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Detlef Michel
schreibt an Bernd Rabehl Berlin,
den 26.12.98 / 08.01.99 Lieber Bernd, nun bin ich endlich dazu
gekommen, Deinen Text zu lesen, nun kann ich Dir darauf
antworten. Am Telefon hast Du gesagt, wir müßten, da wir uns so lange nicht
gesehen haben, erst wieder eine gemeinsame Sprache finden. Das ist wohl so;
wie recht Du hast, weiß ich allerdings erst, seit ich wieder von Dir las: Hat
Dich wirklich noch kein Student auf Deine neue Diktion angesprochen? Vorweg,
aber nicht unwichtig: Bei der Präsentation von Karl Schlögels neuem Buch in
der russischen Botschaft erzählte ich Dir, ich hätte irgendwo gelesen, daß Du
vor irgendeinem rechtsradikalen Klüngel einen Vortrag gehalten haben sollst.
Du hast dementiert und darüber gewitzelt: "Vielleicht kriege ich
ja noch 'ne Einladung." Ein paar Tage später habe ich Dir dann den
entsprechenden Artikel gefaxt, Du hast mir darauf Deinen Vortragstext von den
Bogenhausener Gesprächen gefaxt, ein paar Tage später nochmal angerufen und
erklärt, er sei in der "Junge Freiheit" gedruckt worden, allerdings
und darauf hast Du großen Wert gelegt ohne Dein Wissen und mit Veränderungen,
für die Du nicht verantwortlich seist. Hier im Prenzlauer Berg fassen die
Zeitungshändler solch ein Blatt nicht an, also bin ich quer durch die Stadt
gefahren, um es mir zu kaufen, und ich habe sorgfältig beide Fassungen
miteinander verglichen. Ja, die gedruckte Version enthält einige Kürzungen,
die den Sinn aber nicht entstellen, ein paar Zuspitzungen (die
"Auflösung der nationalen Identität" wurde auf den Punkt des
Nazijargons von der "Zersetzung" gebracht, aus Deiner Aufzählung
"Barrikadenkämpfe, brennende Autos, Demonstrationen, Aufzüge klagender
Frauen und Kinder, Hungerstreik, Selbstverbrennungen, Krawalle" wurden
die autoagressiven Worte "Hungerstreik" und "Selbstverbrennungen"
Gestrichen, damit die Aktionen von Kurden in Deutschland noch bedrohlicher,
feindseliger erscheinen). Kurzum, die Redaktion hat recht ordentlich
gearbeitet.Wovon also wolltest Du Dich in dem Telefonat distanzieren? Von dem
SDP/PDS Ausfall? Von dem, der den Text weitergab? (Wer war das? Du hast
vermieden, es zu erwähnen. Ist auch dieses personifizierte Bindeglied
zwischen Dir und der "Jungen Freiheit" schon so erhellend und
eindeutig, daß Du es vorziehst, es nicht publik zu machen?) Dein Text, Bernd,
ist durchgängig geprägt von blindem Haß gegen alles Fremde und von der
Sehnsucht nach Erlösung durch die Rückbesinnung auf "nationale
Identität" (was immer das auch sei). Du kannst es - und
Dich - drehen und wenden wie Du willst: Das sind die klassischen Denkfiguren
der Rechten, und daher geht Dein Lamento über den Abdruck völlig an der Sache
vorbei. Dein Text ist in der "Jungen Freiheit" gut aufgehoben, er
gehört dort hin, nirgendwoanders. Die Katze ist aus dem Sack. Der Skandal,
für mich ein Schock, ist Dein Gedankengut, Deine Geschichtsfälschung und
Leichenfledderei. Du hast Dich nicht verändert, sagst Du mir, nie hättest Du
anders gedacht. Erinnerst Du Dich nicht an die Auseinandersetzungen des SDS
mit den Burschenschaften? Ja, es gibt den Spott über Dich, daß Du damals immer
klug am Rande standest - aber das bezieht sich auf den Rand der
Demonstrationen, den wasserwerfer- und verhaftungssicheren Rand. Erklärst Du
heute Deine knüppelkluge Distanz zur Distanzierung? Erinnerst Du Dich zum
Beispiel auch nicht an das Flugblatt, das 1963 auf dem Campus verteilt wurde
und die Burschenherrlichkeit verspottete? Unterzeichnet mit "I.
