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"Die duzen sich doch alle"

An der Freien Universität Berlin fordern Studenten das Lehrverbot für eine Apo-Legende: Bernd Rabehl soll "ein ausgewiesener Rechtsextremist" geworden sein.

Von Alexander Smoltczyk


In einer Dahlemer Backsteinvilla sitzt die Studentenvertretung AStA der Freien Universität (FU) und organisiert ihre Ausschüsse mit Hilfe eines Stapels Büroablagen: "Sekten AG" steht da geschrieben, "KrüppelInnen", "TOP Inhaltsplenum", "Lesben", "Cuba Gruppe" oder "Antifa Ini". Das macht die Arbeit einfacher. In der Ablage "Antifa" landet auch die Post für ein "Bündnis gegen Rabehl".

In der bewegten Geschichte der FU hat der Name Rabehl einen ähnlichen Klang wie der Name Dutschke. Rabehl, der Rebell. Der hitzige Kopf der Studenten von 1967/68 ­ der linke Rabehl.

"Herr Rabehl ist ein geistiger Brandstifter", sagt Sascha vom "Bündnis", "ein gefährlicher Rechtsextremer und Rassist."

"Er muss weg", sagt Jakob.

"Dead men can't rape", sagen die Plakate, mit denen die Asta-Villa tapeziert ist: Tote Männer vergewaltigen nicht.

Bernd Rabehl ist Honorarprofessor für politische Soziologie. Zum Beamten auf Lebenszeit ist er nie ernannt worden, meist waren es konservative Fachkollegen, die dem Revolteur die Berufung vermasselten ­ zuletzt 1985, als die Freie Universität ihm seine Stelle nicht verlängerte.

Rabehl ging nach Brasilien, lehrte dort Agrarsoziologie. Nach dem Fall der Mauer kehrte er 1991 zurück und fand sich verändert in einem veränderten Land: "Ich hatte den Eindruck, Deutschland und Europa hätten sich durch den Zuzug verarmter Völkerschaften brasilianisiert."

Im vergangenen Dezember sprach Rabehl auf Vermittlung eines konservativen Jusos vor der pflichtschlagenden Burschenschaft "Danubia" über die Studentenbewegung, zusammen mit dem Rechtsanwalt Horst Mahler, der einst die "Rote Armee Fraktion" mitbegründete und mittlerweile die ganz Rechte hofiert, und Peter Furth, dem linken Philosophen.

"Mir wurde versichert, es gebe dort keine DVU- und NPD-Leute mehr, dafür viele Ex-DDRler wie mich. Denen wollte ich die Illusionen von 1968 erklären, mit einer Rede im Stil des Vietnam-Kongresses", sagt Rabehl heute. Seine Thesen hatten zuvor schon im "Sklaven" gestanden, dem Journal der Ost-Berliner Intelligenzija: Die Einschätzung der Studentenbewegung als gescheiterte, in Teilen national-revolutionäre und rätedemokratische Revolte. Die Deutung seines Freundes Rudi Dutschke als Rebellen gegen "die Besatzer" USA und Sowjetunion. Die Klage über "Verlust an Kollektivität oder Klassenidentität" und "Manipulation, psychologische Enteignung, Vermassung". Etwas Marcuse, etwas Adorno, etwas Innenansichten eines Ketzers im Vorruhestandsalter. Das Übliche eben.

Doch als Rabehl dann ­ "in ironischer Absicht", wie er heute sagt ­ vor der "Danubia" zum Wörterbuch der Neuen Rechten griff, klang alles ganz anders.

In apokalyptischem Ton und freier Rede schilderte er seine Sicht der Dinge: "In Europa bedeutet diese politische Überfremdung die grundlegende Zerstörung von Volk und Kultur, vor allem dann, wenn die Zersetzung der nationalen Identität bereits soweit fortgeschritten ist durch die kapitalistische Umwertung der Werte wie in Deutschland."

Selbst in einen Krieg lasse sich das Volk ziehen, denn: "Der Schuldpranger der deutschen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg soll alle kommenden Verbrechen überdecken, und ein Volk ohne Kultur kann zu allem verleitet werden, zumal es von ,Eliten' beherrscht wird, die von ,außen' geprägt werden und keine innere Verantwortung tragen."

Ein Gerhard Frey hätte es nicht anders gesagt. "In Wortwahl und Denkmustern ist diese Rede ein rechtsextremer Text", sagt Rabehls Kollege Hajo Funke. "Die Rede war Ausdruck eines inneren Unbehagens, das noch nicht die Sphäre der Reflexion gefunden hat", schrieb Rabehl dem Fachbereichsrat des Otto-Suhr-Instituts und gab zu, dass es einem Intellektuellen nicht anstehe, "Stimmungen als Gedanken auszubreiten, die nicht durch den Reflektor des allgemeinen Bewusstseins gelaufen sind". Nun ist Rabehl jemand, der den eigenen Worten lieber hinterher lauscht, als sie auf mögliche Wirkungen abzuklopfen. Er sei damals "in Spielerlaune" gewesen, wenn auch nicht nur. Bei allen etwaigen Absichten der Rede hält er daran fest, dass die Verarmung islamischer Länder eine Zuwanderung bewirke, die eine Gefährdung für die "westeuropäische Identität" darstelle. Hier sieht Rabehl keinen Grund zur Revision: "Da ist ein Problem, und darüber muss geredet werden."

