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Fischer-Krise
Das Außenminister-Chamäleon
.. oder wie man sein Verhältnis
zur Geschichte klärt.
Komischer Auftakt, das. Ein neues
Jahrtausend - und überall nur Vergangenheit. Üble, übelste
Vergangenheit, die einen wie unausweichlich einholt. BSE,
Uran-Munition, Joschka Fischer - das Jahrtausend beginnt mit
einer Litanei augenscheinlich nicht verwundener Schrecken. Kühe
krepieren nach langer Inkubationszeit an Hirnerweichung - ihr
frischer Tod ist eine schleichende Altlast. Der unselige
Kosovo-Krieg scheint auf eine Weise "friendly fire",
Kolalateral-Schäden verursacht zu haben, an die man gar nicht
denken mochte: Opfer panzerbrechender Waffen auch sie,
verstrahlte Krieger der eigenen Armee, - wie nach einem
Reaktor-GAU. Auch hier ein schleichendes Desaster. Und nun auch
noch Joschka Fischer. Der glanzvolle Außenminister, einer der
populärsten und wohl auch beliebtesten deutschen Politiker,
muss wohl tatsächlich das arge Sponti-Vorleben geführt haben,
von dem man bislang immer nur gehört hat. Das neue Jahrtausend
scheint auf den Treibsand einer zunehmend unheilvoller werdenden
Geschichte gebaut.
Nur...!
Was weiß man wirklich? Man ahnt den Zusammenhang zwischen
Tiermehl und Weichhirn, man vermutet und wägt, ob tatsächlich
eine Verbindung zwischen Uran-Munition und Leukämie bei
Kosovo-Kriegern besteht. Und letztlich fragt man sich, wie man
einen Außenminister zu bewerten hat, dessen Vergangenheit auf
neuen alten Bildern als die eines offensiven "Street
Fighting Man" offenbar wird.
Es ist absurd: der Janus-Kopf im Januar 2001 schaut nur zurück
- und erkennt doch nichts. Als ob alle Offensichtlichkeiten
verschwommen wären: Braucht man eine entsetzliche Seuche, um zu
erkennen, dass man Kühe nicht zu Kannibalen machen darf?
Braucht man langwierige Beweisverfahren, um zu wissen, dass sich
Nuklearwaffen auch tatsächlich wie Nuklearwaffen verhalten,
wenn sie abgefeuert werden? Und braucht man tatsächlich
Bild-Dokumente, um glauben zu können, das der jetzige Außenminister
tatsächlich der schlagkräftige Demonstrant und Steinwerfer
war, für den er sich immer ausgegeben hat? Die frappierende
Antwort auf alle diese Fragen lautet: Ja.
Ja, man braucht all diese Zeugnisse, Beweise und
Unwiderlegbarkeiten, um endlich zu wissen, was man bislang nicht
wirklich wissen wollte. Man braucht die Macht der Fakten, um
sich die Gegenwart als Produkt der Geschichte und damit tatsächlich
als Wirklichkeit vorstellen zu können. Und doch: Wie man diese
dann bewertet, welche Schlüsse und Konsequenzen man daraus
ziehen soll, bleibt weiterhin offen. Denn rückwärts gewandte Köpfe
sehen nicht, sie erahnen allenfalls, was vor ihnen liegt. Ein Nährboden
für Mystizismen. Aktionismus ersetzt dann konkretes Handeln.
Auch das ist eine der ersten Erkenntnisse im neuen Jahrtausend,
und nichts verdeutlicht dies besser als die derzeit entbrannte
Diskussion um eben unseren Außenminister.
Solange die Vergangenheit vergangen und Joschka nur ein
joggender Allround-Politiker war, der sich ebenso wortgewaltig
wie süffisant vom Blumentopf-Revoluzzer zum Anzug- und
Krawattenträger mauserte, konnte man dessen 70er-Jahre-Aktivitäten
gewissermaßen als Protest-Folklore und frühes Hippietum eines
nun gereiften, Marathon laufenden Souveräns verbuchen, der
seine Partei, die Grünen, fast im Alleingang von Brokdorf in
den Bundestag geführt und dort gehalten hat. Immerhin ist der
Mann jetzt Vizekanzler, er ist die Integrationsfigur der Grünen,
ja, man nennt ihn hochachtungsvoll den "grünen Zeus".
Eine Art Godfather im Politikzirkus, gewissermaßen, und der
Erfolg versah ihn, versah seine Vergangenheit mit dem Recht des
Tüchtigen.
Nun aber suggerieren die aufgetauchten, 27 Jahre alten Dokumente
des Frankfurter Fotografen Lutz Kleinhans, die den prügelnden
Joschka Fischer im Clinch mit einem Polizisten in Frankfurt
zeigen - Fotos übrigens, die fatal an die Bilder von den
deutschen Hooligans erinnern, die während der Fußballweltmeisterschaft
1998 im französischen Lens auf einen Polizisten einschlagen -
eine Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, die den jovialen
Jetzt-Fischer mit dem dreisten Damals-Fischer wie Dr. Jekyll mit
Mr. Hyde zu identifizieren scheinen. Und der politische Diskurs
deliriert.