Vorsitzender: R. Dutschke (13 Mensuren), II. Schriftführer: B. Rabehl (7
Mensuren)"? Heute tritts Du vor diese Säbelrassler und bewirbst Dich als
ihr neuer Vordenker. Was ist es, daß Dich dazu getrieben hat? Und die
Danubia, deren Gastredner Du offensichtlich warst, ist nicht irgendeine
studentische Verbindung, sondern eine pflichtschlagende Burschenschaft. Sie
steht am rechten Rand der Rechten, war oder ist das intellektuelle
Rekrutierungsfeld der NPD, aus ihr ging der "Republikanische
Hochschulverband" hervor, aus dem - soweit ich weiß, korrigiere mich -
die Leute kamen, die die "Junge Freiheit" herausbrachten. Mitte der
Achtziger Jahre, mitten im Zeitgeist der "geistig-moralischen
Wende", als der Historikerstreit begann, als sich Kohl und Reagan in
Bitburg vor den Gräbern der SS verneigten; jene "Junge Freiheit",
die Deinen Text so passend fand, daß sie ihn veröffentlichte. So schließen
sich die Kreise, in denen Du neuerdings Deine geistig-moralischen Pirouetten
drehst. - Gerne würde ich lesen, ob und was Du damals geschrieben hast.
Weiter. Du stellst Dich - viel Feind, viel Ehr' - diesem Publikum als
Verfolgter vor und beginnst Deinen Vortrag mit einer Schwindelei: "Die
antifaschischtische Linke is watching you". Eine wohl eher linksradikale
Zeitung mit dem Titel: 'Die Linke beobachtet die Rechte' informierte ihre
Leserschaft in Oktober dieses Jahres darüber, daß 'Rabehl', ein 'Altlinker',
vor rechtsradikalen Kreisen in Prag ein Referat über den Gedanken der
nationalen Revolution innerhalb der Studentebewegung gehalten hätte. Dieser
'Rabehl' war nun allerdings über 15 Jahre nicht in Prag". Welch Intro!
Seht her, ihr Geladenen, ich bin einer von euch: verfolgt, verfemt,
verleumdet - nein, nicht verleumdet. Ihr beide, Du und auch Dein Publikum,
zumindest große Teile, kannten die Grenze zwischen Wirklichkeit und Wahrheit,
die Du Dir zunutze gemacht hast: von Prag war in dem Artikel gar nicht die
Rede. Daß Prag gemeint war, wußtest nur Du, weil Du eingeladen warst,
zugesagt hattest - nur war die Veranstaltung ausgefallen, und nur deshalb
warst Du "über 15 Jahre nicht in Prag". Welch billige Münze,
Bernd! Aber nun ja, diese Anwürfe der "antifaschistischen Linken "
samt ihrer "wohl eher linksradikalen Zeitungen" - was will
man da schon erwarten, man weiß ja, nach dem Schmutz kommen die Steine, nicht
wahr, Bernd? "Es gibt also Kräfte innerhalb der traditionellen Linken,
die eine bestimmte Diskussion verhindern wollen", schreibst Du
weiter. Die Wirkichkeit ist - wie so oft - banal: Die Zeitung ist keine
Zeitung sondern ein vierzehntägig erscheinendes Informationsblatt. Es heißt
nicht "Die Linke beobachtet die Rechte", sondern "blick nach
rechts", und nicht im Oktober, sondern im November und Dezember stand da
was über Dich. Von Prag war, wie gesagt, nicht die Rede. Im
Dezember ist zum Beispiel zu lesen: Daß Bernd Rabehl "gegenüber der
extremen Rechten zumindest dialogbereit geworden ist, davon zeugt neben dem
jetzt geplanten Auftritt bei der Danubia auch die Ankündigung eines Vortrages
im August bei der'Freien Deutschen Sommerakademie' ,wo er sich über'Die
Nationalrevolutionäre von 1968' auslassen sollte." Dein Dementi - sowohl
in Deinem Vortrag, als auch mir gegenüber bei der Buchpräsentation - ist also
gar keins, sondern im ersten Fall Anbiederung, im zweiten eine dämliche
Verarsche. Die Desinformation, die Du beklagst, betreibst Du selbst.