Doch dafür war es längst zu spät. Antifa-Studenten blockierten sein Seminar über "Das Recht auf Faulheit" und wickelten den Dozenten in Transparente ein: "Kein Raum für geistige Brandstifter". Auch das Seminar eines Dozenten, der es ablehnte, sich von Rabehl zu distanzieren, wurde boykottiert. Es war wie früher, nur ganz anders.

Es dauerte nicht lange und Rabehl wurden Antisemitismus, das Leugnen des Holocausts und (von einem Kollegen) "Kriegshetze" vorgeworfen. Frühere Mitglieder des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS), denen Rabehls Radikalkritik am Mauersozialismus nie behagt hatte, betreiben seine Entlassung als Vertrauensdozent der Studienstiftung des DGB.

Nun sind am Otto-Suhr-Institut schon andere linke Frei-Denker wie Daniel Cohn-Bendit oder Katharina Rutschky am Reden gehindert worden. Neu ist jedoch der Ton der Auseinandersetzung. Es ist das Vokabular der dreißiger Jahre.

Auf den Flugblättern und Web-Seiten wird geschimpft über "neurechte Renegaten", Komplizenschaft mit Dutschkes Mördern und "(volks)fremdes Gedankengut". Der Provider "Partisan.net" reagierte auf die Verbreitung der "völkischen und rassistischen" Rabehl-Texte mit Zwangslöschung und kündigte der Zeitschrift "Kalaschnikow" ihre Subdomain. Und Rabehls Unterstützer, nicht weniger hysterisch, wittern schon "das Feuer unter den Hexenkesseln, gefüllt mit dem Gebräu antidemokratischer Ideologie und dem Gift des Verdachts".

Besonders groß ist die Wut auf der "SDS-Website", einem Traditionsverein, der alte Linienkämpfe regelmäßig an Originalschauplätzen nachspielt und die Zeit bis zum Vorruhestand mit Renegatenjagd verbringt. Hier wird Rabehl in eine Reihe mit anderen einstigen SDS-Genossen gestellt, die heute vor NPD-Parteitagen den Kotau machen, wie es Horst Mahler tut. Der hegelisierende RAF-Gründer tritt heute für Monarchie und Abschaffung der parlamentarischen Demokratie ein, um der deutschen "Volksgemeinschaft" den "Kraken" des Kapitals vom Leib zu halten.

Rabehl hat mit diesen Ein-Mann-Sammlungsbewegungen zur Rettung Deutschlands nichts zu tun. Er hält Mahler für "endgültig durchgeknallt", weigert sich aber, die üblichen Selbstkritik-Rituale mitzumachen. In einer Tribunalstimmung käme jede Distanzierung einer Selbstdemütigung gleich.

Ihren Höhepunkt erreichte die Kampagne kurz vor den Semesterferien, als der Präsident der FU aufgefordert wurde, Rabehl Lehrverbot zu erteilen: "Beenden Sie den unerträglichen Zustand, dass ein ausgewiesener Rechtsextremist seine Parolen im Namen und mit Hilfe der Freien Universität verbreiten kann." Darunter standen die Unterschriften von AusländerInnen-Liste, Jungdemokraten und vom Jugendverband der IG Medien Berlin-Brandenburg. Auch der AStA, seit einem halben Jahr mit Koalitionsverhandlungen beschäftigt, unterschrieb kurz entschlossen.

Ein denkwürdiger Vorgang: 30 Jahre danach fordert die FU-Studentenvertretung ein Berufsverbot für eine Galionsfigur von 1968.

Dem Politologen Wolf-Dieter Narr, einer moralischen Autorität der FU-Linken, sind die "Weg mit ..."-Parolen ebenso suspekt wie ein Verschwörungsverdacht, wonach auf dem Campus die Moskauer Prozesse neu inszeniert würden: "Als Intellektueller hat Rabehl eine Dunkelmann-Position eingenommen. Man darf nicht mit Begriffen um sich werfen, ohne an die Folgen zu denken. Aber an der Uni muss eine Debatte geführt und nicht durchs Disziplinarrecht abgewürgt werden."

Nach einem erklärenden Brief Rabehls ist die Sache für den Fachbereich erledigt. Nicht aber für das "Bündnis gegen Rabehl". Dessen Erklärungen seien "formalistische Trickserei", dessen "grundsätzliche Haltung rechtsextrem". Respekt vor linken Verrätern haben die Studenten nicht. Sie wurden in der Nachwendezeit politisiert, besonders durch die Hetzjagden in den neuen Bundesländern. Sie haben ein feines Gehör für fremdenfeindliche Untertöne und wenig Verständnis für intellektuelle Mutproben auf diesem Terrain.

Die 68er-Professoren an der FU sind für sie eine einzige Seilschaft: "Nur wir Studenten sind unbelastet genug, den Kampf gegen jede Form von Rassismus an der Uni zu führen", sagt Jakob vom "Bündnis". "Die Profs duzen sich doch alle."