Opportunismus und Untertanentum sind die noch harmlosen
Injurien, die etwa Willi Winkler in der SZ gegen Fischer
vorbringt. In einem Leitartikel der Frankfurter Allgemeinen aus
der letzen Woche macht Thomas Schmid das ganz, ganz große Fass
einer Total-Abrechnung mit den immer schon dubiosen
"68ern" auf, für die Joschka Fischer pars pro toto an
den Pranger gestellt wird. In einer wüsten Argumentation
assoziiert er eine Militanz der 68er-Bewegung mit eben jener
"mörderischen, antizivilisatorischen Revolte der
Nationalsozialisten", deren unbewältigtes, untergründiges
Fortleben die Studentenbewegungen der sechziger Jahre doch
gerade aufdecken wollte: "Zu Teilen," so Schmid,
"ist die Radikalität der Bewegung von 1968 - bis hinein in
eine antisemitische Tönung - gar nicht so weit vom Geist der Väter
entfernt. ... Im Lob der Gewalt waren sich Väter und Söhne
einig." Ein paar Tage später legt der Historiker Götz Aly
in der Berliner Zeitung nach: Er bewertet den
"historiografischen Wert" der Erinnerungen von
68-Beteiligten "in der Summe nicht höher als die Anekdoten
und selbstmitleidigen Berichte ehemaliger deutscher Soldaten von
der Ostfront" und legt solchen "Memoiren" nahe,
dafür "frei nach Franz Schönhubers Waffen-SS-Klassiker:
´Ich war dabei´" als Titel zu wählen.
Die Tochter von Ulrike Meinhof, Bettina Röhl, deren Recherchen
die besagten Fischer-Fotos ausgruben, nennt Fischer eine mit
"Defekten behaftete Person" und entblödet sich auf
ihrer Homepage im Internet nicht, in einem "Offenen
Brief" an den Bundespräsidenten von
"Staatsnotstand" zu fabulieren: "Nach meinen
Recherchen komme ich zu dem Schluss, dass es meine staatsbürgerliche
Pflicht ist, Sie (Bundespräsident Rau, d. Red.) auf diesem Wege
anzusprechen und gleichzeitig Strafanzeige gegen Josef Martin
Fischer zum Aktenzeichen 50/4Js546/76 wegen versuchten Mordes zu
Lasten des Polizeibeamten Jürgen Weber bei der zuständigen
Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Frankreich am Main (!) zu
erstatten." Wo Frankreich am Main liegt, weiß allerdings
nur Frau Röhl. Auf der anderen Seite des Spektrums scheint
Fischer hingegen auch und gerade jetzt kurz vor der
Seligsprechung zu stehen: Ein SZ-Leitartikel von Heribert Prantl
etwa endet mit einem Verweis auf die Bibel: "Im Himmel, so
heißt es, ist mehr Freude über einen Sünder, der umkehrt, als
über tausend Gerechte. Was dem Himmel recht ist, kann
Deutschland nicht schaden." Peter Fuchs von der taz findet
die ganze Aufregung um Joschka Fischers ehemalige Gewalttätigkeit
künstlich und kurios, weil sie "die klare Kontinuität der
Person unterstellt, eben: Du bist, was du warst. Der Mensch hat,
diesem Bilde zufolge, eine dauerhafte und durchgehaltene Identität,
die sich beschädigen lässt." Dagegen lehre doch "die
soziale Wirklichkeit, dass die Einheit der Person gesprengt ist,
fragmentiert, alles andere als zentriert um einen cor et punctus
der Person, um eine integre (und deswegen desintegrationsfähige)
Mitte." Die Frage ist, ob Fuchs diese Argumentation auch
bei rechtsextremen Jugendsünden eines Politikers durchhalten würde.
Wolfgang Roth, ebenfalls in einem SZ-Leitartikel, bereichert die
Personaldebatte um Fischer um einen Reflex, in dem er die
Vergangenheit Fischers einerseits exemplarisch für die der Grünen
nimmt, die sich nun andererseits aber heute wie eine
Kontrastfolie gegen jede grüne Realpolitik kehren könne:
"Erstmals hat die Staatsgewalt eine Atompolitik
abzusichern, die von den Grünen zu verantworten ist - gegen Bürgerinitiativen,
die von den Grünen maßlos enttäuscht sind. Das ist der
Moment, in dem diese Partei von der Vergangenheit eingeholt
wird. Für das Selbstverständnis der Grünen und die Zukunft
der Republik wird das wichtiger sein als eine Prügelei vor 27
Jahren."
Im Grunde kann man zur gegenwärtigen Situation und dem Stand
der Diskussion wohl nur soviel sagen: Fischer changiert nicht
nur als grüner Politiker wie ein Chamäleon. Er tut es auch und
gerade vor den jeweiligen Hintergründen und im jeweiligen
Licht, das seine Betrachter auf ihn werfen. Fischer polarisiert
also - und das nicht, weil er sich als Person tatsächlich neue
Ungeheuerliches aus der Vergangenheit vorwerfen lassen müsste,
sondern weil an ihm exemplarisch das Verhältnis der Gegenwart
zur jüngeren Vergangenheit der Bundesrepublik Deutschland
durchdekliniert werden kann. Man sitzt also nicht über Fischer
zu Gericht, sondern klärt reichlich verspätet und sehr, sehr
deutsch das eigene Verhältnis zu Leitbegriffen wie
"68", "Protest" und "Subkultur".
Ein Grund dafür könnte sein, dass im postmodernen Kontext des
neuen Jahrtausends politische Faszinosa selten geworden sind,
Beliebigkeit Haltung ersetzt hat. Ein anderer, dass die
Kanzler-Politik der Neuen Mitte gegenwärtig wie eine Leerstelle
empfunden wird, die sogar von den politischen Makeln der
Vergangenheit sofort ausgefüllt werden kann.
Dagegen bliebe folglich nur, das Vergangene endgültig vergangen
sein zu lassen und dem Chamäleon ratlos beim Changieren
zuzuschauen. Doch gegen diese Vogel-Strauß-Strategie im Umgang
mit der Geschichte ist der einköpfige, rückwärts gewandte
Januskopf sicherlich immer noch die bessere Alternative.
Bernd Graff
SZ
9.1.2001
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