Im"blick nach rechts" publizieren Leute wie Ottmar Schreiner,
Helmut Lölhöffel, Oskar Lafontaine, Antje Vollmer, Michel Friedmann. Diese
Leute schreiben für eine "wohl eher linksradikale Zeitung'? Da mutet es
fast schon wie unfreiwillige Komik an, wenn Du ein paar Zeilen später zum
Besten gibst: "Niemand weiß heute eindeutig, was linke und rechte
Positionen beinhalten." Dem Manne kann geholfen werden: Es war schon
immer die Rechte, die Demokraten, Liberale und Sozialdemokraten als
Linksradikale denunzierte, es war die Rechte, die nach der Wende '89 die
Parole ausgab, nun gäbe es kein Links und kein Rechts mehr, nun gäbe es nur
noch die Nation als letzte Sinnstiftung, - und es gab Wendehälse, die ihr
Fähnlein in den neuen Wind hingen und die Feuilletons mit dieser
bahnbrechende Erkenntnis bereicherten. Intellektuelle in Frankreich oder Italien
kämen nie auf die Idee, solchen Unfug zu schreiben - eine spezielle
Ausformung des deutschen Sonderweges? Du siehst Dich von Feinden umgeben,
aber Du bleibst seltsam undeutlich. Wie bei Martin Walser die
"Meinungsssoldaten", ihre "Auschwitzkeule" schwingend,
durchs deutsche Vaterland marodieren, so munkelst Du von "bestimmten
Kreisen", von "bestimmten Medien", die "bestimmte
Diskussionen" und die Benennung "bestimmter sozialer
Widersprüche" verhindern wollen. Sobald Dein Text sich der Konkretion
nähert, fällt das Wort "bestimmt" - aber alles bleibt unbestimmt.
Nichts ist greifbar und alles daher unwiderlegbar. Mit der Begrifflichkeit
nimmst Du es ohnehin nicht genau, Du streust die Düddelchen quer über den
Text, bis man nicht mehr weiß, wovon Du Dich distanzierst und wovon nicht:
Mal herrscht "Fremdenhaß", mal "'Fremdenhaß'", mal
erdulden wir "Überfremdung", dann wieder " 'Überfremdung'
", mal sind die "Fremden" der Feind, dann wieder die
"'Fremden'", mal machen uns die "Eliten" das Leben
schwer, dann wieder die "'Eliten'". Nichts ist identifizierbar -
nicht einmal Du selbst: Du vermeidest, "ich" zu sagen, bezeichnest
Dich in Deinem Text in der dritten Person als "Rabehl", dann aber
auch wieder als " 'Rabehl' ". Wer bist Du, daß Du Dich von Dir
selber distanzierst? Geht es Dir womöglich gar nicht um den "Verlust der
nationalen Identität", sondern um den Deiner eigenen? So tritts Du also
vor Dein Publikum in vollem Wichs, in den ersten Reihen die Alten Herrn mit
dem Schmiß in der Visage, ganz hinten die Füchse. Laß Dir gesagt sein. Auch
dieser Gedanke der mangelnden eigenen Identität bei allzu verbissener
Identitätssuche ist den Klugen unter den Rechten nicht neu, so urteilen
einige schon immer. Neu ist nur der derzeit neue Volontär. Oder glaubst Du
wirklich, daß zum Beispiel Rohrmoser Mahler ernst nimmt? Noch kurz nach der
Wende '89 hast Du gegen die Katastrophenängste angeredet, die manchen
Intellektuellen angesichts der bevorstehenden gesellschaftlichen Verwerfungen
gepackt hatten. Der Kapitalismus werde schon damit fertig, hast Du erklärt.
