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Ines Lehmann
Der Zorn der alten Frauen….

ALLE ZEHN JAHRE WIEDER... „68“ wird 40
Eine Polemik

Nun geht das schon wieder los.... Ich weiß langsam nicht mehr, was schlimmer ist, wenn „68“ dran ist, wer schwerer zu ertragen ist, wenn er/sie sich über diese Zeit öffentlich äußert: die „68“er-GegnerInnen oder ihre ProtagonistInnen.

Als vor 10 Jahren, also 1998, vor allem die Gegner über die 68er herfielen, hatte ich (ehemaliges SDS-Mitglied) einen Versuch gestartet, doch selbst einmal eine Bestandsaufnahme zu unternehmen und alle auffindbaren ehemaligen Mitglieder des Berliner SDS zu einem Treffen eingeladen. Zum ersten dieser dann regelmäßig stattfindenden Treffen waren ca. 100 erschienen, was viel war, denn selbst in der 68er-Höchstzeit waren wir ja nicht mehr als ca. 400, und selbst davon war eine große Zahl nur „Karteileichen“, also Inaktive. Im Laufe der dann stattfindenden Treffen (es waren ca. 10) kamen jedoch immer weniger, und auf dem letzten Treffen – da war ich dann schon nicht mehr dabei -, soll man sich nicht nur Worte um die Ohren geschlagen haben! Da ich aber damals versprochen hatte, mich nie über diese Treffen publizistisch zu äußern, werde ich das auch hier und heute nicht tun. Dennoch möchte ich auf diesem Wege auch selbstkritisch sagen, dass ich an dem Scheitern dieser Treffen nicht unschuldig bin, da ich völlig planlos und naiv – und vor allem ohne vorder- oder hintergründige Herrschaftsabsichten und in völliger Unterschätzung alter Feindschaften – gemeint hatte, dass derartige Treffen sozusagen von selbst ihren Gesprächsgegenstand finden würden,  also „68“ und der SDS bzw. seine Rolle, aber vor allem auch, dass die Zeit die „Wunden“ geheilt habe usw. Dem war aber wohl nicht so und deshalb ging alles drunter und drüber und endete im chaotischen Streit.

 

Jetzt, wieder 10 Jahre später, nehme ich die erneut entbrannte Debatte über „68“ im wesentlichen nur noch aus der Ferne wahr, d.h. aus dem Ausland, also nicht durch Vorträge, Ansprachen und Ausstellungen, sondern vermittels ihrer medialen Vermarktung, die ja heute überall qua technologischer Entwicklung auf der Welt verfolgt werden kann. Da mir die Argumente der „68“-Gegner natürlich seit Jahrzehnten bestens bekannt sind – ihr Niveau nimmt allerdings eher ab als zu – verfolge ich vor allem, und zwar mit wachsendem Zorn, ja mit Empörung, die in diesem Jahr besonders lauten Verlautbarungen von „68er“- ProtagonistInnen.

Nachdem dem Nazi Horst Mahler und dem nazinahen Bernd Rabehl in den Medien jetzt nicht mehr so viel Raum für ihre 68er-Geschichtsinterpretationen eingeräumt wird wie früher, treten nun andere Herrschaften in die so freigewordenen Fußstapfen, immer auf der Suche und in ständigem Kampf, doch noch irgendwie in „die Geschichte“ einzugehen. Wenn mann schon den Kampf „für die Sache“, d.h. die Außerparlamentarische Opposition ihren Einsatz für eine andere Politik und Gesellschaft verloren hat, so will mann nun wenigstens noch den Kampf um ihre Interpretation gewinnen, um wenigstens so noch in die Geschichte eingehen zu können....

Geradezu unerträglich tun sich dabei besonders diejenigen hervor, die „Kraft ihres Wortes“ ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, also medienabhängige Herrschaften wie der Schriftsteller Peter Schneider, der taz-Journalist Christian Semler usw., aber auch verrentete SPD-Journalisten wie Tilman Fichter, der wohl irgendwie nicht mit seiner Ruhigstellung klarkommt.

Dass sich Männer im allgemeinen mit einem selbstkritischen, d.h. mit einem sich selbst kritisch miteinbeziehendem Umgang mit historischen, politischen, aber natürlich auch ganz alltäglichen Problemen sehr schwer tun, ist nichts Neues, - „68“  war u.a. auch angetreten, um das zu ändern. Wie haben wir unsere Eltern, Lehrer, Professoren an den Pranger gestellt, sie wegen ihrer uns bzw. sich selbst verschwiegenen, mehr oder weniger großen Nähe zum Nationalsozialismus angeklagt, sie verlassen, uns von ihnen getrennt usw.! Und nun das!

