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Es ging um die Kühltruhe Was von 1968 bleibt, ist nur die Liberalisierung des gesellschaftlichen Lebens. Wolfgang Kraushaar sieht das anders Von Katharina Rutschky Keiner der damals jung oder sogar sehr jung war, hat sich später im Rückblick auf die Studentenbewegung als Altachtundsechziger geoutet. Das Achtundsechzigertum ist eine neidvolle Erfindung der zu spät Geborenen, der Medien, die das zehn-, zwanzig- und jüngst dreißigjährige Jubiläum ungefragt begingen, und einer peniblen akademischen Forschung, die jedes Flugblatt jener Jahre archiviert und uns bestimmt noch einmal mit einer kritischen Ausgabe von Rudi Dutschkes Schriften versorgen wird. Meine Prognose: Wolfgang Kraushaar, Jahrgang 1948, hat als Nachgeborener, Publizist und Forscher an Jan-Philipp Reemtsmas Hamburger Institut für Sozialforschung an allen drei Rezeptionen von "'68" teil. So weit ich sehe, hat er sein ganzes bisheriges Arbeitsleben der Studentenbewegung im Besonderen und der politischen Protestkultur im Allgemeinen gewidmet. Sein Buch "1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur" versammelt Aufsätze, in denen er mit erstaunlicher Akkuratesse Einzelaspekte des Achtundsechzigertums oder seiner Protagonisten behandelt. Wer wissen will, wie sie zum Geld, zur Elite oder zur Nation standen, wo die Stasi ihre Finger drin hatte und welche größenwahrsinnigen Ideen manch einer im Hinblick auf die Rolle West-Berlins für die Revolution und die Sprengkraft des Stadtguerillas für die Zerstörung der faschistoiden Kleinfamilie hegte und hektographiert zu vervielfältigen pflegte, der ist bei Kraushaar ganz gut aufgehoben. Wer aber wissen will, was nach langem Vorlauf und mit langem Nachspiel als 1968 sprichwörtlich geworden ist, muss sich wohl doch noch gedulden. Kraushaar schickt seinem Sammelband zwar einen quasi erkenntnistheoretischen, methodologischen Aufsatz voran, aber der tönt unter der Überschrift "Wie über 1968 schreiben?" für meinen Geschmack viel zu pathetisch. Die Zeitgeschichtsschreibung stellt zwar ein paar andere, im Unterschied zur Kreuzzugsforschung oder Pharaonenanalyse aber keineswegs schwierigere Aufgaben. Letzten Endes kommt es denn doch auf die Schlauheit des Forschers und vor allem seinen freien Kopf an. Kraushaar lässt hier viele Wünsche offen und kompensiert sie unzureichend durch Philologie und politische Korrektheit. Als unbekennende Feministin bin ich ja gern nett zu Männern und sage es deshalb ungern, dass Kraushaars sonderbare Anhänglichkeit an '68 mich an eine spezifische Stammtischpolitik gehobenen Zuschnitts erinnert, die auch seinerzeit, allerdings im unschuldigen O-Ton akademischer Jungintellektueller, sehr im Schwange war. Vielleicht ist es nicht falsch, wenn ich hier am Rande erwähne, dass ich nach einem Vorlauf als Mitglied der Sozialistischen Jugend in der Documenta-Stadt Kassel selbstverständlich sofort bei Studienbeginn in Berlin in den SDS eingetreten bin. Es war das Privileg meiner Generation, dass wir das Schlau-, Frei- und Anderssein mit dem Zeitgeist! > unter den Flügeln ausleben durften. Wir hatten ganz klare Feinde in der alten Bundesrepublik - es bedurfte keiner politischen Korrektheit, sie ausfindig und jedermann plausibel zu machen -, und wir waren jung und unschuldig genug, ihr zivilisatorisches Defizit mit unserem Generationenprotest zu verbinden. Mehr als verständlich, dass Nachgeborene wie Kraushaar uns bis heute darum beneiden, dass wir zur richtigen Zeit jung und schlau und vorn gewesen sind. Es hat lange vorher und nachher keine vergleichbare dramatische und wahrhaftige Inszenierung zwischen Eltern und Kindern, zwischen Avantgarde und Establishment, zwischen Geist und Macht gegeben. Viele