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Peter Welter, der Archivar, ist tot
Nachruf
von der Gruppe "Arbeiterpolitik"
Ende
April starb in Berlin im sechzigsten Lebensjahr nach monatelanger
schwerer Krankheit unser Genosse Peter Welter. Peter war über die
Gruppe Arbeiterpolitik hinaus bekannt als derjenige, der für das
Archiv der Gruppe verantwortlich zeichnete. Anfang der 70er Jahre
erschienen drei von ihm herausgegebene Rundbriefe, die den damaligen
Bestand auszugsweise wiedergaben.
Peter
stammte aus einer klassischen Arbeiterfamilie. Der Vater verdiente das
Einkommen für die große Familie durch seine Tätigkeit als Tischler.
Das Geld war immer knapp zu Hause, so dass Peter schon früh mit den
Zwängen der materiellen Existenzsicherung konfrontiert wurde.
Nach
der Mittleren Reife begann er eine Ausbildung als Keramiker. Etwa ab
Mitte der 60er Jahre arbeitete er im Büro des Berliner
Sozialistischen Deutschen Studentenbundes, SDS. Er versuchte dort,
Ordnung in das alltägliche Chaos zu bringen. Zeitweilig war er auch
im Asta der TU beschäftigt.
Nach
Auseinandersetzungen, die ihn auch persönlich trafen, zog er sich aus
dem SDS zurück und wechselte nach Bremen. Dort erlebte er die Schülerstreiks,
die kommunalpolitische Bedeutung besaßen, und die
Auseinandersetzungen auf der Klöcknerhütte 1969. Aufgrund dieser
Eindrücke fand er Verbindung zur Gruppe Arbeiterpolitik, ab 1969 nahm
er an den Diskussionen der Bremer Gruppe teil.
Gründung des Archiv Arbeiterpolitik
Schon
kurze Zeit später schlug Peter vor, ein Archiv anzulegen. Die Bremer
Gruppe stimmte dem zu und kurze Zeit später wurde dieses Projekt zu
einem der Gesamtgruppe.
Motiv
für den Entschluss, das historische Material der Gruppe systematisch
zu sammeln, war die Einsicht, dass sowohl unter den Ende der 60er
Jahre zur Gruppe gestoßenen akademischen Linken wie auch unter den
Arbeitern, Lehrlingen und Schülern, die über Erfahrungen in
spontanen Kämpfen und kommunalen Auseinandersetzungen verfügten, das
Interesse an der Klärung historischer Fragen und an der Aneignung
einer Methode, die eine selbstständige Analyse von Klassenkämpfen
ermöglichte, groß war. Schulungen konnten aber nur dann organisiert
werden, wenn die historischen Texte und die Materialien zu aktuellen
gesellschaftlichen Konflikten zur Verfügung standen und von allen,
die damit arbeiten wollten, abrufbar waren.
Ein
zusätzlicher Grund für die Einrichtung eines Archivs ergab sich
daraus, dass sich die Gruppe seinerzeit an der unter den linken
Organisationen geführten Diskussion über zentrale Fragen der
Geschichte der Arbeiterbewegung beteiligte. Auch um hier Stellung
nehmen zu können, bedurfte es der Sammlung des historischen
Materials. Eine weitere Funktion sollte das Archiv darin haben, »die
im Besitz der einzelnen Genossen befindliche politische Literatur
schriftlich zu erfassen und so eine gemeinsame ›Bibliothek im
Karteikasten‹ zu erstellen. Das Zusammenfassen von Zeitungsartikeln
zu Vorgängen im gewerkschaftlichen, innen- und weltpolitischen
Zusammenhang ist eine weitere Aufgabe, die zwar aufgrund des
Arbeitsumfangs schwieriger zu bewältigen ist, für die Arbeit der
Redaktion ... jedoch sehr
nützlich sein kann.