Denn: was machen diese Herrschaften vom SDS heute anderes, als sich/uns gerade das vorzuenthalten, zu verschweigen, was – in einer bei weitem „einfacheren Zeit“ als die der Generationen vor ihnen! - der komplexen Wahrheit ihrer/unserer historischen Verstricktheit in die weniger ruhmreichen Aspekte ihrer/unserer „68“er-Vergangenheit dienen, ihrem/unserem Selbstbildnis jedoch schaden würde? Warum äußern sie sich nicht zu dem Verwerflichen, das sie/wir getan und zu verantworten haben, warum reflektieren sie nicht öffentlich ihren ganz persönlichen Beitrag und fragen sich (und uns), wie es dazu kommen konnte, dass wir auch – neben den von niemandem ernsthaft geleugneten wirklich wichtigen und richtigen Eingriffen in die damalige Gesellschaft und Politik – viel Verrücktes und Schlimmes gedacht und getan haben? Die meisten  Untaten und/oder Verbrechen werden doch wohl als „verjährt“ gelten, und irren wird ja nicht nur Irren zugestanden. Was hindert sie also?

Da ich hier nur drei von ihnen erwähnt habe – es gibt natürlich sehr viel mehr – will ich auch nur von diesen Dreien „Taten“ in Erinnerung rufen, die keinesfalls in Vergessenheit geraten sollten, wenn es denn um die „68er“-Geschichte und ihre Rolle darin geht, aus der heraus sie sich das Recht nehmen, so herumzuschwafeln, wie sie es heute tun!

Warum erzählt uns Peter Schneider denn nichts über seine große Bedeutung im Berliner SDS (Mitglied war er wohl nie) bzw. seiner Rolle bei dem drohenden Spaltungsprozeß 1968/69, als er, „frisch aus den italienischen Klassenkämpfen“, d.h. aus dem malerischen studentischen Trient als „revolutionärer Reisekader“ heimkehrend, den Virus der mörderischen ML-Ideologie in den Berliner SDS hineintrug? Vermittels seiner mitgebrachten Papiere der „Unione ml“, die er als letzten Stand der italienischen Arbeiterbewegung propagierte (und wer wollte damals nicht auch „Italiener“ sein!, der Pariser Mai war ja gerade fehlgeschlagen!) hatte er einen durchschlagenden Erfolg bzw. verheerenden Einfluß auf die - angesichts der durch den SDS und seine Politik hervorgezauberten studentischen „Massenbewegung“ und dem Attentat auf Rudi - kopflos herumirrenden SDS-Führer, die dringend nach neuen Rezepten für ihre weiteren Führungswünsche suchten. Er verdrehte ihnen sozusagen den Kopf, und zwar so erfolgreich, dass sie kraft seiner Überzeugungsfähigkeit über Nacht nahezu ausnahmslos alle zu Ml-ern wurden, wenn auch nicht alle ganz genau zu denselben, gleichen, dazu waren sie in ihrem bürgerlichen Habitus zu sehr auf individuelle Selbstverwirklichung getrimmt. Fast alle SDS-Führer bauten sich dann nämlich Ende 1969 ihre ganz eigene, die einzig wahre usw. Partei auf, 1970 gab es in Westberlin rund 10 davon, alle sämtlichst von ehemaligen SDSlers bzw. „68ern“ ins „Leben“ gerufen und untereinander natürlich strikt verfeindet, die sich und vor allem uns, den anderen, das Leben zu Hölle machten. Unter dem Banner Maos, Stalins, Lenins und Marx, etc. terrorisierten sie jahrelang sich und uns mit Folgen bzw. Spätfolgen, die die Bewegung als Ganzes in ein politisches Aus manövrierte, aus dem sie sich bis heute politisch nicht herausbewegen kann. Jeder ist des anderen Gegner bzw. Feind, bis heute.

Am schlimmsten trieb es dabei Christian Semler mit dieser im wahren Wortsinne wahnsinnigen ML-Ideologie durch die Gründung seiner KPD/AO, einer Partei, die bis zu ihrem Ende – erst Anfang der 80er Jahre! – Mördern huldigte und morden propagierte. Wenn er sich bislang nicht öffentlich zu Erklärungen und Reuebekundungen und vor allem Entschuldigungen gegenüber den Opfern seiner Partei bzw. Politik herablassen will, so sollte ihm doch heute wenigstens irgendeine Art Scham den Mund verbieten, über die damalige Zeit so larmoyant zu plaudern, wie er es tut. Viele seiner Partei- bzw. ihrer „Massenorganisations“-Mitglieder sind übrigens später „sang- und klanglos“ zu mehr oder weniger führenden GRÜNEN-Kadern mutiert, auch auf ihre selbstkritischen Reflexionen warten mann bzw. frau bis heute vergeblich. Im besten Fall wird diese Zeit als „Jugendsünde“ verharmlost, statt in sich selbst nach dem Kern dieses „Bösen“ zu suchen und sich deswegen - für sich und für uns - vor unser aller Gegenwart und Zukunft weniger fürchten zu müssen! Was war damals „in sie gefahren“ bzw. wie furchtbar war dieser Schoß, aus dem das kam, in den das fiel, und wie haben sie sich davon befreit oder haben sie das etwa vielleicht nicht?