Möglichen Widerstand werde er brechen, ohne daß es zu einer radikalen
Umbruchsituation oder gar militärischen Lösung komme. Die Integrationskräfte
dieses Systems seien viel größer, als die Linken sich vorstellen würden. Jetzt
bist Du selber zum Katastrophentheoretiker geworden: Nach 1945 sei das
deutsche Volk im Osten durch den russischen Terror, im Westen durch die
amerikanische Umerziehung seiner nationalen Identität beraubt worden. Den
Besatzungsmächten sei dies gelungen, weil sie die Deutschen an den
"Schuldpranger der Verbrechen im II. Weltkrieg" stellen konnten. So
sei Deutschland gewissermaßen zu einem "offenen Raum" geworden,
beherrscht von fremdbestimmten Eliten, die sich durch "Dilletantismus"
und "Dekadenz" auszeichnen; Wahlen seien "Klamauk" zur
Aufrechterhaltung des status quo. In diesen "offenen Raum" strömten
nun die Ausländer, und diese Überfremdung führe Deutschland an den Abgrund:
Der "Zuzug hochorganisierter und gleichzeitig religiöser oder politisch
fundamentalistisch ausgerichteter Volksgruppen" bedeute faktisch den
"Import der Partisanenformationen der internationalen Bürgerkriege und
Kriegsschauplätze". Mit den Ausländern holen wir uns also den Krieg ins
schöne, saubere, unschuldige deutsche Haus. Wie läßt sich unser Untergang
abwenden? Durch die Rückbesinnung auf die "nationale Identität",
auf die "Tugenden von Verläßlichkeit, Aufrichtigkeit. Verantwortung,
aber auch die tiefe Verbundenheit zu Natur und Heimat". Großreinemachen
ist angesagt. Das ist der alte rechte Hut der Rechten. Neu ist das Kaninchen,
das Du jetzt aus ihm zauberst. Du behauptest nämlich, es gebe eine bislang
verschüttete Traditionslinie dieses Denkens, die zurück zu '68 führe und zwei
Namen habe: Rudi Dutscke und Bernd Rabehl (diesmal ohne Düddelchen):
"Die nationale Frage spielte bereits in den sechziger Jahren eine Rolle
bei der Konstituierung einer neuen Opposition. Sie war damals vor allem
antiamerikanisch und antirussisch eingestimmt." Wenn das so war, ist es eine Sensation. Aber war es so? Nach dem
2.Juni '67, nach dem Tod von Benno Ohnesorg, gab es im Taumel der sich
überstürzenden Ereignisse alle möglichen Phantasien über das, was auf der
revolutionären Tagesordnung stehen mußte. Da gab es auch einen Plan, den Rudi
Dutschke im "Oberbaumblatt" unter Pseudonym publizierte: Westberlin
sollte "strategischer Transmissionsriemen für eine zukünftige
Wiedervereinigung Deutschlands sein." Wolfgang Kraushaar hat diese und
andere Kuriositäten aus dem Küchenkabinett des SDS in einem Aufsatz sorgsam
zusammengetragen. Warum hast Du sie nicht zitiert? Nicht mal auszugsweise?
Ganz einfach. Jedem Deiner Zuhörer wäre klar geworden, wie bizarr und
realitätsfemd solche Überlegungen waren, und prompt wäre Deine Behauptung von
der nationalrevolutionären Traditionslinie wie eine Seifenblase zerplatzt.
Das hätten sogar die Säbelrassler begriffen, denn die haben einen
ausgeprägten Instinkt für Machtverhältnisse. So aber kannst Du behaupten,
hier habe eine Tendenz ihren Anfang genommen, die immer mächtiger zu werden
versprach: "Es gab die ersten Anzeichen einer deutsch-deutschen Revolte
gegen die bestehenden Ordnungen." Das klingt ja richtig aufregend, ich
sehe schon, wie wackere Revolteure Barrikaden errichten, und Pulverdampf
steigt mir in die Nase. Aber was führst Du zum Beweis an? "Beim
Trauerzug mit dem Leichnam von Benno Ohnesorg von Berlin nach Hannover nach
dem 2. Juni 1967 stellte sich heraus, daß die DDR-Jugendlichen auf den
Autobahnbrücken standen und den Westberliner Studenten ihr Mitgefühl mitteilten.
