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Wolf-Dieter Narr, ND, indymedia
Der
Orientierungspunkt des Maulwurfs

Ein (letzter) Radikaler und
intellektuell souveräner Seiltänzer.
Zum
Tod des Berliner Politologen Johannes Agnoli
"Nicht nur der Markt weitet sich aus, sondern auch die Aporie: im
Denken, im Tun, im Zusammenleben. Der Emanzipation stehen harte
Bedingungen und schwere Zeiten bevor. Und die mühselige Arbeit des
Maulwurfs. (...) Es wäre schlimm, die radikale Form der Verweigerung
ohne utopischen Hintergrund als Rückzug aus der Gesellschaft zu
verstehen, als Einkehr in die Geborgenheit des individuellen Gewissens,
das sich im Lamentieren beruhigt. Die Verweigerung soll vielmehr in
die gesellschaftliche Wirklichkeit eintreten, dort als das klare,
bewusste, aber allemal wirksame Nein gegen die falsche Entwicklung
handeln. Maulwurfsarbeit ist das genaue Gegenteil der Privatisierung
des Protests."
Johannes Agnoli, der anlässlich seines 75. Geburtstags diese Sätze
geschrieben hat, ist am Beginn seines 79. Lebensjahres am 4. Mai in
seinem Haus in der Nähe von Lucca gestorben. Ein Nebenwohnsitz in
Berlin, sinnigerweise weinnah dem Rüdesheimer Platz, deutete bis zum
Schluss auf Johannes Agnolis Berliner Präsenz. Hier, an der
FU-Berlin, dem Förderer hoch qualifiziert abweichender Gedanken und
Personen, Ossip K. Flechtheim sei Dank, hat Agnoli seit Ende der 60er
Jahre erst als Assistent und dann als Professor für
Politikwissenschaft gewirkt. Ein Politologe also, aber nicht nur.
Einer dessen eminente klassische Bildung, sich über Vico, Hegel und
Marx insbesondere, bei geradezu habituell vorgegebenem Anarchismus
sozialistisch radikaldemokratisch zuspitzte und jenseits der Zeiten
opportunistischer Brüche, da wahrhaft verlässlich, erhielt. Also
wurde Johannes Agnoli nicht nur in seiner zu einer Art Anti-Klassiker
avancierten Transformation der Demokratie (1967 zusammen mit
dem gleichfalls ungewöhnlichen Peter Brückner) zu einem der
wichtigsten Theoretiker der Studentenbewegung (seine im Ca-Ira-Verlag
zu Freiburg i.Br. publizierten Aufsätze zu letzterer sind wie viele
andere seiner dort gedruckten Werke heute mehr denn je intellektuell
politisch an- und aufregende Lektüre).
Agnoli war eine der intellektuellen Säulen, immer kritisch berstend,
nie autoritär stehend, des berühmten, unter anderer Perspektive des
berüchtigten, Republikanischen Clubs, aus der Zeit, da es noch
West-Berlin und vor allem noch eine politisch sich assoziierende
intellektuelle Linke gegeben hat.
Selbstredend war Agnoli, im süditalienischen Tirol geboren, auch
darum ein Bergsteiger vor dem Herrn, kurz nach dem Krieg im
schwäbischen Urach deutsch sozialisiert, Spranger-Schüler und als
ungebärdiger Zögling von Spranger entlassen, ein Mann mit seinen
Widersprüchen zwischen den Zeiten, zwischen den Ländern lebend und
vor allem kühne Gedankenarbeit treibend.
In jüngeren Jahren fuhr er zuweilen in einem rapiden Rutsch im Alpha
Romeo von Berlin nach Neapel. Indes, der dauernd unruhige Geist,
antidogmatisch und gegen alle aufgeherrschten Ordnungen bis auf die
Knochen, blieb bis das "Schlägle" ihn traf - in dem ihm
vertrauten Schwäbisch mit tieferem Humor gesprochen -, radikal
nüchtern in Marx-gelernter Analyse, zugleich radikal auch in seiner
Orientierung auf eine ganze, aber menschenmögliche, ja
menschennötige Gesellschaft in der alle aufrecht gehen können. Im
Unterschied zu vielen anderen Marxisten, vor allem Parteigläubigen
aller Art wusste er, vergleichbar Rosa Luxemburg, mit der ihn viele
Eigenschaften verbanden, darum, dass alle Umgangs- und
Organisationsformen den Ausschlag geben. Und dass Sozialismus nicht
erst in der Ferne, dass er vielmehr, soll er wahrhaft sein und werden,
hier und heute im herrschaftskritisch emanzipatorischen Verhalten
beginnen muss. Darum war Johannes Agnolis Seil, auf dem er
intellektuell zuweilen atemberaubende Kunststücke vorführte, immer
an den Stangen von Gleichheit und Freiheit angepflockt.
"Was soll die Utopie in der Aporie?", so schließt der
eingangs zitierte Artikel. "Die Orientierung an der Utopie ist
der einzig reale Ausweg aus der Inhumanität, in der sich die
Weltgesellschaft befindet." Hier gilt wahrhaft das alte
lateinische Wort: mortuus doceat vivos. Dieser Tote möge die Lebenden
lehren.
