Americana. Scharfzüngig räumt Todd[16] – wirtschaftlich und politisch - mit dem „Klischee“ von den starken Vereinigten Staaten von Amerika, ihrem „Übermaß an Macht“ auf. Das „Geheimnis“ der US-Außenpolitik zu „lösen“; d.h. ein „Erklärungsmodell“ für die Aktionen des USA-Imperiums zu liefern, liegt ihm zufolge in ihrer „Schwäche“, nicht in der „Stärke“: So kann der „erratische und aggressive strategische Kurs“ des Imperium Americanum, das „trunkene Taumeln der „einsamen Supermacht“ nur befriedigend erklärt werden vermöge seiner Schwachstellen, der „Aufdeckung ungelöster Probleme und vielleicht unlösbarer Probleme“, im militärischen, wirtschaftlichen oder kulturellen Bereich. Aus dem gesellschaftlichen Defizit eines harmonischen Gemeinwesens, der Schwäche des US-Imperiums in Form einer wachsenden sozialen Kluft mit der Herausbildung einer schmalen, äußerst reichen Oligarchie ist schließlich auch hegemoniale Niedergang erklärlich, aber auch aus Todds Beschreibung der US-Wirtschaft als eine parasitären, „räuberischen“ Ökonomie; denn sie konsumiere die Waren dieser Welt, wobei sie für eine halbe Billion Dollar mehr Waren und Dienstleitungen einführt als sie ausführt. Zudem bezahlt die USA mit dem Geld anderer Staaten, was zu einer hohen Staatsverschuldung ihrerseits führt.
4. Resümee Am Ende möchte ich eine der Schlussfolgerungen Paul Kennedies[17] aus seinem Buch „in Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert“ setzen, die ich voll und ganz teile. „Alle Anzeichen“, betont er, „deuten darauf hin, dass die Vereinigten Staaten sich weiterhin durchwursteln werden, wobei die Debatte über Niedergang weitergehen wird. Aber die langfristige Implikation des Durchwurstelns ist ein langsamer, stetiger, relativer Niedergang im Lebensstandard, im Bildungsniveau, in fachlichen Fähigkeiten, in der Sozialfürsorge, in der industriellen Führungsstellung und letztlich in nationaler Macht“. [1]Ferguson, Niall: Das verleugnete Empire. In: Speck, Ulrich/Sznaider,Natan(Hg.):Empire Amerika. Perspektiven einer neuen Weltordnung. München 2003
[2]
Münkler, Herfried: Imperien.Die Logik der Weltherrschaft – vom
Alten Rom bis zu den Vereinigten Staaten. Reinbeck bei Hamburg
20072 [3] Vertreter der Hegemoniezyklentheorie sind Charles P. Kindleberger mit „The World in Depression 1929-1939“.1986, George Modelski und William R. Thompson mit „Seapower“. 1988 und Paul Kennedy mit „Aufstieg und Fall der großen Mächte“.1987. Zur Struktur der Hegemoniezyklentheorie, insbesondere zum zeitlichen Verlauf des Hegemoniezyklus und der Rolle der „Basisinnovationen“ als Triebkräfte imperialer Entwicklung siehe: Neorealismus II: Ökonomischer Realismus und Hegemoniezyklentheorie. Referent: Marcus Voitel 05.06.08. In: http://www-public.tu-bs.de:8080/~gheere/Docs/KK-IBTheorie_080605_Neorealismus2-Voitel.pdf [4] Josef Joffe. Der Kassandra-Komplex. In: Internationale Politik. 2009, S.92-95 [5] Josef Joffe. A.a.O., S.92ff3 [6] Prognose für 2025. In: http://www.rp-online.de/politik/ausland/Geheimdienste-erwarten-Niedergang-derUSA_aid_641053.html4
[7]
Siehe:Auswärtiges Amt: USA/Vereinigte Staaten:
Wirtschaftspolitik. Stand Juli 2010 In:
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Laenderinformationen/Us...5
[8]
Joseph S. Nye: Das Paradox der amerikanischen Macht. Hamburg
2003. S.29ff6 [9] Paul Kennedy: Aufstieg und Fall der großen Mächte. 5. Aufl. Frankfurt/Main 2005 [10] Emmanuel Todd: Weltmacht USA. Ein Nachruf. München/Zürich 2003.S.217 [11] P. Kennedy: Aufstieg u. Fall. A.a.O., S.784. 378-380.375.388 [12] Die von uns benutzte deutsche Fischer-Taschenbuch-Ausgabe trägt den Titel: „In Vorbereitung auf das 21. Jahrhundert.“ Frankfurt/M. 1997
[13]
Deutsch. E.Todd: Weltmacht USA. Ein Nachruf. München/Zürich
2003. S.2ff [14] Todd:a.a.O., S.37f8 [15] Todd: a.a.O., S.109
[16]
Todd.: a.a.O.,S.19f.36ff [17] P. Kennedy: In Vorbereitung auf 21. Jahrhundert. New York 1993. S.414 Quelle: http://www.philosophen-eck.de/Zur%20These%20vom%20Niedergang%20der%20USA.pdf Dr. Horst-D. Strüning, Oberstudienrat am
Abendgymnasium und Kolleg der Bundesstadt Bonn. Philosophische
Arbeitsschwerpunkte: Ethische und Handlungstheoretische Grundlagen von
Krieg und Frieden.- Grundzüge einer philosophischen Thanatologie |