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Machterfahrung
Gewalt Der tödliche
Wunsch der RAF nach dem nicht entfremdeten Leben VON THOMAS MEDICUS Für
die deutsche Erinnerungskultur ist 2005 ein entscheidendes Jahr.
Zeitzeugen sterben aus, Erinnerung wandelt sich in Geschichte. Darüber
hinaus ist die Ereignisgeschichte des Zweiten Weltkriegs, der Genozid
an den Juden, die totalitäre Mechanik des Nationalsozialismus, sind
die Verbrechen der Wehrmacht wissenschaftlich lückenlos erforscht und
populärwissenschaftlich detailliert verbreitet worden. Auch darum
beschäftigt uns zunehmend über die im kulturellen Gedächtnis der
Bundesrepublik verankerte Aufklärung über den Nationalsozialismus
hinaus dessen Ende. Folgenreicher als der Untergang der Nazi-Elite im
Führerbunker sind aber die auf das Schwellenjahr 1945 folgenden Gründungs-
wie Verlaufsphasen der beiden deutschen Staaten.
Was eine breite Öffentlichkeit
schon jetzt mehr denn je beschäftigt, ist das deutsche
Nachfolgebewusstsein. Welche Rolle spielten Krieg und Holocaust in den
sich formierenden Geschichtsbildern der beiden deutschen
Nachkriegsgesellschaften, vor allem in der individuellen wie familiären
Erinnerung? Im Gedenkjahr 2005 tut sich dabei eine doppelte
Perspektive auf. Nicht nur der Nationalsozialismus rückt in
historische Distanz, auch die beiden deutschen Staaten erscheinen
zunehmend als unwiderruflich historische Gebilde. Damit werden die
Kontinuitäten des politischen Totalitarismus auf der Rechten wie der
Linken auch dort deutlicher denn je werden, wo in der Vergangenheit
Ideologie den Blick vernebelte. Dass die 2004 viel kritisierte, darauf stornierte, dann wieder
angekündigte "RAF-Ausstellung" ebenfalls in diesem Jahr eröffnet
wird, erscheint unter der Voraussetzung einer sich verändernden
Geschichtsperspektive kaum noch als Zufall. In der Gesellschaftskritik
der 68er-Bewegung wie auch für die bewaffneten Aktionen der RAF
spielte der Bruch mit der nationalsozialistischen Vergangenheit wie
der damit verbundene Verdacht, die Bundesrepublik sei ein im Kern
faschistischer Staat, zumindest rhetorisch eine bedeutende Rolle. Wer
2005 den Blick auf das Nachfolgebewusstsein der Bundesrepublik richtet,
sollte deshalb nicht übersehen, dass zum Kontext von 1968 auch das
Jahr 1945 gehört.
Die RAF - ein Mythos?
Immerhin haben sich die Kunst-Werke als lernfähig erwiesen. Der neue Titel Zur Vorstellung des Terrors: Die RAF - Ausstellung lässt vermuten, auch hier hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass RAF und Terror zwei Seiten derselben Medaille sind. Im Sommer 2003 war dergleichen noch zweifelhaft. Damals entbrannte ein heftiger öffentlicher Streit, als bekannt wurde, dass die Kuratoren der Kunst-Werke eine Ausstellung mit dem Titel Mythos RAF planen. Der Vorwurf kam auf, der damalige Direktor Klaus Biesenbach und seine Mitarbeiter wollten Terroristen glorifizieren, als durchsickerte, mit den Nachkommen der RAF-Opfer seien keine Gespräche geführt worden, schalteten sich sogar der Kanzler und sein Innenminister ein. Die Kritik, die Täter stünden allzu sehr im Mittelpunkt, fand breite Zustimmung. Den Skandal ins Rollen gebracht hatte das nicht mehr als eine DIN-A4-Seite umfassende Konzept. Vom Hauptstadtkulturfonds für förderungswürdig befunden, hielten es die Kunst-Werke für nötig zu überprüfen, "welche Ideen, Ideale... ihren Wert durch die Zeit behalten" hätten, womit, auch wer's nicht glauben wollte, die der RAF gemeint waren. Als klar war, dass der Mythos RAF ausgedient hatte und Fördergelder teilweise zurückgezahlt werden mussten, gaben die Ausstellungsmacher klein bei. Ein neuer Entwurf rückte die Kunst in den Mittelpunkt. Damit war auch die ursprünglich geplante wissenschaftliche Dokumentation vom Tisch. Erledigt hatte sich die Beteiligung der Bundeszentrale für politische Bildung wie des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS). Stellvertretend für das HIS äußerte dessen wissenschaftlicher Mitarbeiter Wolfgang Kraushaar, einer der besten Kenner der RAF-Szene wie der 68er-Bewegung, seine Bedenken. Sich an einem Projekt zu beteiligen, das seiner öffentlichen Gelder wegen skandalträchtig bleiben würde, kam nicht mehr in Frage. In einem Projekt, das eines der Kunst- und der Zeitgeschichte hätten sein sollen, sich dann aber auf künstlerische Betrachtungen zurückzog, war für den Hamburger Politikwissenschaftler kein Platz mehr. In seiner Absage machte Kraushaar deutlich, dass das HIS an einem Mythos RAF kein Interesse habe, wohl aber daran, die Geschichte der RAF als Arbeit am Mythos