Nicht FDJ oder SED hatten sie hierher befohlen, über die Westsender hatten
sie erfahren, was passiert war." Oh, mein Gott! Bernd! Was ist mit
Deinem Kopf passiert? Ja, da standen Jugendliche auf Autobahnbrücken und
winkten, ich habe sie nicht gezählt, Du nicht, niemand hat sie gezählt, aber
es waren nicht nur Jugendliche, es waren vor allem die üblichen
Spaziergänger, die immer da standen. Ja, es waren mehr als sonst. Laß es
sogar doppelt soviele gewesen sein, laß es dreimal so viele gewesen sein. Wieviele
von ihnen waren einfach Neugierige? Wieviele von ihnen standen wie immer auf
den Brücken und warteten darauf, daß einer aus einem Westberliner Auto ein
Pfund Tschibo schmiß, damit die Brüder und Schwestern mal am Goldenen Westen
schnuppern konnten? Daraus machst Du "erste Anzeichen einer
deutsch-deutschen Revolte"! Welch ein Aberwitz! Etwas anderes
unterschlägst Du, oder es ist aus Deinem Kopf gefallen: Als sich unsere Autos
vor der Grenze vesammelt hatten, öffneten die Grenzsoldaten die Schlagbäume, ließen
den ganzen Konvoi unkontrolliert durchfahren, standen am Rand der Autobahn -
und salutierten. Ich kann mich sehr genau daran erinnern, weil ich das als
absurd empfand: Ein autoritärer Staat läßt seine Exekutive strammstehen, und
wir, die Antiautoritären fahren vorüber, als würden wir eine Parade abnehmen!
Natürlich war das befohlen, aber vielleicht steckte ja doch unter der einen
oder anderen Uniform ein Mensch, der uns mit diesem Salut sein Mitgefühl
ausdrückte. Mag sein, oder auch nicht, im Gegensatz zu Dir werde ich mich
hüten, Motivfoschung zu betreiben. Eines aber macht dieses Beispiel klar: Die
Wirklichkeit ist ganz schön gemein zu uns, sie will partout nicht den
hübschen Bildern entsprechen, die wir uns so gern von ihr machen. Denk doch
nur mal an die Raubdrucke. Welche Autoren waren uns so wichtig, daß wir
nächtelag an der Druckmaschine standen, um ihre Schriften zu verbreiten?
Adorno, Horkheimer, Reich, Bakunin, Kropotkin, Stirner. Nein. lieber Bernd,
auf der Bühne von '68 spielte nationalrevolutionäres Denken keine Rolle,
keine Hauptrolle, keine Nebenrolle, nicht mal die eines Komparsen. Die
Protagonisten in diesem Stück hießen Emanzipation, antiautoritärer
Sozialismus, Internationalismus. In der Hauptrolle Rosa Luxemburg. Und hinter
den Kulissen der übliche Klatsch und Tratsch. Wie im richtigen Leben. Es ist
schon sehr auffällig, daß Du in keiner Passage Deines Vortrages Quellen
zitierst, so daß die Richtigkeit dessen nachprüfbar wäre, was Du sagst. Als
wärst Du der Kronzeuge, der über ein Geheimwissen verfügt, das er nun vor
einem erleuchten Publikum preisgibt. Was zauberst Du noch aus dem alten Hut?
Rudi Dutschke habe Ende der siebziger Jahre, als die Organisationsdebatte
begann, die schließlich in die Gründung der Grünen mündete, in der nationalrevolutionären
Traditionslinie argumentiert: "Um einen Ausgleich zu den links
eingestimmten Exponenten einer grünen Partei zu schaffen, dachte Dutschke
daran, auf die konservativen Kreise von CDU/CSU um Gruhl, die
Aktionsgemeinschaft Unabhängiges Deutschland (AUD), Burschenschaften und
konservative Zirkel und Bürgergruppen zuzugehen." Ich weiß nur, daß in
dieser Zeit über Linke Listen, über eine neue USPD debattiert wurde, über
basisdemokratiche, rätedemokratische, antistalinistische Orgaisationsformen.
