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SIE KOMMEN WIEDER! DIE PROTESTGENERATIONEN VON HEUTE SCHREIEN
NEIN ZUR KAPITALISTISCHEN GLOBALISIERUNG Von Gretchen Dutschke Wir
tunkten unsere Taschentücher in Essig, damit das Tränengas unsere
Augen nicht so stark angriff, dann schrieen wir mit Freude als die
Mauer wackelte. Die schwarz eingehüllten Polizisten, die in
Kampflinien auf der anderen Seite der Mauer standen, nahmen ihre
Gewehre und zielten. Mehr Kanister Tränengas wurden geschossen.
Demonstranten mit Gasmasken schmissen sie zurück. Tausende und
Abertausende von Menschen jubelten. Es waren insgesamt vielleicht
90.000 die letzte Woche nach Quebec kamen, um gegen G. W. Bush und
seine Globalisierungspläne zu protestieren. Seattle,
Buenos Aires, Prag, Davos, Washington, Quebec und es kommt mehr. Jetzt
wissen die, die hinter der Mauer rings um Quebec unsere Zukunft zu
verunstalten versuchten und jetzt wissen die Menschen der Welt, dass
immer mehr gegen Armut und Umweltzerstörung kämpfen. Wir sind wieder
da. Und diese neue Bewegung wächst und wächst. Internet-Millionäre
sind seit einigen Monaten bankrott. Die Jungen müssen die Hoffnung
begraben, im Alter von 25 Millionär werden zu können. Außerdem,
ehrlich gesagt, moralisch ist es viel besser für die leidenden
Menschen zu kämpfen, als egoistisch die eigene Taschen mit Geld zu füllen. Wir
von der sechziger Protestgeneration haben seit mindestens zwanzig
Jahren gefragt, ob die Ideale unserer Bewegung - mehr Demokratie,
lokale Bestimmung über das was uns betrifft, Solidarität mit der
dritten Welt, eine Wirtschaftsform, die gerecht und gleichberechtigend
ist, ein Ende der Ausbeutung von Menschen und Natur - wir haben
gefragt, ob diese Ideen irgendwie weiterleben würden. Es schien, als
ob das Trachten nach Geld, Egoismus und politische Gleichgültigkeit
bei der jungen Generation Vorrang gefunden hätte. Vielleicht war es
so, jetzt aber nicht mehr. Ich
sprach mit Madeleine, einer Frau, die neben mir durch die Strassen von
Quebec lief, sie war vielleicht zwanzig Jahre alt, sie war noch nicht
so klar über die Sachfragen, aber sie kam nach Quebec von Montreal,
um herauszufinden, weshalb die Mächtigen eine Mauer um die Stadt
herum bauen mussten, damit Staatsoberhäupter und Unternehmenschefs
dahinter insgeheim Pläne schmieden konnten? Was für Pläne sind es?
Worum geht es eigentlich? Vor Quebec wussten viele Kanadier nichts darüber.
Jetzt wissen sie es. Und es gefällt Ihnen nicht. Madeleine
sagte, es ist wunderbar was hier geschieht. Alle von ihrer Generation
fühlen die neue Welle. Sie hat es schon seit Seattle gemerkt. Es fängt
etwas an und es ist etwas Grosses. Es ist eine neue Bewegung, die die
ganze Welt umfasst, sie umfasst alle Generationen und sie wächst
SCHNELL. Ja,
es ist, ich kann es vergleichen, wie damals 1966, als es anfing und
jeden Tag mehr Menschen dabei waren. Immer mehr verstanden, dass die
da oben Pläne hatten, die 90% der Menschheit ausschlossen.
Heute
ist vieles klarer als damals. Heute werden Menschen nicht von
verrotteten, autoritären, unmenschlichen kommunistischen Parteien
abgelenkt werden können. Heute ist es politischer. Damals war die große
Bewegung hauptsächlich ein Protest gegen den Krieg in Vietnam. Viele
hatten ein gutes feeling, aber kannten nicht die gesellschaftlichen
Hintergrunde dafür. Heute
protestieren die Menschen gegen die kapitalistische Globalisierung. So
abstrakt das klingen mag; die Menschen verstehen es. Es heißt z.B.
dass das Wasser plötzlich Privatunternehmen gehört, also geklaut
wird. Kanadisches Wasser wird in die USA geleitet, um den Bedarf von
Kalifornischen Firmen zu decken. Es heißt, dass das erlaubte Niveau
von Arsen im Trinkwasser immer höher gesetzt wird, damit
Minengesellschaften ihren Abfall in öffentliche Wasserversorgungen
schütten können. Es heißt, dass Menschen in Mexiko für ein paar
Dollar am Tag ungeschützt durch Arbeitsschutzgesetze in schmutzigen
Fabriken arbeiten und dass Produktionsstätten in Hochlohnländern dafür
schließen müssen. Wenn
Regierungen versuchen, Umweltschutzgesetze durchzusetzen, dürfen sie
von Unternehmen verklagt werden und der Staat wird verlieren. Es heißt,
dass wenn ein Land nicht ausreichend mitmacht, es zerstört wird -
Beispiel Kolumbien. Die USA machen Krieg in Kolumbien. Das Land wird
vergiftet, damit dort nichts mehr wächst. Aber Öl und andere
Rohstoffe bleiben davon unberührt. Der Krieg gegen die Drogen ist für
die USA Regierung nur eine Ausrede, um am Ende die Ressourcen für die
eigenen Unternehmen zu sichern. Bis
jetzt wachsen die Proteste. Bis jetzt werden die Informationen über
das, was eigentlich geschieht, verbreitet. Bis jetzt sind die
Alternativen noch nicht so klar. Es gibt Ansätze und sie wurden in
den Peoples Summit ("Volks-Gipfeltreffen"), die vorletzte
Woche von Montag bis Donnerstag in Quebec stattfanden, diskutiert.
Themen waren Boykotte gegen Exxon, Mobil, gegen MacDonalds, Unterstützung
für lokale Produktion in Südamerika, Ungehorsam gegen die WTO (World
Trade Organisation) und gegen Gerichte, die Strafen gegen Länder
setzen, die ihre Umweltgesetze nicht abschaffen wollen, alternative
Handelsnetze, wie Equal Exchange (www.equalexchange.com),
ein hemisphärisches Parlament in Nord und Südamerika, ähnlich wie
das EU Parlament. Es
ist Klassenkampf. Wie soll man es anders nennen? Die Repräsentanten
der Corporations hinter ihren Mauern, geschützt von ihren extra gut
bezahlten Armeen (die Polizisten/Soldaten bekamen Überstunden- und
Wochenendtarife mit Extra-Bonussen), überlegen, wie sie Löhne
senken, Umweltschutzgesetze außer Kraft setzen können und Ressourcen
von unterentwickelten Ländern billig an die Corporations liefern können.
Die Betroffenen (wir alle, wenn auch in verschiedener Weise) werden mit Tränengasbomben, Plastikgeschossen und Wasserkanonen angegriffen. Ich bewegte mich weg vom Kampfplatz, damit sich meine Augen erholen konnten und sah das ganze Stadtzentrum von Quebec von Rauchschwaden umhüllt, wie die Geschosse über Kirchen flogen und explodierten. Auch G. W. Bush bekam etwas Tränengas ab, als der Wind sich drehte und die Wolken, die kein Problem mit Mauern haben, in die Hallen der selbsternannten Oligarchen waberten. Boston, 2.5.2001 |