zu thematisieren. Diese Arbeit legt das HIS nun pünktlich zur Eröffnung der Berliner RAF-Ausstellung in Buchform vor. Rudi Dutschke, Andreas Baader und die RAF lautet der Titel des schmalen Bandes (Hamburger Edition, Hamburg 2005, 143 Seiten, 12 Euro), der für Aufsehen sorgen dürfte. Das Buch ist Vorlauf einer umfassenden Publikation, mit der das HIS die Geschichte der RAF als zentralen Bestandteil der Geschichte der Bundesrepublik ausleuchten möchte. Dass die RAF je über Ideen, geschweige denn Ideale oder eine politische Mission verfügt habe, gehört für die Autoren des gestern erschienenen Bandes zu den Mythen des (westdeutschen) linken Alltags. Wolfgang Kraushaar, Karin Wieland und Jan Philipp Reemtsma entsorgen den in Klischees erstarrten linken Blick auf die westdeutsche Zeitgeschichte der sechziger und siebziger Jahre. Dabei wirft ihr kompromissloser Antitotalitarismus so manche mit den Jahren steingrau, dennoch lieb gewordene Lebenslüge über Bord. Dass die RAF je das Beschweigen der Shoa habe beenden wollen, ist eine davon. Dutschke, Baader und die RAF in einem Atemzug zu nennen, ist deshalb weniger Provokation als Programm. Den Mittelpunkt der Texte bildet, was auch von der westdeutschen Linken in Gestalt der grünen Partei erst nach langer Diskussion negativ beschieden wurde: die Anwendung von Gewalt. Dank des an unbekannten Dokumenten reichen Archivs des HIS weist Wolfgang Kraushaar detailliert nach, dass Rudi Dutschke nie der ökopazifistische Freiheitskämpfer war, an den manche noch heute glauben. Anders als bislang angenommen, ist das Konzept der Stadtguerilla kein Zerfallsprodukt der Studentenbewegung. Zwar bescheinigt Kraushaar Dutschke gegenüber der RAF politische Gegnerschaft, etwa im Entführungsfall Schleyer wie anderer Tötungsdelikte. Handfeste Affinitäten zu terroristischer Gewalt sind jedoch auch bei Dutschke festzustellen, und zwar schon vor Ausbruch der Studentenrevolte 1967-69. Bereits im Februar 1966, das einschlägige brasilianische Handbuch des Stadtguerillero war noch nicht erschienen, hatte Dutschke sein Stadtguerilla-Konzept entwickelt und zur Übertragung auf Westberliner Verhältnisse empfohlen. Angesichts solcher wie weiterer von Kraushaar offen gelegter Gewaltapologien wird sich die aus SPD, PDS, Grünen und taz bestehende Koalition überlegen müssen, ob sie die für das ehemalige Berliner Zeitungsviertel legendäre Koch- noch immer in Rudi-Dutschke-Straße umbenennen will.
Richtige Ziele, falsche Mittel?
Wer wie die Autoren des HIS die Mühe der Arbeit am Mythos RAF nicht scheut, kommt um Nähen nicht herum, die erst im zeitlichen Abstand erkennbar werden. Der Band lässt keinen Zweifel daran, dass Dutschke propagierte, was Baader und die RAF praktizierten. Dass die RAF aus fehlgeleiteten Idealismus gehandelt habe nach dem Motto "richtige Ziele, falsche Mittel", verweist Karin Wieland mit ihrem Porträt Baaders als Dandy wie auch Reemtsmas Beitrag ins Reich linker Mythenbildung. Der beiden Texten gemeinsame Kerngedanke macht die Sehnsucht nach dem nicht entfremdeten Leben für eine, so Reemtsma, auf Gewalt beruhende "triumphale Machtausübung" ursächlich verantwortlich. Damit verschiebt sich der Akzent von der ohnehin dürren politischen Legitimationsrhetorik der RAF auf deren situationistische Lebensform. Dass das ganz authentische Leben als reine Negation schließlich in die "Selbstermächtigung zum Töten" mündet, wird überzeugend deutlich, ebenso, warum die RAF auf zahlreiche "verständnisvolle Dritte" zählen konnte. Wer den Verführungen des Authentizitätsprojektes nicht so radikal nachgab wie die RAF, so Reemtsma, verlieh seiner emotionalen Zustimmung nachträgliche theoretische Weihen. Bei all dem ist die Erbschaft weit älterer Vergangenheiten im Spiel. Der von den Mitgliedern der RAF durchweg bezeugte (protestantische) Hang zum Absoluten zeigt ebenso eine unheimliche Verwandtschaft mit der antidemokratischen Kulturkritik der 20er Jahre wie ihr heroischer Radikalismus, ihr Authentizitätszwang oder das totalitäre Geraune vom "neuen menschen". Die RAF hat viel mit der gedanklich gleichfalls unterbelichteten Wandervogel-Bewegung zu tun, der Gudrun Ensslins Eltern angehörten. Und auch der nationalrevolutionäre Dandyismus eines Ernst Jünger stand den Desperados der RAF wie der 68-Bewegung näher, als die Akteure glaubten. Nicht zu vergessen die Vaterlosigkeit des Kriegskindes Baader, der lebenslang staatliche Autoritäten herausforderte. An solchen Strategien der Entmythisierung wird sich die Berliner RAF-Ausstellung messen lassen müssen. Dutschke, Baader, Die "RAF": |