Um
die Gefahr zu vermeiden, das Sammeln von Material im Archiv um seiner
selbst willen zu betreiben und es so zum Grab für Informationen
werden zu lassen (ein Vorgang, den jeder kennt, der selbst einmal
dergleichen begonnen hat), ist die Arbeit am Archiv vor allem darauf
gerichtet, es für die Erfordernisse der praktischen politischen
Arbeit nutzbar zu machen, wie sie z.Zt. vor allem in Schulung,
redaktioneller Arbeit an Arpo und Betriebszeitungen, der Aufarbeitung
wichtigen historischen Materials für Veröffentlichungen etc. zum
Ausdruck kommen.
Neben
der längerfristigen Arbeit, wie z.B. der Sammlung und evtl. späteren
Herausgabe der Arbeiten August Thalheimers, Heinrich Brandlers und
anderer werden Arbeiten wie die Zusammenstellung von Material zu
bestimmten Themen für Schulungskreise, Redaktion und einzelne
Genossen die wichtigste Aufgabe des Archivs sein.«1)
Trennung von der Gruppe
Peter
hat sich zunächst auf die ersten Nachkriegsjahre bis zum Neuanfang
der Gruppe im Jahre 1960 konzentriert. Die Dokumente dieser Jahre
lagen bei verschiedenen GenossInnen, die zum größten Teil nicht mehr
an der politischen
Auseinandersetzung
teilnahmen. In diesem Zusammenhang wurden in den gruppeninternen
Diskussionen Fragen aufgeworfen: In wieweit ist es politisch
gerechtfertigt, mit nunmehrigen Vertretern sozialdemokratischer
Anschauungen wenn auch nur aus Gründen der Vervollständigung des
Archivbestandes Kontakt aufzunehmen? Ist eine sich am Kriterium der
Vollständigkeit orientierende Archivarbeit schon eine politische
Arbeit? Inwieweit muss die Aufarbeitung historischen Materials sich an
den aktuellen Fragen der Gruppentätigkeit orientieren?
Peter
gegenüber geäußerte Vorwürfe in diesem Zusammenhang haben sich
nicht erhärten lassen. Er hat die Archivarbeit nie genutzt, um persönliche
oder berufliche Vorteile zu erlangen. Alle seine zwischenzeitlich geäußerten
Publikationsvorhaben besaßen den Charakter bibliografischer
Sammlungen. Mit ihnen verfolgte er allein das Ziel, auf die Texte von
KPD-O, IVKO2) und Gruppe Arbeiterpolitik hinzuweisen und so
Interessierten die Möglichkeit zu bieten, sich die Materialien ohne
großen Recherchieraufwand zu beschaffen. Sein Streben nach Veröffentlichung
von Dokumenten stand nicht im Gegensatz zum politischen Interesse der
Gruppe. Peter vertrat die Auffassung, dass es am besten wäre, wenn
die Gruppe ihre Geschichte selber aufarbeiten würde. Wenn sie dazu
aber nicht in der Lage sei, und dies war sie nur begrenzt, wäre es
auch nicht schädlich, wenn seriös arbeitende Wissenschaftler dies täten.
Die Gruppe könne ja beizeiten ihre eigenen Positionen darlegen und
die der anderen ggf. korrigieren.
Peter,
ein sicher eigensinniger Kopf, wollte die archivarische Arbeit mit der
ihm eigenen Sorgfalt unter allen Umständen fortsetzen. Sie stand
mittlerweile im Zentrum seines Engagements in der Gruppe. An den
tagespolitischen Diskussionen und sonstigen Gruppenaktivitäten nahm
er weniger teil. Die Gruppe konnte einen aus heutiger Sicht banalen
innerorganisatorischen Konflikt nicht so lösen, dass Peter weiter
mitarbeiten konnte. Sie entzog ihm das Vertrauen und setzte einen
anderen Genossen ein, der die Arbeit fortführen sollte. Das
gesammelte Material wurde wechselseitig ausgetauscht.