Na und dann erst Tilman Fichter! Im SDS war er ein eher schmuddelig herumlaufender, angesichts der Hochkarätigkeit vieler Debatten oft stotternder Mann, der im Zuge der Radikalisierung der studentischen Revolte schon mal dazu aufrief, die Freie Universität anzuzünden. Er wollte damals Feuer sehen, sein Bruder Abbi dagegen wollte lieber gleich den ganz großen Knall... mit seiner Bombe im Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstrasse, die gottseidank nicht hochging, sonst hätte es 1969 in Westberlin, 24 Jahre nach dem Ende des Holocaust, zig tote Jüdinnen und Juden gegeben. Das stolze Bekennerschreiber wurde damals übrigens in dem Anarcho-Blatt „883“ abgegeben bzw. druckt, in dem Tilman Fichter keine unbedeutende Rolle spielte. Aber nicht durch ihn erfuhr die Öffentlichkeit bzw. die zuständigen Strafverfolgungsbehörden von dieser Ruhmestat Abbis, nein, erst Jahrzehnte später kam der „68“-Historiker Wolfgang Kraushaar dahinter und brachte Abbi Fichter dazu, sich zu seiner Tat auch öffentlich zu bekennen.

Tilman Fichter spricht übrigens besonders oft geradezu anheimelnd von seinem fast antifaschistischen Elternhaus. Bei solchen Söhnen sollte man da vielleicht Zweifel hegen dürfen....

Oder waren die Eltern vielleicht nur genauso wenig antifaschistisch wie die vieler anderer SDS-GenossInnen, die sich mit einer derartigen Lüge oder Verharmlosung bzw. Verniedlichung der Rolle ihrer Familie im Dritten Reich auf diese Weise mit der eigenen und der deutschen Geschichte zu versöhnen versuchten?

Heute ist Tilman Fichter jedoch wiesichsgehört gewaschen und gekleidet, nun aber werden seine Äußerungen über den SDS immer schmuddeliger. Fichter war nach dem Ende von „68“ der SPD beigetreten (seitdem stottert er übrigens nicht mehr, nur wenn er auf den SDS zu sprechen kommt, wie anlässlich der Feier seines 70. Geburtstags im Willy-Brandt-Haus im August 2007, da stotterte er wieder genauso wie früher), also einer Partei, die damals unser schärfster Gegner war und deren „Berufsverbote-Politik“ zig GenossInnen in ein gesellschaftliches und politisches Abseits bugsierte, das schlimme Folgen für viele hatte, und das einige nicht stark genug waren, zu überleben!

So schwadroniert z. B. Fichter heute immer wieder über ein Nichtvorhandensein einer Frauenbewegung im SDS. Angesichts der schweren Fehler des SDS bzw. seiner Politik könnte frau über diesen „Freispruch“ eigentlich geradezu froh sein…, wenn es denn stimmen würde, was er da behauptet! Es gab im SDS viele Frauen, aber sie hatten nichts zu sagen, und sagten sie trotzdem was, na dann setzte es.... Nur der Phantasie sind hier keine Grenzen gesetzt, denn es gab wirklich viele Möglichkeiten, zu verhindern, dass sie irgendetwas Entscheidendes sagen oder tun konnten. Den Deformationen und frühen Toden der Genossinnen, die es trotzdem versucht haben, will ich nicht hier und nicht in dieser (notwendigen) Artikelkürze weiter nachgehen, sie werden aber nicht vergessen.

Und eines kann und muß hier aber auch trotz der Kürze noch einmal in Erinnerung gerufen werden: Es waren gerade die Frauen im sog. „antiautoritären“ SDS, eben jene emanzipatorischen Kräfte, die diese männerbündische Eliteeinheit der studentischen Intelligenz „von sich selbst“ befreit haben, die den heldensüchtigen SDS-Führern politisch den Garaus machten! Es waren die Aufstände der Frauen von Berlin und Frankfurt, im SDS und um ihn herum, es war das Manifest der Berliner Genossin Helke Sander und die Tomaten der Berliner Genossin Sigrid Rüger, die die letzte ordentliche SDS-Delegiertenkonferenz in Frankfurt/Main im September 1968 folgenreich störten, und es war zwei Monate später der Frankfurter „Weiberrat“, der die letzte Delegiertenkonferenz in Hannover sprengte. Und danach war es dann aus mit dem SDS, dem entscheidenden Motor von „68“.

Leider habe ich an diesen Aufständen nicht teilgenommen, weil mir das Schicksal des SDS, mit dem ich mich damals völlig kritiklos identifizierte, wichtiger war als der Befreiungskampf der Frauen. Es dauerte auch noch eine ganze Weile, bis ich begriff, wie falsch, wie schief ich gelegen hatte und wie richtig es war, dass die Frauen aufgestanden sind, aber irgendwann begriff selbst ich es.

Ines Lehmann, Lissabon, März 2008