Jahre später wissen wir, dass von diesem Glück nicht alle den schlauen und freien Gebrauch gemacht haben, den man sich damals gewünscht hat. Die Altachtundsechziger haben ihren gehörigen Anteil an Spießertum produziert, wie andere Generationen vorher auch. Altlinke, Antifaschisten und Neomarxisten sind in den Jahren danach en masse in den Sümpfen von Kultur- und Konsumkritik versackt - von den Verirrungen des Sektierertums einmal abgesehen - und haben keineswegs so viel kreative Ideen umgesetzt, wie man erwartet hätte. Ich bin trotzdem von den Gurus, denen ich seinerzeit gefolgt bin, nicht enttäuscht. Dutschke, Rabehl oder Langhans habe ich aber als ungefähr Gleichaltrige, außerdem als weibliches Mitglied verschiedener politischer Vereine, anders erlebt, als Kraushaar sie darstellt. Er vergisst in seinen Analysen völlig, wie jung alle damals waren. Würde ein Dutschke heute nicht DJ oder Reporter sein, ein Langhans nicht als Bachblütentherapeut Geld verdienen? Und Rabehl wäre, ohne die Aureole von '68 und als Dutschke-Freund, Studienrat geworden oder bestenfalls Fachhochschuldozent für Soziologie in Irgendwo. Stattdessen ist Dutschke eine Legende, Rabehl ein rechter Schocker und Langhans ein sexuelles Topfgericht, das unbegrenzt wieder aufgewärmt werden kann. Und auch wird, wie bei Dutschke und Rabehl auf deren Weise, denn bis heute misst sich Jugend - nicht jede Jugend, die kleinbürgerlich-proletarische nehme ich aus - am Vorbild der Achtundsechziger. Eigentlich ein wichtiger Grund, sie aufzuklären und nicht im Schwurbel neiderfüllter Fantasien allein zu lassen. Auch die affektive Reaktion auf die Achtundsechziger erübrigte sich, wenn die Aureole von '68 endlich ein wenig zerfleddert würde. Nicht nur Kraushaar lebt und zehrt so oder so von dieser Aureole, diesem Gerücht. Dutschke, Rabehl und Mahler, deren nationalen Sehnsüchten und, was Mahler betrifft, nationalistisch-reaktionärer Option, Kraushaar eine Enthüllungsstory widmet, müssten doch wohl in ihrer Bedeutung sehr relativiert werden. Wer wie zum Beispiel ich im intellektuell hochgestochenen SDS und seinen Arbeitskreisen außerdem in Gewerkschaftsseminaren und als Minidozentin für Oberschüler und Lehrlinge sich sonstwo herumgetrieben hatte, der konnte dem freischwebenden Dogmatismus Dutschkes wenig abgewinnen. Da hatten das "Grandhotel Abgrund", von Adorno und Benjamin vor allem bewohnt, und die neue Jugendkultur, von den Beatles verkörpert, sehr viel mehr Anziehungskraft. Dutschke hatte aber das Charisma und die Energie eines Stars - worüber er redete, habe ich nie verstanden, und zu lesen war er auch nicht. Persönlich war er außerordentlich sympathisch und gab mit seinem Gretchen überall ein rührendes junges Paar, wie ich noch keines kannte. Trotz oder wegen dieser Einschätzung brach ich in Tränen aus, als ich von dem Attentat auf ihn erfuhr und nahm natürlich an der Demonstration teil, die in die Kochstraße führte und in brennenden Lastwagen und einer zersplitternden Glastür gipfelte, durch die Horst Mahler gedrückt wurde. Ich habe vorhin von der Stammtischpolitik gesprochen, die auf Seiten der politisierenden Jugend in den Sechzigern mangels Alternativen so gut in Schwung war wie heute bei Kraushaar aus forschungsstrategischen Gründen. Stimmungsumschwünge, atmosphärische Veränderungen und ih! >r verrücktes Personal sind eben schwerer zu begreifen und zu beschreiben als Meinungen, die auf Papier zu haben sind bis heute. Zwischen 1966 und 1968/69 kam es in Westdeutschland zu einem zivilisatorischen Sprung, für den mich in Kassel der KZ-Überlebende Meyer, mein Philosophielehrer und die Sozialistische Jugend trainiert hatten. In Berlin taten die Grauen Eminenzen des SDS, Endzwanziger waren sie damals erst, und