Fortsetzung der Archivarbeit
Von den internen Beziehungen der Gruppe abgekoppelt, konzentrierte
sich Peter auf die Sammlung von Dokumenten aus der Zeit des Faschismus.
Im Gegensatz zur Weimarer Republik, wo durch die Arbeit K.-H. Tjadens,
Marburg, die KPD-O gut erforscht schien, gab es für die Zeit des
Faschismus eine vergleichbare Untersuchung nicht. Außerdem
existierten die meisten der Dokumente aus dieser Periode verstreut in
einer Vielzahl von Privatarchiven. Während der Illegalität wurden
von den Papieren, den Zeitungen und den Broschüren immer nur wenige
Exemplare hergestellt. Aufbewahrungsmöglichkeiten von politischen
Schriften bestanden ebenfalls nur selten, weil die weiterhin aktiven
GenossInnen sich nirgendwo häuslich niederlassen konnten.
Peter
korrespondierte mit vielen Mitgliedern der KPD-O und der anderer
Sektionen der IVKO. Er sammelte alles, was an Dokumenten zu bekommen
war. Für ihn waren nicht nur die schriftlichen Materialien wichtig,
auch sonstige Informationen über Inhalt und Struktur der politischen
Arbeit besaßen für ihn Bedeutung. So entstanden viele (Brief-)Freundschaften,
die bis zum Tode der Altgenossen hielten. Nahezu alle von ihnen hatten
sich, aus unterschiedlichen Gründen sicherlich, nach 1945 nicht mehr
oder wenn doch, dann nur kurz am Aufbau einer neuen kommunistischen
Bewegung beteiligt. Für Peter war wichtig, dass sie zu ihrer
Vergangenheit standen und aus keinem anderen Interesse als dem, die
eigene Geschichte aufarbeiten zu wollen, zur Kooperation bereit waren.
Obwohl
dieser Teil der Arbeit für ihn sicherlich der spannendste war,
vernachlässigte er nicht die klassische Spurensuche in öffentlichen
und privaten Archiven. Seine Kontakte reichten bis nach Indien und in
die USA. Neue Möglichkeiten
ergaben sich nach dem Niedergang der sozialistischen Länder.
Insbesondere in Tschechien konnte er einige bisher nicht bekannte
Materialien entdecken. Der Fortschritt der fotomechanischen Technik
erleichterte seine Arbeit. Nahezu die gesamte internationale Sekundärliteratur
zur KPD-O und den Sektionen der IVKO befand sich in seiner Hand.
Peter
war in diesen Jahren bereit, allen zu helfen, die sich
wissenschaftlich oder sonst wie historisch mit der KPO und der IVKO
auseinandersetzen wollten. Er verweigerte allerdings die
Zusammenarbeit mit denen, die aus seiner Sicht zweifelhafte Motive
besaßen, die etwa zur Denunziation bereit waren oder allein aus
Karriere-Gründen mal schnell etwas besonderes von der KPO/IVKO
publizieren wollten. Peter stellte den Interessenten nahezu alles zur
Verfügung, was er an Dokumenten besaß, was, entgegen
wissenschaftlicher Publikationspraxis, mehrmals keine dankende Erwähnung
erfuhr. Lediglich bei der Weitergabe von Korrespondenzen blieb er zurückhaltend.
Er sprach wohl hin und wieder mit engen Vertrauten über die
Informationen, die er aus seinen Briefwechseln gezogen hatte,
weitergegeben hat er diese Quellen aber nicht.