WOLF-DIETER
NARR, FR
06.05.2003
Das
Prinzip gilt
Johannes Agnoli ist tot
Vom Kerngedanken seiner 1967 mit Peter Brückner verfassten Schrift über
»Die Transformation der Demokratie« wollte Johannes Agnoli (Foto:
Nilo Del Duerra) bis zuletzt nicht abrücken: Im Kapitalismus müssten
die Massen politisch befriedigt, zugleich aber von allen
Entscheidungen fern gehalten werden. Wahlen und »was noch unter
Liberaldemokratie läuft«, änderten daran, so Agnoli 1998, nichts:
»Das Prinzip gilt«. Vom italienischen Linkssozialismus beeinflusst
kam Agnoli 1956 nach Tübingen, später nach Berlin. Dort avancierte
der 1925 in Valle di Cadore geborene Politikwissenschaftler mit seiner
Kritik am Bonner Parlamentarismus zu einem der wichtigsten Theoretiker
der außerparlamentarischen Opposition der 60er Jahre, wirkte lange
Zeit am Otto-Suhr-Institut und scheute bis zuletzt keine politische
Einmischung. Der Melodie, die die versteinerten Verhältnisse zum
Tanzen bringen soll, empfahl Agnoli den »basso continuo der Ironie«
– als Schutz vor kollektiven Irrwegen. Johannes Agnoli starb am 4.
Mai in seinem Haus nahe des toskanischen Lucca.
tos,
(ND 08.05.03)
Agnoli-Institut für Kritik der Politik:
Umbenennung OSI/Berlin
von [aan] autonome agnoli nachrufer - 13.05.2003 16:39
Anlässlich des Todes von Johannes Agnoli, der am
Beginn seines 79. Lebensjahres am 4. Mai in Lucca/Italien verstorben
ist, wurde das Institut für Politikwissenschaften an der FU-Berlin
umbenannt: Das »Johannes-Agnoli-Institut für Kritik der Politik«
soll den Studie- renden die Möglichkeit bieten, in dürftigen Zeiten
die Subversion einzuüben.

"Kritik der Politik" statt Politikberatung an der
FU Berlin...
... als notwendiges neues Programm unter
neuem Namen. |
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heute - am uni-informationstag der
berliner oberschulen - wurde das politologische institut der freien
universität berlin in »Johannes-Agnoli-Institut für Kritik der
Politik« umbenannt. wir dokumentieren die neue institutsfassade mit
dem neuen namen und die aushänge mit der begründung der umbenennung:
»Die Utopie der >Gesellschaft der Freien
und Gleichen< kann nicht als Gesetzesvorlage
weder oppositioneller noch regierender
Fraktionen in den Bundestag eingebracht werden,«
(Agnoli)
Anlässlich des Todes von Johannes Agnoli, der am Beginn seines 79.
Lebensjahres am 4. Mai in Lucca/Italien verstorben ist, wurde das
Institut für Politikwissenschaften an der FU-Berlin umbenannt: Das »Johannes-Agnoli-Institut
für Kritik der Politik« soll den Studierenden die Möglichkeit
bieten, in dürftigen Zeiten die Subversion einzuüben. Subversion war
Dreh- und Angelpunkt in Agnolis' Politikverständnis. Sie war für ihn
der Kamm, mit dem die Geschichte gegen deh Strich gebürstet werden
sollte und Bedingung der Möglichkeit einer herrschaftsfreien
Gesellschaft. »Es kommt darauf an, ob man nur etwas wissen will oder
ob man auch denken will« hieß es in seiner Abschlussvorlesung im WS
89/90. Die Geschichte der Subversion, welche immer dann stattfindet,
wenn die gesellschaftliche Situation keine revolutionäre ist, ist mit
Agnoli fortzuschreiben. Die Umbenennung des Instituts ist unsere Form,
diesen Gedanken aufzugreifen.
In den letzten Jahren ist das politikwissenschaftliche Institut,
seiner Funktion nach ohnehin ein ideologischer Staatsapparat, zu einem
Think Tank herrschender Verhältnisse geworden. Selbst viele der
kritischen Lehrenden haben sich der Politikberatung verschrieben. Spätestens
seit dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin ist klar, wohin die
Reise geht. Das Studium wird zu einer Ausbildung, einer Ausbildung
nach Kriterien der Effizienz, der Verwertbarkeit und der Einübung
regierungsfähigen Denkens. Emanzipation und die Möglichkeit einer
herrschaftsfreien Gesellschaft werden höchstens noch als interessante
Fragestellungen behandelt. Demgegenüber hielt Agnoli fest: » Der
Kommunismus kann nur dann erledigt sein, wenn man ihn verwirklicht hat«
Für Agnoli war klar, dass bisher jede Revolution nur die Ablösung
einer Herrschaftsform durch eine andere war. Damit ist der Kommunismus
kein Exponat der Theoriegeschichte, sondern ein noch zu
verwirklichendes Projekt und die Theorie der Subversion Rüstzeug für
»die Kritik alles Bestehenden« (Marx). »Es ist unendlich schwierig,
daraus revolutionäre Strategien zu entwickeln, die unter anderem
gegen die Effizienz kapitalistischer Herrschaftsstrategien und
Herrschaftsinstitutionen zu kämpfen haben. Aber nur daraus entwickelt
sich eine revolutionäre Bewegung, die die Emanzipation in ihrem
eigenen Verlauf und in den Strukturen ihrer Organisation schon
verwirklicht und nicht auf den Tag nach dem erfolgreich-endgültigen
Sieg verschiebt« (Agnoli). Dass die Herrschaftslogik, gegen die
Agnoli ein »organisiertes Nein« setzt, am OSI in den letzten Jahren
stärker geworden ist, unterstreicht die Notwendigkeit, die Subversion
in seinem Sinne auch im studentischen Alltag zu organisieren und auszuüben.
Angesichts der anstehenden universitären Umstrukturierungen in Berlin
wird dazu Gelegenheit genug sein. Was er uns für heute mitgeben würde:
Geduld und Ironie, um schließlich »alle Verhältnisse umzuwerfen, in
denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes,
ein verächtliches Wesen ist« (Marx).
indymedia
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