last but not least die Professoren Mollenhauer, Claessens und Lämmert mit einem bodenständigen Liberalismus und Humanismus das ihre, um mich auf den richtigen Weg zu bringen. Das muss ich erwähnen, weil Kraushaar, wie viele andere vor ihm, und vermutlich werden ihm noch andere folgen, die Dramatisierung von Positionen und Personen als darstellerischen und interpretatorischen Kunstgriff überstrapaziert. Das antiautoritäre, liberale und humanistische Moment von 1968 hat Bestand gehabt und prägt die deutsche Gesellschaft bis heute, nicht zu ihrem Schaden. Es reichte in seinen Wurzeln aber weiter zurück als in die Generation der Unschuldigen, die um 1940 herum geboren waren. Ich erinnere mich an einen akademischen Lehrer, der froh war, sich des ganzen Titularwesens der deutschen Uni entledigen zu dürfen: "Sagen Sie einfach Herr Müller!" Die Studentenbewegung hatte überall Helfer und Helfershelfer. Mit dem Konzept der Kinderläden rannte man im Berliner Senat Türen ein, die hoffnungsfroh aufgehalten worden waren. Ein Beispiel von vielen. Wie viele andere, typisch Männer, möchte ich sagen, hat es Kraushaar mit der großen Politik, die auch am kleinen Stammtisch verhandelt wird. Sie kennen den Witz über die Machtverteilung zwischen einem Ehepaar? Er entscheidet über Krieg und Frieden - sie über die Anschaffung einer Kühltruhe. '68 handelt, metaphorisch gesprochen, von der Kühltruhe. Die deutsche Gesellschaft hatte einen Nachholbedarf an zivilisatorischen Selbstverständlichkeiten, die mit eigentümlichem Aplomb durchgesetzt werden mussten. Ging es u! >m die Klassengesellschaft, die Revolution oder die Abwehr von Atomtod und Faschismus? Nein, es ging um die freundliche Behandlung von Kindern in der Schule, um die Selbstbestimmung der Frau, um die Abschaffung der Kleiderordnung und die Etablierung des protestantischen Gewissens als Richtschnur des Handelns - auch für Katholiken. Ich erlebte 1967/68 dann den Aufstand von Studenten, die bis dahin den Weg in den SDS oder die Gewerkschaft nie gefunden hatten. Sie warfen Bände von Goethes Werken der Sophien-Ausgabe aus den Fenstern des Germanischen Seminars! Mir waren Bücher heilig - andererseits kannte ich Lenins Schrift über den Radikalismus als Kinderkrankheit. Es galt also, großzügig zu sein. Das deutsche Bürgertum und seine Kinder hatten einen Nachholbedarf, den sie in K-Gruppen, in der RAF und heute in der Suche nach einem reinen ökologischen Gewissen zu befriedigen gedachten. Es gab nicht nur Verwirrungen, sondern auch eine Menge Tote. Aber Kraushaar, wie viele andere, die sich mit den sagenhaften 68ern einlassen, befasst sich nur mit dem Stammtisch und seinem Gerede von der großen Welt nach altbekannten Mustern, die jenem Umschwung des Zeitgeistes, der damals stattgefunden und längst auch die seinerzeit perhorreszierte "Springerpresse" samt ihrer Leserschaft umgewälzt hat, in keiner Weise gerecht wird. In meinem Leben - aber das habe ich auch erst auf Nachfrage eines jungen Mädchens eingestanden, das wissen wollte, ob ich froh sei, eine Deutsche zu sein - in meinem Leben gab es tatsächlich zwei beflügelnde Ereignisse. Zum einen '68, zum andern die Wiedervereinigung, die ich als leidenschaftliche Berlinerin gefeiert habe. Im Februar 1968 war ich froh, so viele gut gelaunte Menschen bei der Antikriegsdemonstration (Vietnam) auf meiner Seite zu wissen. Böse und verbissen war auch 1989 niemand, bloß froh und glücklich; als die Mauer fiel. Gemotzt wurde später. Kraushaar ist Stammtischpolitiker und Philologe. Was damals passiert ist, muss anders, als er es getan hat, noch aufgearbeitet werden.
Wolfgang Kraushaar: 1968 als Mythos, Chiffre und Zäsur. Hamburger Edition, Hamburg, 370 S., 48 Mark. (c) Die WELT online: http://www.welt.de |