Niemals aber um nationalrevolutionäre Deiner heutigen Tonart. Ulrich Chaussy
hat das alles in seiner Dutschke-Biographie ausführlich dokumentiert. In
keiner Stellungnahme von Rudi Dutschke, in keinem Bericht der Zeitzeugen, die
Chaussy befragte,findet sich auch nur ein winziger Hinweis darauf, daß das,
was Du in Deinem Vortrag erzählt hast, auch nur annähernd der Wahrheit
entspricht. Als Chaussys Buch vor 15 Jahren erschien, hast Du es in den
höchsten Tönen gelobt. Nennst Du es jetzt in Deiner neuen Diktion "ein
wohl eher linksradikales" Machwerk? Ach, Bernd, jeder kann sich ändern,
so oft und so viel er will. Nur sollte er so redlich sein, die Gründe dafür
zu nennen. Sonst verliert er seine Glaubwürdigkeit. Mit dem antiautoritären
Denken von '68 hat das, was Du in den Bogenhausener Gesprächen behauptet
hast, nichts, aber auch gar nichts zu tun. Am deutlichsten wird das in
folgender Formulierung (bei der mir speiübel wird): "Ein Volk ohne
Kultur kann zu allem verleitet werden." Die "Junge Freiheit"
hat die Programmatik dieser Aussage begriffen und daraus den Titel Deines
Beitrages gemacht. Mit ihr verabschiedest Du Dich nämlich nicht nur
aus der Linken, sondern aus dem Grundkonsens der Intellektuellen. Das
Entsetzen über die Grenzen der Aufklärung, das uns bis heute nicht losläßt,
gilt ja dem Gegenteil: Daß eine Gesellschaft trotz ihrer Kultur zu allem
fähig ist. Es ist und bleibt das Entsetzen darüber, daß Goethes Haus und
Buchenwald nicht nur geographisch dicht beieinander liegen. In einer Passage
Deines Textes verläßt Du allerdings die Unbestimmtheit, wirst konkret
und nennst Roß und Reiter: "Traditionelle Sozialisten, Parteigänger der
SEW und SED oder der illegalen KPD, aber auch die unterschiedlichen
Geheimdienste in Ost und West setzten alles daran, das Projekt zu
zerschlagen. Am 11. April 1968 wurde auf Dutschke ein Attentat verübt."
Wie bitte? Josef Bachmann ein Agent des MfS? Erich Mielke der
Drahtzieher? Im Auftrage des KGB? In Absprache mit dem CIA? Sagt das Rabehl
oder "Rabehl"? Um himmelswillen! Bernd! Stilisierst Du Dich jetzt
vom Katastrophen- auch noch zum Verschwörungstheoretiker? Das ist ein Stoff
für Hollywood! Grandios! Ich werde das Drehbuch für diesen Thriller
schreiben, im Vorspann könnte es heißen: "Wissenschaftliche Beratung:
Prof. Dr. Bernd Rabehl". Aber im Abspann stünde dann auch. "Die
Handlung und ihre Personen sind frei erfunden: Ähnlichkeiten sind rein
zufällig." Warum bleibst Du nicht auf dem Boden der Realität? Die ist
doch entsetzlich genug! Es war die Rechte, allen voran der Springer-Konzern,
die das Klima schuf, in dem sich Bachmann nach Berlin aufmachte, dreimal auf
Rudi Dutschke schoß und sich dabei als Vollstrecker der öffentlichen Meinung
wähnen konnte. Die wahren Schützen saßen in den Redaktionsstuben von
"Bild" und "Welt", und da sitzen sie noch immer und
schaffen heute jenes Klima, in dem Ausländer und Krüppel und Obdachlose
totgeschlagen werden. Ihre Nachfolger werden bald mit dem Studium fertig sein
und dann hinter den Schreibtischen der Meinungsmacht Platz nehmen. Du kennst
diese Leute, denn vor ihnen hast Du Deinen Vortrag gehalten und hast ihnen
Absolution erteilt. Bist Du Dir wirklich nicht darüber im klaren, was Du
damit getan hast? Du hast Dich zum Komplizen derer gemacht, die für den Tod
von Rudi Dutschke verantwortlich sind. Das ist widerlich. Grüße, Detlef |
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