Diese
selbstlose Art, die von keiner Seite durch irgendwelche Zuwendungen
vergolten wurde, führte ihn immer wieder in finanzielle
Schwierigkeiten. Mitte der 80er Jahre wurden sie derart massiv, dass
er seine Archivarbeit weitgehend einstellen musste. Er besann sich auf
seine handwerklichen Fähigkeiten und versuchte, bei
Wohnungsrenovierungen, Instandsetzungen von Häusern oder Mitarbeit
bei Hausverwaltungen Geld zu verdienen. Wenn möglich übernahm er die
Entwicklung von Konzepten für einzelne Wohnbereiche, die Planung von
Küchen übernahm er gern. Im Rahmen seiner Tätigkeiten im Baubereich
lernte er alle Widrigkeiten der Branche wie Lohndrückerei, unbezahlte
Rechnungen, arrogante Bauherren kennen. Besonders verhasst waren ihm
ehemals Linke, die zu etwas Reichtum gekommen waren, und sich nun so
verhielten wie die, die sie vordem bekämpft hatten.
Politisch
ist uns in den Jahren der Trennung nur ein Engagement bekannt. Peter
schloss sich in der Gründerphase dem TAZ-Projekt an. Die notorisch
klamme Zeitung versuchte seine handwerklichen Leistungen zum
Billigpreis zu bekommen. Nach einiger Zeit musste er feststellen, dass
sich von den Einkünften auch bei bescheidener Lebensführung nicht
existieren ließ. Schließlich führte die Rechtsentwicklung der
Zeitung auch politisch zum Bruch.
Erneute Zusammenarbeit
In den vergangenen Jahren hat sich Peter der Gruppe wieder angenähert
und die Gruppe ihm. Der Kontakt bezog sich auf archivarische Fragen,
eine politische Mitarbeit war ihm nicht möglich. Doch die Beziehung
verlief so, dass sie für beide Seiten fruchtbar wurde. Peter nahm
Stellung zu einer Rezension der Biografie von Jens Becker über
Heinrich Brandler, er steuerte zu einer geplanten CD-ROM aller nach
1945 erschienenen Ausgaben der Arbeiterpolitik sowie ihrer
unmittelbaren Vorläufer fehlende Exemplare bei. Ferner fanden sich in
seinem Bestand verloren geglaubte Beilagen und regionale Ausgaben der
Zeitung, die in die Veröffentlichung integriert werden sollen. Schließlich
lieferte er noch einige erläuternde Dokumente zur
Zionismus-Diskussion in der IVKO. Zu einer intensiveren Zusammenarbeit
kam es nur deshalb nicht, weil Peter weiterhin seinen Lebensunterhalt
verdienen musste. Vor etwa zwei Jahren warf ihn ein Herzinfarkt für
mehrere Monate zurück. Das letzte Jahr war geprägt durch eine
Vielzahl von Krankenhausaufenthalten. In der Zeit dazwischen war er
kaum noch arbeitsfähig.
Peter
sah seine lebensgeschichtliche Leistung als weitgehend abgeschlossen
an. Es gibt nach seiner Einschätzung nur noch wenige, eher kleinere
Privatarchive, in denen noch unbekannte Dokumente gefunden werden können.
Zuletzt kam es für ihn darauf an, das Material so zu ordnen, dass es
der Forschung in strukturierter Form überlassen werden kann. Er
selbst konnte diese Arbeit nicht mehr vollenden, schaffte es aber in
den letzten Wochen vor seinem Tode noch, seine Bestände in Hände zu
geben, die den Wert seiner Leistungen zu schätzen wissen und mit den
Materialien sorgsam umgehen werden.
H.,
Berlin 8.6.2003
1)
Archiv Arbeiterpolitik, Rundbrief No. 1, Okt. 1971, bis No. 3, Juni
1973.
2)
IVKO – Abkürzung für Internationale Vereingung der Kommunistischen
Opposition. In ihr schlossen sich eine Reihe von Oppositionsgruppen
aus Kommunistischen Parteien zusammen, die mit der Politik der der
Kommunistischen Internationale vor allem nach der ultralinken Wende
1928 nicht mehr einverstanden waren.
Aus
“Arbeiterpolitik”, Nr.3, Juli 2003
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